Titel
Landscapes of Freedom. Building a Postemancipation Society in the Rainforests of Western Colombia


Autor(en)
Leal, Claudia
Reihe
Latin American Landscapes
Erschienen
Anzahl Seiten
352 S.
Preis
47,49 €
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Felipe Fernández, Lateinamerika-Institut, Freie Universität Berlin

Die Monographie "Landscapes of Freedom" der Umwelthistorikerin Claudia Leal beschäftigt sich mit der Entstehung einer freien Bauerngesellschaft1 in der kolumbianischen Pazifikregion nach der Abschaffung der Sklaverei. Die Studie verortet sich in der Historiographie postemanzipatorischer Gesellschaften in Lateinamerika, in der Geschichtsschreibung über den Übergang von Sklaven- zu freien Gesellschaften. Dieser Prozess fand in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in weiten Teilen des amerikanischen Kontinents statt. Sowohl aus methodologischer als auch aus quellenkritischer Perspektive schließt Leal mit der Untersuchung dieses spezifischen Falls eine Forschungslücke. Andere Historiker, wie etwa Oscar Almario, setzten den Schwerpunkt auf die Identitätsbildung der ehemals Versklavten2 oder, wie die bekannte Studie von William Sharp zur Goldwirtschaft in der Region, auf die wirtschaftlichen und sozialen Strukturen der Kolonialgesellschaft.3 Insgesamt indes ist die Pazifikregion die am wenigsten erforschte Region Kolumbiens. Fokus der Historiographie ist nach wie vor die von der Agrarwirtschaft geprägte Andenregion.

Die Pazifikregion hat eine komplizierte Geographie und eine wechselvolle Geschichte. Gekennzeichnet durch extreme Niederschlagsmengen, hohe Luftfeuchtigkeit und eine reiche und üppige Flora erstreckt sich die Region von der Urabá-Bucht und der Grenze zu Panama im Norden bis zur ecuadorianischen Grenze im Süden. Im Osten trennt die westliche Kordillere, Quelle zahlreicher Flussbecken, sie vom Landesinneren. Die Geographie ist für die Autorin von großer Relevanz, denn auf sie führt sie auf die nach der Abschaffung der Sklaverei entstandenen sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen zurück.

Das Buch besteht aus zwei Teilen und insgesamt sechs Kapiteln. Der erste Teil des Buches (S. 27–154) widmet sich zunächst im ersten Kapitel den Strukturen der kolonialen Sklavengesellschaft in der Region, um in den drei darauffolgenden Kapiteln die Zeit nach der Abolition in den Blick zu nehmen. Hier werden die Akzente auf den Zugang und den Handel mit den Naturressourcen gelegt. Den Spaniern gelang es im 17. Jahrhundert, eine allmähliche Besiedlung der Pazifikregion einzuleiten, die im 18. Jahrhundert ihren Höhepunkt erreichte. Die klimatischen Bedingungen erschwerten eine systematische Kolonisierung der Region durch die Implementierung einer Plantagenwirtschaft. Dennoch entstanden wegen der reichen Goldvorkommen in den Oberläufen der zahlreichen Flüsse die so genannten Reales de minas. Hier verrichteten Gruppen von aus Afrika verschleppten Menschen als Sklaven die körperliche Arbeit unter Aufsicht eines weißen Obmannes. An einem Wochentag war es den Sklaven erlaubt, für die Sicherung des eigenen Unterhalts selbständig Gold zu fördern (mazamorreo) und Landwirtschaft zu betreiben. Hierdurch konnten sie oft ihre Freilassung (manumisión) erkaufen. Somit entstand parallel zur Sklavengesellschaft eine soziale Gruppe von Freien (libres), die sich der Jagd, der Landwirtschaft und der Goldförderung auf eigene Rechnung widmete (Kapitel 1). Die Regierung der jungen Republik verfügte mit dem „Gesetz des freien Bauches“ (libertad de vientres) von 1821, dass alle Nachkommen von Sklaven frei geboren würden. Dreißig Jahre später, 1852, wurde die Sklaverei per Gesetz vollständig abgeschafft.

Hier setzt das Kernstück der Analyse, das die Zeit zwischen 1850 und 1930 in den Blick nimmt. Die jungen Republiken Lateinamerikas betrieben in dieser Zeit eine dem Welthandel zugewandte, exportorientierte Wirtschaftspolitik, welche sich auf den Rohstoffexport für die Industrieländer konzentrierte. Die fortschreitende Industrialisierung und die damit einhergehende Diversifizierung der Märkte beeinflussten Naturräume weltweit. In der kolumbianischen Pazifikregion führten die Abolition und das natürliche Vorkommen von Exportgütern wie Kautschuk und Steinnüssen (tagua) ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur Transformation der sozialen Strukturen: Ehemalige Sklaven verließen die Enklaven und ließen sich im gesamten Territorium nieder, wo sie Subsistenzwirtschaft betrieben und Exportgüter sammelten. Andere betrieben selbständig Goldminen (Kapitel 2). Eine kleine Oberschicht weißer Händler profitierte vom wirtschaftlichen Ressourcenboom. Mit den schwarzen Sammlern tauschten sie Gebrauchsgegenstände wie Messer und Kleidung gegen Kautschuk, Steinnüsse oder Gold. Zwischen Händlern und Sammlern bestand nur ein loses und temporäres Verhältnis, das sich auf den Warenaustausch beschränkte. Hier setzt Leal an. Eine der Hauptthesen der Autorin ist, dass gerade wegen dieser Extraktionswirtschaft die entstehende Bauernschaft Entscheidungsfreiheit über ihre Arbeitszeit, die Bewirtschaftung des umliegenden Raumes und ihre Körper genoss. Somit trugen sie zum republikanischen Ideal der freien Bürger bei, auch wenn die herrschende Oberschicht dies nicht anerkannte (Kapitel 3 und 4).

Der umwelthistorische Ansatz der Autorin ermöglicht eine umfassende Deutung des Übergangs von einer Sklaven- zu einer freien Gesellschaft. Die Berücksichtigung der naturräumlichen Bedingungen rückt dieses historische Phänomen in ein neues Licht. Nicht die sozialen Dynamiken, sondern die Umwelt als gegebener Naturraum war nach Claudia Leal entscheidend für die Entstehung der losen Hierarchien zwischen Händlern und Bauern. Umweltfaktoren wie die unmögliche Implementierung einer Plantagenwirtschaft, die Abundanz der natürlichen Naturressourcen und die Größe des Territoriums spielten eine entscheidende Rolle für die Herausbildung einer freien Bauerngesellschaft. In der kolumbianischen Karibik, im Gegensatz dazu, bildeten, mit wenigen Ausnahmen, die befreiten Sklaven eine Unterschicht und mussten sich als verarmte Landlose prekären Arbeitsbedingungen und strengen Hierarchien unterwerfen.

Im zweiten Teil des Buches (S. 155–223) argumentiert die Autorin, dass trotz der erworbenen Freiheit alte Formen der ethnischen Ungleichheit in der Pazifikregion andauerten. Gleichzeitig entstanden indes neue, moderne Formen der Ausgrenzung und Hierarchisierung. Sie spricht hier von "racialized landscapes" und meint damit den rassifizierten Blick auf die Landschaft. Hiervon zeugen zahlreiche Reiseberichte weißer Männer aus dem Quellenkorpus der Autorin. Die Beschreibung des tropischen Urwalds der Pazifikregion knüpfte an das koloniale Narrativ an, das diese Naturräume als üppig und höllisch beschrieb und ihre Bewohner als rückständig und barbarisch brandmarkte. Der Versuch jedoch, den Raum mit Weißen oder "mestizos" zu bevölkern und somit zu domestizieren, scheiterte (Kapitel 5). Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wuchsen die Städte Tumaco und Quibdó als florierende Handelszentren der Region, wie die Autorin anhand zahlreicher Quellen, überwiegend Zeitungsartikel, zeigt. Eine schmale weiße Oberschicht versuchte einen „zivilisierten“ Raum zu gestalten: Mit Theaterhäusern, Monumenten und Promenaden versehen, sollten diese Städte einen Gegenentwurf zur natürlichen, „barbarischen“ Umgebung bilden. In diesen urbanen Zentren brachen die Rassenspannungen offen aus. Hier war eine schwarze urbane (Unter-)Schicht entstanden, die über eine relative soziale Mobilität genoss, aber segregiert lebte und stark diskriminiert wurde. Die weißen Bewohner der Städte beschwerten sich über das „unzivilisierte“ Verhalten der Schwarzen. Das von Leal angeführte Beispiel der Brandstiftung in der Stadt Quibdó durch den schwarzen Manuel Saturo Valencia verdeutlicht die Spannungen zwischen den rassifizierten sozialen Schichten. Die Brandstiftung war eine angebliche Vergeltungsmaßnahme gegen die weiße Oberschicht. Der schuldig gesprochene Valencia wurde vom weißen Intendant der Stadt hingerichtet. Die Träume der Weißen, eine Zivilisation inmitten der Barbarei zu errichten, erfüllten sich nicht, wie Leal an zahlreichen Kommentaren politisch einflussreicher Männer zeigt. Die Abhängigkeit von den natürlichen Ressourcen und die relative Abgelegenheit vom Landesinneren behinderte die Konsolidierung einer soliden wirtschaftlichen Basis für die Städte. Diese wirtschaftliche Unbeständigkeit führte zum Verfall der urbanen Räume (Kapitel 6).

"Landscapes of Freedom" stützt sich auf eine detaillierte Untersuchung zahlreicher unterschiedlicher Quellen, unter anderem Reiseberichte, Gerichtsdokumente, Karten, Statistiken und Zeitungen. Dabei werden vor allem Raumbeschreibungen, Rechtsstreitigkeiten und Kommentare weißer Männer in den Blick genommen. Wie die Autorin selbst vermerkt, stellen fehlende Quellen an einigen Stellen ein Problem dar. So fehlen etwa weitgehend Dokumente aus der Feder der schwarzen Bevölkerung, ein verbreitetes Problem in der Ethnohistorie.

Die Rekonstruktion der Ereignisse und eine gelungene Kontextualisierung im nationalen und globalen Kontext ermöglicht eine umfassende Deutung des komplexen Übergangs von einer Sklaven- zu einer freien Gesellschaft. Auch wenn sich die Autorin keiner systematisch vergleichenden Methode bedient, werden zu analogen Phänomenen, wie etwa den Prozessen in Brasilien, interessante Parallelen gezogen. Die kolumbianische Pazifikregion rückt seit den 1990er-Jahre immer stärker in den Fokus akademischer Untersuchungen. Dieses Buch ist ein wichtiger Beitrag zu ihrer Geschichte. Aber nicht nur Historiker, sondern alle Pazifikforscher/innen der Geistes- und Sozialwissenschaften werden diese Publikation begrüßen. Wünschenswert wäre eine Übersetzung ins Spanische, um eine breite Rezeption auch im spanischsprachigen Lateinamerika zu ermöglichen.

Anmerkungen:
1 Die Autorin spricht von einer Bauernschaft (peasantry) obwohl diese keine extensive Landwirtschaft betrieb. Für sie kennzeichnen alle Formen der Landwirtschaft und die Verfügung über die Produktionsmittel eine Bauernschaft.
2 Oscar Almario G., Los renacientes y su territorio. Ensayos sobre la etnicidad negra en el pacífico sur colombiano. Medellín 2003.
3 William Sharp: Slavery on the Spanish Frontier. The Colombian Chocó, 1680–1910. Norman 1976.

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