M. Wallraff u.a. (Hrsg.): Gelasius, Ecclesiastical History

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Titel
Gelasius of Caesarea. Ecclesiastical History. The Extant Fragments with an Appendix containing the Fragments from Dogmatic Writings


Herausgeber
Wallraff, Martin; Stutz, Jonathan; Marinides, Nicholas
Reihe
Die Griechischen Christlichen Schriftsteller der ersten Jahrhunderte, Neue Folge 25
Erschienen
Berlin 2018: de Gruyter
Anzahl Seiten
CXII, 294 S.
Preis
€ 129,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Raphael Brendel, München

Mit dem kirchengeschichtlichen Werk des Gelasios von Kaisarea sind vermutlich nur wenige Spezialisten der spätantiken Kirchengeschichte und Historiographie näher vertraut. Der Hauptgrund dafür bedingt auch die Tatsache, dass hiermit überhaupt zum ersten Mal eine Ausgabe dieses Werkes vorliegt: Die Kirchengeschichte des Gelasios ist (mit Ausnahme weniger Exzerpte) nicht erhalten und kann daher nur aus einigen Testimonien sowie den gemeinsamen Angaben ihrer Benutzer rekonstruiert werden.

In der vorliegenden GCS-Edition folgt nach einem kurzen Vorwort (S. Vf.) eine umfangreiche (im Gegensatz zu den Vorgängerbänden der Reihe in englischer Sprache gehaltene) Einleitung (S. XI–CXI), in der die wenigen ermittelbaren Lebensdaten des Gelasios (S. XI–XIX), die Vorgehensweise und Problematik der Rekonstruktion der Kirchengeschichte (S. XIX–LXXX), eine Charakteristik des Werkes (S. LXXXI–LXXXV) und der (noch schlechter erhaltenen) theologischen Schriften des Gelasios (S. LXXXV–LXXXVIII), die Prinzipien von Edition und Übersetzung sowie die Bibliographie (S. XCII–CXI) geboten werden. Es folgen Text und englische Übersetzung der Testimonien (S. 2–21) sowie der Fragmente des historischen (S. 22–255) und theologischen Schrifttums (S. 256–269) und zuletzt die Indices (S. 271–294), in denen Bibelstellen, antike und mittelalterliche Textpassagen, Handschriften, Eigennamen und eine Konkordanz zur Nummerierung der Fragmente gegenüber den Vorarbeiten Winkelmanns erfasst sind.

Die wesentlichen Punkte aus der Einleitung seien knapp vorgestellt: Gelasios, der Sohn der Schwester des Bischofs Kyrill von Jerusalem, wurde etwa 335 geboren und starb zwischen 394 und 401. Zwischen 365 und 367 wurde er zum Bischof von Caesarea gewählt; bald darauf abgesetzt, erlangte er die Position jedoch spätestens 381 zurück. Er ist der Verfasser von bis zu neun Werken (unpräzise Titelformen machen eine genaue Angabe unmöglich), wobei es sich neben der Kirchengeschichte ansonsten nur um im engeren Sinne theologische Schriften handelt. Hauptzeugen für das historische Werk sind Rufinus’ Kirchengeschichte, der Anonymus Cyzicenus und die Vita Metrophanis et Alexandri (BHG 1279), deren gemeinsame Angaben nicht auf gegenseitige Konsultation zurückgehen. Weiterhin für die Rekonstruktion von Interesse sind Passagen aus Photios’ Bibliothek, Sokrates’ Kirchengeschichte, Theodorets Kirchengeschichte, die Exzerpte aus Gelasios in der im 6. Jahrhundert entstandenen Epitome historiae ecclesiasticae, Georgios Monachos, die Akten des nicaenischen Konzils von 787, die Athanasiosvita BHG 185 und die Konstantinsvita des Ignatios von Selymbria (BHG 362). Nicht direkt als Benutzer nachweisbar sind Sozomenos, Theophanes Confessor, Alexander Monachos (BHG 410), die Konstantinsviten BHG 364 (Guidi-Vita) und 369 (Nikephoros Gregoras) sowie die Vita Spyridonis des Theodoros von Paphos (BHG 1647). Einige weitere Autoren wie Epiphanios (Panarion) und Hieronymus (De viris illustribus) stellen lediglich Testimonien, haben aber keinen Wert für die Rekonstruktion. Soweit sich es ermitteln lässt, reichte das nicht in mehrere Bücher unterteilte und eventuell beim Tod des Gelasios nicht abgeschlossene Werk von der Jugend Konstantins bis mindestens zum Tod Julians, vermutlich aber bis zum Tod des Athanasios zehn Jahre später, ging jedoch nicht darüber hinaus; die Abfassung muss spätestens 387 begonnen haben. Das Werk enthielt vollständig zitierte Dokumente; als Quellen verwendete Gelasios wohl die Vita Constantini des Eusebios und die Werke des Athanasios sowie die explizit zitierten Berichte des Aidesios und Bakurios. Erhalten sind vermutlich etwa zwei Drittel bis drei Viertel des Werks.

Die Edition fällt in praktisch jeder Hinsicht positiv auf: Einleitung, Text, Übersetzung, Kommentar (in Form von Anmerkungen zur Übersetzung), Apparat und Register entsprechen den hohen Qualitätsstandards der bekannten Reihe.1 Die dünn gesäte Spezialliteratur zu Gelasios ist nahezu vollständig eingearbeitet; die wenigen fehlenden Beiträge sind von untergeordneter Bedeutung.2 Ein gewisses Unbehagen bleibt mit Blick auf die Konzeption und den Publikationsort des Bandes aber dennoch: Was hier geboten wird, ist – obwohl die dafür notwendigen Fähigkeiten durch die Herausgeber hinreichend bewiesen wurden – keine kritische Edition und kann ohne umfangreiche Neufunde auch keine werden. Andere in dieser Reihe edierte Autoren sind vollständig erhalten, oder es liegen zumindest ausreichende Überreste vor, auf deren Basis eine weitgehend zuverlässige Rekonstruktion möglich gewesen ist (wie etwa im Falle des Philostorgios). Hätte man nur die Testimonien und die wirklich sicheren Überreste der gelasianischen Kirchengeschichte vorgelegt, wäre deren Edition vermutlich nicht viel umfangreicher als die der dogmatischen Fragmente (S. 256–269). Ohne Zweifel ist die Vorgehensweise der Herausgeber sehr bedacht, da nur solche Texte als Fragmente aufgenommen wurden, die durch mindestens zwei unabhängige Zeugen als solche in Frage kommen. Letztlich handelt es sich aber bei der Rekonstruktion dennoch nur um eine Hypothese, da die Zuordnung der Texte zur Kirchengeschichte des Gelasios in vielen Fällen weder vollkommen sicher zu beweisen noch zu widerlegen ist.

Auf zwei grundsätzliche Probleme dieser Rekonstruktion sei hingewiesen: Erstens beruht die Rekonstruktion auf der Annahme, dass die gemeinsamen Angaben der oben genannten Werke durchgehend auf das Werk des Gelasios zurückzuführen sind; die Möglichkeit einer weiteren gemeinsamen Quelle wird nur kurz gestreift (S. XX mit der Rückführung nur auf Gelasios als „simply the most economic hypothesis“). Zweitens ist zu bedenken, dass eine Reihe von Texten, die für die Rekonstruktion relevant sind, aus einer deutlich späteren Zeit stammen: So wurde etwa die Vita Metrophanis et Alexandri zwischen der Mitte des 7. und der Mitte des 9. Jahrhunderts und die Vita Athanasii zwischen 440 und 840 verfasst, Georgios Monachos schrieb 846/7 oder 871/2 und Ignatios von Selymbria Ende der 1420er-Jahre. Mit Blick auf die zahlreichen zwischenzeitlich entstandenen Schriften und Kompendien, aber auch Paratexte in Form von (bislang oft nicht einmal edierten) Rand- und Marginalnotizen (siehe auch Test. 7, S. 20f.) sowie die Tatsache, dass sowohl Verwechslungen zwischen Gelasios und Rufinus (S. XXXIIIf.) als auch Vermengungen des Gelasios mit anderen Autoren festzustellen sind (S. XLV), kann die Möglichkeit verschiedener Zwischenquellen nicht bestritten werden (so auch S. LXXIX). Das soll nicht bedeuten, dass die Möglichkeit einer Rekonstruktion von vornherein abzulehnen wäre. Ganz im Gegenteil erweist sie sich als sehr durchdacht und geht über eine auf Sicherheit bedachte Minimallösung (wie etwa in der von Bruno Bleckmann und Jonathan Gross publizierten Sammlung der Fragmente der Historiker der Reichskrise praktiziert3) hinaus, ohne dabei in das andere Extrem zu verfallen. Der Benutzer der Edition muss sich allerdings der Tatsache bewusst sein, dass sichere Aussagen über das Werk des Gelasios auch weiterhin nicht möglich sind und jegliche darauf basierenden Thesen (beispielsweise über den frühesten Beleg für ein bestimmtes Ereignis) letztlich nicht zu beweisen sind. Fairerweise muss hinzugefügt werden, dass dies kein auf diese Edition zu reduzierendes Phänomen ist, wie etwa die immer wieder vorkommende unzulässige Vermengung von Cassius Dio und Petros Patrikios zeigt (dessen Historien sich auf die Römische Geschichte Dios stützen und daher zu dessen Rekonstruktion herangezogen werden, jedoch zahlreiche Modifikationen gegenüber seiner Vorlage aufweisen). Hier ist also die Vernunft und Vorsicht der Leserschaft gefordert.

Die neue Edition wird die Debatte um das kirchengeschichtliche Werk des Gelasios beleben und diese bislang weitgehend ignorierte Schrift in das Blickfeld der Forschung rücken. Und selbst wenn man die Rekonstruktion in ihrer gebotenen Form kritisieren kann, bietet die Edition trotzdem eine aktuelle Einführung sowohl in eine Reihe zentraler Texte für die Kirchengeschichte der Spätantike als auch in einige dem Althistoriker vermutlich nur wenig bekannte byzantinische Texte sowie nützliche Übersetzungen größerer Partien dieser Werke und einen hilfreichen Quellenapparat. In jedem Fall liegt somit ein nützliches Arbeitsinstrument für die Forschung zu Konstantin sowie zur Kirchengeschichte und Kirchengeschichtsschreibung der Spätantike vor.

Anmerkungen:
1 Auch waren nur zwei Druckfehler auszumachen: S. LXXIX „differrence“ und S. 37 „tranquility“.
2 Carl Weyman, Analecta XVIII. Ecce lignum crucis, in: Historisches Jahrbuch 40 (1920), S. 180f. (zu Frg. 15a, S. 122f.); Paul van den Ven, Gélase de Césarée et Rufin, in: Annuaire de l’Institut de philologie et d’histoire orientales et slaves 12 (1952), S. 648; Norman H. Baynes, An Athanasian forgery?, in: Norman H. Baynes, Byzantine studies and other essays, London 1955, S. 282–287 (Neupublikation von Teilen des S. XCII und S. 191, Anm. 4 zitierten Beitrages); Felix Scheidweiler, Die alte Vita Pauli, in: Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche 50 (1959), S. 91–99 (wird als Rekonstruktionsbasis für Gelasios ausgeschlossen); Friedhelm Winkelmann, Das Problem der Rekonstruktion der Historia Ecclesiastica des Gelasius von Caesarea, in: Forschungen und Fortschritte 38 (1964), S. 311–314 (Zusammenfassung der Monographie von 1966); Günther Christian Hansen, Zwei Splitter frühchristlicher Literatur, in: Vigiliae Christianae 47 (1993), S. 85–87 (ergänzend zum Hintergrund von Test. 7, S. 20f.). Die Rezensionen zur Dissertation von Anton Glas sind nur in Auswahl (S. XXIV, Anm. 44) und die zur Monographie Winkelmanns nicht erfasst. Eine vollständige Sammlung wäre gewiss nützlich, zumindest aber wären noch die beiden Rezensionen anzuführen gewesen, die durch die gebotenen Ergänzungen herausragen. Zu Glas: Nikos A. Bees, in: Berliner Philologische Wochenschrift 35 (1915), Sp. 1238–1240; neben Bees und den drei S. XXIV, Anm. 44 genannten sind mindestens sieben weitere Rezensionen nachweisbar. Zu Winkelmann: Hans-Dietrich Altendorf, in: Gnomon 39 (1967), S. 684–689; mindestens drei weitere Rezensionen sind nachweisbar. S. 133, Anm. 6 (zu Frg. 16a) wäre für Metrodoros noch auf Marilena Amerise, Mendacium Metrodori, un particolare casus belli, in: Klio 86 (2004), S. 197–205 und Frédéric Youinou, Trois nations pour une ambassade: „l’enigme Métrodore“. Christianisation et relations internationales au IVe siècle ap. J.-C.: l’exemple de la question d’Orient sous Constantin, in: Latomus 67 (2008), S. 149–165 zu verweisen.
3 Bruno Bleckmann / Jonathan Groß (Hrsg.), Historiker der Reichskrise des 3. Jahrhunderts I (Kleine und fragmentarische Historiker der Spätantike A 1–4 und 6–8), Paderborn 2016.

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