A. N. Burnett u.a. (Hrsg.): Swiss Reformation

Cover
Titel
A Companion to the Swiss Reformation.


Herausgeber
Burnett, Amy Nelson; Campi, Emidio
Reihe
Brill’s companions to the Christian tradition 72
Erschienen
Anzahl Seiten
XIX, 659 S.
Preis
€ 197,00
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Olaf Mörke, Historisches Seminar, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Vor gut anderthalb Jahrzehnten hat der amerikanische Historiker Bruce Gordon mit seiner Überblicksdarstellung „The Swiss Reformation“ den erfolgreichen Versuch unternommen, das so komplexe Thema einem breiteren Publikum vornehmlich im englischsprachigen Raum nahe zu bringen.1 Dass Gordon als Einzelautor dabei thematische Konzentrationen vornehmen musste, liegt auf der Hand. So beschränkte er sich grosso modo auf die deutschsprachige Eidgenossenschaft, wobei sein Hauptaugenmerk Zürich galt. Die Genfer Entwicklung wurde nicht einbezogen. Auch die Wirkungsgeschichte der Schweizer Reformation nach der Confessio Helvetica Posterior von 1566, sei sie politik-, theologie- oder kulturgeschichtlicher Art, blieb weitgehend unberücksichtigt. Weniger theologie- und kirchengeschichtliche, sondern politik-, sozial- und kulturgeschichtliche Aspekte standen bei Gordon im Zentrum des Interesses.

Jetzt haben sich erneut zwei ausgewiesene Kenner der Materie, die amerikanische Historikerin Amy Nelson Burnett und ihr Zürcher Kollege, der reformierte Kirchenhistoriker Emidio Campi, der Aufgabe eines Lehrbuches zur Schweizer Reformation gestellt.2 Dies jedoch nicht mehr als Einzelkämpfer, sondern als Herausgeber einer von 14 Autoren, darunter sie selbst, verfassten Sammlung von insgesamt 17 Beiträgen. Etliche der Lücken, die Gordons Buch gleichsam strukturell bedingt lassen musste, wurden dabei geschlossen.

Burnett und Campi benennen in ihrer klar das Vorhaben konturierenden Einleitung zu Recht drei solcher Lücken. Zunächst sei in Übereinstimmung mit der neueren Forschung die Bedeutung spätmittelalterlicher Kontexte für die frühe Reformationsbewegung zu berücksichtigen. Zweitens seien die komplexe Struktur der Eidgenossenschaft sowie die geographische Spannbreite der Schweizer Reformation ins Kalkül zu ziehen. Und schließlich habe man sich drittens den längerfristigen Einflüssen der Reformation auf Gesellschaft, Kultur und Politik der Eidgenossenschaft zu widmen. Dem folgt die Aufteilung des Bandes in die drei Abteilungen Background (neben der Einleitung ein weiterer Artikel), The Reformation (neun Artikel) und Outcomes (sechs Artikel). Es fällt bei der Auswahl der Beiträger das Gleichgewicht der Wissenschaftsdisziplinen auf. Unter den Autoren, acht Schweizern, vier US-Amerikanern und zwei Deutschen, finden sich je sieben Kirchen- und Profanhistoriker.

Den spätmittelalterlichen Kontext skizziert Regula Schmid kenntnisreich und wohlstrukturiert (S. 14–56) und liefert nicht nur Studierenden damit in umfassender Weise für das Verständnis des Themas unerlässliche Informationen über die politischen, sozialen und kulturellen Basisstrukturen der Eidgenossenschaft. Gerade die Bedeutung kommunaler Organisation und die Narrative eines gemeinsamen eidgenössischen Werterahmens für den Bestand jenes so komplexen und hoch dynamischen Beziehungsgeflechts hebt Schmid hervor.

Die zweite, umfänglichste Abteilung des Buches wendet sich zunächst den Orten der Reformation zu. Geradezu selbstverständlich beginnt sie mit den städtischen Hauptorten des Reformationsgeschehens, nämlich Zürich (Emidio Campi), Bern (Martin Sallmann) und Basel (Amy Nelson Burnett). Die Herausgeber haben jedoch erkannt, dass für das Verständnis des Gesamtkomplexes Schweizer Reformation die Aufgabe der klassischen Fixierung auf die großen städtischen Orte höchst sinnvoll ist. Folglich weiten sie den lokalen bzw. regionalen Aspekt auf Schaffhausen, St. Gallen und Appenzell (zwei Beiträge von Erich Bryner) sowie Graubünden (Jan-Andrea Bernhard) aus. Wie für den Band insgesamt charakteristisch, zeichnen die Beiträge die je eigenen Züge des Reformationsgeschehens ebenso wie die theologischen, personellen und organisatorisch-politischen Verbindungen umfassend auf aktueller Forschungsbasis nach. Das gilt auch für den Artikel über die französischsprachigen Gebiete, die mit der Eidgenossenschaft Bündnisverträge unterhielten, namentlich das Waadtland, Neuchâtel und Genf (Michael W. Bruening). Die ganze Komplexität von Kohärenz und Differenz im eidgenössischen System wird an dieser Stelle dem Leser nachdrücklich vor Augen geführt. Klar werden die theologischen und politischen Differenz- und Überbrückungsmomente zwischen den zwinglianisch geprägten Orten und den calvinistisch orientierten frankophonen Gebieten konturiert. Das trägt maßgeblich zum Verständnis davon bei, wie bei aller Konflikthaftigkeit das Allianzsystem der Eidgenossen überlebensfähig blieb. Die Entscheidung der Herausgeber, der Genfer Reformation keinen eigenen Artikel zu widmen, begründet damit, dass Genf eben nicht signifikant für die Schweizer Reformation und dass zudem die Genfer Reformation ein relativ spätes Phänomen sei (S. 4), halte ich indes nur bedingt für nachvollziehbar. Sie hätte aus guten Gründen auch anders ausfallen können.

Dass die Entwicklung des Täufertums hingegen Signifikanz für die Schweizer Reformation besitzt, ist unbestritten. Ihr widmet Andrea Strübind den letzten Artikel der zweiten Abteilung. Das Faszinosum täuferischen Denkens für manche der Zeitgenossen, nicht nur in der damaligen Eidgenossenschaft, erklärt sie ebenso wie die Bedingungen für die Genese und die Marginalisierung der Täuferbewegung.

Wie schon Gordon 2002, so stellt sich auch der anzuzeigende Band notwendigerweise dem Phänomen der Failed Reformation (Sundar Henny) im städtischen (z.B. in Luzern) wie im ländlichen Milieu (z.B. in Glarus). Die Tatsache des Scheiterns mehr oder minder weit fortgeschrittener reformatorischer Ansätze, erklärbar aus einer oft schwierig zu entwirrenden Gemengelage religiöser, politscher, sozialer und wirtschaftlicher Gründe, gehört ja zur bis weit in die Neuzeit reichenden Konfliktgeschichte der Eidgenossenschaft, die sich eben auch aus Konfessionsdifferenzen speist. Freilich gehört nicht nur die gescheiterte Reformation dazu, sondern auch die ‚Nichtreformation’ in Orten der Innerschweiz. Auf das Problem ist mehrfach hingewiesen worden.3 Ein Beitrag dazu fehlt. Die Lücke im Programm des Bandes weist auch auf ein Forschungsdefizit hin. Gleichwohl empfinde ich es als Defizit, dass die Frage nicht explizit thematisiert worden ist.

Zu den großen Stärken des Bandes gehört die systematische Berücksichtigung der Wirkungsgeschichte in einem umfassenden kulturgeschichtlichen Sinn. Emidio Campi widmet sich in vergleichender Perspektive dem theologischen Profil der Schweizer Reformation und verweist auf Gemeinsamkeiten wie auf Differenzen, die es rechtfertigen, von einem eigenständigen Reformationsmuster zu sprechen. Bruce Gordon analysiert im Anschluss daran die komplexe Verbindung von politischer Struktur und reformatorischer Glaubenspraxis und zeichnet den Weg zu sich über die regionalen Differenzierungen hinweg entwickelnden konfessionellen Identitäten des Schweizer Reformiertentums. Karin Maag nimmt einen von Gordon angerissenen Aspekt auf und widmet sich dem Schul- und Erziehungssystem zwischen 1500 und 1600; sie verklammert damit die prä- und postreformatorische Periode. Ihr Beitrag, dies sei hervorgehoben, hebt ausdrücklich sowohl auf die protestantischen als auch die katholischen Orte ab, zeigt Unterschiede, jedoch auch strukturbedingte Gemeinsamkeiten. Die überkonfessionelle Perspektive schneidet Kaspar von Greyerz in seinem Blick auf gesellschaftlich-kulturelle Entwicklungen, auf Familie, Gender und die Armenfürsorge immerhin an, wenn auch – dies gut begründbar – sein Schwerpunkt auf den reformierten Territorien liegt. Der Frage nach einer spezifischen Reformation Culture, mit Reformationskultur nur unzureichend übersetzbar, geht Irena Backus nach. Sie konzentriert sich auf Zürich und untersucht das in den Schriften Zürcher Geistlicher artikulierte Werte- und Normenraster in seiner Beziehung zu stadtbürgerlichen Glaubens- und Verhaltensmustern. Backus sieht ihren Beitrag gleichsam als Werkstattbericht und als Aufforderung, das Thema Reformationskultur im von ihr verstandenen Sinn verstärkt in den Fokus der Forschung zu rücken. Den kraftvollen Schlusspunkt des Bandes setzt Thomas Maissen mit seiner Darstellung der Folgen der 1531 mit dem Zweiten Kappeler Landfrieden eingetretenen Pattsituation zwischen reformierten und katholischen Orten bis in das 17. Jahrhundert. Er untersucht nicht nur die weitere Entwicklung des eidgenössischen Allianzsystems und dessen europäischer Ein- und Anbindung. Er zeigt auch, wie unter den Bedingungen des höchst labilen und ständig gefährdeten Friedens zwischen den Konfessionsblöcken die Kohärenz der Eigenossenschaft durch handfeste gemeinsame Politikinteressen und die Entwicklung kollektiver Identitätsmuster gewahrt worden ist.

Maissens Beitrag rundet das Programm nicht nur thematisch ab, indem er der Beziehung von Konfession und spezifisch eidgenössischer Politik ein deutliches Profil verleiht. Seine Darstellung bringt gerade dem mit der Geschichte der Schweiz nicht vertrauten Leser die komplexe Struktur der frühneuzeitlichen Eidgenossenschaft in ihrer Gemengelage politischer, wirtschaftlicher und eben auch und gerade kultureller Elemente, zugeführt auf das Ausgangsproblem Reformation, nahe.

Was erwartet man von einem guten Studienbuch, von einem akademischen Lehrbuch? Man erwartet nicht die umstürzend neue Erkenntnis. Vielmehr geht es darum, auf der Höhe der aktuellen Forschung den Gegenstand des Interesses faktisch wie methodisch umfassend und in seiner Vielschichtigkeit und Kontextualität in angemessen rezipierbarer Sprache zu präsentieren. Der anzuzeigende Band leistet dies, er ist im Wortsinn „A Companion to the Swiss Reformation“, indem er den Leser zu einem und durch ein höchst vielschichtiges Thema führt, Verständnisorientierung bietet. Dass der Schwerpunkt auf den sich dem Reformiertentum zuwendenden Orten liegt, ist der thematischen Perspektive eben auf die Reformation geschuldet. Gleichwohl mag erlaubt sein, auf eine Erweiterungsmöglichkeit jener Perspektive hinzuweisen, nämlich auf die konfliktgeladene und gleichzeitig offensichtlich von den Zeitgenossen handhabbare spezifische Form der eidgenössischen Mehrkonfessionalität nach 1531. Es wäre interessant gewesen, den Gründen für die Nichtreformation der Innerschweiz expliziter nachzugehen und dies ebenfalls in den Kontext der europäischen Mehrkonfessionalität vergleichend einzuordnen. Das freilich ist eher als Anregung zu verstehen, die aus der Lektüre des höchst nützlichen Buches resultiert.

Anmerkungen:
1 Bruce Gordon, The Swiss Reformation, Manchester 2002.
2 Inzwischen in deutscher Übersetzung erschienen: Amy Nelson Burnett / Emidio Campi (Hrsg.), Die schweizerische Reformation. Ein Handbuch, Zürich 2017.
3 So Peter Blickle, Warum blieb die Innerschweiz katholisch?, in: Mitteilungen des Historischen Vereins des Kantons Schwyz 86 (1994), S. 29–38.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit infoclio.ch (Redaktionelle Betreuung: Eliane Kurmann und Philippe Rogger). http://www.infoclio.ch/
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