Titel
Pax Christi Deutschland im Kalten Krieg 1945–1957. Gründung, Selbstverständnis und "Vergangenheitsbewältigung"


Autor(en)
Oboth, Jens
Erschienen
Paderborn 2017: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
502 S.
Preis
€ 89,00
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Tatsuhito Ono, Universität Keio, Japan

Seit der Kritik von Wolfgang Schieder an der mangelhaften Thematisierung der Religion in der nicht-konfessionellen Geschichtsschreibung der Bundesrepublik ist ein Vierteljahrhundert vergangen.1 Inzwischen ziehen religiöse Erscheinungen und Konflikte auf der ganzen Welt – wie die Terroranschläge vom 11. September 2001 oder die Begeisterung für Papst Franziskus deutlich machen – immer mehr Aufmerksamkeit auf sich. So hat das Thema Religion auch in der deutschen Geschichtswissenschaft seit längerem Konjunktur. Neben Kirchenhistorikern widmen sich diesem Phänomen heutzutage immer mehr Sozial- und Kulturhistoriker.2

Die an der Ruhr-Universität Bochum entstandene Dissertation von Jens Oboth rekonstruiert die Entstehung des deutschen Zweiges von Pax Christi, einer der bedeutendsten internationalen katholischen Friedensbewegungen nach dem Zweiten Weltkrieg, in den späten 1940er- und frühen 1950er-Jahren. Oboth zufolge war Pax Christi lange Zeit eine Forschungslücke. Die in den letzten Jahren erschienenen, an der Friedensforschung orientierten Studien beschränken sich, so führt Oboth aus, auf die 1960er-Jahre und thematisieren Pax Christi vor allem im Kontext der westdeutschen Vergangenheitsbewältigung und der Aussöhnung mit den Nachbarländern.

Oboth stellt zwei Fragekomplexe in den Mittelpunkt: den Aufbau von Pax Christi zwischen 1945/46 bis 1952 und ihren Einsatz für die deutsch-französische Aussöhnung zwischen 1945 bis 1957. Gefragt ist dabei nicht bloß nach dem Entwicklungsprozess zusammen mit den ihn begleitenden Diskursen um internationale Aussöhnung und Nazi-Vergangenheit, sondern auch nach dem jeweiligen Selbstverständnis der Bewegung in Kirche und Gesellschaft sowie den dabei eingesetzten symbolischen Kommunikationsmitteln bzw. Gedankengütern. Um diese institutionellen und kulturellen Dimensionen miteinander verknüpfend darzustellen, wertet Oboth neben Organisationsakten auch Quellen wie Gebets- und Liederbücher aus und nimmt bei der Darstellung Rücksicht auf die Wechselwirkung zwischen sprachlichem bzw. symbolischem Handeln und der Wirklichkeit. Wegen der lückenhaften Quellenüberlieferung fokussiert er auf die nationale und diözesane Ebene des Organisationsgefüges, insbesondere auf die dort agierenden Personen. Die Gemeindeebene wird nur selten berücksichtigt. Unter den kirchenexternen Faktoren für die Entwicklung der Bewegung schreibt er dem Kalten Krieg die hervorragende Bedeutung zu.

Die ca. 450 Text- und 15 Bildseiten umfassende Arbeit gliedert sich in vier Kapitel. Im ersten Kapitel wird der Anfang von Pax Christi in Frankreich im Anschluss an die bisherige Forschung skizziert.3 Die aus dem katholischen Résistance-Milieu herkommende Bewegung setzte sich die Friedensstiftung und besonders die deutsch-französische Versöhnung durch Rechristianisierung zum Ziel. Dabei ermöglichten die umcodierte Theologie vom mystischen Leib Christi, die den gemeinsamen Glauben über die nationale Grenze hinweg hervorhebt, und das positive Bild von deutschen Katholiken als Widerstandskämpfern gegen den Nationalsozialismus eine „Begegnung zwischen Deutschen und Franzosen auf Augenhöhe“ (S. 122), betont Oboth.

Im zweiten Kapitel geht es um den Aufbau des deutschen Zweiges von 1945 bis 1952. Angesichts des Wertevakuums in der Zusammenbruchgesellschaft strebten auch die deutschen Katholiken eine Rekatholisierung an. Nach Oboth spielten dabei vor allem avantgardistische Laien(vereinigungen) eine große Rolle. Theologisch wie politisch waren sie ziemlich heterogen, teilten aber die Erfahrung bei den katholischen Jugendbünden der Zwischenkriegszeit. Nachdem der Abscheu vor Bürokratie und ein laikales Selbstverständnis das Organisationsgefüge geprägt hatten, erfuhr Pax Christi bis 1952 eine Transformation „aus einer charismatisch-spirituellen Bewegung hin zu einer strafferen und professioneller geführten Organisation“ (S. 212). Sie war mit schweren inneren Konflikten gekennzeichnet und wurde schließlich nach päpstlichem Druck vollzogen. Zu dieser Zeit umfasste Pax Christi, wie Oboth schätzt, höchstens 10.000 Mitglieder in Westdeutschland, die weitgehend aus mittleren und unteren Sozialschichten stammten. Groß angelegte Pax-Christi-Veranstaltungen wie die Wallfahrt in Lourdes fanden starke öffentliche Resonanz, ließen aber, wie Oboth zitiert, zum Ärger der Protagonisten sogar den Eindruck entstehen, „Pax Christi sei [...] eine Organisation zur Ermöglichung von Auslandsfahrten“ (S. 256). In der anti-kommunistischen Atmosphäre seit dem Koreakrieg 1950 ging der deutsche Zweig auf Distanz zu den als kommunistisch angesehenen nicht-katholischen Friedensbewegungen in Westdeutschland und bemühte sich um eine Profilierung, indem er sich auf die religiöse Arbeit konzentrierte.

Das knappe, ca. 30 Seiten umfassende dritte Kapitel verfolgt diese Versuche im Kontext der Debatte um Wiederbewaffnung bis zur Mitte 1950er-Jahre. Trotz gewaltiger innerer Meinungsunterscheide hielt Pax Christi an ihrer insgesamt unpolitischen Haltung fest, nicht zuletzt aufgrund des Einflusses der mit der Amtskirche konformen Katholischen Aktion.4 Um trotzdem gesellschaftsverändernd wirken zu können, setzte sie sich weiter für diverse Veranstaltungen für Versöhnung zwischen Katholiken in verschiedenen Länder mittels einer gemeinsamen Liturgie ein. Allerdings, so betont Oboth, verfehlten diese Veranstaltungen oft die gewünschte öffentliche Wirkung.

Im letzten Kapitel geht es um die Auseinandersetzung mit der Nazi-Vergangenheit von 1945 bis 1957, die die Organisationsentwicklung stets begleitete. Die entgegenkommende Haltung der französischen Seite hatte der deutschen Pax Christi zunächst die Konfrontation mit diesem Problem erspart. Vielmehr vertrat die deutsche Sektion die Kollektivschuldthese und verurteilte die Entnazifizierungsmaßnahmen der Besatzungsmächte mit der Behauptung, nur Gott habe ein solches Recht. Darin sieht Oboth einen Ausdruck von Ohnmachts- bzw. Minderwertigkeitsgefühl gegenüber der Politik. Erst Mitte der 1950er-Jahre wendeten sich Pax Christi-Vertreter stärker den nicht-deutschen Nazi-Opfern zu. Diese Wende ging der allgemeinen Sensibilisierung gegenüber NS-Verbrechen in der Bundesrepublik zeitlich voraus und ist insofern bemerkenswert.

Mit der Fokussierung auf die Hauptakteure auf der nationalen bzw. diözesanen Ebene und dem relativ kurzen Untersuchungszeitraum gelingt es Oboth, die Frühgeschichte der deutschen Pax Christi detailliert darzustellen und dabei die organisatorischen, kulturellen sowie diskursiven Dimensionen gleichermaßen zu berücksichtigen. Hervorzuheben ist die umfangreiche Analyse der verschiedenen katholischen Vereinigungen und ihrer Vertreter im zweiten Kapitel. Sie ist über die Erforschung der Pax Christi hinaus auch für aktuelle Debatten über den Linkskatholizismus und die katholischen sozialen Bewegungen in der Nachkriegszeit wertvoll.

Zu bedauern sind allerdings der Verzicht auf die Behandlung der Zeit nach 1957 und eine unvollständige Einordnung in den größeren historischen Kontext. In Bezug auf den letzten Punkt wird der Aufbau der Pax Christi vor allem mit dem Antikommunismus und der Außen- und Verteidigungspolitik der Adenauer-Regierung erklärt. Vernachlässigt werden dabei andere gesellschaftliche Entwicklungen in der Frühphase des Kalten Krieges, wie zum Beispiel das Phänomen der nicht-katholischen Friedensbewegungen, mit denen, wie selbst Oboth einräumt, die Pax-Christi-Akteure teilweise sympathisierten und im Fall von Christa Thomas aktiv zusammenarbeiteten. Die Kritik Oboths am bisherigen Forschungsstand – die mit längeren Zeiträumen operierenden, gesellschaftsgeschichtlichen Arbeiten würden ohne tiefe Einsicht in die Anfänge und innere Welt der Pax Christi zu kurz greifen – trifft sicherlich zu. Aber das Gegenteil scheint auch richtig. Gerade mit einer längeren Perspektive und mit mehr Aufmerksamkeit für das gesellschaftliche Umfeld wäre diese Studie besonders für Sozialhistoriker attraktiver geworden. Sie würde damit auch der am Anfang dieser Rezension erwähnten neueren Tendenz in der Geschichtswissenschaft – dem gesteigerten sozialgeschichtlichen Interesse an Religion – mehr Rechnung tragen. Aber als Ganzes gesehen ist diese Studie ohne Zweifel eine ergebnisreiche Monographie in dem Bereich der katholischen Zeitgeschichtsforschung.

Anmerkungen:
1 Wolfgang Schieder, Sozialgeschichte der Religion im 19. Jahrhundert. Bemerkungen zur Forschungslage, in: ders. (Hrsg.), Religion und Gesellschaft im 19. Jahrhundert, Stuttgart 1993, S. 11–28.
2 Zum Bedeutungszuwachs von Religion in der Öffentlichkeit und Geschichtswissenschaft vgl. Benjamin Ziemann, Sozialgeschichte der Religion. Von der Reformation bis zur Gegenwart, Frankfurt am Main 2009; Thomas Mergel, Religionsgeschichte als Sozialgeschichte. Zu einem schwierigen Verhältnis, in: ders. / Pascal Maeder / Barbara Lüthi (Hrsg.), Wozu noch Sozialgeschichte? Eine Disziplin im Umbruch, Göttingen 2012, S. 211–239.
3 François Mabille, Les catholiques et la paix au temps de la guerre froide. Le mouvement catholique international pour la paix Pax Christi, Paris 2004.
4 Zu dieser Laienbewegung vgl. Klaus Große Kracht, Die Stunde der Laien? Katholische Aktion in Deutschland im europäischen Kontext 1920–1960, Paderborn 2016.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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