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Titel
Der Dreißigjährige Krieg. Europäische Katastrophe, deutsches Trauma 1618–1648


Autor(en)
Münkler, Herfried
Erschienen
Anzahl Seiten
976 S.
Preis
€ 39,95
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Jost Dülffer, Historisches Seminar, Universität zu Köln

An die 1000 Seiten müssen es wohl schon sein bei den historischen Bänden des Professors für Theorie der Politik an der Humboldt-Universität, Herfried Münkler. Nach 924 Seiten über den Ersten Weltkrieg 2014 nun 975 Seiten zum Dreißigjährigen Krieg. Wurde vor einigen Jahren die Sinnhaftigkeit des Begriffs „Dreißigjähriger Krieg“ hinterfragt, setzten sich die europäischen Ordnungskriege doch weitere Jahrzehnte fort und schien die Gewalthaftigkeit dieses Krieges manchen Autoren gar nicht so außergewöhnlich, so folgt Münkler doch einem Trend der letzten Jahre: Schon kurz nach den Ereignissen setzte sich der Begriff durch und schuf für die nächsten vier Jahrhunderte immer eine Folie, vor der nicht nur deutsche Geschichte interpretiert wurde. Jedoch: „Aus dem Trauma der Opferrolle [der Deutschen durch den Dreißigjährigen Krieg] ist das Trauma der Schuld an furchtbaren Verbrechen [der NS-Zeit] geworden.“ (S. 19) Sein neuer Blick will nicht einfach antiquarische Geschichte schreiben, sondern die „traumatischen Folgen“ des ungeheuren „Ressourcenverbrauchs“ herausarbeiten. Diese andere Perspektive läuft aber auf einen strukturellen Vergleich mit gegenwärtigen Kriegen hinaus, nämlich den Nah- und Mittelostkonflikten der letzten Jahrzehnte. Darauf ist zurückzukommen.

Münkler wechselt seine Ansatzebenen laufend, fügt zahlreiche zeitgenössische Zitate über Leid und politisches Kalkül ein, schildert ausführlich alle Schlachten und Militäraktionen. Er stützt sich gern auf Urteile der Literatur, zumal der älteren. Moriz Ritters dreibändiges Monumentalwerk von 1889–1908 gehört dazu, auch Cicely Veronica Wedgwood oder Geoffrey Parker. Doch das noch umfangreichere Werk von Peter H. Wilson von 2009, gleichzeitig mit Münklers Buch auf Deutsch erschienen, fehlt leider ganz im umfänglichen Literaturverzeichnis, ebenso Heinz Schillings Standardwerk zu den internationalen Beziehungen dieser Zeit.1 Das verwundert umso mehr, als dass Münklers Stärke gerade darin liegt, Kriegsgeschichte in Internationale Geschichte, hier vor allem in Diplomatiegeschichte einzubetten, die Wechselwirkungen von Kriegszügen, Schlachten und politischen Absichten darzulegen, ein schnell wechselndes Handlungsgeflecht, das laufend die Optionen, Chancen, Risiken neu gewichtete. Für den Autor muss der Krieg aber zunächst einmal „sorgfältig beschrieben werden.“ (S. 37) Dass dies so ausführlich in den Schlachtenkalkülen und Kampfschilderungen geschehen ist, dürfte so manchen Leser überfordern oder ermüden. Lesenswert ist es jedoch allemal, zumal Münkler einen sehr lesbaren und klaren Stil schreibt, dazu mit Abbildungen nicht geizt, seien es alte Stiche der Zeit, seien es graphische Vergegenwärtigungen des 19. Jahrhunderts. Damit unterstreicht er zugleich die erinnerungspolitische Aufladung seines Themas. Entsprechende Bearbeitungen von Schiller bis Droysen werden häufiger herangezogen, auch ist ein ganzes Kapitel der literarischen Verarbeitung gewidmet. Doch das ist ein Seitenstrang, der das Lesen auflockert und erleichtern mag.

Zentral sind aber für Münkler andere Dinge. Das ist zum einen die in der Einleitung entfaltete Vielfalt der Kriegstypen, die im Text dann allerdings eher implizit vorkommt. Das ist der kleine Krieg versus den großen Krieg, die entstaatliche Kriegführung auf der einen Seite, markiert durch Kriegsunternehmer wie Christian von Braunschweig, Ernst von Mansfeld und zumindest anfänglich Wallenstein, und staatlicher Kriegführung durch Könige und andere Fürsten auf der anderen Seite: Beide Erscheinungsformen wechselten sich ab, gingen durcheinander und ineinander über. Zum zweiten sind das die Friedensschlüsse, die immer nur partiell waren und auf diese Weise die Basis für neue, oft sich ausweitende Kriege boten, so der von Lübeck 1629, bei welchem dem Kaiser letztlich die (katholische) Restitution wichtiger war als die machtpolitische Stellung, so beim Frieden von Prag 1635, der nur auf das Reich zielte und sich so in ein neues europäisch wirksames Kriegsbündnis wandelte (S. 662). Schließlich war es dann der seit den frühen 1640er-Jahren parallel auf vielen Ebenen ausgehandelte Frieden von Münster und Osnabrück, der Westfälische Frieden von 1648, dem man im Reich erst traute, als auch die vielfältigen Truppen abzogen. Hier fällt auf, dass Münkler für die Jahre ab 1632 bis 1648, im Einklang mit manch älterer Literatur, gerade mal ein Kapitel von 180 Seiten liefert, was angesichts des „Krieges der nicht enden will: vom Zerfall der Macht“ zwar diese zutreffende Diagnose stellt, aber doch der Bedeutung gerade dieser Not- und Chaosjahre auch für das später erinnerte Bild des Krieges nicht ganz gerecht wird.

Es wurde schon angedeutet, dass Münkler großen Wert auf die Ermittlung der Kriegsmotivationen legt: war es Macht- oder Hegemonialpolitik, handelte es um religiöse Motivationen oder ging es primär – mit Franz Mehring als Eckpunkt diskutiert, aber dann nicht ausgeführt – um wirtschaftliche Motive? Die Stärke des Ansatzes liegt darin, dass Münkler gegen einseitige ältere Literatur für einzelne Akteure und Situationen vielfach das spezifische, sich wiederum wandelnde Mischungsverhältnis herausarbeitet und so zu einem vertieften Verständnis einer doch ganz anderen Zeit historisierend beiträgt.

Bemerkenswert ist schließlich vor allem eine weitere, allgemeine Einbettung, die vom Verfasser eines – im Anschluss an Mary Kaldor – für die Gegenwart entwickelten Begriffs der „neuen Kriege“ stammt.2 Münkler betont, dass gerade der Dreißigjährige Krieg in Europa viele gemeinsame Züge mit dem gegenwärtig auch schon mehr als ein Jahrzehnt andauernden Nah- und Mittelostkonflikt aufweist. Das haben vom damaligen Außenminister Frank-Walter Steinmeier und einer ihn beratenden Historikergruppe bis zum Cambridge-Historiker Brendan Simms seit einiger Zeit schon etliche Autoren mit dem Ziel getan, mehr oder weniger unmittelbaren Lehren für einen heutigen Frieden zu gewinnen. Doch das galt meistens dem Vorbild der damaligen Verhältnisse für einen heutigen Friedensschluss. Münkler findet dagegen die „Strukturanalogien“ der damaligen Konflikte zu den heutigen besonders erkenntnisfördernd. Das hätte den Stoff zu einem Essaybändchen abgeben können, für den allerdings die vorangegangenen Schlachtenschilderungen in dieser Form nötig gewesen wären.

Vereinfacht geht es – über die bereits genannten Züge hinaus - darum, dass damals England und Spanien ein Paar der großen Gegensätze, Frankreich und Schweden das der kleineren Gegensätze gebildet hätten, welche die diversen, sich überlappenden Gegensätze im Reich mit beeinflussten (S. 837). Das läuft auf so etwas wie ein Mehrebenensystem der internationalen Politik heraus. Das ist nicht neu, zeigte sich aber unter den Bedingungen von Krieg als besonders volatil und dynamisch. Solche Ansätze wurden auch schon anderswo an ganz anderen Konflikten entfaltet. Jedoch: gerade dieses Modell lässt sich für Münkler auf den Nahen und Mittleren Osten „nur bedingt übertragen“; er versucht es dennoch: „Die Analyse der Interventionen äußerer Mächte zeigt eine einzige Abfolge von Warnschildern: Sie mahnen gegenüber machtpolitischen Zielsetzungen, aber auch gegenüber humanitären Absichten, so schwer das manchmal zu ertragen ist, zu Vorsicht und Zurückhaltung; sie weisen aber ebenso darauf hin, dass bloßes Heraushalten und Nichthandeln mitunter ebenso riskant sein kann wie ein Eingreifen im Krieg“ (S. 839). Damit ist Münkler dann doch ganz in der Gegenwart des Nahen und Mittleren Ostens angelangt, für die er trotz manch anderer Unterschiede ein behutsames historisches Lernen anrät. Das mag bis zu einem gewissen Grade möglich sein; dem Rezensenten scheinen die gemeinsamen Strukturmerkmale weniger signifikant zu sein: Vor 400 Jahren ging es nicht um Rohstoffe und die Rolle Israels heute findet gar keine damalige Entsprechung. Wohl aber lassen sich aus dem vielfältigen und wechselnden Mit- und Gegeneinander unterschiedlicher Gewaltakteure einige allgemeinere Erkenntnisse gewinnen. Es zeigt sich, wie Gewalt unterschiedlich instrumentalisiert wurde, wie ihr taktischer oder strategischer Einsatz unerwartete Nebeneffekte aufwies. Genau das zeigt Münkler an vielen Beispielen und erläutert so, wie scheinbar einfache, militärische oder politische Eroberungsziele sich völlig unerwartet verschoben, neue Konstellationen entstanden. Wege aus der Gewalt, die nicht selten als Folge an sich begrenzter Ziele eigentlich angestrebt wurden, erwiesen sich schwieriger als gedacht und verlagerten den Krieg häufig nur in neue sachliche oder regionale Dimensionen. Hier hat Münkler manches an lesenswerter Narratio zu Schlachten, Krieg und ihren Rahmenbedingungen zu bieten, was die allgemeineren und diskussionswürdigen Erkenntnisse oft wenig verbunden daneben stellt.

Anmerkungen:
1 Peter H. Wilson, Der Dreißigjährige Krieg. Eine europäische Tragödie, Darmstadt 2017 (englische Ausgabe 2009); Heinz Schilling, Konfessionalisierung und Staatsinteressen, 1559–1660 (Handbuch Geschichte Internationaler Beziehungen 2), Paderborn 2007.
2 Mary Kaldor, Neue und alte Kriege, Frankfurt am Main 2000 (englisch Ausgabe 1999); Herfried Münkler, Die neuen Kriege, Reinbek 2002.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/