H. Wellenreuther: Konföderation bis Amerikanische Revolution

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Titel
Von der Konföderation zur Amerikanischen Nation. Der Amerikanischen Revolution zweiter Teil, 1783–1796


Autor(en)
Wellenreuther, Hermann
Reihe
Geschichte Nordamerikas in atlantischer Perspektive von den Anfängen bis zur Gegenwart 4
Erschienen
Münster 2016: LIT Verlag
Anzahl Seiten
XIII, 605 S.
Preis
€ 86,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Volker Depkat, Institut für Anglistik und Amerikanistik, Universität Regensburg

Mit diesem Band, der die Geschichte der USA von der sogenannten „Kritischen Periode“ bis zum Ende der Amtszeit von Präsident George Washington verfolgt, beschließt Hermann Wellenreuther seine monumentale Geschichte des frühneuzeitlichen Nordamerika. Die ersten drei Bände thematisieren die nordamerikanische Geschichte vom Beginn der Besiedlung am Ende der letzten Eiszeit bis zur Konsolidierung der europäischen Kolonien am Ausgang des 17. Jahrhunderts1, verfolgen die Entwicklung der englischen, französischen und spanischen Kolonien in Nordamerika in Abhängigkeit von den spannungsreichen Beziehungen zu den Mutterländern und im Kontext imperialer Mächtekonkurrenz bis zum Vorabend der Amerikanischen Revolution2 und wenden sich schließlich der Geschichte der Amerikanischen Revolution von 1775 bis 1783 zu.3 Wie bereits die ersten drei Bände ist auch dieser keine Gesamtdarstellung im eigentlichen Sinne, weil er nicht nur gesichertes Wissen auf dem neuesten Stand der Forschung zusammenträgt, sondern in weiten Teilen auf eigenen Forschungen des Verfassers beruht.

Der Band ist in neun Großkapitel geteilt. Er beginnt mit einer dicht beschreibenden Rekonstruktion amerikanischer Lebenswelten am Ende des Revolutionskrieges, die deutlich macht, dass Nordamerika im Jahr 1783 eine Welt im Umbruch war, der durch die Suche nach neuen Regeln für politische und soziale Ordnung bestimmt ist.

Das zweite Kapitel widmet sich der innenpolitischen Entwicklung von Konföderation und Einzelstaaten zwischen 1783 und 1787. Es schreibt im Kern gegen die von John Fiske erstmals 1888 formulierte Idee von den 1780er-Jahren als Situation einer umfassenden Krise an, die erst durch die Transformation des Staatenbundes in den Bundesstaat gelöst worden sei. Dem hält Wellenreuther entgegen, dass die Krise vor allem ein Wahrnehmungs- und Bewusstseinsproblem der politischen Eliten gewesen sei, und weist darauf hin, dass es zwischen 1783 und 1786 weder in der Wirtschaft noch in anderen Lebensbereichen krisenhaften Zuspitzungen gegeben habe (S. 93f.). Aus seiner Sicht sind die Jahre von 1783 bis 1786 wegen ihrer Suche nach einer Regierungsform, die die schwierigen, aus dem Friedensschluss von 1783 resultierenden politischen und wirtschaftlichen Fragen lösen würde, „eine außerordentlich erfolgreiche Periode“ gewesen (S. 94).

Die Verfassungsdiskussionen der Constitutional Convention in Philadelphia im Sommer 1787 und die hoch kontroversen Ratifizierungsdebatten der Jahre 1787/88 sind Thema des dritten Kapitels. Unter Heranziehung biografischer und prosopografischer Ansätze untersucht es die Zusammensetzung der verfassungsgebenden Versammlung, stellt mit großer Ausführlichkeit die eingebrachten Verfassungspläne vor und analysiert die Argumentationsstrategien der Delegierten immer auch in Abhängigkeit von deren lebensweltlichen Prägungen und sektionalen Interessen. Dadurch werden die Fülle der Beiträge und das Spektrum der Positionen in der Verfassungsfrage eindrucksvoll herausgearbeitet.

Das vierte Kapitel stellt in klassisch politikgeschichtlicher Manier den schwierigen Prozess der Ausgestaltung der neuen Verfassungsordnung in den 1790er-Jahren und die Innenpolitik während der Präsidentschaft Washingtons detailreich und ausführlich dar.

Die folgenden vier Kapitel verlassen die chronologische Ordnung und thematisieren in strukturgeschichtlichen Längsschnitten Wirtschaft, Außenpolitik, Westexpansion und das geistig-kulturelle Leben der USA in jenen Jahren. Neu und weiterführend sind die Ergebnisse zur wirtschaftlichen Entwicklung. Entgegen der landläufigen Meinung gelang es den USA durchaus, sich durch eine gezielte, auf den Abschluss von Handelsverträgen ausgerichtete Außenhandelspolitik schnell neue Märkte in Kontinentaleuropa und in Westindien zu erobern, was die wirtschaftliche Abhängigkeit vom alten Mutterland insgesamt minderte, ohne sie ganz aufzulösen. Interessant ist auch, wie Wellenreuther die Geschichte der U.S.-amerikanischen Westexpansion, die in jenen Jahren auf eine stabile Grundlage gestellt wurde, in ihrem Effekt auf die Atlantische Welt reflektiert. Die Expansion der USA weitete demnach „auch den Raum der Atlantischen Welt aus, vergrößert[e] nicht nur diese Welt als Wirtschaftszone, sondern auch als Land der europäischen und atlantischen Kultur“ (S. 383).

Ein besonderes Highlight ist das abschließende neunte Kapitel, das die Gründung und Ausgestaltung der USA als „Atlantisches Ereignis“ reflektiert und den damaligen Stand der europäisch-amerikanischen Beziehungen im Lichte der wechselseitigen Wahrnehmungen erörtert. Überzeugend wird hier gezeigt, dass sich „seit 1793 in der Atlantischen Welt die Kluft zwischen der Neuen und der Alten [Welt] zu vergrößern begann“ (S. 429). Die vielfach in Kategorien des Exzeptionellen und des Utopischen beschriebenen USA hörten demnach in diesem Zeitraum auf, für die Entwicklung in Europa Vorbildfunktionen zu erfüllen, während sich andererseits die Amerikaner in ihrer Sicht auf Europa als einem korrupten, im Niedergang befindlichen, armen und autoritär regierten Weltteil bestätigt fühlten.

Insgesamt stellt „Von der Konföderation zur Amerikanischen Nation“ für sich genommen, aber auch im Kontext der vorangegangenen drei Bände zur frühneuzeitlichen Geschichte Nordamerikas eine beeindruckende Leistung dar. Sie sucht sowohl in Deutschland als auch in den USA insofern ihresgleichen, als sie die Geschichte Nordamerikas durchgehend in Bezügen der Atlantischen Geschichte reflektiert. Das ist innovativ, weiterführend und ungemein anregend.

Allerdings wird die kontinentale Perspektive auf die Geschichte Nordamerikas, die die ersten beiden Bände der Reihe auszeichnete, in den beiden Bänden zur Amerikanischen Revolution zu Gunsten einer nationalgeschichtlichen Perspektive auf die USA aufgegeben. Die Stärke des von Wellenreuther in den ersten beiden Bänden aufgezeigten kontinentalen Ansatzes war es, alternative Entwicklungsmöglichkeiten europäischer Kolonialgesellschaften bei weitgehend gleichen geographischen und historischen Rahmenbedingungen aufzeigen und verständlich machen zu können, warum sich das französische Nordamerika anders entwickelte als das spanische oder das britische und warum selbst das koloniale Britisch Nordamerika vielfältige, divergente und teils gegenläufige Entwicklungen durchlief. In den beiden Monographien zur Revolution kommen Kanada und das Spanischamerika nur noch am Rande vor. Mit diesem Band, mit dem laut Klappentext die „lang[e] Entstehungszeit der Vereinigten Staaten von Amerika […] ihren Abschluss“ findet, erscheint die ganze Kolonialgeschichte auf einmal nur noch als Vorgeschichte der Amerikanischen Revolution. Das ist schade, hätte doch gerade ein genauerer Blick wenigstens auf Kanada gezeigt, dass „1776“ das Geburtsjahr von zwei Nationen auf dem nordamerikanischen Kontinent gewesen ist, nämlich das der U.S.-amerikanischen, aber auch das der kanadischen, deren nationale Identität sich zu einem Gutteil in der Ablehnung des liberalen Gründungscredos der USA formierte.

Damit zusammen hängt ein zweiter Kritikpunkt: Aus der Vorstellung einer langen, die gesamte Kolonialperiode umfassenden Entstehungszeit der USA, die mit der Amerikanischen Revolution ihren Abschluss findet, resultiert eine weitgehende Nivellierung der Bedeutung der Amerikanischen Revolution, die für Wellenreuther kaum mehr ist als ein „rite de passage“ (S. 514). Zwar gibt es gute Gründe, die USA nicht als eine creatio ex nihilo zu verstehen, sondern ihre Entstehungsgeschichte breit in die kolonialen Traditionen einzubetten, doch geht dadurch der Blick auf das Neue und Zukunftsweisende der Amerikanischen Revolution für meine Begriffe etwas zu sehr verloren. Schließlich war der revolutionär begründete U.S.-amerikanische Bundesstaat in vieler Hinsicht ein historisches Novum, das am Anfang der politischen Moderne steht und in wesentlichen Aspekten die koloniale Tradition eben nicht fortführt.

Auch das von Wellenreuther gesetzte Enddatum 1796/7 fordert zu Widerspruch heraus, behauptet er doch, dass mit der Präsidentschaft Washingtons eine politische Kultur an ihr Ende gelangt sei, die sich bereits in der Kolonialzeit ausgeprägt hatte. Das habe den Weg frei gemacht für eine neue, robuste, raubeinige, oft auch grobe Demokratie (S. 507f.). Diese Periodisierung setzt entweder zu spät an, weil sich die in der deferential society ankernde politische Kultur der Kolonialzeit bereits vor 1776 im Prozess der Auflösung befand, oder aber zu früh, weil die Demokratisierung der Republik auf breiter Front erst in den 1820/30er-Jahren einsetzte. Insgesamt also wird die Zäsur 1796 hier zu prominent gesetzt, so als sei die Entstehung der USA 1796/7 abgeschlossen gewesen und als habe dann mit John Adams und Thomas Jefferson „etwas völlig Neues“ begonnen (S. 515).

Diese Einwände ändern freilich nichts an Wert und Gewicht dieser Darstellung, die zusammen mit den ersten drei Bänden die beeindruckende Summe eines Gelehrtenlebens darstellt.

Anmerkungen:
1 Hermann Wellenreuther, Niedergang und Aufstieg. Die Geschichte Nordamerikas vom Beginn der Besiedlung bis zum Ausgang des 17. Jahrhunderts, Berlin 2004 (1. Aufl. 2000).
2 Ders., Ausbildung und Neubildung. Die Geschichte Nordamerikas vom Ausgang des 17. Jahrhunderts bis zum Ausbruch der Amerikanischen Revolution 1775, Münster 2001.
3 Ders., Von Chaos und Krieg zu Ordnung und Frieden. Der Amerikanischen Revolution erster Teil, 1775–1783, Berlin 2006.