G. A. Brazinsky: Winning the Third World

Cover
Titel
Winning the Third World. Sino-American Rivalry during the Cold War


Autor(en)
Brazinsky, Gregg A.
Reihe
New Cold War History
Erschienen
Anzahl Seiten
425 S.
Preis
€ 37,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Hilger, Deutsches Historisches Institut Moskau

Die Geschichte des Kalten Kriegs bleibt ein wesentlicher Schwerpunkt der internationalen historischen Forschung. Die sogenannte New Cold War History hat es verstanden, dem Thema neuen Schwung zu verleihen. Sie macht es sich zum Anliegen, auf der Basis weltweiter Archivalien Studien zu produzieren, die durch multiperspektivische Zugänge den Kenntnissen weitere Komplexität, Tiefenschärfe und Dimensionen hinzufügen. Die vorliegende Arbeit reiht sich in diese Programmatik ein. Sie ergänzt mit ihrem Fokus auf lange Zeit konkurrierende, ab den 1970er-Jahren in Teilen harmonischere chinesische und amerikanische Bemühungen um Staaten und Gesellschaften der Dritten Welt die breite Literatur zum amerikanisch-chinesischen Verhältnis ab 1945. Zugleich liest sich die Untersuchung als Erweiterung jüngerer Arbeiten über chinesisch-sowjetische Beziehungen sowie über das vielfältige sozialistische Engagement in der sogenannten Dritten Welt.1

In diesen weiteren Kontexten kreist Brazinskys Darstellung um die These, dass es sich beim chinesisch-amerikanischen Ringen um Positionen vor allem in Asien und Afrika um eine Auseinandersetzung über den jeweils eigenen Status in der Welt handelte. Für Peking ging es demnach darum, dem Land wieder zu einem aus eigener Sicht angemessenen Platz in der Welt zu verhelfen und damit zugleich unselige Erinnerungen an die eigene Demütigung durch europäische Mächte auszuradieren. Zum anderen erwies sich, so Brazinsky, die internationale Statuserhöhung als integraler Bestandteil des grassierenden Maokults.

Die USA wiederum ließen es sich angelegen sein, die Ambitionen des Gegenspielers zu durchkreuzen und eigenes Prestige zu mehren (S. 4–9). Beide Seiten nahmen offenbar die Dritte Welt, hier entlang der Dekolonisierungsprozesse zunächst in Asien, dann verstärkt in Afrika, mit den grundsätzlich ergebnisoffenen staatlichen, gesellschafts- wie machtpolitischen Neukonfigurationen als Feld möglicher und besonders attraktiver Statusgewinne wahr. Die Auseinandersetzungen spielten sich in sehr unterschiedlichen Sphären internationaler Beziehungen ab. Auf der Basis intensiver Archivforschungen auch in China beschreibt Brazinsky detailliert chinesische und amerikanische Aktivitäten in der diplomatisch-militärischen, wirtschaftlichen und entwicklungspolitischen Zusammenarbeit mit Staaten der Dritten Welt. Er schlägt hierbei den Bogen von Vorstellungen der 1920er- und 1930er-Jahre bis hin zu den veränderten globalen Konstellationen der 1970er-Jahre. Es ist sicherlich nicht nur mit Blick auf die chinesische Politik problematisch, eine solch gerade Linie von frühen Visionen der Vorkriegsjahre zu konkreten Einzelunternehmungen im Kalten Krieg zu ziehen. Insgesamt jedoch liefert Brazinsky in seiner flüssig geschriebenen Darstellung eine aufschlussreiche Gesamtaufnahme der vielfältigen Instrumente und Ansätze chinesischer wie amerikanischer Außenbeziehungen zu Staaten der Dritten Welt. Die Beschreibung der diplomatischen Bemühungen Pekings, in der Dritten Welt Fuß zu fassen, reichert bisherige Erkenntnisse eher an und richtet sie an der Hauptthese des Autors aus. Von besonderem Wert ist dagegen die Analyse der wirtschaftlichen Beziehungen zu afrikanischen Staaten in den 1960er-Jahren. Die dabei von China vorgenommenen regionalen Schwerpunktsetzungen sowie die Ergebnisse der Zusammenarbeit lassen die Möglichkeiten und Grenzen chinesischer Aktivitäten besonders deutlich erkennen. Zugleich werden in der Gesamtschau Wandlungen gerade der chinesischen Zugänge greifbar. Änderungen im internationalen Auftreten im Allgemeinen und im Umgang mit der Dritten Welt im Besonderen, wie sie in der Phase der friedlichen Koexistenz nach dem Koreakrieg, der neuen Aggressivität ab Ende der 1950er-Jahre und der endgültigen Radikalisierung ab Mitte der 1960er-Jahre erkennbar waren, spiegelten immer auch Pekings innere Machtverhältnisse sowie den Verlauf der eigenen wirtschaftlichen Entwicklung wider. Flächendeckende Maßnahmen konnte das Reich der Mitte ohnehin nie stemmen. Zugleich erweitert Brazinskys Argumentation die Diskussionen um Antriebskräfte der um Einfluss in der Dritten Welt ringenden Staaten überhaupt. Hier drehten sich Debatten bislang vielfach vornehmlich um die vermeintlichen Gegenpole von Ideologie auf der einen Seite und Realpolitik bzw. geostrategischen Überlegungen auf der anderen Seite, spürten wechselseitigen Einflüssen von innen- und außenpolitischen Erwägungen nach oder diskutierten das Verhältnis von nationalen und sozialistischen revolutionären Motivationen.2

Ungeachtet dessen wirft die Lektüre jedoch auch grundsätzliche und konzeptionelle Probleme auf. Die Frage ist, ob die chinesische und amerikanische Außenpolitik durch die ausschließliche Analyse von bilateralen außenpolitischen Entscheidungsprozessen angemessen untersucht und erklärt werden können. Der analysierte Ausschnitt rückt wichtige globale Rahmungen (Kalter Krieg und Dekolonisierung) und innenpolitische Einflüsse auf außenpolitische Entscheidungen im historischen Verlauf sehr, möglicherweise zu sehr in den Hintergrund. Dadurch werden Statusfragen mitunter von dem Problem abgekoppelt, was China mit Positionserhöhungen in Asien und Afrika und aus einer Anerkennung als mitspracheberechtigte Großmacht unter Maos Herrschaft machen wollte. Dies führt zurück zu den gängigen Diskussionen um ideologische, sicherheitspolitische und wirtschaftliche Antriebskräfte, die immer eng mit Statusdebatten verknüpft waren. Auch das chinesisch-sowjetische Verhältnis, ohne dessen stürmische Entwicklung man chinesisch-amerikanische Beziehungen kaum angemessen würdigen kann, war Anfang der 1950er-Jahre sicherlich nicht so einfach, wie es in der Darstellung durchscheint. Auch im Dreieck von USA, UdSSR und China kamen dann wieder Interdependenzen und Wechselwirkungen von Prestige, Sicherheit, Entwicklung und Dominanz zum Tragen.

Schließlich bleiben die tatsächlichen Auswirkungen und damit Erfolge und Misserfolge chinesischer und amerikanischer Manöver in der Dritten Welt sowie die Bedeutung solch konkreter Erfahrungen und Einschätzungen für das jeweilige Prestige vor Ort in weiten Teilen unklar. Das ist besonders dann misslich, wenn Zuschreibungen und Interpretationen von Außen Innenansichten wenig entsprechen. So schreibt Brazinsky dem „egalitären Ethos“ chinesischer Wirtschaftshelfer, die während ihrer Tätigkeit für Kooperations- und Hilfsprojekte durchweg die Härten des einfachen Arbeitslebens vor Ort mit den einheimischen Kräften teilten, Bedeutung für die insgesamt positive Wahrnehmung der chinesischen Wirtschaftskooperationen in Afrika zu (S. 270–303, Zitat S. 301). Doch selbst beim wichtigen Bau der TAZARA-Eisenbahn zeigten sich im direkten chinesisch-afrikanischen Kontakt einerseits klare Friktionen, andererseits die Isolierung der chinesischen Kräfte vor Ort. Damit sind einfache Erfolgsmeldungen zu hinterfragen. In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass es Studierende aus Zanzibar, einem vermeintlichem Paradebeispiel chinesischer Wirtschaftsbeziehungen zu Afrika, vorzogen, Auslandsemester in Osteuropa und eben nicht im Reich der Mitte zu absolvieren.3

Im Ganzen liefert Brazinskys Darstellung wichtige zusätzliche Einblicke in chinesische und amerikanische Aktivitäten in der Dritten Welt und bringt relevante Überlegungen hinsichtlich der entsprechenden Motivationslagen und Zielsetzungen in die Debatte ein. Die erwähnten konzeptionellen Unwuchten lassen sich dabei als Anregung zu weiteren Forschungen verstehen, die die komplexen Beziehungen von China, USA und UdSSR zur Dritten Welt in ihren multiplen Kontexten und Wechselwirkungen in den Blick nehmen.

Anmerkungen:
1 Vgl. hierzu zuletzt Jeremy Friedman, Shadow Cold War. The Sino-Soviet competition for the Third World, Chapel Hill 2015; Austin Jersild, The Sino-Soviet alliance. An international history, Chapel Hill 2016; Silvio Pons (Hrsg.), The Cambridge History of Communism, Vol. 2–3, Cambridge 2017. Als Klassiker weiterhin Odd Arne Westad, The Global Cold War. Third World interventions and the making of our times, Cambridge 2007.
2 Vgl. aus dem Zusammenhang sowjetisch-chinesischer Rivalitäten die gegensätzliche Argumentation von Lorenz M. Lüthi, The Sino-Soviet split. Cold War in the Communist world, Princeton 2008 sowie Sergey Radchenko, Two suns in the heavens. The Sino-Soviet struggle for supremacy, 1962–1967, Washington 2009.
3 Einzelbelege in Christopher J. Lee (Hrsg.), Making a World after Empire. The Bandung Moment and its political Afterlives, Athens 2010, S. 210–221, 251–255.