Unternehmer als historische Akteure

: Werner von Siemens, 1816–1892. Eine Biographie. München 2016 : C.H. Beck Verlag, ISBN 978-3-406-69820-0 576 S., 150 Abb. € 29,95

: Der Unternehmer Guido Henckel von Donnersmarck. Eine Skizze. Essen 2016 : Klartext Verlag, ISBN 978-3-8375-1507-7 304 S. € 24,95

: Robert Bosch. Unternehmer im Zeitalter der Extreme. Eine Biografie. München 2017 : C.H. Beck Verlag, ISBN 978-3-406-70553-3 504 S., 21 Abb. € 29,95

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Eva-Maria Roelevink, Historisches Seminar/Wirtschaftsgeschichte, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Unternehmer sind eigenartige Figuren. Eigenartig, weil praktisch nicht zu definieren ist, wer Unternehmer ist und wer nicht, oder was zum Unternehmer macht. Ein eindeutiges Kriterium oder eine Bescheinigung, die als Unternehmer ausweist, existiert jedenfalls nicht. Allerdings wird Unternehmern eine besondere Handlungslogik unterstellt, die in aller Regel als zumindest beschränkt rational motiviert angenommen werden kann. Die Frage nach der Handlungsmotivation einzelner Unternehmer ist gesellschaftlich relevant, und so zählen auch Unternehmer als historische Akteure zu den grundlegenden Untersuchungsgegenständen der Geschichtswissenschaft. Denn, so lassen sich alle drei hier besprochenen Veröffentlichungen verstehen, die Beschäftigung mit Unternehmern versetzt in die Lage, Wirtschaft und Gesellschaft miteinander zu verbinden, strukturellen und kulturellen Wandel und individuelle Leistung sichtbar zu machen.

Die Biographien von Johannes Bähr zu Werner (von) Siemens, Manfred Rasch zu Guido Henckel von Donnersmarck und Peter Theiner zu Robert Bosch zeigen das recht anschaulich. Alle drei Arbeiten lassen sich als Auftragsarbeiten einordnen: Die Biographie von Bähr wurde anlässlich des 200. Geburtstag von Werner von Siemens in Auftrag gegeben, Rasch wurde anlässlich des 100. Todestages von Guido Henckel von Donnersmarck von der gleichnamigen Stiftung unterstützt und Theiner war selbst bis 2016 Direktor bei der Robert Bosch Stiftung. In allen drei Veröffentlichungen wird die Eigenart, die individuelle Handlungslogik des jeweils betrachteten Unternehmens, herausgearbeitet, umfassend vor allem bei Bähr.

Alle drei Biographien vergleichend zu betrachten ist durchaus erkenntnisfördernd. Denn mit ihren Ergebnissen fordern die drei Verfasser die tradierten Vorstellungen vom Unternehmer und Unternehmertum heraus. Eine dieser überkommenen, aber weiterhin verbreiteten Vorstellungen ist es, einen Unternehmer als einsamen und technischen Schöpfer oder Erfinder zu sehen und damit zum Heros technischer Innovation zu stilisieren. Bähr kann zeigen, dass Werner Siemens (1816–1892) eindrucksvolle Leistungen als Erfinder vollbracht hat. Allerdings muss das Bild, nach dem Siemens vor allem genialer Erfinder war, korrigiert werden: Da war zunächst Ferdinand Leonhard, ein Uhrmacher, der mit seinen feinmechanischen Kenntnissen für die erste Beschäftigung Siemens‘ mit der Telegrafentechnik beinahe unersetzlich war. Dann wurde Siemens in seiner Erfindungstätigkeit maßgeblich begleitet von Johann Georg Halske, einem Mechaniker, der ähnlich wie Leonhard bereits fest etabliert war, als Siemens sich aufmachte, den Siemens-Telegrafen zu bauen. Der entscheidende Hinweis für ein geeignetes Isolationsmaterial der ersten Telegrafen kam dann übrigens von Werner Siemens‘ Bruder Wilhelm, der in England auf Guttapercha aufmerksam geworden war. Und auch die Dynamomaschine war nicht etwa die einsame Erfindung von Werner Siemens. Zur Marktreife brachte sie Friedrich Hefner-Alteneck, der Kopf der 1867 eingerichteten Konstruktionsabteilung bei Siemens & Halske. Und als Thomas Edison mit seiner Glühlampe auf den Plan trat, machte Siemens zunächst den Versuch Edison als „Go-ahead-Erfinder“ abzutun. Erst als ihm die Relevanz des umfassenden Beleuchtungssystems von Edison, das weit mehr war als nur eine Glühlampe mit Kohlefaden, schließlich aufging, machte Werner Siemens sich daran, Edison herauszufordern. Es war dann aber Emil Rathenau, der die Chance, die aus einer Lizenz für Edison-Rechte in Deutschland erwuchs, erkannte und nutzte. Auch Robert Bosch (1861–1942) war kein Erfindergenie; eine seiner wesentlichen Stärken als Unternehmer – und da ähnelt er Siemens sehr – war die klare und frühzeitig verfolgte Internationalisierungsstrategie, der gute Riecher für Wachstumschancen über die heimischen Märkte hinaus. Und Rasch kann für Guido Henckel von Donnersmarck (1830–1916) konstatieren, dass Reichtum und Risikobereitschaft für sein unternehmerisches Handeln bestimmend waren, technische Innovationen aber von ihm nicht ausgingen.

Konventionelle Unternehmerbiographien basieren nicht selten auf einem radikalen Individualismus. Die Bedeutung des sozialen und kulturellen Umfelds wurde dabei nicht selten drastisch heruntergeschrieben, um der individuellen Leistung des Unternehmers mehr Gewicht zu verleihen. Alle drei Biographien legen in dieser Hinsicht einen modernen Schwerpunkt. Die Tatsache, dass Robert Bosch sich einem bürgerlichen Habitus geradezu verwehrte und eine Unternehmenskultur beförderte, die „lieber Geld verlieren als Vertrauen“ zur Leitidee auslobte, erklärt Theiner mit einem Vater, der als Demokrat ein Denken bei seinem Sohn einpflanzte, das die „verschleppte Synchronisierung von politischer Ordnung und sozialökonomischer Entwicklung“ beständig kritisierte (Zit., S. 18). Bei dem Industriemagnaten Guido Henckel von Donnersmarck hatte das familiäre Umfeld eine geradezu gegenteilige Wirkung: Es war die Abkehr vom väterlichen Denken und Handeln, die die Grundlage für ein neues und industriell produktives Magnatentum bei ihm beförderte. 1871 heiratete er, und das in keiner Weise standesgemäß. Von Donnersmarck mag gehofft haben, dass die Reichsgründung den Umstand, dass seine Gattin eine ehemalige Kurtisane war, bedeutungslos machen würde. Diese Hoffnung wurde enttäuscht und das Paar in den erlauchten Kreisen geächtet. Werner Siemens hingegen wäre die frühe und erfolgreiche Internationalisierung des Unternehmens kaum gelungen, hätte er sich nicht den Hut der Fürsorgepflicht für seine Geschwister aufgesetzt. Nach dem frühen Tod beider Elternteile wurden die Geschwister zunächst auseinandergerissen. Es war damit unwahrscheinlich, dass ein loyaler und enger „Brüder-Bund“ die Basis für das Unternehmen und seine Expansion werden könnte. Umso bemerkenswerter ist es, dass sich Siemens & Halske zu einem Familienunternehmen entwickelte (Siemens Brothers aber nicht), nachdem der Brüder-Bund bereits erfolgreich etabliert war.

Die Beziehung zwischen Unternehmer und Staat ist höchst relevant, und wird längst nicht mehr als einfacher Antagonismus – hier das auf Freiheit und Unabhängigkeit vom Staat gerichtete Unternehmertum und dort der freiheitsbeschränkende, kontrollierende Staat – gesehen. Bähr kann deutlich zeigen, dass Werner Siemens, nachdem er die Aufnahmeprüfung für die Artillerie bestanden hatte, stark von seiner militärischen Ausbildung und seinen Beziehungen, die Telegrafie wurde zunächst vom Militär gefördert, profitieren konnte. In den ersten Jahren nach der Bindung an Halske firmierte das Unternehmen als „Werkstatt Halske“, und zwar um den Umstand, dass Werner als Offizier tätig und gleichzeitig Auftragnehmer des Staates war, zu verdecken. Erst als Werner im Zenit seines unternehmerischen Erfolges stand, war das Engagement Siemens für ein Patentgesetz nach seiner Vorstellung, auch als „Charta Siemens“ bezeichnet (S. 319), erfolgreich und damit eine Einflussnahme auf Wirtschaftsordnung greifbar. Bei Rasch wird die Frage nach der Beziehung von Unternehmermagnat und Staat nicht explizit behandelt. Als Adeliger, der zwar ein Unternehmer im modernen Sinn war, aber doch in einem System agierte, das dem Adel eine Beteiligung an der staatlichen Herrschaft einräumte, liegt eine enge, fast symbiotische Beziehung ja auch auf der Hand. Dass die Elektrotechnische Fabrik Robert Bosch schon weit vor 1914 international erfolgreich war, und damit eine Unternehmung darstellte, die stark exportorientiert war, dürfte Boschs wirtschaftspolitische Haltung geprägt haben. Dabei entwickelte Bosch eine bemerkenswert linke Grundhaltung. Einem Arbeitgeberverband gehörte er nicht an, und seine Sicht auf den Ersten Weltkrieg war nicht eine militärisch-technische oder nationalistische, sondern eine „moralische“, so Theiner (S. 108). Stifterisches Handeln als Handlungsfeld, indem „der Staat nicht oder nicht mehr handeln kann – oder dort aktiv zu werden, wo staatliches Handeln besser unterbleiben sollte“ (S. 224), wurde, so Theiner, grundlegend für Boschs Wirken. Ob Bosch aber tatsächlich von einer andauernden zivilen Nutzung der nationalsozialistischen Rüstungswirtschaft ausging, will Theiner nicht „mit letzter Sicherheit“ bescheiden. Dass Bosch, im Rahmen des Bosch-Kreis vom Widerstand Kenntnis hatte, ist unstrittig. Wann genau der Entschluss zu einer Unterstützung der Aktivitäten fiel, bleibt aber auch bei Theiner offen. Der vom Bosch-Kreis unterstützte Widerstand um Goerdeler, so Theiner, hatte Parallelen zu Boschs unternehmerischen Selbstverständnis. Das ist zwar denkbar, trotzdem bleibt weiterhin ungeklärt, worin die Beteiligung Robert Boschs in dem Kreis genau bestand. Lieferte er den Raum für den Widerstand, hat er den schillernden Hans Walz, der aktiv im Kreis wirkte, instruiert, und wenn ja, wann? Auch für Theiner gehört Zwangsarbeit zu den Themen, die in einer Bosch-Biographie angeschnitten werden müssen. Aber mit Robert Bosch direkt hat das Theiners Ansicht nach wohl kaum zu tun, denn der Abschnitt zur Zwangsarbeit und zur späten Entschädigung der Opfer durch das Unternehmen ist im Epilog eingepflegt und wirkt damit aus dem Leben von Bosch ausgeklammert (S. 395–401). Gleichwohl macht Theiner hier deutlich, dass schon kurz nach dem Überfall auf Polen, Kriegsgefangene nach Stuttgart gebracht und auch bei Bosch eingesetzt wurden. Der Schätzung von Bähr zur Folge1, auf die Theiner sich beruft, waren das 20.000, mit 33% deutlich mehr als mit Durchschnitt der deutschen Industrie (25%). Die Frage, was Robert Bosch damit zu tun hatte, wird aber nicht gestellt. Zwar konnte schon Bähr feststellen, dass es kaum möglich ist, die Haltung der Geschäftsleitung zur Zwangsarbeit zu charakterisieren, eine interessante Frage bleibt dies aber doch.2

Der tradierten Vorstellung nach erlangt ein Unternehmer Bedeutung durch in der Rückschau von kundigen Zeitgenossen formulierten Zuschreibungen. Je mehr Zuschreibungen existieren, umso wahrscheinlicher wird es, dass ein Unternehmer ins kollektive Gedächtnis eingeschrieben wird. Siemens und Bosch lassen sich diesen prominenten, bedeutungsvollen Unternehmern zuordnen. Sie sind, zumindest dem Namen nach, allgemein bekannt. Gleichwohl sind ihre Leistungen nicht nur das Ergebnis von retrospektiven Urteilen anderer. Besonders deutlich wird das im Falle von Werner Siemens: die Zuschreibung des technischen Erfindergenies wurde von zahlreichen Biographen, Conrad Matschoß, Sigfrid von Weiher und Wilfried Feldenkirchen fortgeführt. Grundlegend dafür aber war das letzte Projekt von Werner Siemens: um 1890 zog er sich aus der Unternehmensleitung zurück und begann damit, seine kurz vor seinem Tod 1892 veröffentlichten „Lebenserinnerungen“ zu schreiben.3 Der Anstoß, so vermutet Bähr, war, dass ein Schriftsteller 1888 eine Biographie über seinen bereits verstorbenen Bruder Wilhelm veröffentlicht hatte. Offenbar brachte ihn dieses Werk dazu, die Deutung seines Lebens selbst in die Hand zu nehmen. In den Lebenserinnerungen machte er aus dem Familienprinzip eine sinnstiftende Grundidee für sein Handeln. Aber mehr denn als Unternehmer beschrieb Siemens sich dort selbst als Naturwissenschaftler, als Techniker und Erfinder.

Auch zu Robert Bosch existieren bereits eine ganze Reihe von Biographien. Die bekannteste dürfte die von Theodor Heuss sein. Bosch selbst hatte Heuss, nur eine Woche vor seinem Tod im März 1942, damit beauftragt die Biographie zu verfassen.4 Bosch und Heuss kannten sich über Friedrich Naumann, das „Liberale“ war insofern grundlegend und tauchte als Leitidee entsprechend prominent in der Bosch-Biographie von Heuss auf. Neuere Arbeiten sind vor allem die von Joachim Scholtyseck und die Unternehmensgeschichte von Bähr.5 Bosch selbst hat keine Autobiographie verfasst. Wenn es um die Darstellung des Unternehmens, die Selbstbeschreibung geht, führt Theiner vor allem die Werkzeitung des Unternehmens, den Bosch-Zünder an. Dass Bosch selbst ein großes mediales Interesse pflegte, liegt auf der Hand. Nicht nur der Bosch-Zünder kann das belegen, sondern auch die Investitionen Boschs in die Deutsche Verlagsanstalt seit 1917. Wie dem auch sei. Es wäre interessant, den Bosch-Zünder einmal mit anderen Werkszeitschriften rüstungswirtschaftlicher Unternehmen zu vergleichen, und damit zu beurteilen, wie stark das Unternehmen sich symbolisch tatsächlich vom Nationalsozialismus abwandte. In der weiterhin offenen Frage, wie viel Widerstand auf Robert Bosch selbst zurückging, könnte das ein denkbares Vorgehen sein.

Völlig anders dagegen entwickelte sich das Bild des Magnaten Henckel von Donnersmarck. Er war Zeitgenossen sehr präsent, Donnersmarck war ohne Zweifel ein ‚Promi‘ seiner Zeit, nicht zuletzt wegen seiner spekulativen Aktivitäten mit Terraingesellschaften. In der Gegenwart ist er hingegen weitgehend unbekannt. Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Ende der deutschen Monarchie wurde der Adelsstand aufgehoben, eine Beschäftigung mit dem Magnaten entsprach nicht dem Zeitgeist. Kurz vor seinem Tod aber gab er in einer Direktive seinen Söhnen zwei Ratschläge: „einerseits mehr auszugeben, als einzunehmen. […]. Und andererseits mögen sie sich vor Schmarotzern hüten, die […], um durch Verheißung leichter und verlockender Gewinne sie in gewagte Unternehmungen zu verführen, deren Nutzen doch nur den Verführern in der Hauptsache zugutekommen soll“ (Zit., S. 241). Eine ähnliche Weisung hätte auch von Siemens stammen können. Der war aber auch nicht so risikoverliebt wie Henckel von Donnersmarck – eigenartig diese Unternehmer!

Das Thema Unternehmerbiographie bringen somit alle drei Autoren voran. Am umfassendsten ist der Anspruch an eine moderne Unternehmerbiographie bei Bähr eingelöst: Siemens, der vorher insbesondere als Techniker und Erfinder dargestellt wurde, wird hier als Unternehmer begriffen und auf seine Motivation hin untersucht. Rasch bietet seine „Skizze“ zu Henckel von Donnersmarck neben den biographischen Versatzstücken auch Aspekte, die für das Verständnis der oberschlesischen Montanwirtschaft, aber ebenso das riskante Geschäft der Terraingesellschaften interessant sind. Die Einordnung des Unternehmers Bosch in das politische Koordinatensystem bildet den wesentlichen Schwerpunkt bei Theiner.

Anmerkungen:
1 Johannes Bähr und Paul Erker, Bosch. Geschichte eines Weltunternehmens, München 2013, S. 218–235.
2 Ebd., S. 219.
3 Werner von Siemens, Lebenserinnerungen, (hrsg. von Wilfried Feldenkirchen). München19 2004 (erste Auflage: Berlin 1892).
4 Theodor Heuss, Robert Bosch. Leben und Leistung, Stuttgart 2002 (erste Auflage 1946).
5 Joachim Scholtyseck, Robert Bosch und der liberale Widerstand gegen Hitler 1933–1945, München 1999; Johannes Bähr und Paul Erker: Bosch. Geschichte eines Weltunternehmens, München 2013.

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