Titel
Von Journalisten und Diplomaten. Die Entdeckung der Presse für die Außenpolitik in Preußen und Österreich 1849–1879


Autor(en)
Feldmann, Dominik
Reihe
Historische Forschungen 110
Erschienen
Anzahl Seiten
249 S.
Preis
€ 89,90
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Wolfgang Elz, Neueste Geschichte, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Das Verhältnis von Politik und Presse bietet ein fast zeitloses Thema: Heutzutage beschimpfen die einen die Medienlandschaft als „Lügenpresse“ und bringen damit ihren Vorwurf zum Ausdruck, die „Eliten“ inner- und außerhalb der Presse gedächten, dem „wahren Volk“ nur etwas vorzulügen; andere charakterisieren kritische Presse als „Volksfeinde“ und versuchen so zu kaschieren, dass sie selbst zur Elite gehören und die Macht in Händen halten: Sie wollen den Eindruck vom vermeintlichen Rekurs auf „das Volk“ aufrecht erhalten, das man nun eben selbst authentisch informieren müsse. Die Heftigkeit der Auseinandersetzungen in der Frage der Deutungshoheit über die Realität zeigt vor allem, welche Bedeutung Presse unverändert hat oder ihr jedenfalls zugemessen wird.

Pressepolitik als der gezielte Versuch von Regierungen, öffentliche Meinung über die Presse zu beeinflussen, und damit implizit auch die Bedeutung der Presse in Deutschland im „langen 19. Jahrhundert“ war vor einigen Jahrzehnten ein beliebtes Thema der Geschichtsforschung (und insbesondere von Qualifikationsschriften); in den 1960er- bis 1980er-Jahren untersuchten verschiedene Studien die Ausprägung der Presse unter Bismarck oder die österreichische Pressepolitik.1 Ganz aus dem Blick der Forschung war sie nie entschwunden und wurde wiederholt, dann aber zumeist unter anderem Etikett, etwa dem der Mediengeschichte, behandelt. Seit einigen Jahren scheint es jedoch eine Renaissance des Themas im engeren Sinne zu geben, also des Verhältnisses zwischen Regierungen und Presse, wie neben der hier zu besprechenden Augsburger Dissertation einige jüngere Arbeiten andeuten.2

Feldmann hat sich die Zeit zwischen dem Ende der Revolution von 1848/49 und dem Abschluss des Zweibundes von 1879 vorgenommen. Er untersucht, wie die beiden deutschen Kontrahenten Preußen und Österreich ihre Pressepolitik im Hinblick auf das Gegenüber und den sich verschärfenden „Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland“ (Friedjung) betrieben. Kurze einleitende Abschnitte werfen einen Blick auf die technische Entwicklung durch die Einführung des Telegraphen, verbesserte Druckverfahren und auf den damit einsetzenden Weg zur Massenpresse in Deutschland sowie auf die vornehmlich repressive Pressepolitik im Vormärz. Trotz nicht ganz einfacher Archivlage kann er aufzeigen, wie nach der Revolution von 1848 und angesichts der im Revolutionsjahr neu geschaffenen breiten Öffentlichkeit die Erkenntnis in Berlin wie in Wien wuchs, dass repressive Pressepolitik alleine nicht mehr ausreichen würde, um in der deutschen öffentlichen Meinung Sympathien für die jeweils eigene Position zu wecken. Daher wurden von beiden Regierungen im Detail abweichende, aber strukturell ähnliche Maßnahmen ergriffen, nämlich die Gründung von Regierungseinrichtungen, deren Ziel die Beeinflussung der Presse durch die Anwerbung (und gegebenenfalls Besoldung) von Journalisten, die Bildung von Netzwerken oder jedenfalls die Schaffung von Einflusskanälen (etwa durch Bezug von Abonnements beträchtlichen Umfangs) hin zu einzelnen Zeitungen war. Dafür wurden beiderseits ebenso Geldmittel bereitgestellt wie für die Errichtung von „Pressefilialen“, insbesondere in Frankfurt, die am Ort der wiedererstandenen Bundesversammlung und von dort in den süddeutschen Raum wirken sollten.

In den 1850er-Jahren führten entsprechende Versuche der Presselenkung noch zu eher verhaltenen Kampagnen, etwa im Zuge der von Österreich betriebenen Zollpolitik-Initiativen und der von Preußen verfolgten Unions-Politik; hier wie in der innerdeutschen Debatte über die Haltung der beiden Großmächte im Krimkrieg, in der Frage der Bundesreform und schließlich während des Sardinischen Krieges 1859 kann Feldmann noch kaum konkrete Auswirkungen solcher Pressepolitik auf die „große Politik“ ausmachen.

Das Ausmaß der Pressebeeinflussung änderte sich in den 1860er-Jahren, als zunächst auf beiden Seiten aus der Unzufriedenheit mit dem bisher Geleisteten Neuorganisationen in der Pressepolitik vorgenommen wurden und insbesondere die Außenministerien größeren Einfluss und Zugriff gewannen. Spätestens mit der erneut aufkommenden Bundesreformfrage und den gezielten Indiskretionen, die Berlin wie Wien nun gegenüber der Presse begingen, begann auch die Zeit der gegenseitigen Vorwürfe über solche Maßnahmen. Im Vorfeld des Krieges von 1866 weitete sich dies zum wahren Pressekrieg aus, weil beide auf die öffentliche Meinung in Deutschland wirken wollten. Auch nach dem Krieg änderte sich dies zunächst wenig, weil der noch auf Revanche hoffende österreichische Außenminister Beust sich mit seinem erklärten Feind Bismarck auf dem Umweg über die Zeitungen duellierte und die Agitation über die Presse fast zu einem eigenen Schauplatz neben der klassischen Diplomatie wurde. Schließlich wanderte diese Art der Propaganda in ein ganz anderes Fahrwasser hinüber: Nach der Reichseinigung war Bismarck bemüht, in Österreich auf Verständigung mit dem deutschen Nachbarn zielende Stimmen zu stärken. Inwieweit dies tatsächlich zum Abschluss des Zweibundes von 1879 beitrug, lässt Feldmann wie bei allen politischen Fragen der vorangegangenen drei Jahrzehnte allerdings offen.

Feldmann beschreibt einerseits die Organisationsgeschichte der preußischen und österreichischen Pressepolitik angesichts einer schwierigen Archivlage recht instruktiv und erweitert sie noch durch einen kurzen vergleichenden Exkurs über die Organisation der französischen Pressepolitik unter Napoleon III. Andererseits bleibt eine klare Lücke der Studie: Über die Erfolge und Misserfolge der Pressepolitik lässt sich anhand des verwendeten Materials kaum eine Aussage treffen. Das hat wohl seinen Grund in Feldmanns Ansatz: Er scheint zum einen davon auszugehen, dass das preußisch-österreichische Duell sich mehr oder weniger im abgeschlossenen bilateralen Raum vollzog. Daher finden einige weitere krisenhafte Zuspitzungen des betreffenden Zeitraums kaum Berücksichtigung, etwa Bismarcks und Beusts Handhabung der Presse in der Luxemburg-Krise oder in den verschiedenen kleineren Krisen der Orientalischen Frage nach dem Krimkrieg; bei letzteren ging es aber beiden stets nicht nur um den Orient, sondern um die Rückwirkungen dortiger Verwicklungen auf die Mächtebeziehungen. Offenbar scheint Feldmann weitgehend auszublenden, dass die innerdeutsche Auseinandersetzung stets auch im Rahmen dieser internationalen Großmächtebeziehungen zu führen war. Folgerichtig werden zum anderen kaum Quellen genutzt, selbst wo sie veröffentlicht und damit leicht greifbar sind, die von außen die deutsche öffentliche Meinung und damit auch die Wirkung der Pressepolitik betrachteten und dazu häufig Einschätzungen abgaben wie etwa die britischen Diplomaten in Deutschland.3

Wenn die nicht erbrachten Wünsche an eine solche Studie daran liegen, dass die Einbettung der „deutschen Frage“ in die internationalen Beziehungen der damaligen Zeit nicht berücksichtigt wird, kommt ein anderes hinzu, nämlich die mangelhafte Anbindung an die jeweilige konkrete Politik. Dieser Befund ergibt sich aus einigen kurzschlüssigen Quelleninterpretationen. Als beispielswiese Bismarck kurz nach dem Berliner Entschluss zur Entfesselung des Krieges von 1866 in einem Runderlass vom Februar 1866 an seine Diplomaten schreibt, die österreichische Pressepolitik sei schuld an der sich vollziehenden Eskalation in der deutschen Frage, schließt Feldmann daraus, Bismarck habe „demnach die Presse als einen äußerst wichtigen Faktor für die Verschlechterung der diplomatischen Beziehungen“ betrachtet (S. 156). Aber diese Interpretation ist ausgesprochen voreilig: Sie setzt nämlich voraus, dass Bismarck, der doch gerade selbst die Eskalation betrieben hatte, das glaubte, was er dort schrieb, und nicht etwa nur seinen diplomatischen Vertretern eine Sprachregelung an die Hand gab, die sie gegenüber den anderen Regierungen zur Rechtfertigung des preußischen Vorgehens verwenden sollten.

Schließlich soll nicht verschwiegen werden, dass die Studie noch unter einem weiteren starken Mangel leidet: Sehr viele kleine und jede in sich vielleicht nicht bedeutende sprachliche Holprigkeit (beispielsweise der hundertfache falsche Gebrauch des Konjunktivs II) und einige orthographische Ungenauigkeiten hemmen den Lesefluss sehr stark. Offenbar hat der Verlag keinerlei Lektorat zur Verfügung gestellt. Der ausgerufene üppige Preis für ein Paperback von überschaubarem Umfang lässt daher aktuelle Diskussionen über Urheberrechtsanteile der Verlage in einem eigenartigen Licht erscheinen.

Anmerkungen:
1 Als kleine Auswahl ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Eberhard Naujoks, Bismarcks auswärtige Pressepolitik und die Reichsgründung (1865–1871), Wiesbaden 1968; Barbara Krebs, Die westeuropäische Pressepolitik der Ära Beust (1865–1871), Göppingen 1970; Manfred Overesch, Presse zwischen Lenkung und Freiheit. Preußen und seine offiziöse Zeitung von der Revolution bis zur Reichsgründung (1848 bis 1871/72), Pullach bei München 1974; Heinz-Alfred Pohl, Bismarcks „Einflußnahme“ auf die Staatsform in Frankreich 1871–1877. Zum Problem des Stellenwerts von Pressepolitik im Rahmen der auswärtigen Beziehungen, Frankfurt am Main 1984; Reinhard Schwarz, Emil Pindter als offiziöser Redakteur und „Kritiker“ Otto v. Bismarcks, Frankfurt am Main 1984.
2 Vgl. etwa Dominik Geppert, Pressekriege. Öffentlichkeit und Diplomatie in den deutsch-britischen Beziehungen (1896–1912), München 2007; Gabriele B. Clemens (Hrsg.), Zensur im Vormärz. Pressefreiheit und Informationskontrolle in Europa, Ostfildern 2013; Martin Wroblewski, „Moralische Eroberungen“ als Instrumente der Diplomatie. Die Informations- und Pressepolitik des Auswärtigen Amts 1902–1914, Göttingen 2016.
3 Markus Mösslang u.a. (Hrsg.), British Envoys to Germany, 1815–1866. Vol. IV: 1851–1866, Cambridge 2010.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/