B. Gißibl: The Nature of German Imperialism

Cover
Titel
The Nature of German Imperialism. Conservation and the Politics of Wildlife in Colonial East Africa


Autor(en)
Gißibl, Bernhard
Reihe
The Environment in History: International Perspectives 9
Erschienen
New York 2016: Berghahn Books
Anzahl Seiten
IX, 360 S.
Preis
$ 120.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Winfried Speitkamp, Weimar

Die Umweltgeschichte des Kolonialismus hat neuerdings Konjunktur. Auch die Geschichte des Umgangs mit Tieren und die Geschichte der Naturschutzgebiete und Nationalparks in den ehemaligen Kolonien sind dabei in den Blick gerückt. Das vorliegende Buch geht auf eine Mannheimer Dissertation von 2009 zu Jagd und Naturschutz im kolonialen Deutsch-Ostafrika (heute Tansania) zurück. Es ist die Frucht einer langjährigen intensiven Beschäftigung mit dem Thema; Bernhard Gissibl hat bereits eine Reihe von Beiträgen dazu veröffentlicht und kann als einer der besten Kenner der Materie gelten. Breit gestreutes ungedrucktes Quellenmaterial aus über 20 öffentlichen und privaten Sammlungen und Archiven wurde für das Buch ausgewertet, von dem Archiv der Erzabtei St. Ottilien über Sammlungen in Oxford, Nairobi oder London bis zum Tierpark Hagenbeck in Hamburg. Hinzu kommen gedruckte Quellen aus dem kolonialen Kontext und die mittlerweile nicht unbeträchtliche Literatur zum deutschen Kolonialismus und zur Geschichte von Nationalparks und Zoologischen Gärten; nur die neueste Literatur zu Tier-Mensch-Beziehungen wurde nicht mehr umfassend einbezogen. Nachgezeichnet wird die Geschichte der Naturreservate und Nationalparks in Deutsch-Ostafrika bis 1914. Der Autor fragt nach dem Entstehen von Umweltbewusstsein und Naturschutzambitionen im kolonialen Kontext um 1900. Dabei konzentriert er sich besonders auf Elefantenjagd und Elfenbeinhandel. Etwas bedauerlich ist, dass der Band nicht mehr (und besser reproduzierte) Abbildungen enthält, obwohl auch die Wirkung von Kolonialfotografien behandelt wird. Etwas irritierend ist die Zählung der Abbildungen, Grafiken und Karten. Wer das Buch im Übrigen wirklich liest – und dieses Monitum richtet sich ausschließlich an den Verlag – hat binnen kurzem eine Lose-Blatt-Sammlung in der Hand. Diese Einwände vorweggeschickt, bleibt aber eine beeindruckend materialgesättigte Studie mit vielfältigen und dichten Beobachtungen und anregenden historischen Verknüpfungen.

Ausgangspunkt und Folie der Darstellung ist die Rolle, die das Verständnis von und der Umgang mit Natur und Wildtieren für die Staatswerdung in Ostafrika und für die Einbindung Tansanias in globale Zusammenhänge hatten. Die Jahre der deutschen Kolonialherrschaft werden als entscheidende Transformationsphase beschrieben, von der (Aus-)Nutzung der Wildnis als Jagdgebiet hin zum konservierenden Umgang. Beide Ausrichtungen trugen gleichermaßen zur Formung der stereotypen Afrika-Bilder bei. Dazu gehörten die Trennung von Tier- und Menschenwelt sowie das Verständnis Afrikas als Kontinent der wilden Tiere, vor allem als Naturparadies und Sehnsuchtsort. Gissibl plädiert dafür, einerseits die ökologische Dimension als Teil der kolonialen Geschichte einzubeziehen, andererseits die Akteursmacht, die agency, auch von Tieren und Pflanzen zu berücksichtigen. Allerdings legt er den Fokus nicht auf Tiere und Menschen in ihren Beziehungen und Interaktionen, vielmehr erscheinen Tiere primär als Objekte von Jagd und Wildschutz, von Imaginationen und Projektionen. An ihrem Beispiel werden Problematiken, Konsequenzen und Nachwirkungen deutscher Kolonialpolitik verdeutlicht. So bearbeitet die Studie zunächst die konkreten Umgangsweisen mit Tierwelt und Natur in der deutschen Kolonie, sodann die wechselseitigen Beziehungen zur britischen Politik in Ostafrika und schließlich die Präsentation der Bilder von Natur und Tieren im Deutschen Reich. Herausgearbeitet wird, wie das Bild Afrikas als Kontinent von unberührter Natur, Wildnis und wilden Tieren geformt wurde. Basis waren die Erwartungen an den Elfenbeinhandel, der die Kolonialisten motivierte und die Kolonialpolitik auch in Bezug auf die Jagd durch Einheimische steuerte. In Wechselwirkung und Austausch mit der britischen Politik vollzog sich freilich an der Jahrhundertwende ein Paradigmenwechsel, der dazu führte, dass nunmehr Natur erhalten werden sollte; Einheimische dürften demnach nur noch in vermeintlich traditioneller Form, das heißt mit Speer und Pfeil, jagen, nicht mit Fallgrube oder gar Feuerwaffen. Hier wurde zunächst das Bild Afrikas als eines Kontinents etabliert, den sich Tiere und Menschen harmonisch geteilt hätten.

Der Wandel von einer anfänglichen kolonialen Raub- und Beutewirtschaft zu einer eher konservierenden, mit den natürlichen (und menschlichen) Ressourcen des Kontinents rationaler, schonender umgehenden Kolonialpolitik ist im Kontext der Kolonialaufstände und Kriege von 1904/1905 sowie der Kolonialreformen schon mehrfach beobachtet worden. Gissibl ordnet die Politik der Wildreservate und Nationalparks hier ein, er sieht in den Konflikten um Elefantenjagd, Elfenbein und Ressourcen sogar eine wesentliche Bedingung des ostafrikanischen Maji-Maji-Kriegs. Die Mobilität im Raum, die Formen der Jagd und der Zugang der Bevölkerung zu Land, Wald und Wild wurden im kolonialen Sinn gesteuert und eingeschränkt. Indigene Elefantenjäger fanden sich in erstaunlich großer Zahl unter den Führern des Aufstandes, so berichteten jedenfalls offizielle Stellen. Elefantenjäger anderer ethnischer Gruppen unterstützten dagegen die Deutschen und wurden im Nachhinein mit Jagdprivilegien belohnt. Insofern spielte der Zugang zur Elefantenjagd eine wichtige Rolle im Krieg, aber keine eindeutige, wie ja überhaupt Afrikaner auf beiden Seiten kämpften. Ergebnis des Krieges war freilich, dass Teile des Südostens der Kolonie entvölkert wurden. Menschen zogen sich zurück, weil Elefanten sich nun ausbreiten konnten und Dörfer und Pflanzungen zerstörten. Davon profitierten die europäischen Elefantenjäger und Elfenbeinhändler.

In der Folge wurde kontrovers diskutiert, ob Nationalparks und Wildreservate, Natur- und Tierschutz der kolonialen Entwicklung und agrarischen Nutzung schadeten oder nicht umgekehrt auch als Faktor der kolonialen Entwicklung genutzt werden konnten, an erster Stelle beispielsweise, indem sie Touristen ins Land zogen. Die in zunehmender Zahl nach Ostafrika gelangenden deutschen Siedler sahen die Naturschutzpolitik als Bedrohung an, argwöhnten sie doch, die geschützten Wildtiere würden Sicherheit und Gesundheit bedrohen, Pflanzungen verwüsten und Krankheiten übertragen. Ostafrika, so der Protest, solle eine Kolonie werden, kein Zoologischer Garten. Umgekehrt die Intention der Kolonialregierung: Die Reservate sollten gewissermaßen wie das Land und die Menschen „in Wert“ gesetzt werden, sie sollten regelrecht Wild und Wildnis produzieren; Elfenbein verlor derweil rapide an Wert und Bedeutung im kolonialen Handel. Siedlungen der indigenen Bevölkerung wurden zugleich auf den unabdingbar erforderlichen Minimalraum zurückgedrängt, und der einheimischen Bevölkerung wurde die Nutzung von Waffen wie Speer oder Pfeil und Bogen vollends verboten. So entstand und verfestigte sich nun das Modell eines Kontinents der Tiere, wie es fortan koloniale und touristische Phantasien und Sehnsüchte beflügelte. Gissibl arbeitet erstmals die Bedeutung des Maji-Maji-Kriegs in der Naturschutzpolitik heraus – in jeder Hinsicht war Maji Maji somit ein Wendepunkt. Die Prinzipien des Natur- und Artenschutzes setzten sich dabei endgültig durch. Als dessen Sachwalter versuchte sich der Kolonialstaat zu etablieren, der daraus zugleich Legitimation zog.

Bernhard Gissibl bietet ein weites Panorama an Aspekten, bis hin zu Rinderpest und Gesundheitspolitik in den Kolonien. Er deckt dabei schon vergessene Episoden auf, nämlich 1910 die Tötung von Tausenden Wildtieren, das heißt Huftieren wie Gazellen und Antilopen, um die Rinderseuche einzudämmen – eine wohl wenig wirkungsvolle Aktion, dafür ein Skandal, der auch die deutsche Öffentlichkeit beschäftigte. Ob man die Bedeutung höher einschätzen sollte als zeitgenössische Umweltdebatten im Reich etwa um die Laufenburg-Stromschnelle, mag doch zweifelhaft sein; Letztere hatten nachhaltige Wirkung auf die Entstehung der Heimatschutzbewegung in Deutschland, während der ostafrikanische Fall wieder in Vergessenheit geriet. Die Naturschutzlobby im Reich und die Akteure, die sich für den Schutz afrikanischer Elefanten einsetzten wie Carl Hagenbeck und der Berliner Zoo-Direktor Ludwig Heck kommen ebenso zur Sprache wie transnationale und globale Wechselwirkungen, vor allem der Vorrang und Erfolg des Nationalparktourismus in Kenia sowie die Vorbildhaftigkeit amerikanischer Nationalparks, an erster Stelle des Yellowstone Parks. Ähnlich wie im amerikanischen Fall wurden die neu geschaffenen Parks als Wildnis imaginiert, indem menschliche Besiedlungen und Umwelteinflüsse negiert wurden. Fortan wurde die Wildnis zum Gegenmodell zur westlichen Zivilisation stilisiert, dabei geradezu sakralisiert, und es waren Jäger – da schließt sich der Kreis – die derartige Bilder in die Heimat transportierten. Insofern sieht Gissibl in der Kolonialzeit und in der Wahrnehmung von Natur und Tierwelt Afrikas auch eine entscheidende Etappe bei der Prägung der Naturwahrnehmung in Deutschland und einen wichtigen Anstoß zu diversen Plänen der Wiederherstellung „natürlicher“ Elemente, etwa der Wiedereinführung verschwundener Wildtiere. Von da zieht Gissibl wiederum Linien zur „Lebensraum“-Debatte und zum deutschen Drang nach Osten – dort sollte vermeintlich urdeutsche Wildnis zurückerobert werden – sowie zu Plänen der Errichtung des ersten deutschen Nationalparks im Bayerischen Wald in den 1960er-Jahren. Die konkreten Verbindungen bleiben hier etwas vage, es geht Gissibl offenbar eher um postkoloniale Denkweisen, um den Zusammenhang zwischen der Kritik an der modernen Zivilisation, der Rekonstruktion von Wildnis und der Definition nationaler Identität. Im Epilog wird einerseits diese Beziehung bis in den Nationalsozialismus hinein verfolgt, andererseits die Wechselwirkung von Naturschutz unter Bernhard Grzimeks Einfluss und Staatsbildung in Tansania betont und schließlich auf koloniale Relikte und Elemente in modernen globalen Naturschutzaktivitäten hingewiesen. Damit wird der deutschen kolonialen Episode vielleicht doch zu große Ausstrahlungskraft zugesprochen – beeindruckend ist das Panorama, das Gissibl hier zeichnet, gleichwohl.