Cover
Titel
Queenship, Gender, and Reputation in the Medieval and Early Modern West, 1060-1600.


Herausgeber
Rohr, Zita; Benz, Lisa
Erschienen
Basingstoke 2016: Palgrave Macmillan
Anzahl Seiten
XLIV, 214 S.
Preis
€ 106,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Bea Lundt, Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften, Freie Universität Berlin

Forschungen über weibliche Herrschende haben in der Gendergeschichte des Mittelalters eine besondere Rolle gespielt, denn quellenmäßig sind Königinnen leichter zu erfassen als etwa Lebenssituationen von Bäuerinnen. Diese Zugänglichkeit des Themas hatte im Kontext der zweiten Frauenbewegung zunächst eine polare Mythenbildung zur Folge: Der Nachweis der Beteiligung von Frauen an der Macht führte zum einen, vor allem in der angloamerikanischen feministischen Forschung, zum Postulat eines „Goldenen Zeitalters“, das für Frauen während der mittelalterlichen Jahrhunderte bestanden habe. Aus der Ausnahmesituation der wenigen weiblichen Gestalten, die an der Spitze der hierarchischen Struktur der Monarchien standen, wurde zum anderen abgeleitet, es habe eine völlige Marginalisierung von Frauen innerhalb eines rein patriarchalen Systems bestanden. Die erforschten Phänomene wurden dabei an der Gegenwart gemessen und mit ihr verglichen. Die berechtigte Kritik an solchen Überpointierungen hatte zunächst ein Desinteresse an dem Thema weiblicher Herrschaft zur Folge. Doch führen neue Zugriffe auf die politische Geschichte des Mittelalters seit ca. zwei Jahrzehnten zu einer differenzierteren Betrachtung der Herrschaftsstrukturen und Ordnungsmuster dieser Epoche in ihrer Alterität zur Moderne. Anders waren auch die Geschlechterverhältnisse, die nicht dem neuzeitlichen dualistischen Modell folgten.

„Queenship Studies“, so erläutern die beiden Herausgeberinnen ihr Anliegen in ihrer ausführlichen Einleitung, widmen sich nicht Einzelbiographien, sondern der Erforschung der Institution des Königinnentums als eines „pan-European and inter-/intra-state phenomenons“ (S. XXVIII), das sich in den aktiven Handlungen der Frauen auf dem Thron sowie den Wirkungen ihrer Interventionen realisiere (agency). Der gesamteuropäische Aspekt müsse akzentuiert werden, indem auch die weniger gut erforschten Regionen beleuchtet werden. Bisher vernachlässigt sei die Frage nach dem Ansehen, das eine Königin genoss. Diese Reputation sei eine komplexe Konstruktion, die es zu entschlüsseln gelte. Dabei gehe es vor allem um drei Gesichtspunkte: zunächst um die Methoden, mit denen Werturteile über Königinnen erzeugt wurden, inhaltlich dann darum, wie eine Fama reagiere, wenn eine herrschende Frau soziale Normen überschreite, und schließlich sollten Rehabilitationen vorgenommen werden, wo die Historie falsche und ungerechte Einschätzungen über Königinnen reproduziere.

An verschiedenen Beispielen wird gezeigt, wie Gender-Stereotype in die Darstellungen zeitgenössischer Autoren einflossen und sich in der Fachliteratur ungeprüft fortschrieben: So wurden die französischen Königinnen Anne of Brittany (Anna von Bretagne, 1477–1514) und Anne of France (Anne de Beaujeu, 1461–1522) stets im Spiegel der Schriften von Pierre de Bourdeille, Seigneur de Brantôme (1540–1614) beschrieben. Er charakterisierte Anne de Beaujeu als autoritär und dominant in der Ehe, da sie sich nicht ihrem Mann unterwarf, wie Brantôme es als notwendig für eine gute Ehefrau vorsah. Die daraus resultierende schlechte Reputation dieser Gestalt müsse revidiert werden (Tracy Adams). Gefragt wird auch nach den Faktoren, die die Verbreitung solcher Vorurteile förderten, und nach den Auswirkungen, die diese für die Frauen hatten: Zita Eva Rohr untersucht, „how rumor, propaganda, and innuendo functioned to either reinforce or undermine the power of women“ (S. 52). In Zeiten der Unsicherheit, wie jener des Hundertjährigen Krieges, so zeigt sie am Beispiel der Schicksale der Valentina Visconti (1361–1393) sowie Isabeau de Bavaria (Elisabeth von Bayern, 1370–1435), war die öffentliche Meinung besonders empfänglich für skandalumwitterte Propagandathesen, wie sie die Herzöge von Burgund und Orleans verbreiteten. Während diese Beispiele zeigen, wie Negativbilder über herrschende Frauen durch eine Kontextualisierung der Quellen relativiert werden können, gibt es auch die umgekehrte Beobachtung: Der französische Schriftsteller Etienne Pasquier (1529–1615) lobt grundsätzlich machtvolle Frauen, wie die fränkischen Königinnen Fredegonda und Brunhild, deren Leistung er trotz ihres schlechten Leumundes positiv hervorhebt, garantierten sie doch in Zeiten des Chaos eine Kontinuität des Staates (James H. Dahlinger). Ja, Pasquier war, so spitzt er seine Beobachtung zu, „an advocate of gender parity avant la lettre in most of the arenas of life, both public and domestic“ (S. 80). Vormoderne Autoren waren also keineswegs grundsätzlich misogyn gegenüber weiblicher Herrschaft eingestellt und maßen Herrscherinnen nicht ausschließlich an ihrem generativen Verhalten. Ein kunsthistorischer Einzelbeitrag widmet sich Objekten der Sachkultur, die fehlende Informationen über eine Königin, die in geschriebenen Quellen wenig erwähnt wird, ersetzen können: Adelaide (Adelheid) von Rheinfelden (ca. 1060–1090), Königin von Ungarn, stiftete der Abteikirche St. Blasius eine Reliquie zum Andenken an ihre Mutter, Adelheid von Savoyen (gest. 1079). Durch die materielle Gestaltung dieses Kreuzes setzte sie die Tradition weiblicher religiöser Patronage fort und hob die imperiale Bedeutung ihres Amtes sowie die römischen Wurzeln ihrer Herkunft hervor, wie Christopher Mielke in einer subtilen, vergleichenden Analyse der Edelsteine mit anderen Kreuzen sowie Lapidarien erläutert. Er betont die Wechselwirkung zwischen dem Akt der Königin, selber ihre Rolle zu definieren und dadurch ihren Nachruhm zu lenken, und den zahlreichen Nachbildungen des Kreuzes sowie dem Umgang mit diesen.

Der zweite Teil fokussiert in Detailanalysen stärker die schwankende Fama in schwierigen Verstrickungen der Herrschaftspraxis von Frauen. Blanche von Namur, Königin von Schweden und Norwegen (ca. 1320–1363), wurde in zeitgenössischen Schmähschriften bezichtigt, in einer Dreier-Liaison einen Liebhaber mit ihrem Mann geteilt sowie ihren Sohn ermordet zu haben. Henric Bagerius und Christina Ekholst erläutern an ihrem Beispiel die Bedeutung der normgerechten Sexualität eines Herrscherpaares für das Prestige nicht nur der royalen Ehegemeinschaft, sondern für die Stabilität des ganzen Herrschaftssystems. „The heterosexual intercourse was a power generating action“, folgern sie (S. 113). Doch zeigt ein anderes Beispiel, das Lisa Benz vorstellt, dass die Macht eines Königs sich über den Vorwurf, homosexuelle Vorlieben auszuleben, hinwegsetzen konnte: Edward II., König von England (1284–1327), wurde verdächtigt, eine sexuelle Beziehung zu dem Prinzen Piers Gaveston zu unterhalten. Als die entscheidende Akteurin in einer Konspiration gegen den Favoriten des Königs agierte Margaret von Frankreich, Königin in England (1279–1318). Edward fühlte sich von ihr verleumdet und zog daraufhin ihre Güter ein. Obwohl sie diese Basis ihres Einkommens später zurückgewann, verlor sie dauerhaft ihren Einfluss am Hofe, denn sie hatte die Grenze für ein akzeptables Verhalten für eine Königin überschritten. Auch in einem anderen Fallbeispiel zeigt sich die Stabilität einer (diesmal weiblichen) Herrschaftsrolle jenseits der Diffamierung der Person: Elisabeth von Bayern war in dem Beitrag von Zita Rohr als Opfer einer gehässigen gezielten Propaganda vorgestellt worden. Rachel C. Gibbons verfolgt nun ihre erfolgreiche Einsetzung und ihr Wirken als Regentin angesichts der mentalen Erkrankung ihres Mannes Karl VI., König von Frankreich. Als die Phasen seiner Regierungsunfähigkeit zunahmen, suchte er erfolgreich nach einer rechtlich abgesicherten Lösung, sich von seiner Frau vertreten zu lassen. Zwanzig Jahre regierte sie auf dieser Basis, zwar unterstützt von einem Rat, doch „not regarded as peripheral to monarchy, but an integral part of it“ (S. 154). Vor allem durch ihre Mutterschaft war die Position Elisabeths am französischen Hof stabil, so argumentiert Gibbons. Aber wohl auch durch ihr erfolgreiches Handeln konnte ihrem schlechten Ruf entgegengewirkt werden. Anders zeigt das Exempel der Eleonore von Navarra (1425–1479) die jahrhundertelange Kontinuität von Unterstellungen gegenüber einer Frau: Sie ging in historische Darstellungen als ruchlose Mörderin ein, die ihre beiden älteren Geschwister umbrachte, um an deren Königsthrone zu kommen. Elena Woodacre erläutert die Entstehung dieses Bildes in Reiseromanen, und sie verfolgt die voreilige Übernahme der Klischees in die Geschichtschroniken. Da es aber keine Belege dafür gebe, dass Eleonore in den Tod ihrer Geschwister aktiv verwickelt war, solle sie als eine starke und selbständige Frau erinnert werden, die erfolgreich eine Reihe von Herausforderungen in einer turbulenten Zeit meisterte.

Durch die thematische Fokussierung auf Reputation wird das bisher dominierende Konzept der agency deutlich und fruchtbar erweitert: Die Herrschaftsakte von Einzelgestalten werden im Rahmen ihrer Spiegelung in den Quellen gedeutet, Einzeltaten werden dabei zu einem Gesamtbild über eine Person verdichtet. Eine Reihe von Faktoren wirken bei der Entstehung dieser Wahrnehmungen zusammen, wobei Netzwerke und gesellschaftliche Umfelder von Bedeutung sind, aber auch verbreitete Rollenerwartungen an eine Frau. Die Reputation kann widersprüchlich sein; sie kann das Leben einer Herrscherin beeinflussen, muss es aber nicht.

Die Publikation ist aus Vorträgen auf dem International Medieval Congress in Kalamazoo hervorgegangen. Explizit berufen sich die Herausgeberinnen auf die Tradition der Queenship Studies, deren Ergebnisse während der vergangenen zwanzig Jahre bei diesen Treffen vorgestellt und diskutiert wurden. Sie liegen bereits in einer anderen Veröffentlichung vor, auf der nun aufgebaut wird.1 Entsprechend richtet sich dieser Band an eine Zielgruppe mit einem spezialisierten Insiderwissen. Doch bietet er auch einem breiteren Historiker-Publikum neue Informationen darüber, wie der Prozess der Urteilsbildung über herrschende Frauen in Mittelalter und Früher Neuzeit sich gestaltete; eine Reihe verbreiteter Annahmen werden korrigiert. Eine Bibliographie und ein Index erleichtern den Zugriff.

Auffallend ist eine gewisse Theorieabstinenz: Obwohl im Titel genannt, wird der Genderbegriff nicht definiert; eine Diskussion der Konzepte von Weiblichkeit findet nicht statt. Man vermisst eine zusammenfassende Auflistung und Gewichtung der Wirkfaktoren, die eine Reputation hervorbringen; auch Überlegungen über die erinnerungskulturelle Bedeutung des Themas werden nicht angestellt. Quellen werden kommentarlos in englischer Übersetzung zitiert, ohne den Eingriff durch die Übersetzung zu berücksichtigen. Nur zum Teil eingelöst wird der gesamteuropäische Anspruch: Neben der erfreulichen Beteiligung von Mediävisten aus Schweden und Ungarn überwiegt der angloamerikanische Anteil. Eine Ausweitung des Fokus in weltgeschichtlicher Perspektive ist nicht angestrebt, dadurch werden die Einflüsse und Verbindungen mit außereuropäischen Regionen nicht herausgearbeitet. Auch innereuropäisch wird der Horizont christlicher Herrscherinnen nicht überschritten. Deutschsprachige Fachliteratur wird nur selten benutzt; nicht rezipiert sind etwa die einschlägigen einflussreichen Werke von Amalie Fößel.2 Zweifellos kann und sollte die internationale Kooperation auf diesem wichtigen Arbeitsfeld verbessert werden.

Anmerkungen:
1 John Carmi Parson (Hrsg.), Medieval Queenship, New York 1998.
2 Amalie Fößel, The Political Traditions of Female Rulership in Medieval Europa, in: Judith M. Bennett / Ruth Mazo Karras (Hrsg.), The Oxford Handbook of Women & Gender in Medieval Europe, Oxford 2016, S. 68–83.

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