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Titel
Die mittelalterlichen Stadtbefestigungen im deutschsprachigen Raum. Ein Handbuch, 2 Bde.


Autor(en)
Biller, Thomas
Erschienen
Anzahl Seiten
720 S.
Preis
€ 99,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Wozniak, Seminar für mittelalterliche Geschichte, Eberhard Karls Universität Tübingen

Der Kunst- und Architekturhistoriker Thomas Biller hat in den vergangenen Jahren einige grundlegende Bücher zum Burgen- und Befestigungsbau publiziert.1 Das aktuell vorgelegte Handbuch – ein vom Verlag angefragtes Auftragswerk – beruht auf langjähriger Autopsie, Sammlung und Forschung. Mit diesen beiden Bänden liegt nun erstmals eine systematische und topographische Darstellung zu den Stadtbefestigungen im mittelalterlichen deutschsprachigen Raum vor, der Österreich, die Schweiz, ganz Tirol, das Elsass und das Deutschordensland Preußen mit einschließt.

Während zu anderen architektonischen/bauhistorischen Forschungsbereichen wie etwa Burgen oft und häufig bereits mehrere Vorläuferdarstellungen vorliegen, betrat Thomas Biller bei der vergleichenden Aufarbeitung der mittelalterlichen Stadtbefestigungen im deutschsprachigen Raum völliges Neuland. In anderen Regionen, wie Norditalien, gibt es hingegen Gesamtdarstellungen zu den Stadtbefestigungen.2 Im deutschsprachigen Raum kommt erschwerend hinzu, dass „die Anzahl der unerforschten Einzelfälle […] bisher weit höher [ist] als die der erforschten“ (S. 10). Nicht nur vor dieser Ausgangslage ist das vorliegende Handbuch als Meilenstein der Forschung zu sehen, das ein Desiderat füllt, ist die Stadtmauer doch ein grundlegender Bestandteil der Definition einer mittelalterlichen Stadt.

Im ersten Band werden die Bauelemente der Stadtmauer systematisch vorgestellt, auf eine Einleitung (S. 11–18) sowie Erläuterungen zu Forschungsstand und Methodik (S. 19–31) folgt das umfangreiche Kapitel „Die Entwicklung der Stadtbefestigung“ (S. 32–327). Mit kurzen Abschnitten zu „Organisation von Bau und Verteidigung“ (S. 328–342) sowie zur „Stadtmauer als Symbol“ (S. 343–359) endet dieser Teil, der 272 Schwarz-Weiß-Abbildungen enthält. Um den systematischen Zugriff zu gewährleisten, wird die Entwicklung der einzelnen Elemente von Stadtbefestigungen chronologisch betrachtet. Auf die Vorbilder und Vorstufen von Mauern folgen Betrachtungen zum Baumaterial Stein. „Die Blütezeit der Stadtmauern im engeren technischen Sinne – das heißt der Befestigungen aus Mörtelmauerwerk – lag im westlichen und mittleren Deutschland im 13. und in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts“, wobei der Überlieferungszustand verhindert, die Zahl der spätstaufischen Mauern genauer zu ermitteln (S. 348) Die Schwachpunkte der Hauptmauer wurden mit Türmen verstärkt und an den Ein-/Ausgängen der Stadt Tortürme errichtet. Diese Entwicklung lief über verschiedene Torformen und den Torzwinger hin zum umlaufenden Zwinger. Selbstredend werden auch Barbakanen und Rondelle im Detail vorgestellt (S. 281–308). Auch in der Zeit der Feuerwaffen wurden die städtischen Befestigungsanlagen weiter angepasst, wenn die finanziellen Mittel der Stadt, wie etwa in Nürnberg, dies zuließen. Als die meisten Stadtmauern aber ihre Funktion weitestgehend verloren hatten, wurden sie in großem Maßstab abgerissen, um Platz für die Neustadtentwicklung des 19. Jahrhunderts zu machen. Gleichwohl betont der Autor, im Verschwinden der Mauern keinen auf wenige Jahrzehnte konzentrierten Prozess zu sehen, sondern ein langwieriges Geschehen, das bereits im Mittelalter seinen Anfang nahm. Als letzter systematischer Teil wird im ersten Band auch auf die Landwehren und Warten im Vorfeld der städtischen Mauern kurz eingegangen. Neben den überwiegend bauhistorisch, archäologisch und kunsthistorisch orientierten Überlegungen nähert sich die Darstellung auch den Fragen der Organisation und Finanzierung von Bau und Verteidigung. Zu Recht verweist der Autor dafür auf stadtinterne Steuern und Ungeld zur Finanzierung der Baumaßnahmen und externe Steuernachlässe durch die Herrscher hin, wie etwa die bekannte staufische Steuerliste von 1241 (S. 330f.). Er betont dabei den Umstand, dass die historische Forschung zur städtischen Wehrhaftigkeit mehr als 70 Jahre alt ist (S. 337). Die prägnante Zusammenfassung der vorgestellten Erkenntnisse des ersten Bandes (S. 347–359) eignet sich sehr gut für die universitäre Lehre zu stadtgeschichtlichen Themen. Als ausgewiesener Burgenforscher steht für Thomas Biller auch das Verhältnis zwischen dem ursprünglichen Stadtherren und dem erstarkenden Bürgertum im Fokus, besonders hinsichtlich der Befestigungsanlagen, welche die Stadt gegen die Burg errichtete. Besonders eindrucksvoll wird dies am Beispiel des 50 Meter hohen Rundturms „Mehlsack“ in Ravensburg deutlich, der am Burgberghang errichtet wurde und es ermöglichte, in die auf dem Gipfel liegende Burg hineinzusehen (S. 248f.). Hinsichtlich der Frage von „Wehrkirchen“ betont der Autor, dass es dabei weniger um eine Verstärkung fortifikatorischer oder geistlicher Wehrhaftigkeit ging, als vielmehr um die Bewältigung von Platzmangel innerhalb der Stadt (S. 253).

Im zweiten Band werden die Stadtbefestigungen nach ihrer topographischen Lage in 29 Regionen unterteilt vorgestellt (S. 6–291). Mit einem ausführlichen Verzeichnis der Literatur (S. 292–328), einem hilfreichen Glossar (329–335) und einem Orts- und Namenregister (S. 338–360) endet dieser Band, der mit 529 Schwarz-Weiß-Abbildungen sehr reich bebildert ist. Gerade in den Bildunterschriften finden sich häufig noch wichtige Detailinformationen, wie etwa zum „Teufelsturm“ in Goslar mit seiner schwer fotografierbaren, aber überregional wichtigen Inschrift von 1280 (S. 168, Abb. 432). Der Zugriff auf die verwendete Forschungsliteratur ist vorbildlich, auch wenn Regional- oder Landeshistoriker sicher das eine oder andere Werk vermissen werden. In der Summe ermöglicht besonders der zweite Band einen flächendeckenden Zugriff auf die weit verstreuten Werke und ist dadurch ein sehr nützliches Hilfsmittel für jegliche künftige Forschung in diesem Bereich. Gerade durch die breite und vergleichende Herangehensweise werden viele Befunde klarer analysiert als durch die bisherige regional orientierte punktuelle Auswertung. Der Großteil der Abbildungen stammt vom Autor und zeigt die rezenten Formen, es gibt aber auch immer wieder sehr beeindruckende historische Aufnahmen, von denen die Abbildung des im Zweiten Weltkrieg zerstörten „Krantores“ in Danzig/Gdańsk (S. 289, Abb. 527) sicher heraushebenswert ist.

Fazit: Die beiden von Thomas Biller in jahrzehntelanger Arbeit erstellten umfangreichen Bände sind wegweisend für die Forschung zu mitteleuropäischen Stadtbefestigungen in Mittelalter und Frühneuzeit. In dieser kompakten Form waren bisher weder die Typen oder die Kategorien noch die dahinterstehenden Prozesse zusammengefasst worden, auch gab es bisher keinen so übersichtlichen systematischen Zugriff auf die Ergebnisse der bisherigen Forschung. Gerade die Autopsie der über 2000 Befestigungsanlagen durch den Autor und der Abgleich mit dem bisherigen Forschungsstand ergeben ein monumentales Standardwerk, dessen Umfang eigentlich eine ganze Forschergruppe hätte leisten müssen. Das Werk wird sicherlich auf lange Zeit unterschiedlichste Impulse für die weitere Erforschung mittelalterlicher Befestigungen geben.

Anmerkungen:
1 Thomas Biller / Daniel Burger / Timm Radt, Montfort und der frühe Burgenbau des Deutschen Ordens, Petersberg 2015; Thomas Biller, Templerburgen, Darmstadt 2014; Thomas Biller / Daniel Burger / G. Ulrich Großmann (Hrsg.), Der Crac des Chevaliers. Die Baugeschichte einer Ordensburg der Kreuzfahrerzeit, Regensburg 2006.
2 Gianni M. Perbellini / Flavio Rodeghiero (Hrsg.), Città murate del Veneto. Scacchieri fortificati medievali. Un sistema-regione, Sommacampagna 2011; Sante Bortolami (Hrsg.), Città murate del Veneto, Cinisello Balsamo 1988.

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