D. King: Experiencing Pain in Imperial Greek Culture

Cover
Titel
Experiencing Pain in Imperial Greek Culture.


Autor(en)
King, Daniel
Reihe
Oxford classical monographs
Erschienen
Anzahl Seiten
XII, 291 S.
Preis
£ 65.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan Timmer, Institut für Geschichtswissenschaft, Universität Bonn

„Nenne mir dein Verhältnis zum Schmerz, und ich will Dir sagen, wer Du bist“1, heißt es in einem Essay Ernst Jüngers aus dem Jahre 1934. Schmerz ist nicht einfach nur da, nicht nur ein physiologisches Ereignis, nicht nur unwandelbare anthropologische Konstante, vielmehr ist er bzw. der Umgang mit ihm Grundlage für die soziale Schätzung des Gegenübers, Indikator für den Zustand der Gesellschaft und in seiner Bedeutung historisch variabel.

Dabei ist, über das Verhältnis zum Schmerz zu sprechen, die eine Sache, die eigene Schmerzerfahrung zu kommunizieren, eine andere: Nirgends wird die unüberbrückbare Differenz zwischen individueller Erfahrung und sozial geformter Sprache so deutlich wie beim Schmerz. Die Formen, in denen Akteure versuchen, das Unvermittelbare mitzuteilen, sind ebenso historisch kontingent wie der Umgang mit dem Schmerz und denen, die ihn erleiden.

Dennoch sind Arbeiten zur Geschichte des Schmerzes rar gesät. Zwar entstanden Anfang der 90er-Jahre eine Reihe von Überblicksdarstellungen, aber das Interesse an dem Thema verebbte rasch wieder.2 Spezialuntersuchungen zur Rolle des Schmerzes in antiken Gesellschaften fehlen bislang weitgehend, und so ist es zu begrüßen, dass sich nun Daniel King in monographischer Form des Themas angenommen hat, und zwar für den griechischen Osten der römischen Kaiserzeit.

Kings Interesse gilt dabei drei Themenkomplexen: dem Verhältnis des Schmerzes zur Konstruktion des Körpers, der Verbindung von Schmerz und Sprache und schließlich den emotionalen Reaktionen, die mit dem Erleiden und Betrachten des Schmerzes verbunden sind. Diese drei Aspekte verfolgt der Verfasser jeweils in den drei Hauptabschnitten seines Buches, wobei er mit medizinischen Schriften beginnt, um dann den Fokus zu weiten und rhetorische, philosophische und literarische Texte in seine Untersuchung einzubeziehen.

Die Medizin ist in modernen Gesellschaften sicherlich derjenige Gesellschaftsbereich, der am unmittelbarsten mit dem Schmerz verbunden ist, sowohl in Hinblick auf dessen Behandlung als auch auf die Deutungsangebote, die von der Medizin für die Gesellschaft bereitgestellt werden. Auch wenn dies – wie der Verfasser betont – für die Antike nicht in gleicher Weise gilt, so spielt der Schmerz auch in der antiken Medizin eine derart prominente Rolle, dass sie sich als Ausgangspunkt der Untersuchung besonders eignet (Diagnosing and Treating Pain 33–104).

Lässt sich eine medizinische Beschäftigung mit dem Schmerz bereits im Corpus Hippocraticum feststellen, so zeigt sich in hellenistischer Zeit zunehmend eine Verbindung mit der anatomischen Forschung und damit mit Vorstellungen vom Körper. Zugleich spielt die Möglichkeit des Patienten, den Schmerz zu versprachlichen, eine wichtige Rolle bei der Erstellung der Diagnose. King untersucht nach allgemeinen Überlegungen zum Thema (33–42) zunächst die Rolle des Schmerzes bei Aretaios von Kappadokien (43–66), der nicht nur – vor allem im Rahmen seiner Überlegungen zur Arthritis – die Ursachen für die Entstehung von Schmerzen thematisiert, sondern sich auch um die Klassifikation der Empfindung bemüht. Allerdings bleibt Aretaios dabei nicht stehen: Gerade im Rahmen der Darstellung der chronischen Krankheiten geraten auch immer wieder die psychischen und emotionalen Folgen des dauernden Schmerzes in den Blick, auf die der Arzt mit Einfühlungsvermögen reagieren soll.

Dieses spielt bei Galen – wie King nachweist – hingegen keine relevante Rolle (67–102). Dessen Beschäftigung mit dem Schmerz ist vor allem von seinem Interesse an der Anatomie geprägt. Schmerz ist ein Symptom, das im Wesentlichen auf eine Funktionsstörung des Tastsinns verweist. Gleichzeitig braucht auch Galen den Schmerz zur Diagnose von Krankheiten. Der Patient muss also in der Lage sein, seinen Empfindungen so Ausdruck zu verleihen, dass der Arzt erkennen kann, woran es dem Kranken gebricht. Die Kontrolle über die Sprache bedeutet zugleich Kontrolle über die Krankheit. Im Gegensatz zu Aretaios, der eine Beziehung zwischen Arzt und Patient auf Augenhöhe propagiert, konzipiert Galen dieses Verhältnis aber als asymmetrisch. Es ist der Arzt, der die lückenhafte Erzählung des Patienten zu einem kohärenten Bericht zusammenführt.

Der zweite Abschnitt beschäftigt sich mit der Frage, welche Bedeutung Individuen ihrem Schmerz beimessen, wobei recht unterschiedliche – rhetorische, dramatische und philosophische – Texte die Grundlage der Überlegungen bilden (Representing Pain 107–158). King beginnt mit der Untersuchung des Schmerzes in Plutarchs Schrift non posse suaviter vivi secundum Epicurum, in der die Zurückweisung der epikureischen These, der heftige Schmerz sei kurz, der langandauernde aber leicht zu ertragen, weshalb der Schmerz insgesamt weniger wichtig sei als die Lust, im Mittelpunkt steht (115–121). In Lukians Tragikomödie Podagra über das Wirken der Gichtgöttin vermischen sich medizinische, religiöse und tragische Sprache, wobei sich die Göttin gleichsam als Sprachlehrerin erweist (121–127). Anders ist das Verhältnis in den hieroì lógoi des Aelius Aristides (129–155): Der Schmerz beschädigt das Sprechen, die Schmerzerfahrung bleibt unerzählbar und dies trotz der Offenbarung des Gottes. Dem Autor bleibt nur, den Schmerz, an dem die Ärzte verzweifeln, gleich einem homerischen Helden zu ertragen.

Im letzten Teil des Buches wendet King dann die Perspektive (Viewing Trauma, Seeing Pain 159-236). Nicht das Erleben des Individuums, sondern die Beschreibung von außen, die Konstruktion des leidenden Körpers durch die Literatur und die dadurch ausgelösten Reaktionen – von Angst, Hoffnung, Mitleid bis hin zu sexuellem Verlangen –, stehen hier im Mittelpunkt. Bei Philostrats imagines, einer Anleitung zur richtigen Betrachtung verschiedener Gemälde, zeigt sich die Diskrepanz zwischen der Beschreibung der Wunden und dem Fehlen der Explikation des Schmerzes (175–192). Die mythischen Helden der Portraits sterben in Schönheit und innerer Ruhe. Der Affekt wird zur Sache des Betrachters. Mitleid weckt auch die Behandlung der Leukippe in Achilleus Tatios Roman Leukippe und Kleitophon (193-215). Durch die Szenen, in denen die Protagonistin gefoltert und missbraucht wird, wird die Grenze zwischen den Romanfiguren und dem Leser aufgehoben, der aufgrund des geschundenen Körpers Mitleid verspürt. Diese Form der Herstellung von Nähe funktioniert nicht nur bei Menschen, sondern auch bei Tieren, wie King abschließend anhand von Plutarchs de esu carnium nachweist (217-231).

Seine Stärken entfaltet Kings Arbeit dort, wo er in philologischer Detailarbeit das Verhältnis von Schmerz und Sprache nachverfolgt. Hier macht sich auch die enorme Spannbreite der von ihm ausgesuchten Texte positiv bemerkbar. Er zeigt – gerade auch durch Texte, die in der althistorischen Forschung eher stiefmütterlich behandelten werden –, die Vielfalt der Möglichkeiten, über den Schmerz zu sprechen und auf den Schmerz des Gegenübers zu reagieren. Zugleich – und das ist der strukturelle Nachteil dieses Vorgehens – fehlt das Gemeinsame der Schmerzerfahrung und -versprachlichung des kaiserzeitlichen griechischen Ostens. Es bleibt letztlich doch bei einzelnen Schlaglichtern, die sich nur sehr begrenzt zu einer Geschichte des Schmerzes verbinden, was besonders dort irritiert, wo der Verfasser in seinem Ausblick eine spezifische kaiserzeitliche Schmerzwahrnehmung als Mittel der Periodisierung und als Abgrenzung zur christlichen Spätantike nutzen möchte. Insofern bleibt zu hoffen, dass das vorliegende Buch nicht das letzte des Autors zum Schmerz bleiben möge.

Anmerkungen:
1 E. Jünger, Über den Schmerz, in: ders., Betrachtungen zur Zeit. Gesammelte Werke. Bd. 9, Stuttgart 2017, 145–191, 145 [zuerst Hamburg 1934].
2 Vgl. J. Tanner, Körpererfahrung. Schmerz und die Konstruktion des Kulturellen, in: Historische Anthropologie, Kultur-Gesellschaft-Alltag 3, 1994, 489–502.

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