J. König u.a. (Hrsg.): Authority and Expertise

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Titel
Authority and Expertise in Ancient Scientific Culture.


Herausgeber
König, Jason; Woolf, Greg
Erschienen
Anzahl Seiten
473 S.
Preis
€ 111,68
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan Timmer, Institut für Geschichtswissenschaft, Universität Bonn

Wenn ein Forscher danach gefragt wird, warum man eine wissenschaftliche Aussage für wahr halten kann, dann wird er wahrscheinlich auf die Methode der Untersuchung verweisen, die eine Überprüfung der Aussage gestattet und gegebenenfalls ihre Falsifizierung erlaubt. In der Praxis freilich werden Aussagen für wahr gehalten, ohne dass von der Möglichkeit einer solchen Überprüfung regelmäßig Gebrauch gemacht wird. In manchen Fällen wird auf eine solche Kontrolle zur Gänze verzichtet. Einige Mitglieder der scientific community gelten als Autoritäten, also als Personen, denen generalisiert Vertrauenswürdigkeit unterstellt werden kann.

Für den Fortgang der Wissenschaft ist die Existenz solcher Autoritäten durchaus funktional:1 Zunächst einmal helfen sie bei der Auswahl von für relevant erachteter Fragen. Die Zahl möglicher Fragestellungen ist unbegrenzt, realisiert werden kann aber immer nur ein kleiner Teil. Die Selektionsleistung wird dabei – neben Faktoren wie dem, was für die bzw. von der Gesellschaft für nützlich erachtet wird – auch immer durch Autoritäten erbracht. Dieselbe Selektionsleistung erbringen diese auch in Hinblick auf die Auswahl wissenschaftlicher Ergebnisse in Systemen, in denen so viel produziert wird, dass die Rezeption des gesamten Bestandes unmöglich wird. Schließlich schaffen sie Vertrauen in die Validität von Ergebnissen, deren Reproduktion mit allzu hohem Aufwand verbunden wäre, und tragen damit zum Fortschreiten der Wissenschaft bei. Dabei können die Grundlagen für die Zuschreibung der Vertrauenswürdigkeit sowohl außerhalb der wissenschaftlichen Beiträge liegen – die Vertrauenswürdigkeit kann dabei etwa aus der bekleideten Position geschlossen werden – als auch durch den Text selbst erzeugt werden, was den Blick auf die narrativen Strukturen wissenschaftlicher Texte richtet.

Der Frage, wie in wissenschaftlichen Texten der Antike Autorität begründet wurde, geht der vorliegende Sammelband nach, der Ergebnisse des in St. Andrews angesiedelten Projektes „Science and Empire in the Roman World“ präsentiert, aus dem schon weitere Sammelbände zum Thema hervorgegangen sind.2 In 17 nach Disziplinen geordneten Einzelstudien werden die verschiedenen Mechanismen, mit deren Hilfe antike Autoren versuchten, sich als Autorität in der bestimmten Sache darzustellen, analysiert.

Nach einer kurzen Einleitung des Herausgebers J. König (S. 1–26) thematisieren M. Trapp und H. Hine die kaiserzeitliche Philosophie (S. 22–57; S. 58–82). J. Harries untersucht das Recht (S. 83–106) und D. Harris-McCoy die Selbstdarstellung des Vitruv in seiner Schrift de architectura (S. 107–128). Militärschriftstellern sind die beiden Beiträge von M. Formisano und A. König gewidmet (S. 129–152; S. 153–181). Die Gattung der Lehrgedichte ist Gegenstand des Aufsatzes von E. Kneebone (S. 203–230). Dass die Behauptung von Sachkompetenz nur einen Teil der Selbstdarstellung des Autors ausmacht, zeigt N. Wiater am Beispiel des Dionysios von Halikarnassos (S. 231–259). Gleich zwei Beiträge beschäftigen sich mit der Medizin am Beispiel Galens: D. Lehoux legt den Schwerpunkt auf die Rolle von Zeugen für die Glaubwürdigkeit des Geschriebenen (S. 260–282), R. M. Rosen problematisiert die Möglichkeit, sich dort als Autorität darzustellen, wo – wie bei der Entwicklung des Embryos – unter antiken Bedingungen gar keine sicheren Aussagen möglich sind (S. 283–305). Als Menippeische Satire liest Leah Kronenberg Varros antiquitates rerum divinarum (S. 306–328). Auch K. Volk beschäftigt sich – diesmal am Bespiel Ciceros und des Nigidius Figulus – mit republikanischen Fachschriften zur Divination (S. 329–347). Vergleichsweise geringen Raum nehmen die antiken Naturwissenschaften ein, wobei J. Wietzke die Astronomie (S. 348–373) und R. Netz die Mathematik (S. 378–408) abdecken. Abschließend weitet G. E. R. Lloyd den Blick über die klassische Antike hinaus und untersucht parallele Strukturen zur Erzeugung von Autorität in anderen Wissenskulturen (S. 409–423).

Mit Blick auf die Strategien der Autoren, Vertrauen in ihre Aussagen zu erzeugen, bewahrheitet sich beim Durchgang durch die einzelnen Fachdisziplinen, was N. Luhmann über jegliche Begründung von Vertrauenswürdigkeit behauptet hat: Letztlich kann alles soziale Handeln zur Grundlage gemacht werden.3 Die Möglichkeiten sind auch für die Autoren wissenschaftlicher Texte fast grenzenlos, einige aber stechen bei der Durchsicht der Beiträge ins Auge: Der Verweis auf Autopsie bzw. eigene praktische Erfahrung etwa ist häufig geeignet, sich als Autorität darzustellen. Das gilt jedenfalls so lange, wie nicht – etwa beim Beispiel der landwirtschaftlichen oder militärischen Fachtexte – für den Leser vergleichsweise evident ist, dass andere Akteure – die Verwalter der Güter oder Feldherren – größere praktische Erfahrung vorzuweisen haben als der Fachschriftsteller, was dann, wie vor allem der Beitrag von A. Doody zeigt, Ausweichstrategien erfordert.

Solche können etwa in der Behauptung der intimen Kenntnis von Fachtexten liegen, über die die Praktiker nicht verfügen: Gerade bei Enzyklopädien ist der Anspruch von Vollständigkeit bei der Literaturrezeption für die Stellung des Autors zentral (D. Harris-McCoy). Letztere Argumentationsfigur kann noch gesteigert werden, wenn sich der Verfasser selbst wiederum an einen Vorgänger als Autorität bindet, wie dies bei der Hipparchrezeption des Ptolemaios oder derjenigen des Hippokrates bei Galen verdeutlicht wird (J. Wietzke; D. Lehoux). Hier wird die Autorität eines Dritten auf den Autor übertragen, was dann aber wiederum die Frage aufwirft, in welchem Ausmaß eine solche Bindung an die Tradition die Möglichkeit, Neues zu sagen, beschränken kann.

Eine solche Bindung muss aber nicht notwendig an einen wissenschaftlichen Vorgänger erfolgen, ebenso möglich ist diejenige an die kaiserliche Autorität, die E. Kneebone bei Oppian beobachtet. Der Herrschaft über die Welt durch den Kaiser entspricht deren Ordnung durch den Wissenschaftler. Ohnehin sind – und dies unterscheidet antike Fachtexte von modernen – Verweise auf Eigenschaften, die die Autorität des Autors begründen sollen, üblich, die außerhalb der Wissenschaft selbst liegen, wie etwa auf den Charakter des Verfassers, seine moralische Qualität oder seine über eine entsprechende Anrufung suggerierte Nahbeziehung zu den Göttern.

Ein immer wieder heikles Feld ist die explizite Selbstbeschreibung des Autors als Autorität, die dazu führen kann, dass Widerspruch formuliert wird, wie etwa M. Trapp betont, weshalb es gegebenenfalls nützlich ist, die Beschränkung eigenen Wissens einzuräumen – jedenfalls solange es offensichtlich niemand anderen gibt, der plausibel von sich behaupten kann, mehr zu wissen (R. Rosen).

Bleiben schließlich diejenigen auf Vertrauenswürdigkeit verweisenden Zeichen, die sprachlicher Natur sind. Kurze Sätze vermitteln den Eindruck von Kennerschaft und Objektivität. Aus dem Sektor sozialer Nahbeziehungen übernommene Semantiken machen aus dem Verfasser einen Euergeten, der Leistungen für seine Leser erbringt (J. Wietzke). Unklar bleibt – gerade in der Gegenüberstellung der Beiträge von R. Netz und G. E. R. Lloyd – die Rolle, die die Mathematisierung von Gegenständen spielte, um die Wissenschaftlichkeit des Verfassers zu unterstreichen.

Schon die stark verkürzte Aufzählung zeigt, wo die wesentliche Stärke des Sammelbandes liegt: Die Bandbreite der Strategien antiker Fachschriftsteller, sich und ihren Thesen Autorität zu verleihen, wird auf durchgängig hohem Niveau nachgezeichnet. Zugleich verweist sie aber auch auf seine zentrale Schwäche: die Gliederung des Bandes nach Fachdisziplinen. Diese hat zwei Folgen: Zum Teil ergeben sich erhebliche Redundanzen, wohingegen gleichzeitig zusammengehörende Phänomene getrennt werden. Während man im ersten Fall noch darauf hinweisen kann, dass – abgesehen von den Rezensenten – wohl niemand den Sammelband am Stück lesen wird und die Wiederholungen somit wenig ins Gewicht fallen, wiegt der zweite Einwand schwerer, denn in Verbindung damit, dass die Autoritätskonstruktion in den Fächern in der Regel exemplarisch an einzelnen Texten gezeigt wird, verliert der Band seine historische Dimension. Entwicklungen lassen sich so nicht – oder zumindest nur sehr schwer – nachvollziehen. Zudem ist die Anordnung auch wenig geeignet, die Gründe für die Wahl einer bestimmten Strategie oder ihre Grenzen zu erhellen. Dazu hätte es einer Ordnung entlang der Argumentationsmuster bedurft. So bleibt dem Sammelband zu wünschen, dass seine innovativen Beiträge die Grundlage weiterer Forschung bilden werden.

Anmerkungen:
1 Dysfunktional wird Autorität in der Wissenschaft hingegen dort, wo Gegenautoritäten ausfallen, die Grundlage von Autorität nicht innerhalb des Wissenschaftssystems erzeugt wird, sondern aus anderen Gesellschaftsbereichen übertragen werden, oder schließlich die Wirkung der Autorität höher ist als die mit der vertretenen Position nicht mehr in Einklang zu bringende Empirie.
2 König, J.P. / Woolf, G. (Hrsg.), Encyclopaedism from Antiquity to the Renaissance, Cambridge 2013; König, J.P. / Oikonomopoulou, K. / Woolf, G. (Hrsg.), Ancient Libraries, Cambridge 2013.
3 Luhmann, N., Vertrauen. Ein Mechanismus zur Reduktion sozialer Komplexität, 4. Aufl. Köln 2000, S. 48.

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