M. Föllmer: Kultur im Dritten Reich

Cover
Titel
„Ein Leben wie im Traum“. Kultur im Dritten Reich


Autor(en)
Föllmer, Moritz
Reihe
Die Deutschen und der Nationalsozialismus
Erschienen
München 2016: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
288 S., 5 Abb.
Preis
€ 16,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Karl Christian Führer, Historisches Seminar, Universität Hannover

Auf der Rückseite des Buches wird dem Leser „eine moderne Kulturgeschichte des Dritten Reichs“ versprochen. Zudem soll es als Teil einer von Norbert Frei herausgegebenen Publikationsreihe mit dem Titel „Die Deutschen und der Nationalsozialismus“, die aus insgesamt sieben Bänden verschiedener Autor/innen besteht, zu einer „Erfahrungsgeschichte der deutschen Gesellschaft“ in den Jahren von 1933 bis 1945 beitragen. Erläuterungen zum Konzept dieser Reihe oder zum Begriff der „Erfahrungsgeschichte“ sucht der Leser im Buch selbst dann allerdings vergebens. In seiner eigenen kurzen Einleitung verwendet Moritz Föllmer diesen Begriff nicht. Er betont die starke politische Prägung des deutschen Kulturlebens nach 1933. Nicht inhaltliche Merkmale oder stilistische Formen, sondern vor allem der enge Zusammenhang von Kultur und „Politik, Gesellschaft und Kriegführung“ charakterisiere die deutsche Kultur in der NS-Zeit. Aufgrund ihrer starken politisch-ideologischen Prägung gilt Kultur dem Autor zudem als Teil der „Dynamik, die das Regime entfaltete“ (S. 10).

In fünf chronologisch vorgehenden Kapiteln dienen diese Grundgedanken als eine Art roter Faden in der Darstellung, die von einem weit gefassten Kulturbegriff ausgeht und dementsprechend zahlreiche verschiedene Aspekte thematisiert. Bereits für die späte Weimarer Republik spricht Föllmer von einer kulturellen „Anziehungskraft“ der NSDAP für zahlreiche deutsche Bildungsbürger, die auch im gewandelten sozialen Klima der krisengeschüttelten Republik verbissen an ihrer traditionellen kulturellen Definitionsmacht festhielten und so für den extremen Nationalismus der Partei und ihre „Ästhetik der Gewalt“ anfällig wurden (S. 37). Der in dieser Schicht tief verwurzelte Stolz auf die nationalen Kulturtraditionen gewann so einen neuen aggressiven Charakter.

In den Jahren nach 1933 strebte die Partei gezielt danach, den Nationalsozialismus als kulturelle Synthese zu präsentieren, die „völkische, bürgerliche und populäre Strömungen“ integrierte (S. 63). Nach der rasch und problemlos durchgesetzten antisemitischen Säuberung sowohl des Repertoires als auch des Kreises der Kulturschaffenden blieben bürgerliche Traditionen im Theater- und Konzertleben weitgehend unangetastet. Gleichzeitig aber arbeitete die Diktatur durchaus erfolgreich an einer sozialen Öffnung des deutschen Kulturlebens. Die 12.000 Opernaufführungen, die 1938 zu reduzierten Eintrittspreisen von Mitgliedern der „Deutschen Arbeitsfront“ besucht wurden, waren nur ein Teil dieser Bemühungen.

Seit 1937/38 prägte die rassistische Komponente der nationalsozialistischen Gedankenwelt dann das Kulturleben immer stärker. Im Bereich der Wissenschaften wurden „rassenkundliche Forschungen“ massiv gefördert; die Ausstellung „Entartete Kunst“ verbreitete mit großem Publikumsecho antisemitische Botschaften; zahlreiche Spielfilme dienten der ideologisch-ästhetischen Kriegsvorbereitung. Diese geistige Saat entfaltete nach Föllmer im Zweiten Weltkrieg breite Wirkungen. Heimatbriefe von Soldaten etwa belegen eine „Dehumanisierung“ von Juden und Polen und damit eine ideologische Radikalisierung (S. 174). In Deutschland dienten Kunst und Kultur nun konsequent dazu, den Krieg sowohl zu legitimieren als auch mental zu kompensieren. Außerhalb der deutschen Grenzen präsentierte sich das „Dritte Reich“ – wie Föllmer am Beispiel von Frankreich zeigt – durchaus erfolgreich als große Kulturnation, die Europas Zukunft gestalten werde. Das letzte Kapitel mit dem Titel „Kultur der Zerstörung“ schließlich skizziert den Niedergang des deutschen Kulturlebens nach 1943. Diese Zerstörung ließ von der „kulturellen Synthese“ der frühen NS-Jahre nur noch Rudimente übrig – was es nach der Niederlage paradoxerweise dann leichter machte, das deutsche Kulturleben fortzuführen, als sei nichts Gravierendes geschehen. In einem kurzen Schlusswort betont Föllmer noch einmal die ideologisch integrative und damit systemstabilisierende Wirkung, die Kunst und Kultur im nationalsozialistischen Deutschland hatten. Ein Personenregister und eine knapp gehaltene Auswahlbibliografie vervollständigen den Band.

Im Rahmen dieses Überblicks berührt die Darstellung viele verschiedene Aspekte. Beispielhaft sei hier das dritte Kapitel über die letzten Vorkriegsjahre angeführt (S. 113–161): Es informiert unter anderem über den Einfluss von Heinrich Himmler auf wissenschaftliche Disziplinen wie etwa die Archäologie und die „Rassenkunde“, über die pompösen nationalsozialistischen Stadtbauplanungen für die deutschen Großstädte und über die Kolonialbestrebungen der NSDAP. Ebenfalls Eingang in das Kapitel finden das Pogrom vom 9. November 1938, das Föllmer als Teil der NS-spezifischen „Kultur des öffentlichen Spektakels“ bezeichnet (S. 127), und die Ausstellung „Entartete Kunst“. Des Weiteren werden die Haltung der Bevölkerung zu dem immer deutlicher drohenden Krieg, der Nationalsozialismus in Österreich vor und nach dem „Anschluss“ des Landes sowie auch die kulturelle Selbstdarstellung des „Dritten Reiches“ in politisch verbündeten Nationen wie Italien und Japan dargestellt. Etwa zehn Seiten über die Ausgrenzung und Verfolgung der deutschen Juden sowie über deren Bemühungen um kulturelle Selbstbehauptung schließen das Kapitel ab. Ähnlich reichhaltig präsentieren sich auch die anderen Kapitel. So behandelt Föllmer etwa kulturelle Aktivitäten in den frühen Konzentrationslagern oder auch Werk und Einfluss exilierter deutscher Künstler in den Ländern, in denen sie Zuflucht gefunden hatten.

Zu erwähnen bleibt eine Besonderheit des Buches: Am Anfang jedes Kapitels findet sich die Abbildung einer historischen Fotografie, die der Autor ausführlicher beschreibt, analysiert und kontextualisiert. Im dritten Kapitel etwa handelt es sich um ein Propaganda-Foto von einem Festzug, der im Juli 1938 unter dem Motto „2000 Jahre Deutsche Kultur“ in München stattfand. Föllmer deutet diese Veranstaltung, die eine „rassische“ Einheit der deutschen Geschichte suggerierte, als Teil der Bemühungen der NSDAP um eine stärkere genuin nationalsozialistische Prägung des deutschen Kulturlebens. In anderen Abschnitten funktioniert dieser Einstieg über ein Bild weniger gut. Von dem Werbefoto für die DAF-Urlaubsangebote etwa, auf dem junge Menschen in dramatischer Berglandschaft die Füße hochlegen, das Kapitel II eröffnet, führt nur ein recht gewundener Pfad zum Streben der Nationalsozialisten nach einer „kulturellen Synthese“, das im Zentrum dieses Kapitels steht.

Als Überblick über ein komplexes und intensiv untersuchtes Forschungsfeld kann Föllmers elegant geschriebene und differenziert argumentierende Darstellung uneingeschränkt empfohlen werden. Allerdings sollte sich der Leser/die Leserin darauf vorbereiten, dass dieses Buch als Ganzes gelesen werden möchte und sollte. Als Referenz für rasche, punktgenaue Informationen taugt es wegen des häufig assoziativen Vorgehens im Rahmen einer Chronologie eher nicht. So informiert Föllmer selbstverständlich durchaus ausführlich über zentral wichtige und charakteristische NS-Propagandafilme wie etwa „Die große Liebe“, „Jud Süß“ oder auch „Ich klage an“ und „Kolberg“; dies geschieht aber in jeweils verschiedenen Abschnitten des Buches, die auch nicht über das Inhaltsverzeichnis gezielt zu identifizieren sind. Für den Geschmack des Rezensenten sollte in einer „modernen Kulturgeschichte“ zudem doch mehr von Ökonomie und den sozial geprägten Möglichkeiten, am Kulturleben teilzunehmen, die Rede sein, als es hier der Fall ist. Dennoch ist die Lektüre lohnend und anregend.

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