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Titel
Medizin und Herrschaft. Malariabekämpfung in Kamerun, Ostafrika und Ostfriesland 1890–1919


Autor(en)
Bauche, Manuela
Reihe
Globalgeschichte 26
Erschienen
Frankfurt am Main 2017: Campus Verlag
Anzahl Seiten
390 S.
Preis
€ 45,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Walter Bruchhausen, Universität zu Köln

Was vielfach nur als neues Label für klassische kolonialhistorische Studien beansprucht wird, ist in dieser Dissertation eingelöst: Globalgeschichte als Verflechtung zwischen Geschehen an weit entfernten Orten ohne ein bloßes Gefälle zwischen Metropole und kolonialer Peripherie. Denn Manuela Bauche analysiert in ihrer gründlichen Studie nicht nur die schon vielfach behandelte Malaria-Bekämpfung in den afrikanischen Kolonien des deutschen Kaiserreichs, sondern setzt sie in Beziehung zu bisher weit weniger beachteten zeitgleichen Malaria-Eradikationsprogrammen in Norddeutschland. Dass hier mit dem preußischen Staat und seiner medizinischen Autorität Robert Koch dieselben Akteure an so unterschiedlichen Orten am Werke waren, hebt die Untersuchung über einen reinen Vergleich hinaus auf eine Ebene, die Transfer und lokale Adaptation zu erforschen erlaubt. Gestützt auf umfangreiches Material aus vor allem ärztlichen Publikationen und allen relevanten Archiven in Deutschland und den beiden heutigen Staaten Kamerun und Tansania, werden weitgehende Ähnlichkeiten zwischen Ost- und Westafrika mit Ostfriesland ebenso festgestellt und eingeordnet wie entscheidende Unterschiede. So zeigte sich in beiden Weltregionen die große Bedeutung von Reisen und Stationen für die Etablierung von Seuchenkontrolle, während etwa in der Anwendung von Zwang oder in der Beschreibung der betroffenen Bevölkerung Norddeutsche wesentlich rücksichtsvoller behandelt wurden als Afrikaner.

Das Erkenntnisinteresse gilt dabei explizit der Etablierung von Herrschaft, nicht zuletzt in Auseinandersetzung mit Foucault, während demgegenüber die medizin- und wissenschaftshistorischen Bezüge sowohl in der Literaturauswahl als auch in den theoretischen Bezügen, bei denen Ludwik Fleck auffallend dominiert, eher untergeordnet bleiben. Es gelingt der Autorin entsprechend dieser Absicht auch durchgängig, die jeweils noch laufenden Etablierungsprozesse von Herrschaft allgemein als Möglichkeit für Krankheitsbekämpfungsmaßnahmen aufzuweisen – sicher weniger für „Medizin“ an sich in ihrer ganzen Breite, die ja vor allem in der Fürsorge für kranke und verletzte Menschen besteht. Die Expansion staatlicher Macht wurde demnach recht bewusst als Instrument zur Seuchenkontrolle genutzt. Angesichts dieser engen Verbindung zwischen neuen Machthabern und Krankheitsbekämpfung, die an ähnliche, teilweise auch angesprochene spätere Vorgänge im revolutionären Russland, China oder Kuba, im faschistischen Italien und nationalsozialistischen Deutschland, aber auch der frühen Unabhängigkeitsphase vieler ehemaliger Kolonien Afrikas und Asiens erinnert, wäre die Frage spannend, was an den dargestellten Vorgängen eher spezifisch für koloniale bzw. imperiale Gewaltanwendung war, wie sie zeitgleich neben anderen europäischen Kolonialmächten etwa auch die USA in ihrem Süden und in Mittelamerika praktizierten, und was mehr oder weniger gewaltsamen Machtergreifungsprozessen aller Art eigen sein kann. Denn die Diskussion autoritärer Herrschaft als wirkmächtiger Faktor von Gesundheitspolitik ist auch heute noch nicht beendet, wenngleich sie weniger offen geführt wird.

Gerade bei ihrem Materialreichtum hat die Studie allerdings durch ihre Orientierung an Dichotomien eine Chance weitgehend verpasst, nämlich die breiten „Third Spaces“ und die in der jüngeren kolonialhistorischen Literatur wichtigen „colonial middle figures“ (wie bei der zitierten Nancy Rose Hunt1) angemessen zu thematisieren. Die ausdrückliche uneingeschränkte Gleichsetzung von „Weiße“, „Europäer“ und „Kolonisierende“ einerseits und damit auf der anderen Seite allen anderen als der „kolonisierten Bevölkerung“ (S. 71) lässt hier zwangsläufig diejenigen außer Acht, die als mehr oder weniger freiwillige Mitwirkende des kolonialen Wirtschafts- und Verwaltungssystems durch ihre Vermittlerrolle (cultural brokerage) fremde Herrschaft sowohl ermöglichten als auch subversiv unterliefen. Dem jüngeren Interesse an der „Agency“ auch der Unterdrückten, das sie aus ihrer früher einseitig betonten Opferrolle herausholte, könnte so in historischer Perspektive entsprochen werden, erforderte allerdings tatsächlich einen komplexeren Herrschaftsbegriff. Was für die ortsansässigen Ärzte in Wilhelmshaven und Emden als „Mittler“ (S. 218) in zugleich – eher passivem – Widerstand und Mitwirkung, mit Gewinn und Verlust von Autorität nuanciert herausgearbeitet wird, wünschte man sich auch für die afrikanischen Gebiete noch viel stärker. Diese zu lange durchgehaltene, erst gegen Ende der Studie (S. 310–317) aufgebrochene Zweiteilung in Schwarz und Weiß übersieht nicht zuletzt für das Thema Malaria zentrale biologische Aspekte. Denn im Sudan rekrutierte Askari oder Plantagen- und Bahnbauarbeiter aus malariafreien Zonen konnten im küstennahen Ostafrika ein ähnliches Malaria- und Sterblichkeitsrisiko wie neu eingereiste Weiße haben. Eine etwas weniger homogenisierende Behandlung der afrikanischen Bevölkerung, deren interne Vielfalt und Spannungen von Kolonialverwaltungen sowohl negiert als auch ausgenutzt wurden und somit nicht erst seit der Unabhängigkeitszeit deutlich sind, wäre so auch bei dem von Bauche zu Recht beklagten Mangel an Quellen zur einheimischen Sichtweise über das bekannte Paradebeispiel D(o)uala hinaus möglich gewesen.

Als besonders differenzierte Vorgehensweise ist hingegen die Analyse des Umgangs mit nicht-ärztlichen Heilweisen hervorzuheben, bei der die staatlicherseits völlig unterschiedliche Haltung einer aufgezwungenen naturwissenschaftlich basierten Seuchenbekämpfung einerseits und einer dem Bevölkerungswillen überlassenen allgemeinen Behandlung von Krankheit andererseits herausgearbeitet wird. Hier scheut sich die Autorin auch nicht, die in afrikanisch-nationalistischer Politik und Teilen der Medizinethnologie dominierenden Stereotype zu widerlegen: „Lokale Heilpraktiken wurden also mitnichten von kolonialen Behörden vollständig verurteilt.“ (S. 183)

Der Buchtitel „Medizin und Herrschaft“ führt jedoch tendenziell in die Irre, er müsste eher „Herrschaft am Beispiel von Seuchenkontrolle“ heißen, denn es geht im Wesentlichen um Macht und nicht um Gesundheit oder Krankenversorgung. Die Studie erinnert damit zugleich noch einmal schmerzlich daran, dass eine hervorragender englischsprachiger Geschichtsschreibung (wie etwa bei Turshen schon 1984 oder zuletzt Packard 20162) entsprechende Forschungslandschaft, die durch ihre kritische Perspektive nicht nur einen Beitrag zur Verbesserung von Politik und Gesellschaft beabsichtigt, sondern auch Verbesserung von Gesundheit und Medizin zum Ziel hat, in Deutschland kaum existiert. Vielleicht können historische Ansätze, die nicht die Dynamik der ungleichen Verteilung von (politischer und diskursiver) Macht oder Einkommen, sondern die von Gesundheit oder Krankenversorgung in den Mittelpunkt stellen, hier aus wissenschaftsorganisatorischen Gründen auch gar nicht bestehen. Denn die fest etablierte Diltheysche Aufspaltung in Natur- und Geisteswissenschaften macht es hierzulande insgesamt vergleichsweise schwer, historische Forschung in Form eines biosozialen oder biokulturellen Ansatzes in das Bemühen um Gesundheit einzubringen. Die Gefahr, durch solche selbstgewählte historiographische Abschottung im Gesundheitsbereich zunehmend irrelevant zu werden, ist jedoch nicht auf Deutschland beschränkt, wie der Herausgeber einer der weltweit führenden medizinischen Zeitschriften, dessen Sympathien für historische, aber eben auch gesundheits- und sozialpolitische Perspektiven offenkundig sind, vor einigen Jahren konstatierte.3 Diese strukturellen Gegebenheiten sind jedoch nicht der Autorin allein anzulasten, die im Rahmen des gegebenen Paradigmas eine überaus sorgfältige und kenntnisreiche Arbeit vorgelegt hat. Die Untersuchung ist derart umfassend, dass von einer nochmaligen forschenden Beschäftigung mit deutscher Malariabekämpfung vor dem Ersten Weltkrieg insgesamt getrost abgeraten werden kann. Material und Gründlichkeit machen die Studie schon alleine deshalb zu Recht zu einem Referenzwerk.

Anmerkungen:
1 Nancy Rose Hunt, A Colonial Lexicon of Birth Ritual, Medicalization, and Mobility in the Congo, Durham 1999.
2 Randall M. Packard, A History of Global Health. Interventions into the Lives of Other Peoples, Baltimore 2016; Meredeth Turshen, The Political Ecology of Disease in Tanzania, New Brunswick/N.J. 1984.
3 Richard Horton, Offline: The moribund body of medical history, in: The Lancet 384, No. 9940 (26.07.2014) S. 292. DOI: https://doi.org/10.1016/S0140-6736(14)61050-3 (16.03.2018).