Cover
Titel
The Distinction of Peace. A Social Analysis of Peacebuilding


Autor(en)
Goetze, Catherine
Erschienen
Anzahl Seiten
XII, 283 S.
Preis
€ 67,99
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Samantha Ruppel, Fachbereich Gesellschaftswissenschaften – Politikwissenschaft, Goethe-Universität Frankfurt

In ihrem Buch “The Distinction of Peace. A Social Analysis of Peacebuilding” zeigt Catherine Goetze, dass Peacebuilding (erstens) zur Festigung globaler Machtstrukturen beiträgt und dass (zweitens) die Peacebuilder aufgrund ihrer ähnlichen Sozialisation als Teil dieser Machtstrukturen gesehen werden müssen. Dabei steht nicht im Zentrum, welche Dynamiken dazu führen, dass Peacebuilding Macht ausübt, vielmehr untersucht Goetze die Bedingungen, unter denen diese Macht im Peacebuilding entstanden ist und besteht. Indem Goetze die Peacebuilding-Debatte über Machtstrukturen und die daran beteiligten Personen charakterisiert, leistet das Buch einen wichtigen Beitrag zur aktuellen Peacebuilding-Debatte.

Goetze gelingt es besonders gut aufzuzeigen, wie die Postulate von Frieden und Gewaltlosigkeit dazu dienen, Peacebuilding zu definieren. Weiterhin beschreibt Goetze, woher die Dynamiken kommen, durch die Peacebuilding Autorität, Dominanz und Macht gewinnt. Dabei versteht Goetze unter Macht die Auseinandersetzung mit Autorität, Dominanz, Herrschaft, Führung und gleichzeitig Unterwerfung, Zustimmung, Einhaltung, Befolgen und Bewunderung. Peacebuilding wird dabei als Ausprägung ebendieser globalen Machtstruktur gesehen. „Peacebuilding as it is practiced now is an expression of a particular global power structure, and it would certainly be different if that global power structure were different” (S. 8). Für den Begriff Peacebuilding wird keine starre Definition verwendet, stattdessen wird er als etwas (sozial) Konstruiertes angesehen. Dabei findet diese Konstruktion sowohl über ein inhaltliches Spannungsfeld, als auch über das Handeln der Peacebuilder statt. Goetze argumentiert, dass Peacebuilding in dieser Form existiert, da es zu einer oft unhinterfragten politischen Aktion geworden ist und für die Personen, die in diesem Feld arbeiten, eine Möglichkeit ist, das eigene Leben zu gestalten.

In Kapitel 1 und 2 des Buches führt die Autorin in Begrifflichkeiten ein und diskutiert die weltpolitische Ausgangslage, welche die Entstehung und Weiterentwicklung von Peacebuilding ermöglicht hat. In Kapitel 3 bis 5 geht Goetze darauf ein, wer genau die Personen sind, die als Peacebuilder im Feld arbeiten. Dabei arbeitet Goetze die Rolle des Bildungsbürgertums heraus und schildert, wie es zu dem „Idealtypus“ des Peacebuilders kommen konnte. Kapitel 6 und 7 schließlich führen die bisherigen Kapitel zusammen und analysieren, welche Weltanschauungen und Hintergründe den Peacebuildern zu Grunde liegen. Hierbei spielt besonders die Konzepte des liberalen Friedens und der Macht eine Rolle. In ihrem abschließenden Kapitel geht Goetze nochmals auf die schon beschriebenen Machtstrukturen ein und zieht ein Fazit der Analyse.

Die Forschung basiert dabei auf soziologischen Konzepten von Pierre Bourdieu. Mit diesem Blickwinkel definiert Goetze, was sie unter den Begriffen Feld (gesellschaftliches System), Macht, Praktiken und Habitus (als „structuring structure“ [S.2 8]) versteht. Es ist wichtig anzumerken, dass Goetze die Definitionen dabei nicht starr als theoretische Konzepte, sondern als empirisches Werkzeug begreift. In dem so definierten Feld verortet sie Akteure und beschreibt diese als nicht neutral, da sie sich mit bestimmten Regeln, Normen und Entscheidungsprozessen in dem Feld bewegen. Dahinter stehen jedoch Personen, deren Beziehungsgeflecht ebenfalls analysiert werden muss, um die Bedeutung ihrer Praktiken zu analysieren. Goetze argumentiert mit Bourdieu, dass bestimmte Praktiken, Gewohnheiten und Verhaltensweisen als Habitus normalisiert sind und von Akteuren innerhalb ihrer bestimmten Bereiche verinnerlicht werden. Der Habitus wird somit zur Internalisierung der Regeln des Feldes. Der Habitus der Peacebuilder sei dabei ein Grund dafür, dass sich einige Praktiken im Peacebuilding nicht veränderten.

Mit diesem theoretischen Hintergrund untersucht die Autorin, wie die sozialen Beziehungen der Peacebuilder entstehen und wie ebendiese Peacebuilding beeinflussen. Dafür erhebt Goetze eine Vielzahl an Daten: Umfragen, Interviews, Large-N-Analyse / Analyse von Lebensläufen, historische Rekonstruktionen, Zeitungs- und Internetanalyse.

Es wird darauf eingegangen, wie Peacebuilding sich historisch entwickelt hat und legt die Schwerpunkte auf die ersten Missionen im Kongo und ehemaligen Jugoslawien. Goetze betrachtet dabei auch die Probleme der Missionen ein und argumentiert, dass sich gerade daraus das Peacebuilding in seiner heutigen Form entwickeln konnte. Dabei identifiziert sie besondere Schlüsselfiguren wie zum Beispiel Dag Hammarskjöld, welche durch ihre Persönlichkeit maßgeblich zu der heutigen Rolle von Peacebuildern beigetragen haben. Der in der Analyse immer wiederkehrende Bezug zur Kongo-Mission und zu Schlüsselfiguren wirkt jedoch etwas überstrapaziert. Es gelingt leider nur ansatzweise aufzuzeigen, wie fundamental wichtig die Mission und Person für die weitere Peacebuildung-Praxis wirklich waren. Hier wäre es durchaus wünschenswert gewesen, noch deutlicher herauszuarbeiten, wie die Mission heute im Bereich des Peacebuilding eingeordnet wird.

Goetze führte in ihrer Analyse Umfragen durch, welche soziale Indikatoren, politische Werte und Weltanschauungen abfragen, aber auch Fragen zum Arbeitsalltag beinhalten. Die erste Umfrage führte sie 2008 mit einer Auswahl ehemaliger Mitarbeitender der Übergangsverwaltung der UN im Kosovo durch und eine zweite Umfrage 2012 mit Personen, die für UN-Friedensmissionen gearbeitet haben. Zusätzlich führte Goetze Interviews, um vertiefte Informationen zu erhalten. Es wurden auch Daten über Karrieren im Peacebuilding gesammelt. Über das Netzwerk LinkedIn wertete die Autorin dazu die Lebensläufe von 550 Personen, die für UN-Friedensmissionen gearbeitet hatten, mit einer Large-N-Analyse mit dem Schwerpunkt auf Bildungs- und Berufsverläufen aus. Zusätzlich analysierte Goetze Daten zur ersten UN-Mission im Kongo von 1960-1964 unter besonderer Berücksichtigung der Biografien beteiligter Personen. Abschließend fand eine Auswertung von Daten, die in Zeitungen und im Internet gefunden wurden, statt, um die Karriereverläufe von Mitarbeitenden auf höhere Ebenen im Peacebuilding zu verfolgen. Diese Quellen werden allerdings bedauerlicherweise nicht näher bezeichnet.

Die Vielfalt der Datenarten ist besonders positiv hervorzuheben. Mit Blick auf die Gewinnung bleiben für den Leser oder die Leserin allerdings einige Fragen offen. So sind die Anzahl der Befragten der ersten Umfrage und die der Interviews nicht genau angegeben. Auch ist nicht ersichtlich, wie viele Interviews geführt wurden, welche Fragen gestellt wurden und wie die Interviewpartner/innen ausgewählt wurden. Bei der Large-N-Analyse bleibt leider offen, welche Methoden genau für die Analyse der Lebensläufe verwendet wurden, und auch die Frage, ob die Personen sich selbst als „Friedensstifter/innen“ identifizieren, wird nicht beantwortet. So wirkt es, als würde Goetze die Befragten lediglich auf Grund ihrer beruflichen Laufbahn als solche identifizieren.

Der Fokus der Analyse liegt darauf, wie sich das Feld des Peacebuilding immer wieder selbst ausgestaltet und welche Arten von Menschen Teil dieses Feldes werden, welche Rolle der persönliche Habitus spielt und wie es Personen gelingt, eine Karriere aufzubauen. So stammen Personen, die als Peacebuilder arbeiten, meist aus dem sogenannten „Bildungsbürgertum“ und durchliefen eine Ausbildung an sehr guten westlichen Universitäten. In einer Netzwerkanalyse zeigt Goetze weiter, wie eng verknüpft die Personen sind, die in dem Feld des Peacebuilding arbeiten. Weiterhin geht Goetze auf die Motivation ein: Viele Peacebuilder geben in der Umfrage an, die befristeten Verträge und stressigen Arbeitsbedingungen zu akzeptieren, weil sie der Überzeugung sind, dass das, was sie tun – Frieden stiften und Menschenleben retten –, gut ist. Somit kommt es zu einer Selbstlegitimation. Durch ihren Wechsel zwischen verschiedenen Missionen akkumulieren Peacebuilder ein vermeintliches Wissen darüber, wie Frieden gefördert und aufgebaut werden kann. Im Zuge dessen wird untersucht, von welchen politischen Theoretikern und politischen Führungspersönlichkeiten die Peacebuilder beeinflusst worden sein können. An dieser Stelle werden politische Theoretiker genannt, jedoch ist nicht klar, wie genau die Auswahl der Theoretiker über den Fragebogen zustande gekommen ist. Anschließend legt Goetze die Argumentationslinien der meistgenannten Theoretiker dar und bezieht diese auf das Peacebuilding. In sich ist die Argumentation schlüssig und nimmt gute Rückbezüge. Allerdings lässt sich nicht erschließen, ob die Peacebuilder die Theoretiker tatsächlich so verstanden haben und in diese Richtung beeinflusst wurden. An dieser Stelle wäre eine weitergehende Reflexion der Methode oder eine weitere Befragung wünschenswert gewesen.

Die Stärke des Buches liegt in der Analyse der Diskurse über das Feld und Praktiken des Peacebuilding. Durch die Beurteilung über den vermeintlichen Umweg des Feldes, des Habitus, der Karrieren und Lebensläufen der Peacebuilder, gelingt es Goetze, Peacebuildung aus einer innovativen Sicht zu betrachten. Trotz einiger Stellen, an denen die Datenlage der Analyse für den Leser nicht ganz eindeutig ist, schafft es die Autorin, eine Lücke zu schließen, wenn es darum geht, welche Rolle (individuelle) Macht im Peacebuilding spielt. Goetze eröffnet mit ihrem Buch die Debatte um die Motivationen und Hintergründe von Peacebuilding und beleuchtet kritisch die dahinterliegenden Mechanismen.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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