D. Motadel: Für Prophet und Führer

Cover
Titel
Für Prophet und Führer. Die islamische Welt und das Dritte Reich


Autor(en)
Motadel, David
Erschienen
Stuttgart 2017: Klett-Cotta
Anzahl Seiten
568 S., 44 SW-Abb., 1 Karte
Preis
30,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Petke, Berlin

Mit dem vorliegenden Buch hat der in London lehrende David Motadel eine kaum veränderte deutsche Übersetzung seiner englischsprachigen Publikation von 2014 vorgelegt.1 Mit Hilfe einer Dreiteilung (I. Muslime in der Kriegspolitik, II. Muslime in den Kriegsgebieten, III. Muslime in der Armee) versucht Motadel alle maßgeblichen Bereiche zu erfassen.

Zunächst gibt Motadel im ersten Abschnitt (I. Muslime in der Kriegspolitik) einen kurzen Überblick über die deutsche Islampolitik vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Zu Recht erinnert er daran, dass bereits in den deutschen Kolonien große muslimische Bevölkerungsgruppen lebten und zunehmend Teil eines wissenschaftlichen und politischen Diskurses wurden, der im Islam eine strategische Ressource zu erkennen glaubte (S. 24–27). Im Ersten Weltkrieg wandelte sich die deutsche Perspektive durch Protagonisten wie Max von Oppenheim zu einem destruktiven Ansatz. Ziel war es, muslimische Bevölkerungsgruppen auf den Staatsgebieten und in den Kolonien der Gegner zu mobilisieren, um so den Gegner zu schwächen. Doch trotz aufwendiger Propaganda unter muslimischen Kriegsgefangenen und in den Herkunftsländern sowie Militärmissionen in den Irak oder nach Afghanistan blieb die Dschihadpolitik erfolglos. Allerdings beendete die Niederlage im Ersten Weltkrieg nicht die Diskussionen um den Islam als politischen Faktor.

Motadel kann aufzeigen, dass Zeitschriften wie die Zeitschrift für Politik, Osteuropa, Die Welt des Islam und die Zeitschrift für Geopolitik auch in der Zwischenkriegszeit die Diskussion fortsetzten. Allerdings hätte dem Abschnitt eine stärkere chronologische Ordnung gut getan und so weitere Fragen ermöglicht. Der japan- und asienfixierte Karl Haushofer, Herausgeber der Zeitschrift für Geopolitik, hatte im Gegensatz zu Motadels Behauptung (S. 39) dem islamischen Raum nur wenig Interesse entgegengebracht. Noch 1931 sprach er dem Panarabismus die Kraft ab, eine eigenständige Bewegung bilden zu können und attestierte dem Islam, im Gegensatz zu Asien, stärkste destruktive Kräfte.2 Erst mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges änderte Haushofer seine Meinung und widmete dem Nahen Osten eine eigene Ausgabe der Zeitschrift für Geopolitik. Auch wenn Motadel diesen Abschnitt mit „geopolitische Islam-Debatten der Zwischenkriegsjahre“ überschreibt (S. 38–50), ist es auffällig, dass die meisten der angeführten Literaturtitel nach Kriegsbeginn verfasst wurden. Die Frage nach dem Warum wird leider nicht gestellt. Interessant wäre es auch gewesen zu erfahren, ob nicht nur in regionalwissenschaftlichen Fachjournalen, sondern auch in zentralen NS-Organen eine Diskussion oder zumindest eine Wahrnehmung des islamischen Kulturraumes stattfand. Im ersten Jahrgang des Schwarzen Korps z.B. erschien 1935 in den ersten neun Ausgaben ein Fortsetzungsbericht über den Freiheitskampf der Rifkabylen in Marokko, die das Stereotyp von heldenhaft kämpfenden edlen Wilden zeichneten.3 Überhaupt blendet Motadel das Militär in diesen Diskursen völlig aus. In Zeitschriften wie dem Militär-Wochenblatt, dem Deutschen Offiziersblatt, den Neuen Militärischen Blättern, der Unteroffizier-Zeitung und dem Soldaten-Freund, um nur die wichtigsten zu nennen, fand ebenfalls eine rege Diskussion zum islamischen Raum statt. Da im Zweiten Weltkrieg Muslime als Soldaten auf deutscher Seite kämpften, wäre die Frage nach dem Einfluss dieser Diskurse nicht unwichtig gewesen.

Auch für den folgenden Abschnitt (Achsen der Islampolitik, S. 51–89) kommen Chronologie und Militär zu kurz. Das von Motadel eingangs angeführte Memorandum des Diplomaten Eberhard von Stohrers vom 18. November 1941, stellte mitnichten die erste Anregung zur systematischen Instrumentalisierung des Islam dar (S. 52). Hätte Motadel auch hier das Militär ausreichend berücksichtigt, so wäre ihm aufgefallen, dass bereits Hitlers Weisung Nr. 32 vom 11. Juni 1941 die Ausnutzung der arabischen Bevölkerungen anordnete. Als zentrale Planungsstelle für den Orient sollte der am 21. Mai 1941 vom OKW aufgestellte Sonderstab Felmy fungieren.4 Stattdessen arbeitet Motadel nacheinander das Auswärtige Amt, das Ostministerium und stark kursorisch die Wehrmacht und SS mit einigen Protagonisten ab und springt hierdurch zwangsläufig in den Jahren hin und her. Auch erscheint das Ausmaß des Kapitels unnötig umfangreich. Wiederholt wird im Text darauf verwiesen, dass das gerade Gelesene nochmals ausführlicher in den folgenden Kapiteln dargelegt wird.

Mit dem zweiten großen Abschnitt (II. Muslime in den Kriegsgebieten) folgt das zentrale Kapitel des Buches und das Glanzstück der Arbeit. Selten wurde so prägnant und differenziert die Widersprüchlichkeit und Problematik dargestellt, die auf den verschiedenen Schauplätzen herrschte. Der Erfolg des immensen deutschen Propagandaaufwands in Nordafrika war nur schwer messbar. Beide, Alliierte wie auch Achsenmächte, sahen die Sympathien jeweils auf ihrer Seite. Im Gegensatz hierzu waren mit der Krim und Teilen des Kaukasus muslimische Gebiete unter deutsche Kontrolle geraten, in denen mit der Wiedereröffnung von Moscheen und der Durchführung religiöser Feste konkrete Religionspolitik betrieben werden konnte (S. 175–183). Auf dem Balkan waren die Deutschen zur Stabilisierung ihres Einflusses bereit, auch gegen ihre kroatischen und italienischen Bündnispartner zu agieren. Was alle Schauplätze einte, war die Tatsache, dass Muslime, von einfachen Menschen bis hinauf zu religiösen und politischen Würdenträgern, zur Zusammenarbeit bereit waren. Doch auch hier differenziert Motadel ausgezeichnet und zeigt, wie durch Erwartungen, lokale Verhältnisse und die Kriegslage Loyalitäten entstanden, sich verschoben und teilweise wieder auflösten.

Der positive Eindruck setzt sich aufgrund diverser Ungenauigkeiten leider nicht im dritten und letzten Kapitel (III. Muslime in der Armee) fort. Am eklatantesten sind die wiederholt falschen Zahlen, die Motadel aufgrund veralteter Literatur übernimmt. Die Zahl von 475.000 Muslimen in der Wehrmacht (S. 268) lag, wie schematische Gliederungen des Generals der Freiwilligenverbände in Archiven zeigen, nur ein Viertel so hoch.5 Auch der Osttürkische Waffenverband der SS war Anfang 1945 nicht 8.500 (S. 280), sondern 3.800 Mann stark.6 Dass Motadel die aktuelle Forschungsliteratur hierzu nicht verwendet, irritiert außerordentlich, zumal er einige der Autoren in den Danksagungen aufführt.7 Anekdotenreich widmen sich die Abschnitte des Kapitels der deutschen Instrumentalisierung des Islams in den Einheiten. Jedoch erfahren die Leser/innen kaum etwas über den konkreten Einsatz der Einheiten und die Bedingungen für die einfachen Soldaten. Hier hätte aus den Quellen mehr gemacht werden können. Besonders ärgerlich ist das Fehlen eines wissenschaftlichen Anhangs. Hierdurch wird es Kolleg/innen unnötigerweise schwer gemacht, die verwendeten Literaturtitel und Archivbestände zu überprüfen und Ansatzpunkte für eigene Forschungen zu finden, wodurch der wissenschaftliche Nutzen geschmälert wird. Für interessierte Leser/innen bietet Motadels Arbeit hingegen einen guten Einstieg in das Thema.

Anmerkungen:
1 David Motadel, Islam and Nazi Germany’s War, Cambridge (Mass.) 2014.
2 Vgl. Karl Haushofer, Geopolitik der Pan-Ideen, Berlin 1931, S. 37f. und S. 81.
3 Vgl. Gustav von Kahlen, 300 Gewehre bedrohen einen Staat. Der Freiheitskampf Abd el Krims gegen Spanien, in: Das Schwarze Korps 1 (1935), Heft 1–9.
4 Vgl. Weisung Nr. 32, Vorbereitung für die Zeit nach Barbarossa, 11.06.1941, abgedruckt in: Hubatsch, Hitlers Weisungen, S. 129–134.
5 Vgl. OKH/Gen.St.d.H./General der Osttruppen, Schematische Gliederung der landeseigenen Verbände (Stand 22.01.1943 & 17.03.1944), NARA, T 78, R 412, Fr. 6381286-6381292 & Fr. 6381267-6381272.
6 Vgl. Bericht HSSPF Italien, Betr.: Waffenverbände der SS (ohne Datum), BAB, R 70/1, 14 (Italien), Bl. 11.
7 Vgl. Z.B. Xavier Bougarel u.a., Muslim SS units in the Balkans and the Soviet Union, in: Jochen Böhler / Robert Gerwarth (Hrsg.), The Waffen-SS. A European History, Oxford 2017, S. 252–283; Stefan Petke, Militärische Vergemeinschaftungsversuche muslimischer Soldaten in der Waffen-SS. Die Beispiele der Division „Handschar“ und des „Osttürkischen Waffenverbands der SS“, in: Jan Erik Schulte u.a. (Hrsg.), Die Waffen-SS. Neue Forschungen, Paderborn 2014, S. 248–266, und Franziska Zaugg, Albanische Muslime in der Waffen-SS. Von „Großalbanien“ zur Division „Skanderbeg“, Paderborn 2016.