S. Föllinger: Ökonomie bei Platon

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Titel
Ökonomie bei Platon.


Autor(en)
Föllinger, Sabine
Erschienen
Berlin 2016: de Gruyter
Anzahl Seiten
VIII, 191 S.
Preis
€ 79,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anna Schriefl, Institut für Philosophie, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Für einige Interpreten ist unvorstellbar, dass ein Feingeist wie Platon, der dem Immateriellen höheren Status einräumt als dem Körperlichen, sich für etwas Profanes wie Geld interessieren könnte: In einem komplizierten Passus der Apologie wird Sokrates’ Rede von Geld kurzerhand für metaphorisch erklärt.1 In einer anderen Passage lässt Schleiermacher das Wort in seiner Übersetzung einfach weg.2 Tatsächlich befasst sich Platon in sämtlichen Werkphasen mit dem Themenfeld um Geld und Wirtschaft – angefangen bei Sokrates’ Armut und der Geschäftspraxis der Sophisten über Kephalos und die Besitzregeln in der Politeia bis hin zum Wirtschaftssystem der Nomoi. Doch bisher gibt es nur vereinzelt Beiträge dazu.3 Das hier besprochene Buch von Sabine Föllinger ist die erste eigenständige Studie zu Platons Wirtschaftstheorie überhaupt.

Föllinger muss daher zunächst nachweisen, dass Platon die wirtschaftliche Sphäre als eigenständiges Phänomen begreift und mit einer separaten Theorie bedenkt. Dies erfolgt in der ersten Hälfte des Buches. Zum anderen muss geklärt werden, mithilfe welcher Methodik sich seine Ökonomie am besten rekonstruieren lässt. Dies geschieht in der zweiten Hälfte des Buches, wo die Begrifflichkeit der Neuen Institutionenökonomik (NIÖ) auf Platon angewandt wird. Die NIÖ findet bei der Erforschung der antiken Wirtschaft längst breite Verwendung; mit Blick auf Platon betritt Föllinger dagegen Neuland.

Föllinger setzt sich zunächst mit dem Vorurteil auseinander, Platon verfüge über keine Wirtschaftstheorie, indem sie es in den weiteren Forschungskontext stellt. Lange Zeit dominierten in den Altertumswissenschaften jene Stimmen, die der Antike ein mit der Moderne vergleichbares Wirtschaftssystem und im gleichen Atemzug jegliche ökonomische Reflexion absprachen. Doch während die Erforschung der Antiken Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten große Fortschritte verzeichnete, blieb Platons Ökonomie weitgehend unbeachtet. Einen Hauptgrund sieht Föllinger darin, dass Platons Überlegungen zur Wirtschaft vorschnell als rein normative Forderungen eines abgehobenen Aristokraten oder moralisierenden Philosophen abgetan wurden (S. 26f.). Dabei, so Föllinger, wurde übersehen, dass den Forderungen sachliche Reflexionen auf wirtschaftliche Phänomene vorausgehen. Ein anderer Grund, den Föllinger nicht explizit anspricht, liegt sicher darin, dass seine Ökonomie disziplinenübergreifend analysiert werden muss: Die Textanalyse muss philosophisch fundiert sein und zudem althistorische und ökonomische Erkenntnisse berücksichtigen.

Föllingers positiver Nachweis, dass Platon über Wirtschaft als eigenständiges Phänomen nachdenkt, ist zweifach: Zunächst stellt sie heraus, dass wirtschaftliches Handeln für Platon ein „Spezifikum menschlicher Natur“ ist. Seiner Meinung nach können Menschen (und selbst menschliche Gemeinschaften, S. 34) nicht autark bestehen, sondern sind auf Tausch angewiesen. Hier ist Platons These angesiedelt, dass Märkte zu den konstitutiven Faktoren menschlicher Gemeinschaften gehören.

Zweitens zeigt Föllinger, dass Platon den Märkten ein hohes Maß an Eigendynamik zuschreibt. Allerdings meint er, sie müssten reguliert werden, zunächst aus moralischen Gründen: Da Menschen pleonektische Neigungen haben, die man mit Erziehung nicht vollständig kontrollieren kann, befördern unregulierte Märkte die moralische Korruption der Individuen. Föllinger sieht aber vor allem politische Gründe: Unregulierte Märkte führen nach Platon zu einer gesellschaftlichen Spaltung (S. 44, S. 130). Hier könnte man noch stärker betonen, dass Platon daneben möglicherweise einen ökonomischen Grund geltend macht (wie Föllinger mehrfach andeutet, vgl. S. 43): Er nimmt in den Nomoi den Markt nicht nur als ‚notwendiges Übel‘ in Kauf, sondern strebt ein gut funktionierendes Wirtschaftssystem an, das seinen Zweck möglichst optimal erfüllt. Ein Hinweis findet sich bereits in der gütertheoretischen Fundierung des Staatsentwurfs, wo der Reichtum zu den glückskonstitutiven Gütern zählt (Leg. I 631b–d).

Ein Vergleich mit Adam Smith ergibt, dass Platon vor allem den Glauben ablehnt, das eigennützige Handeln der Marktteilnehmer werde von „unsichtbarer Hand“ zum Gemeinwohl gelenkt (allerdings, so stellt Föllinger heraus, gelingt dies sogar nach Adam Smiths Überzeugung nur unter der Bedingung des moralischen Verhaltens, S. 47). Einig seien sich beide Autoren dafür in der Annahme, dass wirtschaftliches Handeln eigennutzorientiert ist. Damit lässt sich, so Föllinger, auch die verbreitete Annahme entkräften, der homo oeconomicus sei eine Figur der Moderne, der in der Antike der homo politicus oder homo ethicus gegenübersteht (dazu ausführlich Kapitel 6 mit wertvollen Beobachtungen zum Rationalitäts- und Nutzenbegriff).

Unter Rückgriff auf die NIÖ wird sodann Platons ökonomischer Ansatz der Nomoi entschlüsselt. Die NIÖ trägt der Beobachtung Rechnung, dass wirtschaftliches Handeln nicht nur das Resultat rationalen Kalküls ist, sondern auch von sozialen und psychologischen Faktoren beeinflusst wird, zum Beispiel von Kultur, Moral, Charakter und Gesetzen. Diese Beobachtung teilt offenbar auch Platon, der das wirtschaftliche Geschehen in den Nomoi durch ein Geflecht an Gesetzen samt Sanktionen und sittlichen Normen, aber auch durch Überzeugungsleistungen sowie Erziehung steuern will. Die Analyse dieses Geflechts gelingt, so Föllinger, wenn man auf der Grundlage der NIÖ von „Institutionen“ spricht und diese in innere und äußere unterscheidet. Sie stellt fest, dass die Parallelen der NIÖ zu Platons Theorie bis zu den Formulierungen reichen (S. 99).

Unter den einzelnen Institutionen, die Föllinger untersucht, findet der Eid besondere Beachtung (Kapitel 12). Platon verbietet ihn im Kontext des Marktes unter Androhung von Strafe und lehnt damit eine zu seiner Zeit gängige Praxis ab, wo der Eid etwa die Angemessenheit des Preisniveaus und die Warenqualität absichern sollte. Föllingers Analyse zeigt, dass Platons Begründung für das Eid-Verbot nicht nur den Handel im Blick hat, sondern auch den sozialen Frieden, der durch häufigen Meineid gefährdet wird. Wünschenswert wäre an dieser Stelle eine vergleichende Untersuchung mit den Institutionen gewesen, die den Eid auf dem Markt ersetzen (sie werden separat in Kapitel 11.2.4 behandelt).

Der schmale Band erbringt mehrere beachtliche Leistungen. Zunächst wird Platons Ökonomie erstmals umfassend rekonstruiert. Unter Rückgriff auf die NIÖ gelingt eine systematische Einordnung seines ökonomischen Ansatzes, die zugleich die Platon-Forschung methodisch an die althistorische Forschung anschließt. Ferner enthält das Buch äußerst hilfreiche Ressourcen für weitere Untersuchungen. Neben dem Forschungsüberblick zur Antiken Wirtschaft und der Einführung in die NIÖ gehört dazu das begriffliche Instrumentarium zur Textanalyse, vor allem die konsequente Unterscheidung von ‚positiver‘ und ‚normativer‘ Ökonomie (S. 16, S. 29, S. 45). Einige Erträge gehen über Platons Ökonomie hinaus. Aus der Beobachtung, dass Platon wirtschaftliches Handeln zur menschlichen Natur zählt, wird beispielsweise deutlich, dass er weder körperliche Bedürfnisse oder deren Befriedigung noch die Orientierung am Eigennutz generell abwertet (S. 53). Insgesamt bietet das Buch nicht nur eine ausgezeichnete Grundlage für alle weiteren Beschäftigungen mit Platons Ökonomie, sondern wird auch für die Auseinandersetzungen mit anderen antiken Wirtschaftstheorien, etwa denen von Xenophon oder Aristoteles, zu den zentralen Referenzwerken zählen.

Anmerkungen:
1 In Apol. 30b2–4 sagt Sokrates, dass nicht aus Reichtum Tugend entstehe, sondern umgekehrt „aus Tugend Reichtum“. Der Versuch, die schwierige Aussage zu glätten, indem man Sokrates einen metaphorischen Sprachgebrauch unterstellt, scheitert daran, dass Sokrates seine Rede von Geld unmittelbar vorher eindeutig wörtlich meint (vgl. zum Beispiel Myles Burnyeat, Virtues in Action, in: Gregory Vlastos (Hrsg.), The Philosophy of Socrates. A Collection of Critical Essays, London 1971, S. 209–234; Burnyeat revidiert seine Interpretation in einer späteren Publikation).
2 Vgl. Schleiermachers Übersetzung von Rep. IV 442a6–7. Bei Schleiermacher heißt es, der begehrliche Seelenteil sei „seiner Natur nach das unersättlichste“. Tatsächlich schreibt Platon, der begehrliche Seelenteil sei „seiner Natur nach überaus unersättlich nach Geld“.
3 Malcolm Schofield betonte mehrfach, dass bei Platon wirtschaftliches Handeln sowie der menschliche Hang zur Geldgier eine Schlüsselrolle spielen. Auch Anna Greco hat sich wiederholt dem Thema angenommen. Ihre Beiträge wurden in Föllingers Buch nicht berücksichtigt; vgl. On the Economy of Specialization and Division of Labour in Plato’s Republic, Polis 26 (2009), S. 52–72; Natural Inclinations, Specialization, and the Philosopher-Rulers in Plato’s Republic, Ancient Philosophy 29 (2009), 17–43. Weitere Beiträge finden sich in Föllingers Forschungsüberblick.

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