T. Schanetzky: "Kanonen statt Butter"

Cover
Titel
"Kanonen statt Butter". Wirtschaft und Konsum im Dritten Reich


Autor(en)
Schanetzky, Tim
Reihe
Die Deutschen und der Nationalsozialismus
Erschienen
München 2015: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
272 S., 5 Abb.
Preis
€ 16,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gustavo Corni, Dipartimento di Lettere e Filosofia, Università degli Studi di Trento

Der Band ist Teil einer von Norbert Frei herausgegebenen Buchreihe, die auf originelle Art und Weise „eine Erfahrungsgeschichte der deutschen Gesellschaft“ darstellen will, und zwar „nah an den Menschen und in einer Sprache, die die Lebensrealität unter dem Hakenkreuz begreiflich macht”. Tim Schanetzky kommt mit seinem Buch diesem Ziel sehr nahe. Er verbindet makrohistorische Daten und Analysen mit Fragmenten der subjektiven und der Alltagsbetrachtung, die Verhaltensweisen von Männern und Frauen in dieser Zeit reflektieren.

Das Thema ist breit angelegt, jedoch mit einem ganz eigenen Zuschnitt. Schanetzky untersucht die Verbindungen zwischen unterschiedlichen Politikansätzen. Auf der einen Seite sind das die Bemühungen, die der Wiederbewaffnung dienen und von einer zunehmenden Spirale der Gewalt (zuerst in Friedenszeiten und dann verstärkt im Krieg) begleitet sind; auf der anderen solche, die eine solide Grundlage für die individuellen Konsumbedürfnisse der Bevölkerung bieten und gleichzeitig die Erwartungen erfüllen und den Konsens mit dem neuen Regime stärken sollen. Die Zusammenhänge, die der Autor dabei in den Vordergrund rückt, bilden das Novum seines Ansatzes: Er spannt den Bogen vom skrupellosen Vorgehen in der ersten Phase nach der Machtergreifung, das darauf abzielte, Juden aus dem bürokratischen Apparat und den Spitzenpositionen der Wirtschaft zu entfernen, bis zur Arbeitsbeschaffungspolitik – wie etwa dem Autobahn-Plan; von den Plänen für den Volkswagen, den Volksempfänger oder einer Volkswohnung zur erbarmungslosen „Arisierung“; von der Ausbeutung der Zwangsarbeiter zur Erhaltung (bis fast in die letzten Kriegsmonate hinein) guter Standards der Lebensmittelversorgung für die Zivilbevölkerung im Reich.

Was dabei herauskommt, ist eine Mischung aus „Butter“ und „Kanonen“. Diese trägt im Kern die gewaltsame Unterdrückung derer in sich, die in den Augen des Regimes nicht Teil der Volksgemeinschaft waren. Das Buch bietet auch die Erzählung einer engen Wechselbeziehung zwischen Regime und Bürgern, wobei die Grenze zwischen Konsens und Gewaltausübung oft fließend ist. Das Regime verfolgt seine Ziele, die nach Ansicht des Autors von Anfang an kriegerisch und auf Expansion ausgerichtet sind, mit einer Politik der Vereinnahmung der Bevölkerung mittels gut orchestrierter Pläne zur Förderung des privaten Konsums. So schreibt Schanetzky in seinen Schlussfolgerungen: „Hitlers Priorität hatte von Anfang an auf Kanonen statt Butter gelegen, und nur mit den Mitteln einer skrupelloser Raub- und Mordökonomie ließ sich der karge Lebensstandard der Deutschen zuletzt überhaupt noch aufrechterhalten.” (S. 243)

Trotzdem liegt das Hauptaugenmerk auf der Beteiligung einer großen Anzahl von Bürgern an den Unterdrückungsmaßnahmen. Das zweite Unterkapitel trägt den Titel „Moralischer Zusammenbruch“ und handelt von dem allgemeinen Nachgeben der Eliten in Industrie, Bankensektor und Handel gegenüber dem von der neuen Regierung Hitler ausgeübten Druck, mit dem diese sich jüdischer Aufsichtsräte und Führungskräfte entledigen wollte – wobei dieser Druck zum damaligen Zeitpunkt keine Rechtsgrundlage hatte.

Das Regime, so schreibt der Autor, war „von der Zustimmung der Deutschen abhängig“. Für diese Zustimmung gab es laut Schanetzky vor allem wirtschaftliche Gründe: die Bevorzugung der Interessen der wohlhabenden Schichten, die Förderung der Unternehmergewinne durch die Unterdrückung der Gewerkschaften und der sozialen Konflikte. Des Weiteren bekam auch der Mittelstand garantierte Möglichkeiten zum Erwerb von Wohnungen oder von Handels- und Industrieunternehmen (dank „Arisierung“) zu besonders günstigen Preisen. Breite Bevölkerungsschichten hatten die Aussicht auf den Erwerb von begehrten Konsumgütern, wie etwa dem Automobil, die bis dahin den Eliten vorbehalten waren. Die Liste reicht bis hin zur Garantie ausreichender Lebensmittelrationen, als rundherum bereits Zerstörung, Hunger und Tod herrschten. Man könnte dieser Argumentation entgegenhalten, dass Schanetzky ideologische Motive oder auch andere Faktoren, wie etwa den manipulativen Einsatz der Propaganda, vernachlässigt hat, die bei der dauerhaften Konsensbildung eines Teils der Bevölkerung mit Hitler eine erhebliche Rolle spielten. Das Buch hat jedoch einen anderen Ansatz, den der Autor konsequent verfolgt.

Dabei spielt es keine entscheidende Rolle, dass von den großen Entwürfen viele gescheitert sind oder wenig Konkretes erbracht haben. Einige der Beispiele, die der Autor aufführt, wie die 1933 umgesetzten Pläne zur Arbeitsbeschaffung endeten mit quantitativ bescheidenen Resultaten. Die anspruchsvollen Versprechungen, Konsumgüter wie Autos, Kühlschränke, Radio- und Fernsehapparate zu erschwinglichen Preisen zur Verfügung zu stellen, hatten nur auf dem Papier Bestand. Der durchschnittliche Lebensmittelverbrauch stieg im Vergleich zu den goldenen Jahren der Weimarer Republik nur wenig an. Der vom Regime ins Leben gerufene Sozialstaat gründete mehr auf Solidarität und Opferbereitschaft (Winterhilfe) als auf staatlichen Ressourcen. Alles trug zur „Stiftung von Gemeinschaft“ bei (S. 69). Was jedoch zählte, war die „subjektive Wahrnehmung“ (S. 71). Und die noch frische Erinnerung an die Krisenjahre 1929–1933 beeinflusste diese mehr als die kühle Analyse der statistischen Zahlen. „Zwar blieb der Lebensstandard der Deutschen auch im Aufschwung relativ niedrig. Aber unter dem Eindruck der wirtschaftlichen Krisenjahre zählte neben der Überwindung der größten Not vor allem, dass es überhaupt aufwärts ging.” (S. 96)

Schanetzky widmet der Analyse der Agrarpolitik viel Raum und beurteilt sie letztlich als „Desaster“ (S. 141); ihrer strukturell bedingten Begrenztheit konnte man in den Augen der nationalsozialistischen Führungselite in Friedenszeiten nur durch verstärkte Importe und später, während des Kriegs, durch die radikale Ausbeutung der besetzten Gebiete entkommen.

Hitler beschleunigte zugleich schon in den ersten Monaten nach der „Machtergreifung“ die Wiederbewaffnung und die Kriegsvorbereitungen. Diese Dynamik fand die volle Unterstützung der Finanzwelt und der Industrie. Der Wiederbewaffnungsprozess erstreckte sich noch bevor der Krieg ausbrach auch auf das Ausland – und ging insbesondere mit dem von Schacht ausgearbeiteten „Neuen Plan“ in eine unablässige „Flucht nach vorn“ über. Das Scheitern vieler Volksprodukte verdeutlichte dabei die „Einschränkungen der Rüstungsökonomie“ (S. 114).

Nach Kriegsbeginn kamen zur Wiederbewaffnung weitere große, wenn auch nur zum Teil verwirklichte Pläne hinzu, die eine hemmungslose Ausbeutung des bereits eroberten Großraums und des Territoriums vorsahen, das man noch besetzten wollte. Mehr oder weniger formalisierte Einverleibungen von Unternehmen in den besetzten Gebieten, die „Arisierungen“, der buchstäbliche Raub an den verfügbaren Ressourcen sowie die skrupellose Plünderung der besetzten Gebiete mit einer geplanten Hungerpolitik bildeten die einzige Möglichkeit, um eine angemessene Lebensmittelrationierung für die Reichsbürger aufrecht zu erhalten. Die Nachkriegsplanung, der Schanetzky ein umfangreiches Unterkapitel (S. 175ff.) widmet, beinhaltete für die unterworfenen Völker noch weitreichendere und schrecklichere Vorhaben. Alle oder jedenfalls viele zogen ihre Vorteile, wenn auch unterschiedlicher Natur, aus dieser Eroberungs- und Plünderungspolitik: von den Parteibonzen bis zu den Unternehmern, die Militärs an der Kriegsfront ebenso wie die Bürger an der Heimatfront. „Für die Haushalte der meisten Deutschen brachte der Krieg steigende Einkommen.” (S. 196)

Das letzte Kapitel ist der Endphase des Kriegs gewidmet, der Wende des Kriegsverlaufs zwischen 1942 und 1943, während der die strukturellen Schwächen sowohl der Aufrüstung als auch des vermeintlichen Aufbaus einer Konsumgesellschaft zum Vorschein kamen. Der Lebensstandard fiel nun deutlich ab und der Staat zeigte sich unfähig, die vorherige soziale Fürsorge zu garantieren. So mussten die Deutschen am eigenen Leib erfahren, dass Rüstungs- und Versorgungswunder nur solange bestanden, wie Plünderung, Gewalt und die Ausbeutung der anderen Völker funktionierten.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es das Verdienst dieses Buches ist, mit umfassender Kenntnis und auf überzeugende Weise das Thema Konsum in den Mittelpunkt der Geschichte des Dritten Reichs gerückt zu haben, und zwar als ein „dezidiert politisches Programm, das die Volksgenossen für den NS-Staat gewinnen sollte“ (S. 142). Dieses Programm wird der Aggressions- und Ausbeutungspolitik, aber auch der Alltagserfahrung der Reichsbürger gegenübergestellt. Der Schreibstil des Autors ist dabei hilfreich für ein besseres Verständnis eines nicht einfach zu fassenden Themas, da er es auch einem breiten Publikum zugänglich macht.

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