F. Arellano Cruz: Politische Gewalt ausstellen

Titel
Politische Gewalt ausstellen. Nationale Erinnerungsmuseen in Chile und Peru


Autor(en)
Arellano Cruz, Fabiola
Reihe
Amerika: Kultur – Geschichte – Politik 10
Anzahl Seiten
315 S., zahlr. Abb.
Preis
€ 39,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Meike Dreckmann, Berlin

Die vorliegende Rezension nimmt die im Jahr 2016 an der Ludwig-Maximilians-Universität München angenommene und im Februar 2017 verteidigte Dissertation von Fabiola Arellano Cruz in den Blick. Die Schrift untersucht das Ausstellen politischer Gewalt am Beispiel von zwei nationalen Erinnerungsmuseen in Chile und Peru. Als Ausgangspunkt ihrer Arbeit formuliert die Autorin, „[...] dass Orte, in denen Geschichte – bzw. ihre (Re-)Konstruktion – präsentiert wird, weder bezüglich ihrer politischen Ansichten noch hinsichtlich ihrer dargestellten Inhalte, jemals als neutrale Orte zu betrachten sind.“ (S. 16) Für ihre vergleichende Studie wählte sie zwei Museen benachbarter Staaten Lateinamerikas aus: Zum einen das im Jahr 2010 eröffnete „Museo de la Memoria y los Derechos Humanos“ (MMDH) (Museum für Erinnerung und Menschenrechte) in Santiago de Chile und zum anderen den 2015 eröffneten „Lugar de la Memoria, la Tolerancia y la Inclusión Social“ (LUM) (Ort für Erinnerung, Toleranz und soziale Inklusion) in Lima. Während das chilenische Museum an den Militärputsch vom 11. September 1973 und die in der darauffolgenden Diktatur begangenen Menschenrechtsverbrechen unter Diktator Augusto Pinochet erinnern möchte, stellt der peruanische Erinnerungsort den „Bewaffneten Konflikt“ in Peru zwischen 1980 und 2000 während der Präsidentschaft Alberto Fujimoris in den Mittelpunkt seiner Dauerausstellung. Beide Einrichtungen ordnet die Autorin als Erinnerungsmuseen ein, wobei sie diese als museale Sonderform zwischen ästhetisch-emotionaler und wissenschaftlich-rationaler Vergangenheitspräsentation aber vor allem als „symbolische Reparationsmaßnahme“ (S. 23) begreift.

Um „die Formen musealer Präsentation und Inszenierung der Vergangenheit in Chile und in Peru“ (S. 14) zu untersuchen, wählt Fabiola Arellano Cruz methodisch eine Kombination aus Museumsanalyse und Experteninterviews sowie qualitativer Inhaltsanalyse. Nachdem sie im ersten Kapitel zunächst ihre Fragestellung und Vorgehensweise erläuterte, stellt sie im zweiten Kapitel die zentralen Begriffe und Konzepte um die Themen Erinnerung und Gedächtnis sowie die museale Sonderform der Erinnerungsmuseen im deutschen und iberoamerikanischen Forschungsdiskurs vor. Im dritten Kapitel setzt sie sich mit den Themen „Transition und Aufarbeitung in Lateinamerika“ (S. 67) auseinander. Dabei kommt sie zu dem Schluss, dass im Rahmen lateinamerikanischer Transitionsprozesse nach dem Ende von Diktaturen meist im Sinne einer friedlichen und stabilen Gesellschaft und damit zu Lasten einer konsequenten Strafverfolgung vieler Täter entschieden wurde. Diese mangelnde juristische Verfolgung sorge wiederum dafür, dass sich der Wunsch nach „Wahrheit und Gerechtigkeit“ vieler Angehöriger von Opfern auf den Straßen und im Ausland äußere, so etwa im Rahmen „kultureller Aktivitäten, Demonstrationen oder auch [...] internationaler Justizinstanzen“ (S. 86).

Im vierten Kapitel, in welchem die Autorin zunächst die konkreten erinnerungspolitischen Maßnahmen in Chile und Peru vorstellt, widmet sie sich der „Rolle des Mediums Museum in den Aufarbeitungsprozessen“ (S. 133). Jene verortet sie für Chile und Peru vor allem als „symbolische Geste für Anerkennung und Wiedergutmachung seitens des Staats“ und als „Materialisierung einer langjährigen Forderung von Familienangehörigen und Überlebenden“ (S. 133). Zudem sei es für „[j]unge Demokratien wie Chile und Peru“ (S. 136) politisch von großer Bedeutung, sich von vergangenen Regimen symbolisch und materiell-repräsentativ abzugrenzen. Fabiola Arellano Cruz weist an dieser Stelle nachvollziehbar auf die Paradoxie hin, die mächtige Geschichtsmuseen mit ihrem Anspruch auf Deutungshoheit über die jüngste Vergangenheit für eine pluralistische Gesellschaft mit sich bringen (S. 136). Die Autorin deutet hier immer wieder an, dass eine finanzielle oder personelle bzw. institutionelle Abhängigkeit der Kurator/innen eine immanente Politisierung mit sich bringe. Diese führe allerdings nicht zu einer kontroversen Darstellung der Vergangenheit, sondern vielmehr zu dem Versuch, eine „offizielle Erinnerung“ zu materialisieren, um diese „permanent“ zu manifestieren (S. 136).

Zum Einstieg in die eigentliche Ausstellungsanalyse portraitiert die Autorin schließlich im fünften Kapitel beide Erinnerungsmuseen, wobei sie den Entstehungsprozess, die öffentliche Resonanz und die Kontroversen um die Museen berücksichtigt. Während die Errichtung des MMDH direkt auf die Initiative der ehemaligen Präsidentin Michelle Bachelet zurückzuführen ist (S. 142), wurde der Vorschlag für den LUM durch das deutsche Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung angeregt und im Rahmen der Entwicklungsarbeit zwischen Deutschland und Peru finanziell unterstützt (S. 161). In ihrer Untersuchung der beiden Museen (Kapitel 6) nimmt die Autorin schließlich deren „Konzepte, Inszenierungen und Narrative“ in den Blick. Nach einer ausführlichen Beschreibung der chilenischen Ausstellung zieht sie ein erstes Fazit. So schildert sie beispielsweise, dass „man“ nach Verlassen des Museums „den Eindruck“ habe, dass Chile als Staat „erfolgreich umgegangen“ sei „mit den Konsequenzen dieses dramatischen Kapitels seiner Geschichte“ (S. 206–207). Leider erläutert die Autorin nicht weiter, wie dieses Narrativ ihren Untersuchungsergebnissen zufolge mit dem Ausstellen politischer Gewalt in Beziehung stehen könnte. Anschließend nennt sie auf einer Seite die von ihr später im Buch noch einmal als „Leerstellen“ (S. 256) bezeichneten Kritikpunkte an der chilenischen Ausstellung; so etwa die mangelnde historische Kontextualisierung der Diktaturgeschichte vor dem Militärputsch 1973 und nach Ende der Diktatur 1990 (S. 207). Leider geht Fabiola Arellano Cruz hier nicht über eine detaillierte Beschreibung des MMDH hinaus, sodass eine Analyse erst einmal offenbleibt. Auch bei der anschließenden Betrachtung des LUM scheint sich die Autorin immer wieder in historischen Einzelheiten zu verlieren, sodass es mitunter schwerfällt, zwischen einer Beschreibung der Ausstellungsgestaltung, analysierenden Anmerkungen und der Darstellung der peruanischen Geschichte zu unterscheiden. Deutlich aber wird, dass die Autorin, im Gegensatz zum MMDH, im LUM eine multiperspektivische Darstellung der Geschichte ausmachen konnte (S. 213–224). In ihrem Kapitelfazit springt sie inhaltlich allerdings immer wieder zwischen eigenen Analyseergebnissen und Ausschnitten aus Gesprächen mit dem Kuratorenteam, sodass es erneut schwierig ist, der Argumentationslinie zu folgen (S. 224–227).

Fabiola Arellano Cruz vergleicht im siebten Kapitel die beiden Erinnerungsmuseen konkret anhand der folgenden sechs Kategorien: zeitliche Strukturen, Inszenierungen und Rekonstruktionen als Gestaltungsprinzip, Repräsentationen der Opfer, Umgang mit Objekten, (Volks-)Kunst, sowie Popmusik und Volksmusik (S. 229–256). Am Ende dieses Kapitels kritisiert Fabiola Arellano Cruz die „Leerstellen“ (S. 256) der jeweiligen Ausstellungen in Chile und Peru. So spare das MMDH neben einem größeren historischen Kontext auch die Verbrechen gegen die indigene Bevölkerung – die Mapuche – thematisch vollständig aus (S. 256–257). An der Dauerausstellung im peruanischen LUM kritisiert Fabiola Arellano Cruz dagegen, dass die „generalisierte und tolerierte Politik [der sexualisierten Gewalt an Frauen und Mädchen, Anm. MD] innerhalb der Sicherheits- und Polizeikräfte“ nur am Rande in Form von Wandprojektionen verschiedener Zitate berücksichtigt wurde (S. 258).

Abschließend stellt die Autorin fest, dass die beiden untersuchten Erinnerungsmuseen ihre Schwerpunkte eher „auf die jeweiligen nationalen politischen Konflikte“ als auf „internationale Dimensionen“ setzen. Während in Chile zudem die Menschenrechtsverbrechen deutlich im Fokus der Ausstellung stünden, rücke die „Menschenrechtsproblematik“ in Peru eher in den Hintergrund. Das LUM nehme eine Sonderrolle ein, weil die Massaker, die Entführungen, Hinrichtungen und Verhaftungen während des „Bewaffneten Konflikts“ offiziell bisher nicht anerkannt worden seien. Leider geht die Autorin auf diese erinnerungskulturelle Sonderrolle abschließend nicht detaillierter ein. Sie beendet den Gedanken und das Kapitel zur Museumsanalyse mit folgendem Satz: „Würde man internationale Standards wahrnehmen, müsste man eine andere politische Einstellung zum Konflikt erkennen lassen und auch dementsprechend handeln.“ (S. 260) Sie erläutert jedoch nicht, was sie unter dieser anderen politischen Einstellung versteht und worauf sie mit ihrer Handlungsempfehlung zielt. Der Abschluss der Analyse bleibt damit etwas vage. Im letzten Kapitel fasst sie die Ergebnisse ihrer Arbeit noch einmal mit einem Blick in die Zukunft zusammen, wobei sie die Erinnerungsmuseen als „partiellen Gewinn eines Kampfes“ für Familienangehörige bewertet (S. 274).

Während durch die gesamte Studie hinweg einige Aussagen sprachlich und auch inhaltlich immer wieder unverständlich bleiben und ein Lektorat der Arbeit an dieser Stelle gutgetan hätte, überzeugt die Autorin vor allem im ersten Teil ihrer Studie. Insgesamt liegt der Schwerpunkt ihrer Untersuchung hauptsächlich auf den erinnerungspolitischen Diskursen der ausgewählten Länder und weniger auf der Museumsanalyse. Fabiola Arellano Cruz zeigt sich hier als Kennerin der kulturspezifischen Besonderheiten und erinnerungskulturellen Herausforderungen, die das Ausstellen politischer Gewalt in postdiktatorischen Staaten mit sich bringt.