S.M. Brenner: Die NATO im griechisch-türkischen Konflikt 1954 bis 1989

Titel
Die NATO im griechisch-türkischen Konflikt 1954 bis 1989.


Autor(en)
Brenner, Stefan Maximilian
Reihe
Entstehung und Probleme des Atlantischen Bündnisses 11
Erschienen
Anzahl Seiten
327 S.
Preis
€ 69,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Albers, Hamburg

Die Südostflanke Europas steht momentan im Zentrum gleich mehrerer Krisen. Von der noch immer weitgehend ungelösten griechischen Schuldenkrise über das Verhältnis der EU zur Türkei bis hin zu den hochkomplexen Konflikten an der türkischen Süd- und Ostgrenze und dem erzwungenen Abzug der Bundeswehr vom Stützpunkt in Incirlik im Jahr 2016. Diese Krisen stellen nicht zuletzt die NATO als eine tragende Säule westeuropäischer Stabilität und Sicherheit vor enorme Herausforderungen. Dementsprechend groß ist die aktuelle Relevanz der Studie von Stefan Maximilian Brenner zum Umgang des atlantischen Bündnisses mit dem griechisch-türkischen Konflikt.

Brenner behandelt die Entwicklung des Konflikts aus Sicht der NATO über die gesamte Dauer des Kalten Krieges. Dabei geht er den Fragen nach, wie die Organisation auf die Gefahr eines bewaffneten Konflikts zwischen zwei ihr eigenen Mitglieder reagierte und inwiefern sie einen Beitrag zur Friedenssicherung leisten konnte. Damit knüpft er an mehrere Stränge der Zeitgeschichte an. Dies gilt etwa für die neuere Geschichte des Kalten Krieges, die verstärkt die Peripherien des Blockkonflikts in den Blick nimmt.1 Aber auch die Geschichtsschreibung internationaler Governance bietet zahlreiche Bezüge zum Thema.2 Und schließlich merkt man dem Autor auch immer wieder die Prägung einer kritischen und international ausgerichteten Militärgeschichte an. Dass Brenner die Verortung in den aktuellen Entwicklungen der Zeitgeschichte wenig reflektiert, erscheint vor diesem Hintergrund schade, hätte man doch gern gewusst, wo der Autor selbst seine Dissertation verortet. Es schmälert jedoch keineswegs seine wissenschaftliche Leistung. Die Studie behandelt nicht nur sehr detailliert einen für eine Dissertation vergleichsweise langen Zeitraum, sondern greift dafür auch auf eine Fülle von Archiven in fünf Staaten zurück. Aufgrund einer restriktiven Freigabepolitik konnte der Autor dabei nur wenige Quellen aus dem NATO-Archiv in Brüssel einsehen. Dieses Problem löste Brenner, indem er zahlreiche Quellen in amerikanischen, britischen, französischen und deutschen Archiven fand, die einen sehr umfassenden Eindruck der Debatten innerhalb des Nordatlantikpakts vermitteln. Damit demonstriert er auf hervorragende Weise, was internationale Zeitgeschichte unter Nutzung multinationaler Archive zu leisten vermag. Dass offenbar keine Möglichkeit bestand, Primärquellen aus den Staaten, um die es primär geht – Türkei, Griechenland und Zypern – zu nutzen, fällt da kaum ins Gewicht. Etwas überraschender ist schon, dass der Autor zwar auch auf die publizierten Akteneditionen der meisten großen NATO-Länder zurückgreift, aber ausgerechnet die Documents on British Policy Overseas außen vorlässt.3 Angesichts der sehr umfangreichen und präzisen Verwendung von Archivquellen ist diese Auslassung jedoch zu vernachlässigen.

Der Band beginnt mit einer kurzen Darstellung des historischen Kontexts, die sowohl den Hintergrund des NATO-Beitritts beider Staaten als auch einige Rahmenparameter zum türkisch-griechischen Konflikt umfasst. Hier wird bereits deutlich, dass die Mitgliedschaft der beiden Staaten weniger technisch-militärische Bedeutung hatte, sondern vielmehr aus strategischen Gründen wichtig war. Aus Sicht der Entscheidungsträger in Washington und Paris bzw. später Brüssel sollte ein Ausgreifen der Sowjetunion ins Mittelmeer und in Richtung auf den persischen Golf verhindert und eine tendenziell unruhige Region stabilisiert werden. Damit die beiden Staaten jedoch effektiv in die Strukturen des Bündnisses eingebunden werden konnten, mussten ihre administrativen und militärischen Apparate mit großen Summen subventioniert werden. An dieser Situation sollte sich grundsätzlich bis Ende des Kalten Krieges wenig ändern und hier, so zeigt Brenner, erwuchs der NATO auch ein echtes Druckmittel gegenüber Ankara und Athen.

Nach Klärung des historischen Rahmens konzentriert sich Brenner auf die drei großen Krisen in den Zeiträumen 1955–1959, 1967 und 1974. Dabei werden neben den akuten Krisenauslösern auch die strukturellen Differenzen immer wieder deutlich, die den Konflikt bis heute prägen. Zunächst schien das Verhältnis zwischen den beiden Ländern jedoch stabil und die extrem blutigen Auseinandersetzungen der Zeit bis 1923 galten als überwunden. Erst Mitte der 1950er-Jahre kam es zu ernsthaften Spannungen, die sich vor allem an der Frage der Zukunft Zyperns entzündeten. Hier kommt eine der großen Stärken von Brenners Buch zum Tragen. Dem Autor gelingt es, den Zypernkonflikt für Laien verständlich zu machen, ohne dabei sein eigentliches Thema – den Umgang der NATO mit Griechenland und der Türkei – aus den Augen zu verlieren. Dabei bettet Brenner die erste Zypernkrise der 1950er-Jahre in den Kontext der Dekolonisation und des Machtverfalls der Kolonialmacht Großbritannien ein. Angesichts der sich abzeichnenden Unabhängigkeit der Insel gewannen griechisch-nationalistische Kräfte angeführt von Erzbischof Makarios an Zulauf, die eine Vereinigung mit Griechenland anstrebten. Dem trat die Türkei entschieden entgegen, sodass sich das Klima zwischen Ankara und Athen innerhalb kurzer Zeit drastisch abkühlte. Zwar blieb ein militärischer Konflikt aus, aber der NATO wurde die Schwäche des Bündnisses an der Südflanke vor Augen geführt. Die intensiven Vermittlungsbemühungen der Generalsekretäre Ismay und Spaak zeigten kaum Wirkung. Gleichzeitig trat die Sowjetunion erstmals als Akteur im Zypernkonflikt auf und unterstützte zeitweilig Makarios. Moskaus Ziel sei es dabei gewesen, argumentiert Brenner, den Zusammenhalt der NATO zu schwächen und möglicherweise Stützpunkte für Marineeinheiten zu erlangen. Dass es letztlich nicht zum bewaffneten Konflikt kam, hatte weniger mit der Rolle der NATO zu tun, als vielmehr mit der unzureichenden Ausrüstung und Einsatzbereitschaft der Armeen der beteiligten Staaten. Allerdings führte die Krise der 1950er-Jahre auch dazu, dass die Organisation ein Bewusstsein für die Brisanz der Region entwickelte.

Dies wird in Brenners Darstellung der Krise des Jahres 1967 deutlich, als die Spannungen zwischen Griechenland und der Türkei sich erneut gefährlich hochschaukelten. Hier konnte die NATO erfolgreich Einfluss nehmen, indem sie androhte, beiden Partnern die so wichtigen Finanzhilfen zu kürzen. Diese ökonomische Abhängigkeit von der Unterstützung durch die Bündnispartner bewog schließlich Athen und Ankara einzulenken. Dabei war die Haltung der USA entscheidend, die das Vorgehen der Allianz auch in dieser Krise maßgeblich bestimmten.

Genau diese amerikanische Führung fehlte sieben Jahre später, als die griechisch-zyprische Nationalgarde gegen den mittlerweile moderater auftretenden Präsidenten Makarios putschte. Während die Putschisten den Anschluss an das nunmehr ebenfalls diktatorisch regierte Griechenland anstrebten, war die Führung in Washington voll und ganz von der Watergate-Affäre absorbiert. Als die türkische Regierung deutlich machte, dass eine Intervention unmittelbar bevorstünde, folgten zwar Proteste der meisten NATO-Verbündeten, jedoch kein deutlicher Widerspruch aus Washington. Die türkische Invasion und die Massaker auf beiden Seiten stellten dabei ohne Frage einen Tiefpunkt der NATO-Geschichte dar, wie Brenner deutlich zeigt. Neben dem Image-Schaden musste das Bündnis auch einen weitgehenden Ausfall seiner militärischen Strukturen an der Südflanke verkraften und den zeitweisen Rückzug griechischer Offiziere aus wichtigen Stäben.

Schließlich gelang es doch, den Konflikt einzuhegen. Auch wenn die NATO wenig Anteil daran hatte, dass der militärische Konflikt um Zypern nach der faktischen Teilung der Insel eingefroren wurde, konnte das Bündnis in den folgenden Jahren langsam wieder beide Partner in die gemeinsamen Strukturen einbinden. Obwohl ein tiefes Misstrauen blieb, konnte die Brüsseler Organisation wenigstens ein Minimum an Funktionsfähigkeit der Allianz auch in dieser Region wiederherstellen und dazu beitragen, das bilaterale Verhältnis zwischen Ankara und Athen zu stabilisieren. Dies wurde nicht zuletzt angesichts erneuter Spannungen in den 1980er-Jahren deutlich, die freilich unter dem Niveau der Auseinandersetzungen der Vergangenheit blieben.

Insgesamt entsteht so der Eindruck, dass der Einfluss der NATO auf den Konflikt zwischen der Türkei und Griechenland zwar begrenzt, aber keineswegs völlig unbedeutend war. So schuf das Bündnis Räume und Foren für Verhandlungen und einen gemeinsamen sicherheitspolitischen Rahmen für alle Beteiligten, der Gespräche erleichterte. Vor allem jedoch bewirkte die ökonomische Bedeutung der Militärhilfen, dass die NATO auch über echte Sanktionsmöglichkeiten verfügte, um Stabilität im Bündnis wiederherzustellen. Entscheidend dabei war allerdings, wie sich die USA als zentrale Führungsmacht verhielten. Nur solange Washington ein aktives Interesse an der Kontrolle des Konflikts hatte, konnte über NATO-Strukturen effektiver Druck auf beide Seiten ausgeübt werden.

Insgesamt zeichnet Brenner ein sehr gut nachvollziehbares Bild des Umgangs der NATO mit dem Konflikt. Passagenweise droht die Arbeit etwas, sich in den Sitzungsprotokollen der verschiedenen Komitees zu verlieren. Es wird auch nicht immer deutlich, ob und inwieweit sich die Organisation selbst über den Zeitraum von immerhin fast 40 Jahren wandelte. Dies sind jedoch marginale Schwächen, die nicht den großen wissenschaftlichen Wert der Arbeit schmälern. Nicht zuletzt aufgrund ihrer eingangs erwähnten Relevanz sollte sie zur Pflichtlektüre für alle werden, die sich mit der Geschichte der NATO bzw. des türkisch-griechischen Konflikts beschäftigen.

Anmerkungen:
1 Hierzu noch immer wegweisend: Odd Arne Westad, The Global Cold War: third world interventions and the making of our times, Cambridge 2007.
2 Siehe z.B. Mark Mazower, Governing the world: the history of an idea, 1815 to the present, New York 2013.
3 Siehe insbesondere Keith Hamilton / Patrick Salmon (Hrsg.), The Southern flank in crisis, 1973–1976, London 2006.