T. Haug: Außenbeziehungen und Patronage

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Titel
Ungleiche Außenbeziehungen und grenzüberschreitende Patronage. Die französische Krone und die geistlichen Kurfürsten (1648–1679)


Autor(en)
Haug, Tilman
Reihe
Externa 6
Erschienen
Köln 2015: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
540 S.
Preis
€ 79,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Guido Braun, Seminar für Neuere Geschichte, Philipps-Universität Marburg

Außenbeziehungen sind auch nach der mit dem Westfälischen Frieden von 1648 verbundenen Zäsur in der europäischen Geschichte vorrangig als vormoderne, personal konstituierte Beziehungsmodelle zu verstehen. Diese Erkenntnis, die sich in der jüngeren Geschichtswissenschaft weitgehend durchgesetzt hat, wendet Tilman Haug in seiner in Bern bei Christian Windler entstandenen Dissertationsschrift konsequent auf die Analyse der Beziehungen zwischen der französischen Krone und den beiden geistlichen Kurfürstentümern Köln und Mainz in den drei Jahrzehnten zwischen den Friedenschlüssen von Münster/Osnabrück und Nimwegen (1648–1679) an.

Die für Haugs Untersuchung charakteristische Abkehr von der Vorstellung eines auf der Interaktion souveräner Staaten mit ausgeprägten, für die Außenpolitik zuständigen bürokratischen Apparaten basierenden internationalen Systems zugunsten einer kulturgeschichtlich geprägten, akteurszentrierten Konzeption von Außenbeziehungen schließt methodisch an die überzeugenden Studien Hillard von Thiessens, Christian Windlers und Barbara Stollberg-Rilingers an. Nicht zuletzt ihnen ist es zu verdanken, wenn Haug allgemein konstatieren kann, dass innerhalb der Geschichtswissenschaft die Erforschung von Außenbeziehungen in den letzten Jahren „fest in den Kreis der innovationsfreudigen Teildisziplinen aufgenommen“ (S. 13) wurde.

Die Auffassung, dass „Außenpolitik“ in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts weniger von Staaten, Institutionen und behördlich strukturierten Apparaten, als vielmehr durch Akteure und ihre personalen Beziehungen gestaltet wurde, wird von Haug in eine stringente Gliederung seiner Darstellung mit einer konsequenten Fokussierung auf die Rollen der Akteure, ihre Verflechtungen, Netzwerke, Kommunikationsformen, Prägungen, Wahrnehmungen und Normen übersetzt.

Die Einleitung (1.) führt ausgewogen in die methodisch-konzeptionellen Grundlagen der Untersuchung ein, referiert den Forschungsstand und präsentiert das zugrunde liegende, neben französischen Aktenbeständen (vor allem aus dem Pariser Außenamtsarchiv) auch deutsche/österreichische Provenienzen einbeziehende (wenngleich keine Symmetrie beider Perspektiven herstellende) Quellenkorpus. Sie erläutert des Weiteren schlüssig die Leitfragen und den Aufbau der Arbeit. Hinsichtlich der Normhorizonte rekurriert die Untersuchung neben den archivalischen Quellen sinnvollerweise auf die zeitgenössische diplomatie- sowie politiktheoretische Literatur.

Im Anschluss daran widmet sich das erste, durch einen knappen, aber prägnanten ereignisgeschichtlichen Abriss der reichsständisch-französischen Beziehungen im Untersuchungszeitraum eröffnete Hauptkapitel (2.) den Akteuren und ihren Netzwerken. Als eine wesentliche Komponente von Außenbeziehungen haben grenzüberschreitende Patronagebeziehungen zu gelten, deren eingehender Analyse einschließlich des Problems von multiplen Loyalitäten und Patronagekonkurrenz der Verfasser zwei umfangreiche Teilkapitel widmet. Ferner behandelt das Kapitel grundlegende Fragen von „Zwischenstaatlichkeit“ im Rahmen asymmetrischer Außenbeziehungen wie Zeremoniell, Status- und Rangzuschreibungen zentraler Akteure und Akteursgruppen.

Die Problematik grenzüberschreitender Patronage nimmt darüber hinaus das letzte Hauptkapitel (4.) wiederum in den Blick, wobei hier unter dem Titel „Normen und Normenkonflikte“ Legitimationsstrategien, Fragen von Reputation, das Spannungsverhältnis von mikropolitischer und makropolitischer Logik sowie schließlich die außergewöhnlich hohe Wellen schlagende Gefangennahme des französischen Parteigängers Wilhelm von Fürstenberg durch die Kaiserlichen 1674 als Fallstudie behandelt werden.

Dazwischen steht ein originelles Hauptkapitel über „Vertrauen als Kommunikationsereignis“ (3.), das dem akteurszentrierten Ansatz entsprechend politisches Vertrauen primär personal und (Georg Simmel folgend) im Sinne einer kognitiven Disposition hinsichtlich der Generierung stabiler Erwartungen an künftige Verhaltensweisen konzeptualisiert. Mit den Ressourcen, Möglichkeiten und Grenzen von Vertrauensbildung schneidet Haug zweifellos eine Kernfrage französisch-reichsständischer (und darüber hinausweisender Probleme von) Außenbeziehungen an. In diesem Zusammenhang wendet sich der Verfasser auch Fremdwahrnehmungen, Stereotypen, Feindbildern und ihrer jeweiligen funktionalen Relevanz zu. Dabei wird deutlich, dass protonationalen, sozialen sowie konfessionellen Stereotypen allenfalls eine marginale, der dynastischen Dimension hingegen (und hierbei vor allem dem Feindbild Habsburg) eine konstitutive Bedeutung zukam.

Haug legt die methodische Fundierung seiner Studie detailliert offen, ohne dabei theorielastig zu werden. Er verschreibt sich dezidiert dem Forschungsansatz einer Kulturgeschichte des Politischen, wie sie von Barbara Stollberg-Rilinger begründet wurde, folgt der durch Hillard von Thiessen gemeinsam mit Christian Windler grundgelegten akteurszentrierten Perspektive auf die Geschichte der Außenbeziehungen, bindet das von Thiessen entwickelte, hilfreiche Konzept der „Normenkonkurrenz“ ein und stützt sich bei der Untersuchung von Fremdwahrnehmungen auf das von Windler vertretene Forschungsparadigma einer die Interaktions-, Aushandlungs- und Anpassungsprozesse fokussierenden Bedeutungsanalyse. Ferner orientiert sich Haug im Rahmen seiner Verflechtungsanalyse an Wolfgang Reinhards Konzept der „Mikropolitik“, während er sich von dessen die Persistenz tradierter Fremdbilder und Stereotype betonender historisch-anthropologischer Analyse von Fremdwahrnehmung distanziert. Die Strukturierung von Außenbeziehungen durch personale Ordnungsmodelle greift Lucien Bélys Konzept der Fürstengesellschaft („société des princes“) auf, welches der Verfasser jedoch in Bélys einschlägigem und gleichnamigem Standardwerk für nicht hinreichend analytisch fundiert hält.

Weniger überzeugend wirkt aus Sicht des Rezensenten Haugs gelegentliche Neigung zu einer recht knappen und daher sachlich schwer nachvollziehbaren, dem Ton nach aber bisweilen bemerkenswert scharfen Kritik an von ihm verworfenen Forschungspositionen oder als unzureichend betrachteten Fachpublikationen. Jedenfalls scheinen in mehreren Fällen durchaus auch andere Lesarten kritisierter Arbeiten möglich. So darf es zumindest als diskussionswürdig gelten, ob sich Bélys Studie im Wesentlichen auf „anekdotisch präsentierte Befunde“ (S. 15) reduzieren lässt oder ob Klaus Malettkes vielfältige Beiträge zur Perzeption des Alten Reiches in Frankreich sich tatsächlich grundsätzlich nur auf einer stark deskriptiven Ebene bewegen und die Anwendungsperspektive französischer Reichsverfassungskenntnisse weitgehend vernachlässigen.

Mehr als durch solche gelegentlichen fraglichen Einschätzungen früherer Forschung vermag Haug durch den Kern seiner Untersuchung zu überzeugen, die durch ein sehr hohes Maß an methodischer Reflexion ebenso besticht wie durch eine den formulierten theoretischen Ansprüchen entsprechende akribische Quellenanalyse.

Kritisch anzumerken bleibt, ohne die Forschungsleistung des Autors schmälern zu wollen, dass der Buchpublikation der letzte sprachlich-formale Schliff an einigen Stellen fehlt. Neben vier kleineren Fehlern, die sich in dem (drei Sätze umfassenden) Werbetext auf dem hinteren Buchcover finden, wäre auch eine Reihe von kleineren Versehen in der Darstellung selbst sowie in den Quellentranskriptionen zu emendieren, ferner fielen dem Rezensenten punktuell Lücken im Literaturverzeichnis sowie im Register auf.

Hinsichtlich der von Haug skizzierten Perspektiven erscheint die Entwicklung einer Hermeneutik diplomatischer Korrespondenzen besonders dringlich. Dabei wird zwischen den Quellenkorpora unterschiedlicher Provenienzen zu differenzieren sein. Wenn Haug schlüssig die geringe Bedeutung protonationaler oder konfessioneller Stereotype für die französischen Gesandtschaftsberichte in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts herausarbeitet, die vom (wie der Verfasser ebenso klar zeigt, durchaus nicht völlig homogenen) dynastischen Feindbild als strukturierendem Prinzip überlagert werden, so lassen sich doch für die päpstlichen Nuntiaturberichte des 16. und frühen 17. Jahrhunderts abweichende Befunde zutage fördern, die im Hinblick auf dieses Quellenkorpus eher für die Positionen Wolfgang Reinhards und Peter Burschels sprechen, von denen Haug sich distanziert (S. 337f.). Allerdings ist diese Bestandsaufnahme insofern zu nuancieren, als die betreffenden Berichte keineswegs unmittelbar die Ergebnisse psycho-kognitiver Wahrnehmungsprozesse abbilden, sondern als Transformation und Adaption an die Erwartungshaltungen der entsprechenden Adressaten zu lesen sind. Und dieser Befund spricht wiederum für Haugs Plädoyer zugunsten einer situationsbezogenen Analyse der Interaktion diplomatischer Akteure und ihrer Korrespondenzen.

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