Cover
Titel
"Selbst ist der Mann". Do-it-yourself und Heimwerken in der Bundesrepublik Deutschland


Autor(en)
Voges, Jonathan
Erschienen
Göttingen 2017: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
647 S., 30 SW-Abb.
Preis
€ 54,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Clemens Villinger, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

„Das können Sie auch!“ Im Gegensatz zur Rhetorik der Heimwerkerliteratur, die den Lesenden suggeriert, dass sie jedes Projekt realisieren können, ist das Verfassen einer wissenschaftlichen Qualifikationsarbeit eher selten von derart motivierenden Sprüchen begleitet. Mit einer Dissertation zur Geschichte des Heimwerkens in der Bundesrepublik legt Jonathan Voges sein akademisches Meisterstück vor. Die Arbeit wurde 2016 mit dem Wissenschaftspreis Hannover ausgezeichnet und stand 2017 auf der Short List für den „Opus Primum“-Förderpreis der VolkswagenStiftung. Wie auch die zahlreichen bereits in Radio und Printmedien erschienenen Rezensionen zeigen, hat er offenbar den Nagel auf den Kopf getroffen.

Sein Buch untergliedert Voges in drei große Abschnitte, die sich mit der Sozialgeschichte der „Do-it-yourself-Bewegung“ befassen, eine Konsumgeschichte des Heimwerkens erzählen und diese mit der Branchengeschichte des Do-it-yourself-Einzelhandels verknüpfen. Flankiert werden die drei Großkapitel von zwei Exkursen zu den Auseinandersetzungen zwischen Hand- und Heimwerkern sowie den im Do-it-yourself (DIY) gepflegten Bildern von Männlichkeit. Schon das Inhaltsverzeichnis veranschaulicht die Bandbreite des Themas sowie die akribische Literatur- und Quellenarbeit von Voges, die sich in einem umfangreichen Fußnotenapparat niederschlägt. Aus diesem könnten, wie ein Rezensent in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ treffend bemerkte, „ganze Seminare zur deutschen Zeitgeschichte“ abgehalten werden.1 Neben den Publikationen der Zeitgeschichtsforschung stützt sich Voges auf die Do-it-yourself-Publizistik, auf Branchenmagazine der Bau- und Heimwerkermärkte, Unternehmensarchive, Medienberichte, sozialwissenschaftliche Untersuchungen sowie Marktforschungsstudien.

Was unter Do-it-yourself eigentlich verstanden werden soll, definiert der Autor im Rekurs auf eine 1958 erschienene wirtschaftswissenschaftliche Dissertation als „Tätigkeiten handwerklicher Art, die nicht ausgebildete Personen – Heimwerker – am und im eigenen Haus oder in der eigenen Wohnung durchführten“ (S. 17). Überzeugend legt Voges die Voraussetzungen dar, die ab den 1950er-Jahren in der Bundesrepublik zur Verbreitung von Praktiken des Heimwerkens führten: die Ausdehnung der frei verfügbaren Zeit durch die Verkürzung der Arbeitszeit, der häufigere Besitz von Eigenheimen sowie der sukzessive Anstieg der Einkommen. Unter Rückgriff auf den von Sven Reichardt zeithistorisch modifizierten praxeologischen Ansatz2 illustriert Voges die erwähnten Prozesse, indem er die Heimwerkenden im Vollzug ihrer Praktiken betrachtet. Dabei interpretiert der Autor die Do-it-yourself-Publizistik, also Branchenmagazine und Ratgeber wie das Periodikum „Selbst ist der Mann“, als mediale Repräsentationen sozialer Praktiken im Alltag.

Die Analyse der Tätigkeiten von Heimwerkenden sowie die Betrachtung der dabei verwendeten Materialien und Maschinen verdeutlichen, wie die „amerikanische Herkunft der sozialen Praxis“ (S. 109) des DIY im Alltag an nationale Deutungsmuster angepasst und schließlich durch den Begriff des „Heimwerkens“ in die bürgerlichen Vorstellungen von Freizeit in der frühen Bundesrepublik eingefügt wurde. Darüber hinaus zeigt sich, dass die Amerikanisierung des Freizeitverhaltens in der Bundesrepublik nicht nur Jugendliche, sondern auch deren Elterngeneration betraf. Durch das Anwachsen der medialen Infrastruktur und die Entstehung eines spezialisierten Einzelhandels, der auf die Bedürfnisse der Verbraucher explizit zugeschnittene Materialien und Maschinen anbot, entwickelte sich das Heimwerken in der Bundesrepublik spätestens während der 1970er-Jahren zu einem Massenphänomen, das unter intensiver wirtschafts- und sozialwissenschaftlicher Beobachtung stand. Die sozialwissenschaftlichen Deutungsangebote zieht Voges immer wieder heran, um seinen aus den qualitativen Quellen gewonnenen Erkenntnissen eine quantifizierende Relevanz zu verleihen. Ob mit diesem Ansatz eine ausreichende Kontextualisierung sozialwissenschaftlicher Befunde erreicht wird und diese Quellen somit für eine „methodisch und theoretisch sensible Zeitgeschichtsforschung“ (S. 22f.) adäquat nutzbar gemacht werden, ist zurzeit Gegenstand von Diskussionen.3

Im Abschnitt zur Konsumgeschichte des Heimwerkens, das als (kürzeres) „Scharnierkapitel“ (S. 15) zwischen Sozial- und Unternehmensgeschichte fungiert, beruft sich Voges auf die Forderung des Konsumhistorikers Frank Trentmann, weniger den Akt des Einkaufens als vielmehr den Gebrauch von Produkten und die damit einhergehenden „Praktiken, Zeitordnungen und Störungen“ (S. 307) in den Blick zu nehmen. Die ausgewählten Themenkomplexe, wie die von Voges kulturhistorisch erweiterte Technikgeschichte von Heimwerkermaschinen oder die Betrachtung des „Bricolage-Lebensumfelds“ (S. 352), führen klar vor Augen, dass es sich bei den Heimwerkern nicht etwa um eine antikonsumistische Bewegung handelte, sondern um einen festen Bestandteil der bundesdeutschen Konsumgesellschaft. Dabei lässt sich an den Praktiken des Heimwerkens, wie Voges bemerkt, eine Gleichzeitigkeit von Selbermachen und Kaufen erkennen. Die Figur des Heimwerkers als produzierender Konsument (S. 361) tritt somit als personifizierte Einschränkung der These einer Ablösung der Arbeitsgesellschaft durch die Konsumgesellschaft auf.4 In dem informativen und klug in die Konsumgeschichte eingebetteten Kapitel bleiben die eigentlichen Praktiken jedoch merkwürdig unterbelichtet, da die Akteure, ihre Materialien sowie die Räume, in denen sie ihre Arbeiten verrichteten, nur mittelbar durch deren mediale Repräsentation (z.B. in Leserbriefen) zutage treten. Auch hier greift Voges immer wieder auf zeitgenössische Quantifizierungen zurück, um die qualitative Relevanz seiner Aussagen zu belegen.

Im dritten großen Abschnitt der Arbeit verbindet Voges seine bis dahin gewonnenen Erkenntnisse mit einer Branchengeschichte des Bau- und Heimwerkereinzelhandels. Überzeugend schildert er die Formierungsphase ab den 1950er-Jahren bis Mitte der 1980er-Jahre am Beispiel des Unternehmens Hornbach (der heutigen Hornbach Baumarkt AG). Besonders anschaulich manifestierten sich die Abgrenzungskonflikte der neuen Branche gegenüber den Unternehmen des Eisenwarenhandels in der Gründung des Bundesverbandes Bau- und Heimwerkermärkte (BHB, seit 1974) und im sogenannten „Messekrieg“ (S. 434). Mit der Durchführung einer eigenen DIY-Messe 1976 in Stuttgart schafften es die Bau- und Heimwerkermärkte, die Deutungshoheit über ihr Geschäftsfeld zu erlangen. Während Pioniere wie Otmar Hornbach (1930–2014) in die USA reisten, um Inspirationen für betriebswirtschaftliche Neuerungen zu bekommen, traten ab Mitte der 1970er-Jahre vor allem Lebensmittelhandelsketten als Konkurrenten auf, die sich mit hoher Kapitalkraft in die Branche einkauften. Damit hielten auch Geschäftspraktiken aus dem Lebensmittelhandel, wie Discounting oder die Abschaffung von Beratungsangeboten, Einzug auf dem Markt. Gerade die Beschreibung der Entwicklung von Hornbach in den 1980er-Jahren verdeutlicht, wie die zeithistorische Forschung eine (Vor-)Geschichte der Gegenwart empirisch fundiert erzählen kann.

Insgesamt hätten dem Buch – und dies ist eine Kritik auf hohem Niveau – einige Straffungen und pointiertere Zusammenfassungen gutgetan, um das Lesevergnügen noch weiter zu steigern. Ungeachtet dessen ist die Geschichte des Heimwerkens, und dies zeigt Voges auf eindrückliche und äußerst belesene Weise, hochgradig anschlussfähig an zentrale Themen der zeithistorischen Forschung, wie etwa die Frage nach dem Verhältnis von Arbeit und Freizeit oder nach der Bedeutung von materieller Kultur für die Alltagsgeschichte der Bundesrepublik. Wer sich in Zukunft mit dem Thema Heimwerken oder der kulturgeschichtlich fundierten Unternehmensgeschichte des Einzelhandels in der Bundesrepublik auseinandersetzt, wird an Jonathan Voges’ Buch ohnehin nicht vorbeikommen.

Anmerkungen:
1 Thorsten Gräbe, Baumarkt weiß, was Männer wünschen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.12.2017, S. 10, http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/sachbuch/eine-kulturgeschichte-des-heimwerkens-15348517.html (02.02.2018).
2 Siehe etwa Sven Reichardt, Praxeologische Geschichtswissenschaft. Eine Diskussionsanregung, in: Sozial.Geschichte 22 (2007), Heft 3, S. 43–65.
3 Zur Verwendung sozialwissenschaftlicher Daten in der Konsumgeschichte siehe Kerstin Brückweh / Clemens Villinger, Sich (nicht) die Butter vom Brot nehmen lassen. Ein Forschungsbericht zur Konsumgeschichte zwischen Alltag, Arbeit, Kapitalismus und Globalisierung, in: Archiv für Sozialgeschichte 57 (2017), S. 463–495, hier S. 485–492.
4 Peter-Paul Bänziger, Von der Arbeits- zur Konsumgesellschaft? Kritik eines Leitmotivs der deutschsprachigen Zeitgeschichtsschreibung, in: Zeithistorische Forschungen / Studies in Contemporary History 12 (2015), S. 11–38, http://www.zeithistorische-forschungen.de/1-2015/id=5179 (02.02.2018).