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Titel
DDR und PLO. Die Palästinapolitik des SED-Staates


Autor(en)
Maeke, Lutz
Reihe
Studien zur Zeitgeschichte 92
Erschienen
Anzahl Seiten
VII, 549 S.
Preis
€ 79,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Hilger, Hamburg

Die vorliegende Studie, eine Leipziger Dissertation von 2015, fügt sich gleich in mehrere aktuelle, wichtige zeithistorische Forschungsfelder ein. So erleben erstens, Debatten über die Beziehungen der sozialistischen zur sogenannten Dritten Welt im Kalten Krieg seit einiger Zeit neue Konjunktur. Hierbei steht unter anderem die Reichweite sozialistischer Agenden und Einflussnahmen in der Dritten Welt auf dem Prüfstein. Damit geht das Bestreben einher, für die internationalen Beziehungen sozialistischer Staaten das Verhältnis zwischen Ideologie und Staatsräson neu zu bestimmen. Vor allem aber werden in derlei Analysen Handlungsspielräume von Akteuren der Dritten Welt selbst genauer ausgelotet. Diese hingen nicht zuletzt von der Geschlossenheit der internationalen Aktivitäten und Ziele der sozialistischen Welt selbst ab. Um diese war es spätestens seit den 1950er-Jahren nicht zum Besten bestellt, zudem mochten auch moskautreuere Parteien mitunter eigene Akzente zu setzen.

Die internationale Politik der DDR ist ein zweiter relevanter Forschungsstrang, für den sich wachsendes Interesse konstatieren lässt. Mit der Frage nach außenpolitischen Freiräumen im Bündnis mit der UdSSR ist nicht zuletzt das Problem der ostdeutschen Manövrierfähigkeit, Flexibilität und Durchschlagkraft im andauernden deutsch-deutschen Konkurrenzkampf von Belang. Er wurde mit besonderem Engagement in der Dritten Welt ausgetragen. Die entsprechenden Aktivitäten beschränkten sich nie auf die staatlich-diplomatische Ebene allein. Ost- wie westdeutsche Offensiven und Offerten zielten immer auch auf gesellschaftliche Gruppen, Wirtschaftskreise, Medien, Künstler, Sportler und internationale bzw. international tätige Nichtregierungsorganisationen. Die historische Analyse von Bedeutung und Profil von derlei nichtstaatlichen Akteuren macht einen weiteren, dritten Kontext aus, in dem die vorliegende Studie zu lesen ist. Zu diesen gesellschaftlichen Handlungsträgern zählen, dies ein vierter Forschungszweig, auch terroristische Akteure und ihre Netzwerke.1

Die vorliegende Studie liefert relevante Einsichten in diese Forschungsfelder. Lücken bleiben vor allem hinsichtlich des Stellenwerts der SED-Nahostpolitik im gesamtsozialistischen internationalen Auftreten. Dies liegt auch daran, dass die Haltung der sowjetischen Führungsmacht selbst mitunter schwankend war oder schlicht noch nicht auf sicherer Aktenbasis erforscht werden kann. Für die Gesamtbilanz wichtiger sind jedoch die Meriten der Darstellung. Es gelingt dem Autor, die Aktivitäten der PLO nicht als reine Reaktionen auf ostdeutsche Maßnahmen, sondern als „doppelte Deutschlandpolitik“ Jassir Arafats sowie als selbstbestimmte Initiativen und Strategien im Nahen Osten zu beschreiben (S. 9). Umgekehrt bettet Maeke Positionen und Politiken der SED bzw. der vermeintlichen gesellschaftlichen Organisationen der DDR gegenüber den Palästinensern in den ostdeutschen Zugang zum Nahen Osten insgesamt ein. Daher diskutiert er nicht nur eine mögliche Instrumentalisierung der Flüchtlingsproblematik oder des Rechts auf Selbstbestimmung für die sozialistische Politik gegen Israel als angeblich imperialistischem Vorposten der USA. Maeke richtet den Blick ebenfalls auf die komplizierten, vielfach widersprüchlichen Beziehungen innerhalb der arabischen Welt selbst. Hier standen über die Jahrzehnte hinweg mal ägyptische, mal jordanische, dann syrische Regionalinteressen palästinensischen nationalen Anliegen und nationalstaatlichen Ambitionen entgegen. Für auswärtige Diplomaten und Parteivertreter war es äußerst schwierig, die entsprechenden dynamischen Konstellationen zu verfolgen. Zudem mussten sie sich mitunter mit Partnern arrangieren, die untereinander in direktem Konflikt standen.

Diese Komplexität galt bereits für die Palästinensische Befreiungsorganisation selbst. Die Organisation setzte sich aus verschiedenen Gruppen mit höchst unterschiedlichen politischen Neigungen zusammen. Die Volksfront zur Befreiung Palästinas beispielsweise gab sich als nahezu ebenso marxistisch wie kommunistische Gruppen. Die Fatah, Arafats eigentliche politische Heimat, stellte dagegen eine vergleichsweise konservative Vereinigung dar. Nicht zufällig hielt man in Ost-Berlin Arafats Aufstieg in der Gesamt-PLO noch 1969 für „eine der schlechtesten Optionen für die weitere Entwicklung der PLO“ (S. 69).

Innerpalästinensische Differenzen verbanden sich mit regionalen Konkurrenzen. Generell war die gesamte Entstehung der PLO in vorderster Linie dem Wunsch arabischer Staaten geschuldet, die eigene Kontrolle in der Region zu wahren. Syrien schuf sich dann Ende der 1960er-Jahre mit der Saiqa ein eigenes Standbein innerhalb der PLO, das als Gegengewicht gegen den neuen starken Mann Arafat gedacht war. Angesichts dieses politisch verminten Terrains war es fast schon ein Gebot außenpolitischer Vernunft, dass sich die DDR im Nahen Osten erst einmal zurückhielt, zumal Moskau für Ostberlin dort zunächst keine besondere Rolle vorzusehen schien. Als Ulbricht 1965 bei einem Ägyptenbesuch vorpreschte und das palästinensische Recht auf Selbstbestimmung einforderte, ohne Implikationen für die Souveränität Israels und arabischer Anrainer zu bedenken, war dies noch ganz der deutsch-deutschen Konkurrenz geschuldet. Bezeichnenderweise blieb Ulbrichts Deklaration für das ostdeutsch-palästinensische Verhältnis einstweilen ohne spürbare Folgen. Mit der Herausbildung einer selbstbewussten und populären Nationalpolitik der PLO ab Ende der 1960er-Jahre sah sich die DDR dann allerdings gezwungen, konkretere politische Leitlinien zu entwickeln. Während Ostberlin auf eine gesamtarabische Palästinapolitik hoffte, wollte man zugleich dafür sorgen, dass sich innerhalb der PLO progressive Kräfte durchsetzen würden.

Mit den Verwerfungen in der Region Anfang der 1970er-Jahre wurde die PLO im gesamten sozialistischen Lager anerkannter Partner. Angesichts der israelisch-ägyptisch-amerikanischen Annäherung erhoffte man sich von ihr längerfristigen Einfluss in der Region. Aus Sicht der DDR sprachen zusätzlich Perspektiven in der deutsch-deutschen internationalen Konkurrenz dafür, die PLO offiziell anzuerkennen. Beide Zielsetzungen implizierten jedoch weiterhin, dass man innerhalb der PLO auch gegen die Fatah progressive Gruppen förderte, mit überschaubarem Erfolg. Ost-Berlin hielt noch 1988 die Ausrufung des Palästinenserstaats für verfrüht, da das Fatah-dominierte Kabinett zu wenig „anti-imperialistisch“ agieren würde (S. 459). Insgesamt verzahnten sich palästinensische Strategien und innerarabische bzw. arabisch-palästinensische Fehden mit deutsch-deutschen Kontakten und den ostdeutschen internationalen Beziehungen schlechthin. Prägnantester, keineswegs einziger Ausdruck dieser Gemengelage waren Rückkopplungen illegaler palästinensischer Aktivitäten mit der DDR-Sicherheits- und Außenpolitik: So verweigerten die USA der DDR Ende der 1980er-Jahre auch deshalb die ersehnte Meistbegünstigungsklausel im Außenhandel, da Washington der SED die Unterstützung terroristischer Operationen unter anderem gegen die Diskothek La Belle vorwarf (1986).
Maekes Studie verfolgt im Detail die Windungen und Wirrungen der West- und Ostpolitik Arafats, regionalpolitische Entwicklungen sowie Umbrüche und Zäsuren westlicher wie östlicher Nahostpolitik. Innerhalb dieser verschachtelten Kontexte zeichnet sie penibel Entscheidungsfindungen und Maßnahmen der DDR-Nahostpolitik nach. Der Autor stützt seine Befunde auf umfangreiche Archivrecherchen vornehmlich in Deutschland. Man merkt der Arbeit eine gewisse Entdeckerfreude an. Diese führt jedoch mitunter dazu, dass die Darstellung recht kleinteilig ausfällt, wodurch der rote Faden der Argumentationen stellenweise verlorengeht. Zudem geraten einzelne Abschnitte wie z.B. die Ausführungen zum Anschlag auf La Belle zu ausführlichen Exkursen, die man hätte deutlich kürzen oder als gesonderte Publikation in Zeitschriften unterbringen können. Auch die Abgleiche zwischen dem Verhältnis der DDR mit der PLO und dem der DDR zur SWAPO scheinen nur bedingt hilfreich, da die bilateralen ostdeutsch-südafrikanischen Beziehungen wiederum in eigenen multiplen Kontexten zu lesen sind. Im Ganzen bietet die Monografie jedoch substanzielle Beiträge zur Diskussion wichtiger Problemstellungen der internationalen Geschichte, von denen viele heute von bedrückender Aktualität sind.

Anmerkung:
1 Als Fallbeispiele für die hier genannten Felder aus der Geschichte der DDR vgl. Klaus Storkmann, Geheime Solidarität. Militärbeziehungen und Militärhilfen der DDR in die „Dritte Welt“, Berlin 2012; Hermann Wentker, Außenpolitik in engen Grenzen. Die DDR im internationalen System 1949–1991, München 2007; Hubertus Büschel, Hilfe zur Selbsthilfe. Deutsche Entwicklungsarbeit in Afrika 1960–1975, Frankfurt am Main 2014; Young-sun Hong, Cold War Germany, the Third World, and the global humanitarian regime, New York 2015.