O. Rosenboim: The Emergence of Globalism

Cover
Titel
The Emergence of Globalism. Visions of World Order in Britain and the United States 1939–1950


Autor(en)
Rosenboim, Or
Erschienen
Anzahl Seiten
IX, 338 S., 9 Karten
Preis
£ 31.95; $ 37.50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan Eckel, Seminar für Zeitgeschichte, Eberhard Karls Universität Tübingen

Dass die 1940er-Jahre eine Phase des intensiven Nachdenkens über die Möglichkeiten einer tragfähigen globalen Ordnung darstellten, ist in den Forschungen zu internationalen Politikfeldern und internationalen Organisationen wie auch zu den alliierten Planungen für die Nachkriegszeit zuletzt immer wieder in den Blick getreten. Diesen Diskurs für den angelsächsischen Raum umfassend zu erschließen, ist das Verdienst des klugen, lesenswerten Buches von Or Rosenboim, das aus ihrer an der Universität Cambridge entstandenen Dissertation hervorgegangen ist. Ein Reiz der Studie liegt darin, dass sie illustre Gelehrte und randständige Akademiker, brillante Theoretiker und seichte (aber öffentlichkeitswirksame) Plauderer gleichrangig nebeneinander versammelt, die sich alle an der polyphonen Debatte beteiligten. Raymond Aron, Friedrich Hayek, Jacques Maritain und David Mitrany meldeten sich ebenso zu Wort wie Clarence Streit, H.G. Wells oder – als eine der offenbar wenigen Frauen – Barbara Wootton. Viele der Beiträger, unter denen sich zahlreiche europäische Exilanten befanden, nahmen ihre Schriften gegenseitig zur Kenntnis und standen mitunter sogar in direktem Austausch.

Rosenboim orientiert sich an diesen Figuren, die sie als „public intellectuals“ versteht, ohne sie im engeren Sinne biographisch zu untersuchen. Ihr Fokus liegt auf der Exegese der Texte, und so stützt sie sich vor allem auf publiziertes Schrifttum, wenngleich sie einige Nachlässe ausgewertet hat. Auch die öffentliche und politische Rezeption bleibt weitgehend ausgespart. Die Protagonisten ordnet Rosenboim verschiedenen Themen- oder Wissensfeldern zu, nach denen die Kapitel gegliedert sind. So geht es um die Neukonzeption des Staates unter den Bedingungen globaler Politik (Aron, Mitrany, E.H. Carr), um Debatten in Geographie und Geopolitik (Owen Lattimore, Nicholas Spykman), föderalistisches Denken und dessen Verhältnis zur Kolonialherrschaft (Lionel Curtis, Clarence Streit und die britische Federal Union), die Idee einer Weltverfassung, die bereits auf den Abwurf der ersten Atombomben reagierte (Richard McKeon, Giuseppe Antonio Borgese), das Nachdenken über die Steuerungsfähigkeit der Wissenschaft (Wells, Charles Merriam, Michael Polanyi, Lewis Mumford) und die Umdeutung des Katholizismus zur globalen Grundlage einer personalistisch-kommunitaristisch gedachten Demokratie (Maritain, Luigi Sturzo).

Mit dieser Auswahl zeichnet die Verfasserin ein facettenreiches intellektuelles Panorama der Kriegs- und Nachkriegsjahre. Umso mehr lohnt es sich darüber nachzudenken, was die verschiedenen Entwürfe und Denkmodelle zusammenhielt. Rosenboim sieht einen gemeinsamen Bezugspunkt des Diskurses darin, dass die Intellektuellen und Gelehrten Globalität als entscheidende Bedingung des künftigen politischen Lebens begriffen, was sich im Laufe der Untersuchung als sehr plausibel erweist. Über ihre Annahme, dass sämtliche Autoren der 1940er-Jahre Weltordnungsmodelle erdachten, die aus dem Bewusstsein eines „schrumpfenden“, zunehmend verflochtenen Planeten erwuchsen, ließe sich hingegen diskutieren. Zum einen gingen zwar alle, die sich an den Diskussionen beteiligten, davon aus, man müsse den Nationalstaat fortan in größeren räumlichen Zusammenhängen betrachten, doch schwebten nicht allen politische Strukturen vor, die sich tatsächlich weltweit erstreckten. Zum anderen lässt sich aus Rosenboims Untersuchung herauslesen – und dies ist vielleicht wichtiger –, dass es eine ganze Reihe von Entwicklungen gab, die globalistische Wahrnehmungen stimulierten. Dazu gehörten nicht nur die Neuerungen in Kommunikationstechnologie und Transportwesen, auf welche die wachsende „Interdependenz“ einer kleiner werdenden Welt meist zurückgeführt wurde. Hinzu traten die Bedrohung durch die Totalitarismen und ihre universellen ideologischen Ansprüche, der Krieg in seiner aktuellen, interkontinentalen Ausdehnung, wirtschaftliche Verflechtungen, die Atombombe sowie neue kartographische Darstellungsweisen. Wie sich jede dieser Entwicklungen intellektuell auswirkte und welches relative Gewicht ihnen zukam, bliebe zu erkunden. Womöglich lag das Spezifikum der 1940er-Jahre darin, dass sich in einem kurzen Zeitraum so vieles ballte, das den Blick auf die Weiträumigkeit politischen Handelns lenkte.

Rosenboim legt die vielfältigen Begründungsformen und Modelle überstaatlicher politischer Ordnung, die in den lebhaften Diskussionen entworfen wurden, mit großer Klarheit auseinander. Zugleich zeigt sie überzeugend, welche dominierenden Auffassungen sich dabei herausbildeten. Die Akademiker und Intellektuellen schlugen für das neue Zeitalter politische Organisationsformen vor, die vom global eingebetteten Nationalstaat über Systeme geopolitisch bestimmter Regionen bis hin zu einer Art Weltregierung mit starken Kompetenzen reichten. Die meisten gedanklichen Energien flossen indes in die Vorstellung einer großräumigen Föderation, die allerdings verschiedenartig konzipiert wurde: weltweit oder beschränkt auf Europa oder auf die demokratischen Staaten – und mit einer unterschiedlich weitreichenden Zentralgewalt. Wollten einige Wissenschaftler und Publizisten die Kolonialreiche aufrechterhalten, so setzte sich im globalistischen Diskurs mit den Jahren doch zunehmend eine Richtung durch, die für eine sofortige Auflösung der Imperien plädierte.

Sehr kontrovers diskutierten die Autoren darüber, auf welchen kulturellen und philosophischen Grundlagen eine neue Weltordnung errichtet werden könne. Während manche dezidiert an der Überlegenheit der westlichen Zivilisation festhielten, bemühten sich andere um die Grundlegung eines pluralistischen Systems, das wiederum abweichend ausgedeutet werden konnte: Verstand es der italienische katholische Denker Luigi Sturzo als Rahmen für einen notwendigen politischen Konfliktaustrag, wollte es der französische Philosoph Jacques Maritain mit Hilfe eines christlich-konservativen Moralismus zähmen. Ganz unterschiedliche Figuren wie der als Science-Fiction-Autor bekannt gewordene H.G. Wells, der liberale italienische Intellektuelle Giuseppe Antonio Borgese oder der Chicagoer Politikwissenschaftler Charles E. Merriam waren der Ansicht, die neue Weltordnung durch eine Erklärung universeller Menschenrechte stützen zu müssen. Nahezu alle Autoren wollten mit ihren Plänen zur Neudefinition der Demokratie beitragen, die sich aus den Überlegungen der Kriegsjahre als eine starke Vision erhob – wobei sie sich dann wiederum in mancherlei Gewand präsentierte. Wollten sie einige, wie der Geograph Nicholas Spykman, nach dem angelsächsischen Vorbild modellieren, so plädierten andere, wie die britische Ökonomin Barbara Wootton, dafür, die Demokratie um eine ausgeprägte Komponente sozialer und wirtschaftlicher Gerechtigkeit zu erweitern.

Dass Rosenboim den Diskurs systematisch nach Wissensfeldern behandelt, sorgt angesichts des überschaubaren Sets an zugrundeliegenden Denkfiguren für manche Wiederholungen. Und auch die diachrone Perspektive auf diese Jahre, in denen sich das Denken in so raschem Fluss befand, geht dadurch verloren. Den Weltkrieg beschreibt die Autorin indes sehr überzeugend als ein entscheidendes katalysierendes Ereignis. Denn er rief bei vielen Intellektuellen ein existenzielles Krisenempfinden hervor, das sie gleichzeitig dazu veranlasste, ihre Gegenwart als einen Moment zu begreifen, in dem die revolutionäre Neuschöpfung grundlegender politischer Strukturen möglich sei. Dass Rosenboim die Gedanken der Friedenswahrung und der internationalen Sicherheit gar nicht thematisiert, obwohl sie doch zentrale Fluchtpunkte des globalistischen Denkens darstellten, kann dagegen etwas verwundern.

Sehr zurückhaltend bleibt die Autorin, wenn es darum geht, den globalistischen Diskurs als Ganzen einzuordnen. Zwar erwähnt sie, dass sich die meisten Ideen eben nicht umsetzen ließen, und erklärt nicht unplausibel, warum die Überlegungen gegen Ende der 1940er-Jahre rasch an Bedeutung verloren – etwa weil sich mit den Vereinten Nationen gerade kein überstaatliches Modell verwirklichte und der „Kalte Krieg“ eine Perzeption der Bipolarität beförderte. Ob hingegen das globalistische Denken den Systemkonflikt nicht vielmehr mit auf den Weg brachte – indem es für universelle Ideologien und die globalen Konsequenzen politischen und militärischen Handelns sensibilisierte –, erörtert Rosenboim nicht. Die Auffassung schließlich, dass der „globale Raum“ nach dem Abklingen der Diskussionen der 1940er-Jahre bis zu seiner „Rückkehr“ nach 1989 von der Bildfläche verschwunden sei (S. 13), erscheint deutlich zu kurz gegriffen. Denn dazwischen entfaltete sich der ubiquitäre „Interdependenz“-Diskurs der 1970er-Jahre, der auf zahlreichen Politikfeldern seine Spuren hinterließ und in seinen Konsequenzen wohl bedeutender war als derjenige der Kriegs- und Nachkriegszeit. Hierin liegt vielleicht eine echte Blindstelle dieses ertragreichen und insgesamt gelungenen Buches: Denn darüber, dass es sich bei dem Befund zunehmender globaler Verflechtung um einen seit dem späten 19. Jahrhundert rekurrierenden, wenn auch jeweils unterschiedlich ausgeprägten, Diskurs handelt, reflektiert die Studie nicht. Und ebenso wenig darüber, dass die Rede von der „Globalisierung“ die bislang jüngste Wiederkehr dieses Diskurses darstellt, die an Ausdehnung und Wirkmacht alle früheren in den Schatten stellt. Rosenboim verweist zum Schluss darauf, gegenwärtige Globalisierungsdiagnosen könnten manches aus den Debatten der 1940er-Jahre lernen. Eher scheint es an der Zeit zu sein, diese Diagnosen, die sich in den 1990er-Jahren durchsetzten und deren Geschichte mithin bereits ein gutes Vierteljahrhundert umspannt, selbst zu historisieren – nicht zuletzt deshalb, weil sie der intellektuelle Ausgangspunkt für unsere anhaltende historische und politische Suche nach globalem Denken und Handeln sind.