A. Demandt: Untergänge des Abendlandes

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Titel
Untergänge des Abendlandes. Studien zu Oswald Spengler


Autor(en)
Demandt, Alexander
Erschienen
Köln 2017: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
225 S.
Preis
€ 30,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Klüners, Wien

Der sogenannte ,Untergang‘ des Imperium Romanum, dieses hervorragend verwalteten, sich über drei Kontinente erstreckenden größten Weltreiches seiner Zeit, Schöpfer von für Äonen Maßstab setzenden zivilisatorischen Errungenschaften, fasziniert bereits seit Jahrhunderten die Gemüter. Der nicht zu leugnende reale Verfall schien der spätestens seit Vergil tradierten Idee eines Imperium sine fine, der Vorstellung vom ewigen Bestehen des Reiches, zu widersprechen; gleichzeitig setzte die christliche Heilsgeschichte das Ende des Imperiums mit dem Ende der Welt schlechthin ineins. Apokalyptische Ängste knüpfen sich seitdem an seinen drohenden Untergang. Das Mittelalter behalf sich dagegen mit der Translationslehre, der zufolge das Reich weiter bestehe, weil es auf Nachfolgevölker übergegangen sei. Seit Karl Löwith wissen wir, dass solche uns heute fremd erscheinenden heilsgeschichtlichen Traditionen auch im modernen geschichtsphilosophischen Denken noch nachwirken. In jüngerer Zeit vertrat Johannes Fried die Auffassung, die Angst vor dem Ende des Reiches und der Welt sei am Ausgang des Mittelalters gar zum Motor der abendländischen (Natur)Wissenschaft avanciert.1 Heinrich August Winkler schließlich bringt das von dem französischen Philosophen Rémi Brague für das neuzeitliche Europa konstatierte grundlegende „Gefühl der Entfremdung und der Minderwertigkeit“ in Zusammenhang mit der „gebrochenen Kontinuität“ des Kontinents zur strahlenden antiken Vergangenheit.2 Wann immer nach einer Folie für den Untergang einer ganzen Zivilisation gesucht wird, steht das Römische Reich Pate.3

Es nimmt daher nicht wunder, wenn ein Althistoriker und Experte für Römische Geschichte sich des Werks eines der bekanntesten Untergangspropheten der jüngeren Geistesgeschichte annimmt. Bereits Eduard Meyer schrieb 1924 eine vergleichsweise wohlwollende Rezension zu Spenglers Untergang des Abendlandes. Alexander Demandt, der diese Meyersche Rezension seinen hier besprochenen gesammelten Aufsätzen als Anhang mitgibt, hat sich eigenem Bekunden zufolge schon als Schüler, vor allem aber als Student mit Spengler auseinandergesetzt. Von der Dissertation bis zum vorliegenden Band hat sich diese Beschäftigung in zahlreichen Publikationen niedergeschlagen und so ein ganzes Forscherleben begleitet. Zeugnis von der jahrzehntelangen Faszination durch Spengler legen neben diversen Monographien nicht zuletzt die 13 Aufsätze selbst ab, die jetzt bei Böhlau erschienen sind und deren ältester bereits 1980 erstmalig veröffentlicht wurde, während der jüngste auf einen im Oktober 2016 gehaltenen, bis dato unpublizierten Vortrag zurückgeht. Außer diesem wird lediglich ein weiterer Artikel hier erstmalig in gedruckter Form vorgelegt, zwei Aufsätze wurden für den Sammelband erheblich erweitert. Alle anderen Artikel erscheinen dagegen bereits mindestens zum zweiten, einige sogar zum dritten Mal.4

Der Band wird neben der erwähnten Meyerschen Rezension ergänzt durch Vor- und Nachwort, einen Publikationsnachweis, ein Abkürzungs- sowie ein Verzeichnis ausgewählter Literatur. Auf ein Personenregister, das in Anbetracht der zahlreichen historischen und intertextuellen Bezüge von Demandts Ausführungen wünschenswert gewesen wäre, muss der Leser leider verzichten.

Inhaltlich widmen sich die Aufsätze sehr unterschiedlichen Aspekten des Spenglerschen Œuvres, und es geht dabei durchaus nicht immer nur, wie der Titel suggerieren könnte, um sein vor 100 Jahren erschienenes Hauptwerk. Freilich bildet gerade letzteres den Ausgangspunkt für die fundierte Kontextualisierung von Spenglers Geschichtsphilosophie. So behandelt Demandt umfänglich die vielfältigen Geschichts-, vor allem Endzeittheorien von der Antike bis zur Neuzeit, die man teilweise als stilbildend für Spenglers eigenes Denken betrachten muss. Es dürfte sich hier um eine der detail- und kenntnisreichsten Verortungen der zu Spengler führenden historiographischen Traditionslinien überhaupt handeln. Diese wurzeln Demandt zufolge bereits in den Szenarien des Untergangs, die Homers Ilias und Hesiods Theogonie ausbreiten, darüber hinaus natürlich in den Erzählungen der Bibel, die bekanntlich nicht nur im Buch Daniel vom Untergang ganzer Reiche berichten. Spenglers eigene Wirkungsgeschichte wird insbesondere an Konrad Lorenz‘ geschichtsbiologistischen Versuchen exemplifiziert. Dass Spengler zwar ein Denker der Rechten, aber durchaus kein „konservativer“ Denker im eigentlichen Sinne war, gehört ebenfalls zu den zahlreichen bedeutsamen Erkenntnissen des Bandes.

Nicht minder interessant ist Demandts Beschreibung der Beziehung Spenglers zu Eduard Meyer, die sich nach Demandts Einschätzung zu einer veritablen Freundschaft entwickelte (S. 138). Meyer war, dies geht nicht allein aus besagter Rezension hervor, einer der wenigen Fachwissenschaftler, die Spenglers Werk nicht in Bausch und Bogen verdammten. Vielmehr lassen sich gar signifikante Parallelen zwischen dem Geschichtsbild des „neben Theodor Mommsen bedeutendste[n] deutsche[n] Althistoriker[s]“ und dem des (in den Worten Harry Graf Kesslers) „halbgebildeten Scharlatan[s]“ (S. 123f.) ausmachen; von Meyer empfing Spengler mannigfaltige Anregungen, so das Denken in Analogien zwischen Antike und Gegenwart, die düstere Zukunftsprognose und das laut Demandt selbst von Max Weber übernommene Modell eines Kreislaufes von der Blüte zum Verfall einer Kultur.

Die positive Beurteilung, die Spengler seinerzeit durch einen der Doyens der althistorischen Forschung erfahren hat, mag einen der Gründe dafür darstellen, dass auch Demandts Spenglerbild bei aller kritischen Distanz insgesamt kein explizit negatives ist. Demandt übt zwar Kritik an Spenglers schematischen Periodisierungen, an seiner Negierung wechselseitiger Beeinflussung von Kulturen, an dem Konzept der „Pseudomorphose“ und an den teilweise artifiziellen Resultaten von Spenglers Geschichtsanschauung (S. 82ff.), die den Eindruck erweckten, als habe sich „[d]er knetbare Stoff der Geschichte […] den Hohlformen des Philosophengehirns“ angepasst (S. 87). Auch wirft er Spengler vor, in seinem Untergangsfatalismus „die zivilisatorischen Fortschritte“ auf den vielfältigsten Gebieten konsequent geleugnet zu haben (S. 173). „Spenglers mathematischer Determinismus“ verneine ferner „jegliche historische Kausalität und gestattet keinen Spielraum des Möglichen.“ Kulturen seien im Gegensatz zu Spenglers Postulat „keine Monaden, […] sondern Konglomerate“, Kommunikationseinheiten, die trotz Dominanz von Binnenkontakten in den seltensten Fällen hermetische Gebilde seien. Spenglers Idee einer „Kulturseele“ als gestaltender Kraft sei folglich verzichtbar (S. 188; vgl. auch S. 88). Trotz dieser kritischen Einwände betont Demandt aber immer wieder die Vorzüge von Spenglers Geschichtsbetrachtung, so unter anderem den Verzicht auf lineares Fortschrittsdenken und die Überwindung des Eurozentrismus. Er attestiert ihm sogar, wichtige historische Ereignisse korrekt vorhergesagt zu haben. Auch die für Spenglers Geschichtsphilosophie basale Unterscheidung von Kultur und Zivilisation – denn „[d]er Untergang des Abendlandes war der Übergang von der Kultur zur Zivilisation, nicht der Untergang der Abendländer“ (S. 173) – findet, und hierin vermag der Rezensent dem Verfasser am wenigsten zu folgen, Demandts prinzipiellen Zuspruch. Eine fehlende Differenzierung beider Konzepte entspreche der Gleichsetzung von „Mozart mit Mottenkugeln“ (S. 185). Es ließe sich einwenden, dass Polarisierung nicht gleichbedeutend ist mit Differenzierung und dass Norbert Elias‘ soziologischer Rekonstruktion der Genese dieser Polarisierung eigentlich nicht viel hinzuzufügen ist. Die künstliche Dichotomie ist demzufolge nämlich aus Abgrenzungsbedürfnissen des deutschen Bildungsbürgertums gegenüber einem sich als ,zivilisiert‘ dünkenden, jedoch als oberflächlich verdächtigten Adel erwachsen.5

Auch auf Spenglers erstmalig in Jahre der Entscheidung formulierte Vorstellung einer „Farbigen Weltrevolution“ geht Demandt immer wieder zustimmend ein. Demandt setzt Spenglers Befürchtung einer Erhebung der Kolonialvölker gegen das alters- und geburtenschwach gewordene Europa zudem ausdrücklich in Beziehung zur Flüchtlingskrise der Gegenwart.6 Es werden höchstwahrscheinlich diese Passagen gewesen sein, die letztlich dazu führten, dass der ursprünglich beteiligte Lilienfeld-Verlag den schon geschlossenen Autorenvertrag „mit Rücksicht auf political correctness zu erfüllen verweigerte“ und an seiner Statt Böhlau einsprang, wie Demandt im Nachwort des Bandes schreibt. Der Lilienfeld-Verlag wäre somit dem Beispiel der Zeitschrift Die politische Meinung gefolgt, die wenige Monate zuvor den Abdruck eines eigens bei Demandt bestellten Textes mit der Begründung versagt hatte, er könne in der gegenwärtigen politischen Lage fehlinterpretiert werden. Demandt hatte darin seine Theorie über die zentrale Bedeutung unkontrollierter germanischer Einwanderung für das Ende des Römischen Reiches dargelegt.7

Die Natur des Aufsatzbandes bedingt es, dass sich inhaltliche Wiederholungen nicht vermeiden lassen, wie Demandt selbst einräumt (S. 213). Insbesondere die Seiten 37ff. stellen mehr oder weniger eine Paraphrasierung der Seiten 27ff. dar. Dies mindert nicht den Wert der Publikation, die einen Überblick über fast 40 Jahre Forschung eines der profiliertesten Spengler-Experten bietet. Darüber hinaus erweist sich Demandt mit diesem Buch einmal mehr als einer der großen Gelehrten unserer Zeit, und dass ein Althistoriker auch zur zeithistorischen Historiographiegeschichte Stellung nimmt, darf man gewiss als perspektivischen Gewinn betrachten.

Anmerkungen:
1 Johannes Fried, Aufstieg aus dem Untergang. Apokalyptisches Denken und die Entstehung der modernen Naturwissenschaft im Mittelalter, München 2001.
2 Heinrich A. Winkler, Geschichte des Westens. Bd. 1, München 2009, S. 40f.
3 Laut Demandt (S. 184) bereits seit Francis Bacon.
4 Vgl. den Publikationsnachweis auf S. 214.
5 Norbert Elias, Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen, 2 Bde., Frankfurt am Main 1976.
6 S. 19. Zur „Farbigen Weltrevolution“ vgl. ferner S. 15, 17, 27, 33, 92, 165, 179f., 192f.
7 Alexander Demandt, Das Ende der alten Ordnung, in: Faz.net, http://www.faz.net/aktuell/politik/staat-und-recht/untergang-des-roemischen-reichs-das-ende-der-alten-ordnung-14024912.html?printPagedArticle=true#pageIndex_0 (09.03.2018).

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