Cover
Titel
Konklave. Die Geheimnisse der Papstwahl


Autor(en)
Wolf, Hubert
Erschienen
München 2017: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
224 S., 47 Abb.
Preis
€ 19,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ansgar Frenken, Ulm

Mit der vorliegenden Arbeit legt der renommierte und mit Wissenschaftspreisen vielfach ausgezeichnete Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf einen auf die wesentlichen Kernprobleme fokussierten Überblick zur Wahl und Einsetzung des Papstes vor. Unausgesprochen dürfte dahinter die Absicht stecken, über das Geschehen seriös zu informieren, was in einer Zeit, in der Verschwörungstheorien eine Konjunktur erleben, einer Versachlichung der Diskussion nur dienen kann. Wolf hat seinen Text in sieben Abschnitte strukturiert (1. Wer wählt den Papst? (S. 21–48), 2. Wer kann überhaupt Papst werden? (S. 49–61), 3. Wo wird der Papst gewählt? (S. 63–83), 4. Wie wird der Papst gewählt? (S. 85–113), 5. Was macht den Papst zum Papst? (S. 115–151), 6. Wie geheim sind Papstwahlen wirklich? (S. 153–163), 7. Wie funktioniert ein Papstrücktritt? (S. 165–181)), womit er systematisch alle zentralen Aspekte des Themas anspricht. Eingerahmt werden diese Abschnitte von einer Rückschau auf die beiden zurückliegenden Konklave Benedikts XVI. und Franziskus‘ I. (S. 7–19) sowie einem Blick in die Zukunft, auf eine fiktive, ab dem Jahr 2059 geltende Papstwahlordnung (S.183–192).

Allein schon der Titel des Buches deutet darauf hin, dass Wolf in erster Linie wohl Leser erreichen möchte, die üblicherweise nicht zu einem wissenschaftlichen kirchenhistorischen Buch greifen würden. Dies ist dem Duktus des Buches wie der von Fachjargon weitgehend freien Sprache des Autors deutlich anzumerken. Der Qualität seiner Arbeit tut dies gleichwohl keinen Abbruch. Ob es dafür allerdings notwendig ist, etwas reißerisch mit den "Geheimnissen der Papstwahl" (so der Untertitel) zu winken, oder die zurückliegende Papstwahl mit dem effekthascherischen Vergleich "Wie Weihnachten: Das Mysterium der Papstwahl" (so der Titel des einleitenden Kapitels) zu versehen, wäre kritisch zu hinterfragen. Ohne Zweifel hat der Münsteraner Ordinarius aber ein im besten Sinne populärwissenschaftliches Buch verfasst, anschaulich und flott geschrieben, selbst wenn ihm sprachlich manchmal die Zügel etwas durchzugehen scheinen (so mit der Wortschöpfung "verdemütigen", S. 135, oder wenn er das Phrygium mit der "Mütze von Gartenzwergen und Schlümpfen" vergleicht, S. 134). Ein halbes Hundert Schwarz-Weiß-Abbildungen, über das Buch verteilt, können selbst einem (kirchen-)historischen Laien eine gewisse Vorstellung davon vermitteln, wie es bei der Papstwahl und -einsetzung zugeht. Anmerkungsapparat (S. 199–203) und Bibliographie ("Zum Weiterlesen"; S. 205–214) sind eher knapp gehalten, für den interessierten Leser sollte das aber ausreichen. Ein Personenregister (S. 217–220) erleichtert zudem eine schnelle Orientierung.

Wolf ist ein ausgezeichneter Kenner der jüngeren Kirchengeschichte, insbesondere auch der neueren Papstgeschichte.1 Nicht ganz so sattelfest bewegt er sich dagegen im späteren Mittelalter. Gregor XII., Papst der römischen Linie im großen abendländischen Schisma, war nach dem Konzil von Pisa nicht mehr in Rom, sondern hielt sich zunächst auf venezianischem Gebiet und dann im Territorium des Signore Malatesta von Rimini auf. Stattdessen gelang es dem Pisaner Papst Johannes XXIII., sich wenigstens zeitweilig in Rom zu behaupten (S. 43). König Sigismund war auch nicht der deutsche König, sondern der von den deutschen Kurfürsten gewählte römische König (S. 43). Das in Konstanz verabschiedete Dekret Haec sancta formulierte keineswegs die Oberhoheit über die Päpste (S. 43f.), sondern suchte in der Phase nach der Flucht Johannes' XXIII. das Fortbestehen der Synode zu sichern und gleichzeitig den Konzilsvätern eine Legitimation zu verschaffen, die wichtigsten Aufgaben auch ohne päpstliches Mitwirken angehen zu können. Erst in der Rezeption des Dekrets nach Abschluss des Konzils erfuhr dieses eine Interpretation, die ihm eine bewusst antipäpstliche Stoßrichtung gab. Unzutreffend und grob vereinfachend ist ebenso, die Teilnahme der Konzilsnationen am Konklave 1417 damit zu erklären, dass "sich bei der Papstwahl kein Land benachteiligt fühlen konnte" (S. 44). Mit den staatsrechtlichen Nationen der Neuzeit lassen sich diese Konzilsnationen kaum gleichsetzen, daher ist der angedeutete Zusammenhang nicht gegeben. Ungenau ist auch die Angabe, 2013 wäre der "erste Papstrücktritt nach sechshundert Jahren" (S. 193, ähnlich S. 9) gewesen – als letzter Papst hatte 1449 (!) Felix V. auf das Amt verzichtet. Eine "Liste der allgemein verbindlichen Konzilien der katholischen Kirche" (S. 191) ist, anders als Wolf suggeriert, weder existent, noch ist deren Zahl unbestritten. Nicht einmal dem Konstanzer Konzil (1414–18) wird der Status des allgemeinen Konzils in der Forschung uneingeschränkt zugesprochen; auch herrscht keine Einigkeit darüber, ab welchem Zeitpunkt dieser Anspruch der Kirchenversammlung zuzusprechen sei. Ungenau ist auch die Angabe, das Konzil von Basel habe sich erst 1439 gespalten (S. 176); spätestens mit der Ankündigung Eugens IV. von 1437, das Konzil nach Ferrara zu verlegen, war der Bruch unaufhebbar.

Der Autor schreibt indes nicht nur als gelehrter Wissenschaftler, sondern er ergreift auch als engagierter Katholik das Wort, der sich mit klaren und eindeutigen Äußerungen und Positionen in kirchenpolitischen Fragen keineswegs zurückhält. Das reizt zu Widerspruch. Man darf daher gespannt sein, wie die kirchliche Öffentlichkeit und die Fachwelt darauf reagieren werden. Dezidiert nimmt Wolf zu den Problemen des heutigen Papsttums Stellung und reibt sich gerade auch an den beiden Päpsten Johannes Paul II. und Benedikt XVI. und ihren Entscheidungen. Selbst wenn sich beide, worauf Wolf mehrfach hingewiesen hat, gerne auf die Tradition der katholischen Kirche beriefen, weist der Kirchenhistoriker auf die Brüche hin, die sie mit ihren Entscheidungen zur Papstwahl bzw. von diesem Amt zurückzutreten hervorgerufen haben. Bezüglich des überraschenden Schritts Benedikts XVI. spricht er von einer "Entzauberung des Papsttums" (S. 176) und weist auf die ungelösten Probleme hin, die sich daraus für das Papstamt ergeben. Der deutsche Papst tritt zwar zurück, aber nur halbherzig: Er bleibt weiß gewandet, lässt sich mit 'Seine Heiligkeit' anreden und ist papa emeritus – all dies Brüche mit den Traditionen früherer Papstrücktritte (S. 170–175). Mit Blick auf die jüngsten Entwicklungen zieht Wolf daher das Fazit, "dass die Traditionen der Papstwahl immer wieder neu erfunden wurden und auch in Zukunft immer wieder neu zu erfinden sind" (S. 196).

Als Historiker bedauert der Münsteraner Forscher darüber hinaus die ausdrückliche Anordnung Papst Johannes Pauls II., alle Akten und Aufzeichnungen über die Papstwahlen auf ewig für die Forschung zu sperren. "Statt der vielbeschworenen Transparenz wird durch diese Archivpolitik Geheimniskrämerei betrieben und wilden Spekulationen Tür und Tor geöffnet" (S. 163). Wolfs dezidiertem Statement kann man leider nur zustimmen.

Auf Schritt und Tritt merkt man dem Buch seine Genese aus der im Kontext des Münsteraner Exzellenzclusters 2009/10 gehaltenen Ringvorlesung "Rituale der Amtseinsetzung" (S. 195f.) an. Welch anderes Amt und welch andere Institution mag sich als Untersuchungsobjekt so sehr dafür eignen wie die auf eine 2000jährige Geschichte zurückblickende katholische Kirche mit ihrem Oberhaupt, dem Papst. Das Heranrücken des Gegenstands in die Erfahrungswelt des Lesers, mittels einer Visualisierung durch die modernen Massenmedien, leistet einen wichtigen Beitrag zur Überbrückung historischer Distanz und erleichtert damit ein Verständnis für das Unvertraute und Fremde. Bisweilen vermeint man sogar beim Lesen von Hubert Wolfs Buch die Glocken läuten zu hören und den Weihrauch riechen zu können. Keine schlechte Empfehlung, sich in die Lektüre dieses Buch zu vertiefen.

Anmerkung:
1 Hubert Wolf, Römische Inquisition und Indexkongregation 1814–1917, 3 Bde., Paderborn 2005; ders., Römische Inquisition und Indexkongregation 1701–1813, 5 Bde., Paderborn 2009/10; ders., Die Nonnen von Sant’Ambrogio. Eine wahre Geschichte, München 2013 und viele andere.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension