P. Vonnard: Building Europe with the Ball

Cover
Titel
Building Europe with the Ball. Turning Points in the Europeanization of Football, 1905–1995


Herausgeber
Vonnard, Philippe; Quin, Grégory; Bancel, Nicolas
Reihe
Sport, History and Culture
Erschienen
Anzahl Seiten
VIII, 249 S.
Preis
€ 59,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Julian Rieck, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Der vorliegende Band basiert auf der Tagung „Playing to build Europe“, die im Februar 2015 an der Universität von Lausanne stattfand und aus einer Kooperation zwischen den dort angesiedelten Institute for Sport Science und Institute of International Studies in History and Politics sowie dem International Center for Sports History and Culture der De Montfort University in Leicester und dem Institut für Europäische Sportentwicklung und Freizeitforschung der Deutschen Sporthochschule in Köln hervorging. Er versammelt neun allesamt englischsprachige Beiträge, die zeigen sollen, wie eng der Fußballsport mit den anderen Sphären der Europäisierung, vornehmlich der Politik, verbunden ist. Um die Relevanz des Fußballs nachzuweisen, greifen die Herausgeber Philippe Vonnard, Grégory Quin und Nicolas Bancel einen sehr breiten Zeitraum von 90 Jahren, nämlich die Zeit von 1905 bis 1995 heraus. Diesen Longue-durée-Ansatz begründen die drei an der Universität von Lausanne ansässigen Sporthistoriker schlüssig mit der Notwendigkeit zu klären, warum es zwar schon in den 1930er-Jahren europäische Fußballwettbewerbe gegeben hat, aber die Einführung der europäischen Champions League erst Mitte der 1990er-Jahre erfolgte. Diesen langen Zeitraum nehmen sie durch die verschiedenen Dimensionen des europäischen Fußballs in den Blick: Die Wettbewerbe, die kontinentalen Organisationen, die Netzwerke zwischen den Fußballfunktionären und deren Kontakte zur Politik, national wie kontinental. Dabei werden die Beiträge drei Perioden zugeordnet, die die klassischen Zäsuren der Geschichtsschreibung aufbrechen: Die Beiträge von Paul Dietschy über den Fußball in der Belle Époque, Grégory Quin über das Goldene Zeitalter der regionalen Verbindungen und Matthew Taylors Text über die Beziehungen zwischen England und dem Kontinent decken den Zeitraum zwischen den 1910er- und 1940er-Jahren ab. Der zweite Zeitraum zwischen den 1930er- und 1960er-Jahren besteht aus Beiträgen von Nicolas Sbetti über die Rückkehr Italiens auf die europäische Fußballbühne, von Xavier Breuil über die Konstruktion des osteuropäischen Fußballraums sowie von Kevin Tallec Marston über die Austragung des UEFA-Juniorenturniers. Den Jahren der 1950er- bis 1990er-Jahre nähert sich Philippe Vonnard mit einer Untersuchung zum 1954 gegründeten europäischen Kontinentalverband UEFA (Union of European Football Associations) und den von ihr organisierten Wettbewerben (Europapokals der Landesmeister und Messestädtepokal), Manuel Schotté mit einer Analyse der Beziehung zwischen UEFA und der Europäischen Gemeinschaft (EG) und schließlich Jérôme Berthoud und Stanislas Frankiel über die Erfahrungen der ersten größeren Migrationsbewegung afrikanischer Fußballer nach Frankreich in den 1980er-Jahren. Dass dabei die Periodisierung nicht immer trennscharf beibehalten wird, erweist sich als methodischer Vorteil, zeigt es doch die enge Verzahnung der verschiedenen zeitlichen Abschnitte und strukturellen Dimensionen. Zudem wird der Band durch eine informative Einführung durch die Herausgeber in das Forschungsfeld eingeleitet, die als Klammer für die unterschiedlichen Thematiken der Beträge dient, eine häufige Herausforderung bei einem Tagungsband. Und schlussendlich ordnet der Politikwissenschaftler Yohan Ariffin die Ergebnisse in seinem Nachwort in einen breiteren außenpolitischen Kontext ein.

Doch was heißt eigentlich Europäisierung in diesem Falle? Die Herausgeber stützen sich dafür auf die politikwissenschaftliche Definition von Alexander Brand und Arne Niemann, die darunter „the process of change in [the] domestic arena, in terms of policy substances and instrumental, process and politics as well as polity and institutions resulting from European integration or the European level of governance more generally“ verstehen. Vielleicht ist es dann auch dieser elitenzentrierte Ansatz, der den Blick dafür verstellt, wie diese Europäisierung in den Köpfen der Menschen verlief. Auch auf Grund der Quellenauswahl bleiben die meisten Beiträge auf der Funktionärs- bzw. Politikerebene stecken. Und so fragt man sich beim Lesen, inwiefern sich über diesen langen Zeitraum das Bild von Europa verändert hat bzw. welchen Beitrag der Fußball dazu leistete, dass bestimmte Länder wie Spanien oder die Türkei innerhalb der Zeitläufte als europäisch oder nichteuropäisch wahrgenommen wurden und werden. Dieser Gedanken wird bestärkt vor allem beim Betrachten des gut ausgewählten Titelbildes des Bandes, das die europäische Fußballlandkarte von 1957 zeigt. Dort abgebildet sind die Städte, die in der Saison 1957/58 den Europapokal der Landesmeister ausspielten. Teilnehmer aus der Sowjetunion, der Türkei, aber auch aus Griechenland und Norwegen fehlen hier (noch). Über die Wirkung des Abbildens eines möglichen europäischen Raums durch solche Fußballlandkarten würden man gerne mehr erfahren. Ganz grundsätzlich stellt sich die Frage, welchen historisch bedingten Einfluss Institutionen überhaupt auf die mentale Konstruktion von politischen Ideen in den Köpfen von Bevölkerungen haben.

Ein großes Verdienst der Autoren hingegen ist nicht nur, dass sie durch die Bank weg die häufige Annahme widerlegen, Fußball sei apolitisch, sondern dass sie auch gegen weitläufige Fußballmythen anzuschreiben und diese durch ihre Quellenfunde zu wiederlegen wissen. So kann Mathews Taylor das Bild der arroganten Ablehnung des kontinentalen Fußballs durch das sogenannte Fußballmutterland England korrigieren und verweist darauf, dass durch Reisen aufs Festland und die personelle Beziehungen zwischen den Funktionären ein deutlich intensiver Austausch stattfand, als bisher gedacht: „The Engagement with ‚Europe‘ had become essential for the reputation“ (S. 91), lautet daher sein Fazit. Nicolas Sbetti zeigt, dass der italienische Fußballverband nach 1945 zwar durch die Wiederaufnahme in die FIFA und die Teilnahme an der Weltmeisterschaft 1950 in Brasilien nach außen hin vollkommen rehabilitiert war, aber de facto einem „stillen Boykott“ vor allen Dingen ehemaliger Kriegsgegner unterlegen war. Und auch das weitverbreite romantische Bild der guten alten Zeit vor „Bosman“ muss revidiert werden. Zur Erinnerung: Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zugunsten des belgischen Fußballprofis Jean-Marc Bosman bewirkte im Jahre 1995, dass Spieler nach ihrem Vertragsende ablösefrei den Verein wechseln durften und erklärte die Hinfälligkeit der EU-Ausländer-Obergrenze der nationalen Verbände, wie sie bis dahin üblich war. Manuel Schotté zeigt in seinem leider etwas zu kurz geratenen, gerade mal neun Textseiten umfassenden und sehr lesenswerten Beitrag, dass die Frage der freien Arbeitsortswahl, die schon in den Römischen Verträgen 1957 geregelt worden war, die UEFA schon viel länger beschäftigte als gedacht. Spätestens seit 1973 gab es einen intensiven Austausch zwischen den UEFA-Gremien und der Europäischen Kommission, teils hinter verschlossenen Türen, teils aber durchaus auch in der Öffentlichkeit. Bis zum Bosman-Urteil standen dabei am Ende jeweils „Gentlemen´s agreements“ zwischen der UEFA und der EG, die dem Fußball eine Sonderrolle zugestanden.

Apropos Gentlemen: Dass die Beiträge allesamt den Herrenfußball in den Blick nehmen, merken die Herausgeber in der Einleitung (selbst-)kritisch an und begründen es mit der verspäteten Entwicklung des Frauenfußballs, der dadurch andere „turning-points“ bereithalte und so einen eigenen Band statt eines isolierten Beitrags verdient habe (S. 9). Ob sich dadurch aber auch rechtfertigen lässt, dass sich unter den insgesamt zwölf Beiträgern keine einzige Autorin befindet, lassen die Herausgeber offen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Band viele interessante Aspekte der europäischen Fußballgeschichte bereithält und gründlich mit einigen Mythen aufräumt. Die Beiträge stützen sich meist auf eine breite Quellenbasis; die Einführung und die anhängende Bibliographie fassen die weiterführende Literatur zusammen und erleichtern so eine intensivere Beschäftigung mit dem Gegenstand. Allerdings gelingt es den Autoren nicht nachzuweisen, ob es so etwas wie eine Europäisierung durch den Fußball gibt. Dies ist in Anbetracht der Tatsache, dass es sich um einen Tagungsband handelt, mit Sicherheit auch zu viel verlangt. Aber ein Anfang ist gemacht und weitere Forschungen zu dem Thema laufen. Ein kleiner Wermutstropfen am Ende soll nicht verschwiegen werden: der insgesamt empfehlenswerte Band ist mit veranschlagten 50 Euro bei rund 250 Seiten Umfang doch ziemlich teuer.

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