T. Fischer u.a.: Geschichte in Film und Fernsehen

Cover
Titel
Geschichte in Film und Fernsehen. Theorie – Praxis – Berufsfelder


Autor(en)
Fischer, Thomas; Schuhbauer, Thomas
Reihe
Public History – Geschichte in der Praxis 4661
Erschienen
Tübingen 2016: A. Francke Verlag
Anzahl Seiten
V, 198 S.
Preis
€ 16,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Stallmann, Frankfurt am Main

Thomas Fischer und Thomas Schuhbauer haben es sich zur Aufgabe gemacht, in ihrem knapp 200-seitigen Lehrbuch über „Geschichte in Film und Fernsehen“ das nötige Handwerkzeug für Analyse und Medienpraxis zu liefern. Die Gliederung ist zweigeteilt. Der erste Teil von Thomas Fischer (ehemaliger SWR-Redaktionsleiter) befasst sich mit dem audiovisuellen Erzählen, während Thomas Schuhbauer (TV-Produzent für nonfiktionale Inhalte) sich für den zweiten Teil „Praxis Geschichtsfilm“ verantwortlich zeigt. Einerseits sollen der Leserschaft „eine sinnvolle Typisierung von Geschichtsfilmen“ und „passende Werkzeuge sowie Kriterien zu deren Analyse“ geboten, anderseits ein „Einblick in die Arbeitswelt der Geschichtsfilmproduzenten“ ermöglicht werden (S. 1).

Die bündige Einleitung stellt zunächst den Forschungsstand in interdisziplinärer Perspektive vor und thematisiert zentrale Begrifflichkeiten wie Erinnerungskultur und kulturelles Gedächtnis. Der geschichtswissenschaftliche Forschungsstand fällt eher knapp aus und blendet zahlreiche neuere (aber auch ältere) Veröffentlichungen zum Themenkomplex Geschichte in Film und Fernsehen aus. Da der in Einführungsbüchern zur Verfügung stehende Raum zugegebenermaßen begrenzt ist, hätten zumindest bei der weiterführenden Literatur einschlägige geschichtswissenschaftliche Veröffentlichungen von beispielsweise Cordia Baumann, Andrea Brockmann, Sabine Horn oder Mark Rüdiger als Orientierungshilfe eine Erwähnung finden können.1 In den zurückliegenden Jahren war die Forschung im Bereich „Audio Visual History“ viel stärker in Bewegung, als es der Forschungsstand suggeriert.

Im Kapitel zum audiovisuellen Erzählen nimmt Fischer die Leserschaft an die Hand und führt anschaulich die Omnipräsenz von Erzählungen vor Augen. Geschichtssendungen greifen dabei für ihre eigene Erzählung auf vergangene Erzählungen zurück. „Audiovisuelle Geschichte“, so der Autor, „macht in ihren Erzählungen vergangene Lebenswelten wieder sicht- und hörbar“ (S. 21). Um dies zu illustrieren, geht Fischer zunächst auf Fernseh- und Spielfilme ein, um in Anschluss die Genre Doku-Drama sowie Dokumentarfilm zu thematisieren. Als Typisierung schlägt er eine Unterscheidung zwischen szenischen und dokumentarischen Erinnerungs- und Historienfilmen vor. Während bei szenischen und dokumentarischen Erinnerungsfilmen die erzählte Zeit innerhalb des „Erinnerungshorizonts der Zuschauer“ liege, sei dies bei den szenischen und dokumentarischen Historienfilmen nicht mehr der Fall. Szenische Erzählung berichteten des Weiteren von „möglichen historischen Welten“, während das dokumentarische Pendant von „tatsächlichen historischen Welten“ erzähle. Im Gegensatz zum dokumentarischen Erinnerungsfilm erschaffe der dokumentarische Historienfilm jedoch mithilfe von beispielsweise Reenactments auch „mögliche historische Welten“ (Tabelle auf S. 31f.).

Eine solche Einteilung setzt die Erfahrungs- und Erinnerungswelt der Mitlebenden als Grenze zwischen den Erinnerungs- und Historienfilmen an, wobei der zeitliche Abstand zur Gegenwart mit 80 bis 100 Jahren angegeben wird. Auf diesem Wege ist zwar eine leichte Einteilung der Filmtypen möglich, jedoch gerät mit ihr auch die Heterogenität der Rezipienten aus dem Blick. Historienfilme nehmen laut Fischer „ferne Lebenswelten“ in den Blick, die „nichts zur autobiografischen Selbstvergewisserung beitragen können“ (S. 36). Für das größtenteils junge Zielpublikum des Buches dürften beispielsweise die Nachkriegszeit oder selbst die Protestjahre um 1968 eine solch ferne Lebenswelten darstellen, während sie für ihre Eltern und Großeltern eine ganz andere autobiografische Funktion einnehmen. Geschichtsfilme und Fernsehsendungen erinnern nicht gesamtgesellschaftlich an historische Ereignisse oder Phänomene, sie sind lediglich partielle Vergangenheitsaktualisierungen. Sinnvoller erscheint es daher, die Filmtypen stärker anhand ihres Geltungsanspruchs zu unterscheiden: Behaupten sie Ähnlichkeiten mit der Vergangenheit oder haben sie den Anspruch, die „reale“ Vergangenheit abzubilden? Stellen sie also eine Wirklichkeitserzählung dar – oder nicht?2

Im Folgenden nimmt Fischer durchaus diese Perspektive ein und thematisiert vertiefend die Unterscheidungsmöglichkeiten von faktualen und fiktionalen Erzählungen. „Faktuales Erzählen“ stellt hierbei eine Erzählung dar, welche sich „eng an historische Ereignisse“ anlehnt. Beim „fiktionalen Erzählen“ in Geschichtsfilmen sind trotz der authentischen Konstruktion einer historischen Epoche die Ereignisse und handelnden Personen hingegen erfunden (S. 37). Anhand zahlreicher Filmbespiele wird das Geschilderte untermauert und gleichzeitig auf die historische Dimension der Filmproduktionen im 20. Jahrhundert eingegangen. Auf knappem Raum wird ein Panoramabild gemalt, welches von der Geschichte des Historienfilms über Authentizität im Erinnerungsfilm bis hin zu Erinnerungsdiskursen um die Zeit des Nationalsozialismus reicht. Jene, die sich zum ersten Mal mit den angesprochenen Thematiken auseinandersetzen, erhalten einen guten Einstieg, der zur vertiefenden Auseinandersetzung anregen dürfte. Im Anschluss wird das Geschichtsfernsehen thematisiert. Auch hier wird die historische Dimension in Augenschein genommen, um dann auf den Programmauftrag Geschichte einzugehen. Seit den 1990er-Jahren sei das Fernsehen dabei zum „Dienstleister der kollektiven Erinnerung“ geworden (S. 67). Die Geschichte des Dokumentarfilms unterteilt Fischer in eine Phase des Erklärens und eine anschließende Phase des Erzählens. Ab den 1980er-Jahren sei das moderne audiovisuelle Erzählfernsehen aufgekommen. „Das Erfolgsrezept vieler Filmemacher lautete jetzt: Lebensweltliche Geschichten statt Staatsaktionen, Nahsicht statt Fernsicht, Erzählen statt Erklären, Zeitzeugen statt Experten.“ (S. 72)

Die folgenden Seiten nehmen den dokumentarischen Erinnerungsfilm und Historienfilm in den Blick. Prägnant werden der Leserschaft die zentralen Bestandteile beider Dokumentationsformate vorgestellt, welche jeweils Authentizität generieren sollen. Einerseits sind dies Archivmaterial, Neudrehs, Zeitzeugen, Experten, ein Voice-Over-Erzähler, Karten und 3D-Animationen, anderseits sind dies ebenfalls 3D-Animationen sowie archäologische Überreste und wissenschaftliche Experten. Da ferne Lebenswelten häufig anhand von Reenactments in Szene gesetzt werden, problematisiert Fischer zudem die Tendenz zu fiktionalen Historiendokus. Im abschließenden Unterkapitel wird das Verhältnis von Geschichtswissenschaft und Geschichtsfilm in den Blick genommen, wobei vor allem die unterschiedlichen Erzählweisen und Erzählinhalte beschrieben werden. Um Studierenden den Zugang zum Untersuchungsgegenstand zu erleichtern, werden am Ende des Kapitels verschiedene Analyseschritte dargeboten, wobei insbesondere die erkenntnisleitenden Fragen hilfreich sein dürften.

Im zweiten Teil steht die Produktionspraxis im Zentrum. Der Schwerpunkt liegt hierbei vor allem bei den Geschichtsdokumentationen, so dass der Spielfilm deutlich in den Hintergrund tritt. Thomas Schuhbauer beschreibt zunächst anschaulich Themenfindungs- und Stoffentwicklungsprozesse sowie die Ideenvermarktung. Der Leserschaft wird die Perspektive eines Praktikers präsentiert, der im Folgenden darlegt, worauf es beim Schreiben eines Treatments ankommt: „einer gründlichen Recherche von Zeitzeugen, Experten, Archivmaterialien, Dokumenten und Schauplätzen“ (S. 116). Durch den Abdruck von Treatment- und auch Drehbuchbeispielen erhält man einen guten Eindruck von der Arbeitspraxis der Filmemacherinnen und Filmemacher. Schuhbauer gibt dem filmischen Nachwuchs zudem zahlreiche Tipps und Hilfestellungen. So empfähle es sich beispielsweise, bei Zeitzeugeninterviews nur ein kleines Drehteam zu verwenden, um eine möglichst intime Erzählsituation zu gewährleisten. Beim Text solle man „Informationen liefern, die das Bild ergänzen statt von ihm wegführen; erzählen statt erklären, aktiv statt passiv formulieren“ (S. 124). Beim Lesen wird die Komplexität des Produktionsprozesses deutlich, unzählige Entscheidungen gilt es zu treffen: Was soll der Zuschauerschaft erzählt werden? Was sind argumentative und emotionale Ziele der Dokumentation? Wie werden Haupt- und Nebenfiguren charakterisiert? Was sind die grundlegenden roten Fäden?

Bei der Thematisierung der „Bausteine der historischen Dokumentation“ tritt jedoch ein gewisser Wiederholungseffekt ein, etliches hat man bereits im ersten Teil des Buches gelesen: beispielsweise, wenn abermals erklärt wird, was ein Reenactment ist oder auf die Funktion von Experten eingegangen wird. Interessant ist es, etwas über die zur Verfügung stehenden Budgets zu erfahren. Eine Dokumentation auf dem Sendeplatz „ZDF history“ schlägt etwa mit 60.000 Euro zu Buche, während „Terra X“ mit durchschnittlich 270.000 Euro budgetiert ist (vgl. S. 150). Des Weiteren zeigt Schuhbauer anhand eigener Erfahrungen auch Probleme bei der Produktion auf und benennt mögliche Schätze, die in unterschiedlichen Archiven schlummern. Den Kapitelabschluss bildet die Thematisierung von rechtlichen Fragen und Bestimmungen. In einem kleinen Extrakapitel werden darüber hinaus noch mögliche Berufsfelder vorgestellt.

Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass der Band seinen Zweck erfüllt. Studierenden wird ein ansprechender Einstieg in die Thematik „Geschichte in Film und Fernsehen“ geboten. Dadurch, dass zwei Praktiker des Geschichtsfernsehens das Buch verfasst haben, erhält man einen guten Eindruck von Arbeitsweisen und Zielsetzungen. Auf der analytischen Seite wird man in Zukunft weiterhin auf die etablierten Standardwerke zur Film- und Fernsehanalyse zurückgreifen3, da man im vorliegenden Buch vielmehr etwas über Genreentwicklungen und Filmbausteine erfährt als über das analytische Handwerkszeug. Dennoch ist dem Buch zu wünschen, dass es viele Studierende dazu anregt, Geschichte in Film und Fernsehen als spannende Untersuchungsgegenstände zu entdecken.

Anmerkungen:
1 Siehe etwa Cordia Baumann, Mythos RAF. Literarische und filmische Mythentradierung von Bölls „Katharina Blum“ bis zum „Baader-Meinhof-Komplex“, Paderborn 2012; Andrea Brockmann, Erinnerungsarbeit im Fernsehen. Das Beispiel des 17. Juni 1953, Köln 2006; Sabine Horn, Erinnerungsbilder. Auschwitz-Prozess und Majdanek-Prozess im westdeutschen Fernsehen, Essen 2009; Mark Rüdiger, „Goldene 50er“ oder „Bleierne Zeit“? Geschichtsbilder der 50er Jahre im Fernsehen der BRD, 1959–1989, Bielefeld 2014.
2 Siehe weiterführend hierzu Christian Klein / Matías Martínez (Hrsg.), Wirklichkeitserzählungen. Formen und Funktionen nicht-literarischen Erzählens, Stuttgart 2008.
3 Insbesondere Knut Hickethier, Film- und Fernsehanalyse, Stuttgart 2012; Lothar Mikos, Film- und Fernsehanalyse, Konstanz 2008.