Cover
Titel
Friedensordnungen in geschichtswissenschaftlicher und geschichtsdidaktischer Perspektive.


Herausgeber
Geiss, Peter; Heuser, Peter Arnold
Reihe
Wissenschaft und Lehrerbildung 2
Erschienen
Bonn 2017: V&R unipress
Anzahl Seiten
288 S., 26 Abb.
Preis
€ 45,00
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Jan Ole Wiechmann, Johann-Heinrich-Voß-Schule Eutin

Als im Jahr 2013 ein neuer Geschichts-Lehrplan in Nordrhein-Westfalen vorbereitet wurde, überschrieb der Historiker und Didaktiker Christoph Pallaske seinen Debattenbeitrag in Anlehnung an Reinhart Koselleck fast schon euphorisch: „Neue Wege statt der ‚staubigen Straße der Chronologie‘“.1 Mit den „neuen Wegen“ war die neue Herangehensweise an das Fach Geschichte in der gymnasialen Oberstufe gemeint, nach der das chronologisch angelegte Verfahren durch einen themenorientierten Unterricht mit entsprechenden „Inhaltsfeldern“ ersetzt werden sollte.

Seit 2014 ist der neue nordrhein-westfälische Kernlehrplan nun in Kraft, und eines seiner sieben verpflichtenden Inhaltsfelder lautet „Friedensschlüsse und Ordnungen des Friedens in der Moderne“.2 Vor diesem Hintergrund fand im November 2014 eine Lehrerfortbildung statt, die Perspektiven und Chancen der erneuerten Vorgaben für den Geschichtsunterricht in den Fokus rückte und auf deren Grundlage im Jahr 2017 das hier zu besprechende Buch erschien.

Der Sammelband folgt einer klaren Gliederung. Zunächst werden Friedensordnungen als „Schlüsselthema des historischen Lernens“ in den Blick genommen (Teil 1), bevor verschiedene Friedensschlüsse und Friedensordnungen der Frühen Neuzeit sowie der Neueren und Neuesten Geschichte aus wissenschaftlicher und didaktischer Perspektive thematisiert werden (Teil 2 und 3); zwei Aufsätze zur Reflexion der Medien und Vermittlungsformen schließen das Werk ab (Teil 4).

Schon der Titel, aber auch die instruktive überblicksartige Einleitung der Herausgeber offenbaren die ambitionierte Ausrichtung. Das Ziel bestehe darin, „Grundmuster und Veränderungen von Friedensschlüssen und -ordnungen seit der Frühen Neuzeit aufzuzeigen, Arbeitsfelder der historischen Friedensforschung an geeigneten Beispielen vorzustellen und in einen Dialog zwischen Fachwissenschaft, Didaktik und Lehrpraxis einzutreten“ (S. 18).

Ohne Frage bieten viele Beiträge wichtige Impulse zu diesen Anliegen. So ermöglichen die auf konkrete Friedensschlüsse und Friedensordnungen gerichteten Aufsätze so manchen Erkenntnisgewinn für Fachwissenschaftler und Fachdidaktiker. Dies gilt vor allem immer dann, wenn auf Basis neuer Forschungsergebnisse auch alte und lieb gewonnene Narrative aus Forschung und Unterricht hinterfragt oder neu beleuchtet werden. In diesem Zusammenhang seien vor allem Peter Arnold Heusers Thesen zu den Religionsfrieden der Frühen Neuzeit, Florian Kerschbaumers Beitrag zur Ambivalenz des Wiener Kongresses, der eben nicht nur „Verhinderer“ der nationalen Einigung Deutschlands gewesen sei, und Peter Geiss‘ Ideen zur unterrichtlichen Behandlung des Selbstbestimmungsrechts im 20. Jahrhundert genannt. Auch der Beitrag von Dominik Geppert, der – ausgehend von den Jahren 1919 und 1945 – die internationale Ordnung seit 1989/90 in den Blick nimmt und anregende Perspektiven auf die seines Erachtens langsam erodierenden Fundamente der postkommunistischen europäischen (Un-)Ordnung wirft, liefert gerade durch seinen Aktualitätsbezug wertvolle Anregungen.

So weit, so gut. Trotz der überwiegend gewinnbringenden Lektüre drängen sich auch Probleme des Bandes auf. Geschichtslehrer, die auf der Suche nach Anstößen für die konkrete unterrichtliche Praxis sind, dürften bisweilen enttäuscht sein, da zu viele Möglichkeitsformen die Sprache der Aufsätze dominieren: Man könnte, man sollte, man müsste. Wer jemals vor der Aufgabe stand, eine didaktisch reduzierte und exemplarische, aber trotzdem dichte und tiefgreifende Unterrichtseinheit zu konzipieren, der weiß, dass nicht alles, was interessant, spannend und sinnvoll wäre, auch realisierbar ist. Das gilt umso mehr vor dem Hintergrund der neuen nordrhein-westfälischen Lehrplanvorgaben für ein themenzentriertes Vorgehen, die im Band einleitend kritisch in den Blick genommen, jedoch nicht angemessen bewertet werden. So fehlt es der Mehrheit der Aufsätze an greifbaren Ideen, wie man die „Zumutung“, in einem Längsschnitt „gleichsam mit Hochgeschwindigkeit durch mindestens dreieinhalb Jahrhunderte zu eilen“ (S. 13), in einen gewinnbringenden Geschichtsunterricht umwandeln kann. Zwar finden sich punktuell Konkretisierungen, wenn etwa Peter Geiss anhand des NATO-Doppelbeschlusses von 1979 thematisiert, wie die Frage nach Fragilität bzw. Stabilität des Abschreckungssystems im Ost-West-Konflikt didaktisch aufbereitet werden könnte (vgl. S. 197ff.). Trotzdem stellt sich der Leser bei der Lektüre nicht selten die Frage, wie ein Längsschnitt in diesem komplexen Themenbereich überhaupt funktionieren kann.

Den einzigen Antwortversuch wagt Bärbel Kuhn, die in der Tat grundsätzliche Überlegungen darüber anstellt, wie das Thema Frieden in einem themenzentrierten Geschichtsunterricht behandelt werden könnte. Um die entsprechenden Fragestellungen aus der moralisierenden Friedenspädagogik herauszulösen und eine analytische Form des historischen Lernens zu etablieren, schlägt sie im Kern zwei Methoden vor, die verschiedene Friedensschlüsse miteinander verbinden könnten. Neben der Möglichkeit des theoretischen Zugangs – etwa mit Hilfe von Immanuel Kants Schrift „Zum ewigen Frieden“ oder Dieter Senghaas‘ Zivilisatorischem Hexagon – birgt die innovative Idee, „Friedenshoffnungen“ als Struktur für den Unterrichtsgang zu nutzen, durchaus Potential. Diese alltags- und mentalitätsgeschichtliche Herangehensweise könnte nämlich insbesondere die soziokulturellen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts sichtbar werden lassen, die in Deutschland, aber auch in anderen Gesellschaften von einer „Kriegskultur“ zu einer „Friedenskultur“ führten.3 Hier offenbart sich das Potential, das historische Längsschnitte haben können. Jedoch zeigt sich trotz solcher interessanter Impulse deutlich, dass diejenigen fundamentalen und übergeordneten Fragen unbeantwortet bleiben, die die Herausgeber im Hinblick auf die neuen Lehrplanvorgaben selbst formulieren: „Wer kann so etwas unterrichten? Woher soll das Wissen über die sehr verschiedenen und jeweils hochkomplexen Beispiele in so kurzer Zeit kommen?“ (S. 14) Vor dem Hintergrund dieser Problemlagen verliert der Band etwas an Relevanz für die Praxis, viele didaktische Anregungen erinnern eher an Trockenübungen, die zwar durchaus gefallen können, aber eben der Theorie verhaftet bleiben.

Wenn man die genannten Probleme jedoch unbeachtet lässt, stehen unter dem Strich sowohl bilanzierende als auch innovative Beiträge, die zum Nachdenken über die Bedeutung verschiedener Friedensordnungen in der Geschichte der Neuzeit anregen – und das im Hinblick auf ihre Etablierung, ihre Erhaltung und ihr Scheitern. Dass es der historiographischen Erforschung und der unterrichtlichen Behandlung der Themen „Frieden“ und „Friedensordnungen“ bedarf, um auch die Analyse aktueller Fragen angemessen zu betrachten, steht außer Zweifel. Ob diese Analysefähigkeit heranwachsender Generationen unbedingt verbessert wird, wenn man die Chronologie und damit auch die Kontextgebundenheit historischer Ereignisse und Entwicklungen um jeden Preis verlässt, darf bezweifelt werden. Manchmal sind „staubige Wege“ den großen Schnellstraßen eben auch vorzuziehen.

Anmerkungen:
1 Christoph Pallaske, Neue Wege statt der „staubigen Straße der Chronologie“. Entwurf Kernlehrplan Geschichte für die Sek II NRW erschienen, in: Historisch denken. Geschichte machen. Blog von Christoph Pallaske, 26.3.2013, http://historischdenken.hypotheses.org/1616 (17.01.2018).
2 Vgl. Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.), Kernlehrplan für die Sekundarstufe II Gymnasium / Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen: Geschichte, https://www.schulentwicklung.nrw.de/lehrplaene/upload/klp_SII/ge/KLP_GOSt_Geschichte.pdf (17.01.2018).
3 Vgl. Thomas Kühne (Hrsg.), Von der Kriegskultur zur Friedenskultur? Zum Mentalitätswandel in Deutschland seit 1945, Münster 2000.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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