P. J. du Plessis (Hrsg.): Cicero's Law

Cover
Titel
Cicero's Law. Rethinking Roman Law of the Late Republic


Herausgeber
du Plessis, Paul J.
Erschienen
Anzahl Seiten
IX, 241 S.
Preis
£ 75,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sema Karataş, Historisches Institut, Universität zu Köln

Ist es sinnvoll, zwischen der Jurisdiktion der späten römischen Republik und der rhetorischen wie praktischen Auseinandersetzung mit ihr vor Gericht zu trennen? Bei der Beschäftigung mit dieser Frage ist die Figur des M. Tullius Cicero als ein Repräsentant beider Tätigkeitsfelder par excellence unverzichtbar. Wie Paul J. du Plessis bereits in seiner Einleitung zum vorliegenden Sammelband deutlich macht, ist es der Sache dienlicher, Cicero nicht als „outsider“ (S. 2) im Bereich der römischen Rechtsgeschichte zu betrachten. Vielmehr soll durch eine differenzierte Herangehensweise versucht werden, die Dichotomie weiter aufzulösen. Damit fügt sich der Sammelband in die größere Debatte der letzten Jahre zur römischen Rechtsgeschichte ein. Hauptziel des Werkes ist es, zu einem ausgewogenen Bild über Cicero sowie seiner Darstellung und Betrachtung des römischen Rechts zu gelangen. Dafür werden die ciceronischen Aussagen zum römischen Recht neu analysiert und eingeordnet. Dieser Ansatz ist nicht genuin neu,1 doch die grundsätzliche Teilung in folgende drei Felder (S. 3) ist vielversprechend: „nature of law“, „nature of legal profession“ und „impact of legal practise“. Ein weiteres Augenmerk richtet du Plessis auf einen Erklärungsansatz für den Begriff der römischen Rechtskultur („Roman legal culture“, S. 4). Dabei gesteht er ein, dass dieses Konzept von Rechtskultur kein statisches, sondern ein sich mit der Zeit stets wandelndes Phänomen ist. Das hier präsentierte Bild der Rechtskultur hat somit nur in Bezug auf die späte römische Republik Gültigkeit.

Der erste Abschnitt umfasst drei Beiträge, die sich dem Thema „nature of law“ widmen, die zum einen philosophische Grundgedanken und zum anderen bekannte iudicia privata als exempla anführen. Philip Thomas („A Barzunesque View of Cicero: From Giant to Dwarf and Back“) beginnt mit der Feststellung, dass die Rechtspraxis und die Jurisprudenz in den letzten beiden Jahrhunderten der Republik große Veränderungen durchgemacht haben. Um die Figur Ciceros in diesem Komplex neu zu verorten, wendet Thomas die ‚Theorie des Aspektes‘ von Barzun an.2 Auf dieser Grundlage werden die Bedeutung der Bereiche Rhetorik und Philosophie sowie ihr Einfluss auf das römische Recht der späten Republik deutlich. Erschwert wird der Zugang leider durch den Umstand, dass an keiner Stelle die ‚Aspekttheorie‘ Barzuns eindeutig erklärt wird. Der zweite Beitrag, in dem erneut die Philosophie als Disziplin im Vordergrund steht, stammt von Olga Tellegen-Couperus und Jan Willem Tellegen („Reading a Dead Man’s Mind: Hellenistic Philosophy, Rhetoric and Roman Law“). Ihnen zufolge wurde das römische Recht von zwei philosophischen Richtungen beeinflusst: von der mittleren Stoa und der neuen Akademie. Dabei scheint allerdings die Stoa die treibende Kraft für das römische Recht der späten Republik gewesen zu sein. Als Fallbeispiel wird die voluntas testatoris herangezogen. Der letzte Beitrag des Abschnitts stammt von Benedikt Forschner („Law’s Nature: Philosophy as a Legal Argument in Cicero’s Writings“). Das Ziel Forschners ist es, Ciceros „theory of law“ (S. 50), insbesondere auf der Grundlage des Werkes de legibus, zu rekonstruieren. Zwei wichtige Punkte werden aufgezeigt: die Nutzung von rein philosophischen Argumenten in der Rechtspraxis vor Gericht sowie der Gebrauch von rein implementierten Argumenten in Rechtsprozessen. Das Ergebnis zeigt, dass Cicero durchaus eine allgemeine Rechtstheorie entwickelt hat, die ein einheitliches Bild – ohne die Trennung zwischen göttlichen und menschlichen Gesetzen – präsentiert.

Die Untersuchung der Anwaltstätigkeit („nature of legal profession“, S. 3 u. 229) bildet den Schwerpunkt des zweiten Teilabschnitts: Yasmina Benferhat („Cicero and the Small World of Roman Jurists“) lenkt den Blick auf drei berühmte Juristen der römischen Republik: Q. Mucius Scaevola Augur, Ser. Sulpicius Rufus und C. Trebatius Testa. Benferhat fokussiert sich auf Ciceros Haltung zu den drei Männern. So werden allgemeine Aussagen über die Entwicklung und soziale Stellung der Juristen während der späten Republik ermöglicht. Denn nicht juristisches Wissen allein, sondern seine Anwendung durch Redegewandtheit konnte der res publica dienlich sein. Eine Gegenposition liefert Christine Lehne-Gstreinthaler („‚Jurists in the Shadows‘: The Everyday Business of the Jurists of Cicero’s Time“). In ihrem Beitrag konzentriert sie sich auf solche Juristen, die erstens von niederem sozialen Status waren und zweitens daher mit Prozessen beauftragt wurden, die weniger prestigevoll waren. Zu dieser Gruppe der ‚kleinen Juristen‘ zählt sie folgende Personenkreise: Rechtsvertreter, Mitarbeiter bzw. Ratgeber der Magistrate, Geschäftsmänner und Vermittler. Die Mitglieder dieser so divers zusammengesetzten Gruppe wiesen großes juristisches Fachwissen auf. Ciceros abschätzige Haltung ihnen gegenüber sei auf seine Stellung als homo novus und seine Selbstprofilierung zurückzuführen. In den letzten beiden Beiträgen des Abschnitts skizzieren Matthijs Wibier („Cicero’s Reception in the Juristic Tradition of the Early Empire“) und Jill Harris („Servius, Cicero and the Res Publica of Justinian“) die Rezeptionsgeschichte der Gedanken Ciceros von der frühen Kaiserzeit bis Justinian. Wibier gelingt es nachzuweisen, dass Cicero als Quelle zur Lösung von Rechtsfragen in der frühen Kaiserzeit herangezogen wurde. Harris konzentriert sich in ihrem Beitrag auf die Rolle des populus bei der Erhaltung der res publica. Die Konstruktion der Rolle des populus durch Cicero im Zusammenhang mit der Entwicklung der römischen Verfassung scheint allerdings paradox zu sein.

Die Rechtspraxis („the impact of legal practise“) während der späten Republik wird im letzten Teilabschnitt in vier Beiträgen beleuchtet, wobei hier im Gegensatz zum ersten Teilabschnitt die iudicia publica eine Rolle spielen. Zunächst untersucht Saskia T. Roselaar („Cicero and the Italians: Expansion of Empire, Creation of Law“) die rechtliche Stellung der Bürger Italiens im 2. und 1. Jahrhundert v.Chr. Laut Roselaar waren alle Bürger Italiens spätestens ab 70 v.Chr. rechtlich gleichgestellt. Dennoch kann sie anhand der ciceronischen Werke nachweisen, dass die Integration der italischen Bürger einerseits und ihre, wenn nicht rechtliche, so doch soziale Diskriminierung andererseits ein Problem darstellten. Jennifer Hildner („Jurors, Jurists and Advocates: Law in the Rhetorica ad Herennium and De Inventione“) lenkt den Blick auf eine der wichtigsten Disziplinen im Bereich der Rechtspraxis: die Rhetorik. Aus den beiden Handbüchern zur Rhetorik werden Information über Geschworene, Juristen und Anwälte gezogen. Demnach bedurfte jeder Akteur, der sich mit dem römischen Recht befasste, auch der Rhetorik.

Die letzten zwei Beiträge von Michael C. Alexander („Multiple Charges, Unitary Punishment and Rhetorical Strategy in the Quaestiones of the Late Roman Republic“) und Catherine Steel („Early-career Prosecutors: Forensic Activity and Senatorial Careers in the Late Republic“) überzeugen sowohl durch ihre systematische Herangehensweise als auch auf inhaltlicher Ebene. Alexander beschäftigt sich mit einem Bereich der Rechtspraxis, dem man im Rahmen der iudicia publica stets begegnet: einer Anklage, die mehrere Straftaten vor Gericht anzeigt (causa coniuncta), die im Falle einer Verurteilung jedoch als eine Straftat behandelt und sanktioniert wurde (S. 198f.). Den Grund für diese Praxis sieht Alexander im taktischen Vorgehen der Ankläger: Je mehr Verfehlungen in einem Prozess vorgebracht werden konnten, umso höher war die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung. Steel untersucht eine weitere Strategie der Ankläger. Sie konzentriert sich auf Prozesse, die von besonders jungen Männern (adulescentes) gegen bereits in der Politik etablierte Magistrate (Consuln und Praetoren) vorgebracht worden waren. Auf der Grundlage einer Arbeit Alexanders3 weist Steel 25 solcher Prozesse nach. Junge Ankläger konnten sich so – noch vor der Bekleidung einer Magistratur – um die Anerkennung durch die Mitglieder der politischen Elite bemühen. Der Erfolg einer solchen Anklage war durchaus von Vorteil – jungen und ambitionierten Männern bot sich die Möglichkeit, im öffentlichen Raum als Akteur aufzutreten –, er war aber nicht unbedingt notwendig.

Die gesammelten Beiträge bilden eine tour d’horizon im großen und komplexen Bereich der römischen Rechtsgeschichte während der späten Republik mit Anlehnungen an die Bereiche Philosophie, Rhetorik und Rezeptionsgeschichte. Ziel von du Plessis war es, sich von der traditionellen Perspektive auf das römische Recht zu distanzieren und Cicero nicht als Außenseiter, sondern als aktives Mitglied der römischen Jurisdiktion zu betrachten. Gelingt aber dieses Vorhaben? Sowohl du Plessis als auch die Autoren der einzelnen Beiträge können aufzeigen, wie vielfältig Ciceros Aussagen zum römischen Recht sind. Der Informationsgehalt dieser Aussagen darf trotz der einseitigen ciceronischen Darstellung – worauf du Plesis mehrfach hinweist – meines Erachtens nach nicht an Qualität und Aussagefähigkeit verlieren.

Anmerkungen:
1 Siehe nur Jonathan Powell / Jeremy Paterson (Hrsg.), Cicero the Advocate, Oxford 2004 oder Catherine Steel (Hrsg.), The Cambridge Companion to Cicero, Cambridge 2013.
2 Jacques Barzun, From Dawn to Decadence: 500 years of Western cultural life, London 2000.
3 Michael C. Alexander, Trials in the Late Roman Republic 149 to 50 BC, Toronto 1990.

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension