: Volk, Volksgemeinschaft, AfD. . Hamburg 2017 : Hamburger Edition, HIS Verlag, ISBN 978-3-86854-309-4 157 S. € 12,00

: Die autoritäre Revolte. Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes. Stuttgart 2017 : Klett-Cotta, ISBN 978-3-608-94907-0 304 S. € 20,00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jörn Retterath, München

Es kommt nicht allzu häufig vor, dass ein Politiker unter Verweis auf einen Historiker seine Ansichten zu begründen versucht. Zum Jahreswechsel 2015/16 war dies der Fall. Der sachsen-anhaltinische Landesvorsitzende der „Alternative für Deutschland“ (AfD), André Poggenburg, setzte sich für eine „unideologische Sprache“ sowie „gegen das ideologische Überzeichnen und einseitige Zuordnen sprachlicher Begriffe“ ein und plädierte im gleichen Atemzug dafür, „Volksgemeinschaft“ als einen „positiven Ausdruck“ zu verwenden: „Die enthaltenen Worte Volk und Gemeinschaft sind in keiner Weise negativ zu sehen, so wie der Begriff Volksgemeinschaft insgesamt.“1 Als angeblichen Beleg für diese Behauptung zitierte Poggenburg selektiv aus einem Überblicksartikel Michael Wildts zu „Volksgemeinschaft“ als Quellenbegriff und Forschungsperspektive – und stellte dessen Argumentation gänzlich auf den Kopf. Die zweifelhafte Ehre, von einem Rechtspopulisten als Kronzeuge missbraucht zu werden, mag für Wildt ein Grund gewesen sein, das kleine, sehr lesenswerte Buch „Volk, Volksgemeinschaft, AfD“ zu verfassen und darin einige Denktraditionen der Neuen Rechten zu untersuchen.

Von der Antike ausgehend skizziert Wildt die unterschiedlichen Konzepte und Konjunkturen des Volksbegriffs bis zur Gegenwart. Infolge der Aufklärung, der amerikanischen Unabhängigkeit und der Französischen Revolution gewann das „Volk“ an Bedeutung. In der Diskussion zwischen „Federalists“ und „Anti-Federalists“ über die Rolle des „Volkes“ in der amerikanischen Verfassung erkennt Wildt auch heute noch aktuelle Problemstellungen wie die Frage der Einhegung des demokratischen Souveräns auf der einen und der möglichen Entfremdung der Repräsentanten von den Repräsentierten auf der anderen Seite. Dass nur erwachsene freie Männer – mithin eine Minderheit – zum politisch partizipierenden „Volk“ gehörten, war sogar für Demokraten lange Zeit ganz selbstverständlich; Frauen erhielten im revolutionären Frankreich ebenso wenig wie in den USA das Stimmrecht. Im 19. Jahrhundert traten die verschiedenen Volksvorstellungen nebeneinander oder miteinander kombiniert in Erscheinung: das „Volk“ als Gemeinschaft aller Staatsbürger, als Kultur- beziehungsweise Abstammungsgemeinschaft sowie als unberechenbarer Pöbel. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts hatte sich das Ideal nationaler Homogenität in weiten Teilen Europa durchgesetzt. Dieses schlug sich oftmals in Separatismus und „ethnischen Säuberungen“ nieder. Infolge des Aufstiegs der Biowissenschaften wurde „Volk“ nicht selten als Bluts- beziehungsweise Züchtungsgemeinschaft konstruiert; Wege zur „Optimierung des Volkskörpers“ (S. 48) sowie zur Schaffung neuer „Lebensräume“ (S. 49) wurden gesucht.

Während des Ersten Weltkriegs bildete der Begriff „Volksgemeinschaft“ eine „Integrationsformel für die Kriegsgesellschaft“ (S. 51). In der jungen Weimarer Republik wurde er von Sozialdemokraten zugunsten der neuen Staatsordnung verwendet. Doch konnte er – ebenso wie der Volksbegriff – durchaus auch andere, antirepublikanische Konzepte in sich tragen. Das weitverbreitete Misstrauen gegenüber der repräsentativen Demokratie kam etwa in der starken Position des Reichspräsidenten zum Ausdruck. Anhand der unterschiedlichen (Volks-)Gemeinschaftsvorstellungen in der Weimarer Republik verdeutlicht Wildt, dass die Einheitssehnsucht sowohl inklusive als auch exklusive Züge annehmen konnte. Für die Nationalsozialisten definierte sich „Volksgemeinschaft“ vor allem über undurchlässige rassistische Grenzlinien – nur diejenigen, die zum „deutschen Volk“ gehörten, hatten Rechte und die Chance auf Teilhabe; die Ausgegrenzten hingegen wurden zu Vogelfreien erklärt.

Im Anschluss an einen kurzen Abriss über die rechtspopulistischen Gruppierungen in Europa wendet sich Wildt im dritten Abschnitt seines Buches der AfD zu. Diese habe „konsequent und geschickt […] ‚das Volk‘ in ihre politische Propaganda integriert“ (S. 97). Mit „Volk“ meine die Partei nicht nur die Staatsbürger, sondern eine exklusive Abstammungs- und Kulturgemeinschaft. Dem „Volk“ werde eine angeblich „abgehobene Politikerkaste“ (S. 98) und insbesondere die Europäische Union gegenübergestellt. In der AfD-Forderung nach Plebisziten seien „Parlamentsverachtung“ sowie „die alten Ressentiments gegen die Repräsentativverfassung“ erkennbar (S. 100). Wie andere populistische Parteien geriere sich die AfD als „Lobby des Volkes“2 und hege dabei ein antiliberales, antipluralistisches Grundverständnis (S. 104). In der Partei dominiere die Vorstellung einer ethnischen und kulturellen Homogenität des „Volkes“ (S. 104f.). Daraus folge letztlich, dass derjenige, der in den Augen der AfD „nicht deutscher Abstammung“ sei und „nicht der ‚deutschen Leitkultur‘ entsprechend“ lebe (S. 114), auch nicht zum deutschen „Volk“ gehöre. Wildt hält Poggenburg und dessen Parteifreunden entgegen: Alle diejenigen, die nach 1945 – wie die AfD – mit dem Begriff „Volksgemeinschaft“ operierten, stünden „in der geistigen Nähe des Nationalsozialismus“ (S. 116). In den Plädoyers für eine „Entideologisierung“ der Begriffe „Volksgemeinschaft“ und „völkisch“ erkennt Wildt zwar keine direkte Rechtfertigung des Nationalsozialismus, aber den Versuch, ihn entsorgen zu wollen (S. 118).

Aus der Erkenntnis, dass „die Zugehörigkeit zum Volk […] stets umkämpft“ war und ist (S. 124), leitet Wildt in seinem Schlusskapitel die Forderung ab, sich mit der Exklusion einzelner Gruppen offensiv auseinanderzusetzen. Pauschale Behauptungen wie die, dass ein Muslim aufgrund seiner Religion nicht Demokrat sein könne, widersprächen dem auf der Freiheit und Gleichheit aller Menschen fußenden demokratischen Grundversprechen. Da „Volk“ „heute nur als Gesellschaft der Singularitäten auf der Basis gleicher Rechte“ (S. 139) verstanden werden könne, müsse sich der Blickwinkel ändern: weg von den politischen Kollektiven, hin zum konkreten Menschen. Ohnehin sei „die Grenze zwischen Volk und Nicht-Volk nicht mehr hermetisch geschlossen, sondern durchlässig geworden“ (S. 141), etwa im Hinblick auf die Rechte von EU-Bürgern. „Das Volk ist nicht tot, aber es hat sich überlebt.“ (S. 143) Wie diese Thesen konkret in Politik und demokratische Strukturen umgesetzt werden könnten, lässt Wildt offen. Solche komplexen Antworten zu erwarten wäre von einem nur knapp 160-seitigen Buch freilich auch zu viel verlangt. Wildts kleiner, aber gehaltvoller Band ist mehr als eine Streitschrift wider die AfD und ihr Denken: Er bietet einen hervorragenden, pointierten Überblick zu unterschiedlichen Volks- und Volksgemeinschaftskonzepten. Zudem macht der Autor deutlich, wie problematisch die inhaltliche Bestimmung des für die Demokratie grundlegenden Volksbegriffs ist, und zeigt Ansätze für alternative Bezugsgrößen auf.

Während Michael Wildt mit „Volk“ und „Volksgemeinschaft“ zwei ideologische Schlüsselbegriffe der AfD in den Mittelpunkt seiner Analyse rückt, untersucht Volker Weiß in seinem Buch „Die autoritäre Revolte“ die Vorstellungswelten und historischen Bezüge der Neuen Rechten insgesamt. Dieses Thema sei „in den letzten Jahren von der historischen und politologischen Forschung stark vernachlässigt“ worden (S. 304). Seine Studie gliedert Weiß in neun Kapitel, die jeweils ideologische Konzepte, Denktraditionen oder historische Entwicklungen behandeln. Die Quellen sind Monografien, graue Literatur sowie Zeitschriften; Archivalien werden kaum herangezogen.

Einen Schwerpunkt legt der Autor auf das Verhältnis der äußersten Rechten zum Islam. Dieses sei keineswegs durch einhellige Ablehnung geprägt. Teilweise werde der Islam gar als eine bewundernswerte „Kampfgemeinschaft“ angesehen, die sich – „gäbe es keine Einwanderung“ – zur Bildung einer Allianz „gegen den westlichen Materialismus“ (S. 22) eignen würde. Hauptgegner der Neuen Rechten wie auch der Islamisten seien westlich-liberale Werte und Lebensweisen.

Als sehr bedeutsam für die öffentliche Akzeptanz von rechtem Gedankengut sieht Weiß den ehemaligen SPD-Politiker und Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin und dessen 2010 erschienenes Buch „Deutschland schafft sich ab“ (S. 24). AfD und Pegida entstanden wenig später in der Euro- beziehungsweise der sogenannten Flüchtlingskrise. In ihnen habe sich die Unzufriedenheit mit der Politik und den bestehenden Parteien Bahn gebrochen. Mit der AfD verfüge die Neue Rechte, die sich vormals als junge nationalistische Elite gerierte, erstmals über ein Instrument, um ihre Ideen in die Parlamente zu tragen.

In einem knappen historischen Abriss skizziert Weiß die Wurzeln der Neuen Rechten seit den 1960er-Jahren und ihre Ideologie, die er bis in die Zwischenkriegszeit zurückführt. Eine der Schlüsselfiguren des radikal-nationalistischen Lagers im Nachkriegsdeutschland sieht der Autor im Schweizer Publizisten Armin Mohler (1920–2003), der in seiner 1950 als Buch erschienenen Dissertation „Die konservative Revolution in Deutschland 1918–1932“ ebenjene erfand (S. 44) und den Nationalsozialismus vom völkischen Denken abtrennte (S. 46). Seine unhaltbare These habe der extremen Rechten „die Möglichkeit des Neubeginns“ eröffnet (S. 48). Mohler, der enge Kontakte zu prominenten rechten Denkern wie Ernst Jünger und Carl Schmitt pflegte, scharte einen Kreis von Schülern um sich – zu denen sich auch der neurechte Verleger und Publizist Götz Kubitschek zählt (S. 39). Eine Strategie der Linken kopierend habe sich Mohler für die „Konzentration auf Metapolitik“ eingesetzt (S. 54), sprich: für die „Intellektualisierung des Rechtsextremismus“ sowie „die Erringung einer ‚kulturellen Hegemonie‘“.3 Hierzu diene unter anderem das im Jahr 2000 von Kubitschek mitinitiierte „Institut für Staatspolitik“ (S. 72).

Wie stark die deutsche Rechte von nationalistischen Gruppierungen aus dem Ausland beeinflusst ist und welche Strategien der Linken sie sich angeeignet hat, zeigt Weiß’ Blick auf die „Identitäre Bewegung“, die sich ausgehend von Frankreich seit einigen Jahren in verschiedenen europäischen Ländern verbreitet hat. Unter dem Begriff der „Identität“ versucht sie, ethnisch-völkisches Gedankengut mithilfe moderner Agitationsformen zu propagieren, und scheut auch vor gewagten historischen Rekursen auf die griechische Antike sowie vor ideengeschichtlichen Inanspruchnahmen etwa Heideggers nicht zurück. Subversive Aktionen, provozierende Performances und Skandalisierungen gehören laut Weiß zum festen Repertoire der Neuen Rechten, sollen Medienaufmerksamkeit bringen und eine „Aura der Revolte“ (S. 134) schaffen. Das Misstrauen in Teilen der Gesellschaft gegenüber der freien Presse und die Etablierung einer „‚alternativen‘ Öffentlichkeit des rechten Randes“ (S. 146) mit eigenen Publikationsorganen gingen Hand in Hand.

Im Gegensatz zu Wildt widmet sich Weiß den Volkskonzepten der Neuen Rechten kaum. Stattdessen legt er einen Schwerpunkt auf den Begriff „Abendland“ und dessen unterschiedliche Aufladungen. Diesen Terminus, der bereits in der Zwischenkriegszeit von rechten Vordenkern wie Oswald Spengler oder Carl Schmitt gebraucht wurde, nutzten sowohl während des Zweiten Weltkriegs die Nationalsozialisten als auch nach 1945 Konservative im Kampf Europas gegen die Sowjetunion und die USA beziehungsweise gegen den Kommunismus. War „Abendland“ bereits historisch ein „relationaler Kampfbegriff“ (S. 179), so wurde er von Gruppen wie Pegida als Schlagwort zur Ablehnung der europäischen Integration und zugunsten einer prorussischen Orientierung gewendet (S. 180f.). In der geopolitischen Vorstellungswelt der Neuen Rechten spielen „Eurasien“, die Abwendung Europas von den USA sowie ein von Deutschland dominiertes Mitteleuropa eine zentrale Rolle – der russische Ultranationalist Alexander Dugin, aber auch Großraumtheoretiker des frühen 20. Jahrhunderts wie die Geografen Halford Mackinder und Karl Haushofer sind hierbei Ideengeber (S. 192, S. 202).

Das „Eigene“, so Weiß, sieht die Neue Rechte von zwei Seiten bedroht: von der Einwanderung meist muslimischer Flüchtlinge sowie von den westlichen Werten und der Amerikanisierung (S. 212). „Universalismus“ und „Amerikanismus“ (S. 213) würden als Hauptfeinde betrachtet, der Islam eigne sich aber besser für Kampagnen (S. 220). Der Kampf gegen das Völkerrecht, gegen universelle Werte, gegen Frauen- und Homosexuellenrechte sowie für traditionelle Geschlechterrollen seien ebenso wie der tiefverwurzelte Antisemitismus Ausdruck des Antiamerikanismus und Antiuniversalismus.

In einem abschließenden Kapitel geht Weiß auf den „Wahrheitskern“ (S. 241, dort in Anführungszeichen) der Neuen Rechten ein. Seiner Ansicht nach herrscht in der gesellschaftlichen Mitte eine „tatsächliche Sprachlosigkeit […] gegenüber dem fundamentalistischen Islam“ (S. 243), und die „klassische Forderung nach Akkulturation von Einwanderern“ (S. 245) werde kaum erhoben. Insbesondere zum problematischen Frauenbild und zu den fragwürdigen Sexualitäts- und Ehrvorstellungen vieler Moslems werde in linken und liberalen Kreisen geschwiegen. Die dort häufig vorgebrachte Behauptung von der Unabänderlichkeit tradierter Denkstrukturen setze Kultur, Religion und Herkunft gleich und folge damit (unfreiwillig) einer Argumentation, wie sie sowohl bei Islamisten als auch in der Neuen Rechten anzutreffen sei (S. 258f.). Statt eines Laissez-faire-Liberalismus plädiert Weiß für die offensive Verteidigung westlicher Werte. Für ihn ist der aggressive Kampf der „autoritären Gegenbewegungen“ auch eine Folge des erfolgreichen Kampfes von Juden, Frauen und Homosexuellen um Emanzipation (S. 261). Zugleich warnt er aber davor, den „Verteidigungskrieg“ der Neuen Rechten als ein „Rückzugsgefecht“ und die von der autoritären Revolte „gegen den humanistischen Universalismus“ ausgehende Gefahr zu unterschätzen (S. 265).

Weiß’ Werk zeichnet sich durch große Kenntnis der verschiedenen Strömungen in der Neuen Rechten und der dort verbreiteten Vorstellungen aus. Es liest sich flüssig, ist gleichzeitig tiefschürfend und kommt fast gänzlich ohne Polemik aus – beste Voraussetzungen, um über den Tag hinaus aktuell zu bleiben. Insbesondere das pointierte Fazit regt zu Diskussionen an. Was leider etwas kurz gerät, ist das Verhältnis der Neuen Rechten zum Nationalsozialismus und seiner Ideologie. Hier hätte sich der Leser mehr Informationen gewünscht (und kann deshalb davon profitieren, Michael Wildts Buch parallel zu lesen). Dies ändert aber nichts am positiven Gesamturteil. Wer sich mit den rechten Feinden der liberalen Demokratie, ihrem Gedankengut und ihren Netzwerken auseinandersetzen möchte, wird an beiden Werken nicht vorbeikommen.

Anmerkungen:
1 Zit. nach Wildt, Volk, S. 115.
2 Siehe z.B. „Man macht sich zum Knecht“ [Interview von Jens Jessen und Ijoma Mangold mit dem Philosophen und AfD-Politiker Marc Jongen], in: ZEIT, 09.06.2016, http://www.zeit.de/2016/23/marc-jongen-afd-karlsruhe-philosophie-asylpolitik[ (15.05.2017).
3 So der Politologe Samuel Salzborn; zit. nach Weiß, Die autoritäre Revolte, S. 55.