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Titel
Terrorismus als Konstrukt. Schwarze Propaganda, politische Bedrohungsängste und der Krieg gegen den Terrorismus in Reagans Amerika


Autor(en)
Hänni, Adrian
Reihe
Frieden und Krieg 24
Erschienen
Anzahl Seiten
387 S.
Preis
€ 29,95
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Kevin Lenk, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

1,3 Millionen Tote in Afghanistan, Pakistan und dem Irak, massive politische und ökonomische Folgeschäden, die Anzahl von Anschlägen binnen eines Jahrzehnts mehr als verzwanzigfacht: Adrian Hänni beginnt seine Dissertation im Trümmerfeld des amerikanischen War on Terror. Dessen Ausmaß bringt ihn zu der Frage, „warum sich dieser militarisierte Ansatz der Terrorismusbekämpfung politisch durchsetzen konnte und warum er nach wie vor kaum grundsätzlich in Frage gestellt wird“ (S. 18). Die Antwort sieht Hänni in spezifischen Terrorismusdiskursen und damit verbundenen Praktiken. Diese markieren Terrorismus als einen bedingungslosen Feind und verbinden ihn somit mit dem Krieg als Mittel seiner Bekämpfung.

Solche Formen des Wissens über „Terrorismus“ und die militarisierten Praktiken seiner Bekämpfung seien jedoch nicht nach den Anschlägen vom 11. September 2001 aufgekommen, sondern, so die Kernthese, älter: Ihr Vorläufer sei im Kontext des Kalten Krieges in Reagans Amerika entstanden, und die zentrale Idee dieses militarisierten Terrorismusdiskurses sei die einer globalen Terrorverschwörung mit der Sowjetunion in ihrem Zentrum gewesen. Bei dieser aber habe es sich „um ein Simulacrum gehandelt“ (S. 19), basierend auf gezielt platzierten geheimdienstlichen Desinformationen, die von einem eng geknüpften Netzwerk aus Regierungsmitgliedern, Journalisten und privaten Terrorismusspezialisten zirkuliert wurden („schwarze Propaganda“). Hänni – der seine Dissertation in Zürich bei dem Foucault-Kenner Philipp Sarasin geschrieben hat – möchte die Entstehung dieses Terrorismusdiskurses und seine praktischen Folgen genealogisch untersuchen. Damit will Hänni im Anschluss an die Historische Friedens- und Konfliktforschung durch die Analyse des kriegerischen Komplementärfalls eines militarisierten Terrorismusdiskurses Aussagen über die Vermeidung von Kriegen treffen können und knüpft methodisch an verschiedene Weiterentwicklungen der Foucaultschen Diskursanalyse an.

Hänni beginnt damit, in den Kapiteln zwei und drei die beiden wichtigsten Vorbedingungen für die Entstehung des militarisierten Terrorismusdiskurses zu beschreiben: Erstens, die Entstehung von Terrorismus als sozial beschreibbarem Phänomen, das insbesondere ab dem Attentat auf die Olympischen Spiele in München 1972 bis Mitte der 1970er verschiedene Gewaltpraktiken subsumierte. Zweitens beschreibt Hänni die Entstehung des neuen Comittee on the Present Danger (CPD) in den 1970er-Jahren. Dabei handelte es sich um ein neokonservatives Denknetzwerk, das wie sein Vorläufer in der Truman-Ära durch die Verbreitung der Idee einer massiven sowjetischen Bedrohung eine erneute Verschärfung des Kalten Krieges zu rechtfertigen versuchte. Dieses habe die Idee eines sowjetischen Terrorismus für sich entdeckt, als alte antikommunistische Feindbilder an Zugkraft verloren hatten.

In Kapitel vier beschreibt Hänni die „Jerusalem Conference on International Terrorism“, die vom israelischen Jonathan Institute 1979 abgehalten wurde. Dabei habe es sich um eine Konferenz gehandelt, die von israelischer Seite ausgerichtet wurde, um schwerwiegenden Legitimationsproblemen für die eigene Außen- und Sicherheitspolitik beizukommen. Die Strategie der Konferenz habe darin bestanden, ein größtenteils auf geheimdienstlichen und journalistischen Desinformationen basierendes Bild von einer weltweiten, von der Sowjetunion gesteuerten Terrorverschwörung zu verbreiten, in der die PLO eine zentrale Rolle spielte. Somit sollte die PLO delegitimiert und als Feind in einen gemeinsamen Kampf gegen den Kommunismus eingeschrieben werden. Die Konferenz, auf der zahlreiche hochrangige Mitglieder von Regierungen, Think-Tanks und einflussreiche Journalisten anwesend waren, habe diese und vor allem das CPD „mit einer spezifischen Signifikantenkette von ‚Terrorismus‘ und vor allem mit der Idee eines KGB-gelenkten globalen Terrornetzwerks bekanntgemacht“ (S. 73).

Sie zog auch eine massive, stark von Desinformationen gespeiste Medienkampagne nach sich, deren wichtigstes Ergebnis Claire Sterlings Buch „The Terror Network“ war. Dies beschreibt Hänni ausführlich im fünften Kapitel, denn das Buch sei „der repräsentativste, einflussreichste und konstitutivste Einzeltext des amerikanischen Terrorismusdiskurses der frühen 1980er Jahre“ (S. 95). Kapitel sechs zeigt an mehreren Beispielen die Konstruktionsprinzipien des Buches, um es, genauso wie den „paranoide[n] Terrorismusdiskurs als Ganze[n]“ (S. 117), als ein Ergebnis geheimdienstlicher Propaganda zu dekonstruieren.

Das analytische Herzstück des Buches bildet das siebte Kapitel. Darin erzählt Hänni, wie die Reagan-Administration, anfänglich stark durch CPD-Mitglieder geprägt, in Veröffentlichungen, Reden, Regierungsberichten und Kongresshearings einen kriegerischen Terrorismusdiskurs aufführte, in dessen Zentrum zunächst eine angebliche terroristische Weltverschwörung sowjetischen Ursprungs stand. Damit sollte zum Beispiel eine aggressivere antikommunistische Politik in Lateinamerika legitimiert werden. Mitte der 1980er-Jahre habe dann der Islam den Kommunismus als das vermeintliche Gravitationszentrum der terroristischen Internationale abgelöst. Im Rahmen der Iran-Contra-Affäre wurden die militärischen Elemente im Terrorismusdiskurs jedoch zurückgebaut. Daraufhin widmet sich Hänni in den beiden darauffolgenden Kapiteln der weiteren Zirkulation des kriegerischen Terrorismusdiskurses. Er betrachtet einerseits das Zusammenspiel selbsternannter Terrorismusexperten und der Medien und weist hierfür nach, dass nur ein recht kleiner, regierungsnaher und oftmals in stramm rechtskonservativen Think Tanks sozialisierter Zirkel von „Experten“ Zugang zu den Massenmedien fand. Andererseits behandelt Hänni einige ausgewählte popkulturelle Repräsentationen des Terrorismusdiskurses.

In Kapitel zehn zeigt Hänni, wie die USA ab Mitte der 1980er-Jahre durch die Militärschläge in Libyen 1986 erstmals militärische Maßnahmen zur „Terrorbekämpfung“ einsetzte. Die Reagan-Administration habe sich dabei einer Vorwandstrategie bedient: Klandestine Anschläge sollten als Vorwand für geopolitische Interventionen, insbesondere in Lateinamerika, dienen. Gleichzeitig zeigt Hänni, wie durch eine Verwebung von Krankheits- und Kriegsmetaphern „Terrorismus“ zu einem absoluten Bösen erhoben wurde.

Im Fazit bettet Hänni seine Ergebnisse in die weitere Forschungs- und Theorielandschaft ein. Er betont dabei, dass der Kern des „‚Anti-Terror‘-Dispositiv“ (S. 332) der Reagan-Administration eine Antwort auf den sukzessiven Machtverlust der USA in Lateinamerika und einer demokratischeren Außen- und Sicherheitspolitik gewesen sei. Indem man gegen die „Simulation“ (S. 327) einer terroristischen Internationale antrat, sollte Amerika wieder als Großmacht artikuliert werden, die eindeutige, identitätsgebende Werte zu verteidigen habe.

In seiner thesengeleiteten, detailverliebten, aber dennoch stringent erzählten Studie kommt Hänni zu einem überzeugenden Befund. Mit beispielhafter Akribie zeichnet der Autor die vielfältigen Interessen, Vernetzungen und Hintergründe seines beeindruckend großen Ensembles an Akteuren auf und untermauert damit seine diskursanalytischen Befunde. Es ist eine der großen Stärken dieser Dissertation, die Analyse publizierter Texte mit den detailliert rekonstruierten Interna der amerikanischen Exekutive und internationaler Geheimdienstkreise engzuführen. Diese Verbindung gibt Hännis dezidiert politischer These besonderes Gewicht. Auch in der Diskursanalyse sind seine methodischen Kenntnisse und ihre souveräne Verbindung mit zum Beispiel wissenschaftssoziologischen Konzepten beeindruckend.

Dennoch gilt es drei Einwände zu erheben. Erstens nehmen in Hännis Arbeit Gegenentwicklungen kaum Raum ein. Das ist bedauerlich, weil diese die Aussagekraft seiner Ergebnisse gestärkt hätten. Der Autor beschreibt auf jeweils nur sehr wenigen Seiten, wie der militarisierte Terrorismusdiskurs im Rahmen der Iran-Contra-Affäre wieder in den Schreibtischen der Reagan-Administration verschwand. An diesen Stellen hätte eine detaillierte Beschreibung der internen Kommunikationsprozesse, oppositioneller Gegendiskurse und eine ausführlichere Einschätzung der personellen Diskontinuitäten in der Regierung geholfen, die Wirkungsgrenzen des paranoid-militarisierten Diskurses schärfer zu konturieren.

Zweitens hat Hänni der visuellen Ebene von Terrorismusdiskursen wenig Beachtung schenkt. So behandelt er etwa in Kapitel neun Filme als Texte. Eine Kontextualisierung dieser Filme in etablierten Seh- und Zeigegewohnheiten, Filmtraditionen sowie ästhetischen Spielregeln hätte seine Analyse weiter stärken können.

Drittens neigt der Autor dazu, Zwischenergebnisse durch mal mehr, mal weniger ausführliche Theoriereferenzen nobilitieren zu wollen. Diese Praxis ist an manchen Punkten durchaus sinnvoll – etwa im Falle der Interpretation von „Carlos dem Schakal“ als Mythos im Bartheschen Sinne. An anderen Stellen wiederum ist der analytische Mehrwert solcher Theorieeinschübe bisweilen zweifelhaft – etwa, wenn politisch motivierte Geheimdienststrategien zum „weitmaschigen Machtdispositiv“ (S.79) erhoben werden.

Diese drei Kritikpunkte sollen jedoch nicht die Gesamtleistung dieser Dissertation schmälern: Überzeugend wie umfassend zeigt sie die Geburt des militarisierten Terrorismusdiskurses als sozialem Konstrukt und Machtmittel neokonservativer Politiker in den frühen 1980er Jahren. Der ohnehin schon nicht unerhebliche historische Ballast des Begriffes „Terrorismus“ ist damit noch einmal ein ganzes Stück gewachsen.1

Anmerkung:
1 Beispielhaft für die Literatur, in der Forscher versuchen, den Terrorismus-Begriff zu problematisieren oder zu definieren, sei hier lediglich verwiesen auf: Richard Jackson u.a., Terrorism. A Critical Introduction, Basingstoke 2011, insbes. S. 99–120; Louise Richardson, Was Terroristen wollen. Die Ursachen der Gewalt und wie sie bekämpft werden können, Frankfurt a.M. 2007, S. 27–46.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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