R. R. Caston u.a. (Hrsg.): Hope, Joy, and Affection

Cover
Titel
Hope, Joy, and Affection in the Classical World.


Herausgeber
Caston, Ruth R.; Kaster, Robert A.
Reihe
Emotions of the Past
Erschienen
Anzahl Seiten
XII, 282 S.
Preis
£ 47,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Cristian Criste, München

Eine empirisch ausgerichtete Auseinandersetzung mit vergangenen Gefühlswelten, bereits 1941 von Lucien Febvre als Desiderat formuliert1, hat sich in den letzten Jahrzehnten dank einer Vielzahl anregender Studien einen bedeutsamen Platz unter den kulturgeschichtlichen Fragestellungen erarbeitet. Mit David Konstan ist die zu rezensierende Festschrift einem Gelehrten gewidmet, der eine Vorreiterrolle auf diesem Gebiet einnimmt. Zugleich verfolgt sie das Ziel, die bisher weitgehend vernachlässigten positiven Gefühle der klassischen Antike in den Fokus der Wissenschaft zu rücken. Gegliedert wurden die elf Beiträge nach drei thematischen Schwerpunkten – Hoffnung, Freude und Wohlwollen.

Zu Beginn widmet sich Douglas Cairns dem Hoffnungsdiskurs in der griechischen Literatur. Als kulturell geprägte Objektivationen affektiver Erfahrungen stellen für den Autor die in diesem Zusammenhang verwendeten Metaphern den Schlüssel zu den emotionalen Vorstellungswelten dar. Cairns analysiert das semantische Feld von elpis, das sowohl eine – überwiegend emotionsfreie – Zukunftsprognose als auch das vertrautere Gefühl der Hoffnung ausdrücken kann. Letzteres dürfe jedoch nicht unhinterfragt als Synonym moderner Begrifflichkeiten betrachtet werden. Der positiv konnotierten „Hoffnung“ steht eine ambivalente elpis gegenüber, die der potentiellen Diskrepanz zwischen Wunsch und Realität Rechnung trägt und vor allem auf metaphorischer Ebene von tiefem Misstrauen geprägt ist.2

Im zweiten Beitrag nimmt sich Damien Nelis eine lineare Lesart der Georgica aus der Perspektive der Emotionen vor. Er untersucht die verschiedenen Ausprägungen von Mitleid, Angst, Neid und Hoffnung und schlussfolgert, dass die von Vergil vermittelte Gefühlswelt als Spiegelbild der politischen Turbulenzen in der Entstehungszeit der Georgica zu verstehen ist. Die nach Actium in Augustus gesetzten Hoffnungen seien auch affektiv durch die Metapher der besiegten invidia greifbar.

Im Hinblick auf die Konzeptualisierung von elpis nimmt der griechische Roman eine Sonderstellung ein. Ist in anderen Gattungen stets der Gedanke der Vergeblichkeit präsent, bestätigt sich im Roman die Hoffnung der Protagonisten immer durch einen glücklichen Ausgang. Laurel Fulkerson erklärt dies unter Rückgriff auf die Emotionstheorie des Aristoteles und zeigt, dass das Erfüllen dreier Definitionskriterien eine positive Sicht auf die Hoffnung erlaubt: elpis als Merkmal der Jugend, als begründetes Vertrauen dank bereits bewältigter Schwierigkeiten sowie als grundsätzliches Kennzeichen einer tugendhaften Person.

Den Anfang des zweiten Abschnittes macht Ruth R. Castons Beitrag zur Freude in den Werken des Plautus und Terenz. Die Autorin weist hierin auf das kognitive Moment einer Emotion hin, die von der Verwirklichung persönlicher Wünsche motiviert wird, sowie auf die Interdependenz von gegenwärtigem Glück und der Befürchtung zukünftigen Leides. Ein Kernelement der Emotion stellt ihre Einbindung in das soziale Umfeld dar. Die Frage, ob man das Gefühl mitteilen solle, begleitet alle terenzischen Protagonisten, und die zumeist ablehnende Haltung, die ihnen entgegenschlägt, verleiht der Freude einen betont isolativen Charakter. Ausgehend von der Charakterisierung des Horaz als felix bei Petronius und Quintilian untersucht danach Michael C. J. Putnam die stilistische Ausprägung der felicitas bei diesem augusteischen Dichter, die sich in der subtilen imitatio Pindaris offenbart (Hor. carm. 4,2). Obwohl philologisch ergiebig, entfernt sich der Ansatz Putnams beträchtlich von den in der Einleitung postulierten emotionsgeschichtlichen Absichten des Bandes.3

Die folgenden zwei Beiträge widmen sich der stoischen Sichtweise auf die Freude: Margaret Graver unterstreicht, dass die Freude (gaudium) für Seneca im Gegensatz zum reinen Vergnügen (voluptas) einen legitimen Affekt des Weisen darstellt, der aber nicht Selbstzweck sein dürfe. Vielmehr wird er zur unweigerlichen Konsequenz der Tugendhaftigkeit des Handelnden selbst – wenngleich die detaillierte Behandlung des Themas in Sen. epist. 66 suggeriert, dass das Gefühl ebenso auf äußere Einflüsse zurückgehen kann (S. 133–136). Als Beleg für den Eklektizismus Senecas, der keinem Dogma folgt, sondern unterschiedliche stoische Traditionen rezipiert, differenziert Graver in dessen Schriften zwischen sieben verschiedenen Arten der Freude. Die Theorie der für den Weisen geeigneten Gefühle (eupatheiai) wird für Christopher Gill zum Ausgangspunkt seiner Untersuchung. In Auseinandersetzung mit Marc Aurel beweist er, dass die scheinbar spärlichen Oberbegriffe zugestandener Emotionen ein reichhaltiges Reservoir an affektiven Unterkategorien bereitlegen. Die Analysen Gravers und Gills korrigieren eindrucksvoll das überkommene Bild eines „apathischen“ und individualistischen Stoizismus.

Der letzte Themenkomplex beginnt mit einer Analyse des Wohlwollens in den attischen Gerichtsreden. Die aristotelische Theorie unterscheidet zwischen der einseitigen eunoia und der als gegenseitiges Wohlwollen konzipierten Freundschaft (philia). Ed Sanders vergleicht diese Stellen mit dem Vokabular der rhetorischen Praxis und stellt eine synonymische Verwendung fest, welcher der Gedanke der Gegenseitigkeit zugrunde liegt. Ergänzend wird das Wohlwollen der Hörer auch unterschwellig – etwa durch die Bekundung des eigenen Wohlwollens der Gemeinschaft gegenüber – evoziert. Anzumerken wäre, dass Aristoteles ebenfalls die Anweisung erteilt, im Zuge der ethischen Argumentation die eigene eunoia den Richtern gegenüber erkennen zu lassen (rhet. 1378a9–10). Da er jedoch die strikte Trennung von rationalem ethos und emotionalem pathos aufrechterhält, wirft diese Vorgabe einige Fragen auf: Handelt es sich hierbei um ein reziprokes Verständnis von eunoia oder stehen wir vor einer nicht-emotionalen Ausprägung des Wohlwollens?4

Basierend auf neuen Philodemos-Editionen untersucht David Armstrong das epikureische Konzept der Freundschaft. Dabei identifiziert der Autor ein Drei-Stufen-Modell, das er überzeugend gegen ein rein utilitaristisches Verständnis ins Feld führt. Armstrong spricht sich vielmehr für eine pragmatische Haltung der epikureischen Philosophie aus, welche die Existenz genuiner Zuneigung nicht ausschließt. Der christliche Begriff der Liebe bildet den Gegenstand des Aufsatzes von Gillian Clark, in dem betont wird, dass die von Augustin synonymisch gebrauchten amor und dilectio nicht zwangsläufig eine pejorative Konnotation implizieren, sondern erst in ihrer Relation zu dem Begriff der voluntas eine solche erhalten können. Voluntas als Willensentscheidung und Einstellung eines jeden Menschen umschließt gar sämtliche Emotionen, sie wird aber nur in ihrer Ausrichtung auf den Gottesstaat zu einer bona voluntas, welche auch die daraus resultierenden Gefühle als wünschenswert kennzeichnet.

Pur saresti men severo, se vedessi questo cor („Doch du wärest nicht so streng, sähest du dieses Herz“). Die Worte, die Sesto in Mozarts La clemenza di Tito nach seinem Verrat an den Kaiser adressiert, dienen als Inspiration für den letzten Beitrag des Bandes. Martha Nussbaum identifiziert darin zwei von der Antike geprägte Spielarten der Milde. Die „monarchische“ Auslegung in der jüdisch-christlichen Tradition geht auf das Bild eines unfehlbaren Gottes zurück und wird als Gnadenakt des Herrschers gedeutet. Dagegen steht die „egalitäre“ clementia der griechisch-römischen Antike, die ein empathisches „Betrachten des Herzens“ und das Bewusstsein der eigenen Fehlbarkeit bei jeder Beurteilung der Mitmenschen voraussetzt. Letztere Tradition ist es auch, die sich in Mozarts Oper wiederfindet und die Milde des Titus begründet. So bietet der Abschluss des Bandes nicht nur eine gelungene Würdigung David Konstans, sondern vor allem ein denkwürdiges und lesenswertes Plädoyer für humanitas.

In der Einleitung des Sammelbandes erklären die Herausgeber ihre Absicht, auf die Rolle positiver Gefühle aufmerksam zu machen, ohne ihre Komplexität und ihre Wechselwirkung mit negativen Emotionen außer Acht zu lassen. Zudem wird auf den sozialen Kontext verwiesen, durch den unterschiedliche Affekte hervorgerufen werden und der eine Emotionsgeschichte unter Auslassung kultureller Spezifika unmöglich macht. Damit verbunden sind auch gesellschaftlich determinierte Wertvorstellungen, die den „irrationalen“ Gefühlen oft einen kulturellen Sinn verleihen. Nicht explizit erwähnt – aber in den einzelnen Beiträgen immer beachtet – wird die Prämisse, dass die Übersetzung emotionaler Begriffe stets auch kulturbedingten Bedeutungsunterschieden Rechnung tragen muss.5 Obwohl die Präzisierung wünschenswert gewesen wäre, dass es sich bei den untersuchten „positiven Gefühlen“ um eine Einstufung auf Basis heutiger Definitionen handelt6, wirkt sich dies inhaltlich nicht negativ auf die Qualität der Beiträge aus. Der Sammelband erreicht sämtliche in der Einleitung formulierten Ziele und liefert ein exzellentes Beispiel für den Erkenntnisgewinn, der aus einer Geschichte der Gefühle gezogen werden kann.

Anmerkungen:
1 Lucien Febvre, Comment reconstituer la vie affective d’autrefois? La sensibilité et l’histoire, in: Annales d’histoire sociale 3 (1941), S. 5–20.
2 In der Rezension des Bandes von Anders Klostergaard Petersen in Bryn Mawr Classical Review (http://bmcr.brynmawr.edu/2017/2017-01-45.html [01.04.2017]) wird die Diskussion des Charakters von elpis als Gefühl kritisiert. Die Fragestellung ist jedoch nicht nur legitim, sondern für emotionsgeschichtliche Zwecke unerlässlich. Beispielhaft bei Cairns ist die akribische Trennung zwischen elpis und „hope“, die auch auf sprachlicher Ebene die kulturell unterschiedlichen Deutungsschemata widerspiegelt. Vgl. auch Anm. 5.
3 Ähnlich urteilt auch Rachel Bird in ihrer Rezension des Bandes, in: Ancient History Bulletin Online Reviews 6 (2016), S. 66–72 (http://ancienthistorybulletin.org/wp-content/uploads/2016/09/AHBOnlineReviews2016.18.BirdOnCastonCastor-1.pdf [01.04.2017]).
4 Vgl. dazu William W. Fortenbaugh, Benevolentiam conciliare and animos permovere. Some Remarks on Cicero’s De oratore 2.178-216, in: Rhetorica 6 (1988), S. 259–273, hier S. 261–263.
5 Vgl. die Einleitungen in Robert A. Kaster, Emotion, Restraint, and Community in Ancient Rome, Oxford 2005 (vor allem das dafür entwickelte Konzept der „narrativen Skripte“) und David Konstan, The Emotions of the Ancient Greeks. Studies in Aristotle and Classic Literature, Toronto 2006.
6 Vgl. Heinz-Günter Vester, Emotion, Gesellschaft und Kultur, Opladen 1991, hier S. 28.

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