: Die Revolution von 1918/19. Der wahre Beginn unserer Demokratie. Berlin 2017 : Europa Verlag Berlin, ISBN 978-3-95890-074-5 464 S. € 24,90

: 1918 - Aufstand für die Freiheit. Die Revolution der Besonnenen. München 2017 : Piper Verlag, ISBN 978-3492057332 528 28,00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Klaus Gietinger, Saarbrücken

Die beiden Bücher von Joachim Käppner und Wolfgang Niess füllen eine Lücke in der Geschichtsforschung. Seit Jakow Drabkins Buch Novemberrevolution 1918 von 1968 ist keine umfassende Darstellung der Deutschen Revolution von 1918/19 mehr geschrieben worden.1 Volker Ullrichs pointierte und den Umständen entsprechend kurze Darstellung vor knapp zehn Jahren war eben, trotz ihrer Qualität, eine knappe Darstellung.2 Die auflagenstärkste Schrift Der Verrat von Sebastian Haffner, auch aus dem Jahr 1968, krankt an ihrem Pathos und der relativ dünnen Quellenbasis, was sie allerdings nicht völlig wertlos macht.3 Der große Verdienst der beiden Autoren Joachim Käppner und Wolfgang Niess, beide promovierte Historiker und einflussreiche Journalisten, besteht jedoch darin, dass sie versuchen die Revolution von 1918/19, kurz Novemberrevolution, dem Vergessen zu entreißen. Fast noch höher anzurechnen ist beiden, dass sie in verständlicher, nie langweilender Sprache den Volksmassen auf den Straßen in den Betrieben und in den Kasernen, die die Träger dieser Revolution waren, Gerechtigkeit widerfahren lassen und ihnen einen gebührenden Platz in der Geschichte einräumen.

Joachim Käppner beginnt mit dem Aufstand der Flotte Anfang November 1918 und springt dann zurück zum Hauptproblem der ganzen Sache, dem Verhältnis der SPD zum Kaiserreich und zum Krieg. Schließlich schildert er das Versagen der Führung vor dem Heraufziehen des Ersten Weltkrieges und ihrer Zustimmung zu den Kriegskrediten. Es folgen die Darstellung der Spaltung in MSPD und USPD, des weitgehend friedlichen Sturms des 9. November 1918, des Wiedererstarkens des Militarismus mittels des Bündnisses Groener-Ebert sowie eine ausführliche Ehrenrettung der Volksmarinedivision und ein Spotlight auf die bislang kaum beachteten Frauen in der Revolution. Schließlich schildert er den weißen Terror und die Wahlen zur Nationalversammlung. Leider endet hier das Buch und so streift es den Märzterror und die Massakrierung der bayerischen Räterepublik nur allzu kurz.

Wolfgang Niess beginnt nicht mit der Matrosenrevolte, sondern mit dem Stichtag 9. November 1918 und geht dann ähnlich wie Joachim Käppner zurück zum Versagen der Sozialdemokratie vor dem Weltkrieg. Es folgen die Darstellung des Kieler Aufstands, des wichtigen zweiten Tages, des 10. November, des Waffenstillstandes, dessen Unterzeichnung sich die deutschen Militärs geschickt entzogen, sowie die Auflistung der ungenutzten Möglichkeiten der ersten Wochen, die Schilderung des Wiederaufstiegs der Obersten Heeresleitung (OHL), des Austricksens des Rätekongresses und seiner militärpolitischen Forderungen durch Friedrich Ebert und Wilhelm Groener, des Versagens der USPD-Volksbeauftragten und deren von Ebert produziertem Verlassen der Regierung nach den Weihnachtskämpfen. Die KPD-Gründung, der Januaraufstand und die Ermordung Liebknechts und Luxemburgs schließen sich an. Danach stellt Wolfgang Niess die bislang unterschätzte Phase der zweiten Revolution dar, ebenso wie die Ideen der Betriebsräte. Auch er lässt, ähnlich wie Mark Jones4, die blutigen Wochen und den Pakt der SPD-Führung mit den extrem gewalttätigen Freikorps nicht aus, schildert ausführlich den Terror gegen links. Er vergisst auch nicht die verpasste Chance von Versailles und die widersprüchliche Weimarer Verfassung. Zurück blieb ein gespaltenes Land.

Das größte Manko ist bei Wolfgang Niess, dass er auf einen Anmerkungsapparat verzichtet. Ein Malus bei beiden Büchern ist, dass sie trotz ihrer breiten Quellenbasis wichtige Werke wie das des konservativen Offiziers und Historikers Ernst-Heinrich Schmidt5 nicht einbeziehen, das schon ein frühes Waffenbündnis von Friedrich Ebert und Otto Wels mit dem Kriegsminister Heinrich Scheüch belegte. Ebenso fehlen neuere Forschungen von Ottokar Luban zu Rosa Luxemburg6 und jüngerer Autoren wie Dietmar Lange7 und Axel Weipert8 zur zweiten Revolution. Wolfgang Niess und Joachim Käppner stellen zu Recht, bei aller Vorsicht in den Formulierungen, ein Versagen der sozialdemokratischen Führer fest. Dies betrifft sowohl die MSPD als auch die USPD, ja sogar die junge Abspaltung KPD. Am schwersten wiegt jedoch das Versagen der MSPD-Führung und der ihnen assoziierten Gewerkschaftsführer (Gustav Bauer und Carl Legien). An zahllosen Stellen beider Bücher ist zu spüren, dass die Autoren geradezu verzweifeln ob der Ignoranz der MSPD-Führung ihrer eigenen Anhängerschaft gegenüber, die sich basisdemokratisch und außerhalb der Parteien als Arbeiter- und Soldatenräte organisierte und in ihrer großen Mehrheit nicht nur eine parlamentarische Demokratie, sondern eine Zerschlagung des deutschen Militarismus wünschte, der diesen Weltkrieg wesentlich mit zu verantworten hatte. Und weiter wünschten die sozialdemokratischen Massen die Sozialisierung mindestens der Großbetriebe. Beides wurde im Reichsrätekongress vom Dezember 1918 deutlich und fand eine übergroße Mehrheit. Diese Räte wollten vorderhand zwar eine Nationalversammlung, aber gleichzeitig auch ein demokratisches Militär und eine demokratische Wirtschaft. Beides war nicht im Sinn der SPD- und Gewerkschaftsführung. Weder Wolfgang Niess noch Joachim Käppner rekurrieren hier auf eine vereinfachende Verratsthese der Führung und doch machen sie klar, dass die verbürgerlichte SPD-Oberschicht unter Friedrich Ebert, Philipp Scheidemann und Otto Landsberg den alten Militärs näherstanden als ihren eigenen Anhängern.

Die Militärfrage – und das zeigen Wolfgang Niess und Joachim Käppner klar – war noch entscheidender in diesen Tagen des Novembers und Dezembers 1918 als die Frage der Sozialisierung. Höchstwahrscheinlich wäre es nicht zum Bürgerkrieg und zur Vorbelastung der Weimarer Republik gekommen, wenn die MSPD-Führung im Verein mit der USPD und den Volksmassen die OHL zerschlagen hätte und eine demokratische Volkswehr aus den Räten hervorgegangen wäre. Wolfgang Niess und Joachim Käppner sparen zwar zu Recht nicht mit Kritik an der USPD, zeigen deren Sorglosigkeit und Politikversagen, indem sie sich aus den Machtpositionen hinausdrängen ließen, zeigen auch die Fehler Karl Liebknechts und des Spartakusbundes auf, die ihre Massenwirksamkeit überschätzten und gleichzeitig eine Regierungsbeteiligung ausschlugen. Doch es wird klar: Die entscheidende Verantwortung für den Fehlstart in eine dauerhafte demokratische Republik lag bei der MSPD- und der Gewerkschaftsführung.

Zentral ist der Pakt Ebert-Groener gegen die eigenen Massen, auch wenn beide Autoren ihn nicht schon am 10. November, sondern erst im Dezember real geschlossen sehen. Die Missachtung der Volksmassen, der Räte, die psychopathische Bolschewismusfurcht, die Verbundenheit mit dem alten Reich, ja seinem Nationalismus, seiner Militärführung, seiner Verwaltung und die Angst vor dem Machtverlust, ließ die Führer der SPD sich mit dem alten Militarismus verbünden. Als aber die Volksmassen und auch große Teile der SPD-Anhänger, nicht nur die der USPD und der KPD und quer dazu die Revolutionären Obleute und die – noch kaum erforschten – syndikalistischen Bewegungen im Ruhrgebiet, sich im Januar und im März bzw. im Mai 1919 um die Früchte der Revolution betrogen sahen, als sie zu Massenstreiks, ja zum Aufstand aufriefen, gar sich in Bremen, Braunschweig und München zu Räterepubliken erklärten, traf sie der Terror der Freikorps der von der SPD-Regierung (und nicht nur dem selbsternannten „Bluthund“ Gustav Noske) ohne Wenn und Aber legitimiert – aber deswegen nicht rechtens war. Dass dabei die entscheidende Rolle des „Kreuzbuben der Konterrevolution“ (Mark Jones) Waldemar Pabst, als „rührigster Offizier“ (Gustav Noske) in beiden Büchern kritisch beleuchtet wird und gebührenden Platz findet, ist zu begrüßen.9 Hauptmann Pabst drängte Gustav Noske zu einem völkerrechtswidrigen Befehl, der nicht nur im März 1919 in Berlin, sondern im ganzen Land und noch bis 1920 Massenterror möglich machte und aufgrund dessen revolutionäre Kämpfer wie Unbeteiligte zu tausenden ermordet wurden.

Obwohl beide Bücher es vermeiden Friedrich Ebert direkt zu verurteilen – Wolfgang Niess noch einen Hauch mehr als Joachim Käppner – wird aus ihren Darstellungen klar, dass hier eine zentrale Figur Verantwortung für das Scheitern der Revolution trägt. Beide Bücher sind eine wertvolle Ergänzung zu Mark Jones‘ Arbeit, die zu ähnlichen Ergebnissen in der Verantwortlichkeit für die Gewaltspirale und die konfliktprägende Vorbelastung der Republik kommt. Die Formierung des Faschismus im Terror der auch von der SPD legitimierten Freikorps ist in allen drei Büchern zu erkennen.

Ein Manko ist, dass beide Bücher ein Telegramm Friedrich Eberts vom 11. April 1919 auslassen, in dem dieser die Ansicht vertrat, „dass je rascher und durchgreifender dieses [militärische Eingreifen K.G.] erfolgt, umso weniger Widerstand und Blutvergießen zu erwarten ist, hat schon uns die Erfahrung an anderen Stellen gelehrt.“10 Diesen Grundsatz hatte er von seinem späteren Nachfolger Paul von Hindenburg übernommen, der als Chef der OHL gesagt hatte, dass „der grausamste Krieg, der kürzeste sei.“11 Dies war also nicht nur Gustav Noskes Strategie, sondern auch Friedrich Eberts, ja der ganzen SPD-Führung und sie zeigt sich auch 1919 in den Versuchen nach den revolutionären Ereignissen mit Verordnungen zum Artikel 48 der Weimarer Verfassung, das Erschießen von (künftigen) gefangenen Aufständischen zu legitimieren.12 Alle aufgeführten Mankos schmälern aber nicht die hohe Qualität beider Bücher, die die ihnen gebührende Beachtung finden sollten und denen es hoffentlich gelingt, die Revolution von 1918/19 dem Vergessen zu entreißen.

Anmerkungen:
1 Jakow Drabkin, Novemberrevolution 1918, Berlin (Ost) 1968.
2 Volker Ullrich, Die Revolution von 1918/19, München 2009.
3 Sebastian Haffner, Der Verrat. Deutschland 1918/1919, Berlin 1993.
4 Mark Jones, Am Anfang war Gewalt. Die deutsche Revolution 1918/19 und der Beginn der Weimarer Republik, Berlin 2017.
5 Ernst-Heinrich Schmidt, Heimatheer und Revolution 1918. Die militärischen Gewalten im Heimatgebiet zwischen Oktoberreform und Novemberrevolution, Stuttgart 1981.
6 Ottokar Luban, Demokratische Sozialistin oder „blutige Rosa“? Rosa Luxemburg und die KPD- Führung im Berliner Januaraufstand 1919, in: Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung (IWK) 2 (1999) S. 176–207; ders., Rosa Luxemburg. Demokratische Sozialistin oder Bolschewistin, in: Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung 2000/2001 (2001), S. 409–420.
7 Dietmar Lange, Massenstreik und Schießbefehl. Generalstreik und Märzkämpfe in Berlin 1919, Berlin 2012.
8 Axel Weipert, Die Zweite Revolution. Rätebewegung in Berlin 1919/1920, Berlin 2015.
9 Klaus Gietinger, Der Konterrevolutionär. Waldemar Pabst – eine deutsche Karriere, Hamburg 2008.
10 Zitiert nach: Walter Mühlhausen, Friedrich Ebert 1871-1925. Reichspräsident der Weimarer Republik, Bonn 2006, S. 291.
11 Zitiert nach: Oskar Cohn (USPD) in der Nationalversammlung, 05.07.1919, S. 1337, http://www.reichstagsprotokolle.de/Blatt2_wv_bsb00000011_00608.html (20.07.2017).
12 Gietinger, Konterrevolutionär, S. 225ff.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Weitere Informationen
Die Revolution von 1918/19
Sprache der Publikation
1918 - Aufstand für die Freiheit
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension