N. Bock: Die Herolde im römisch-deutschen Reich

Cover
Titel
Die Herolde im römisch-deutschen Reich. Studie zur adligen Kommunikation im späten Mittelalter


Autor(en)
Bock, Nils
Reihe
Mittelalter-Forschungen 49
Erschienen
Ostfildern 2015: Jan Thorbecke Verlag
Anzahl Seiten
448 S., 10 z.T. farb. Abb.
Preis
€ 54,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Joachim Schneider, Institut für Geschichte, Julius-Maximilians-Universität Würzburg

Nils Bock verfolgt in seinem Buch das Ziel einer „institutionengeschichtliche[n] Analyse“, indem er „die Frage nach der Idee des Heroldsamtes mit den Normen und Vorstellungen des Adels und Strukturen der Kommunikation und Ehrzuteilung“ verbinden will (S. 21). Die Monografie stößt damit in eine markante Forschungslücke hinein. Denn noch nie zuvor wurden Tätigkeit und Rolle der Herolde im römisch-deutschen Reich des späten Mittelalters systematisch untersucht.

In einem ersten Abschnitt bietet Bock zunächst einen Abriss der bereits recht gut bekannten Entwicklung des Ritterturniers im europäischen Mittelalter und untersucht dann in einem zweiten Schritt die Funktion der Herolde bei den Turnieren, in deren Zusammenhang sie erstmals deutlich hervortreten. Dass der Begriff des Herolds zunächst nicht ins Deutsche aufgenommen wurde, führt Bock auf eine gegenüber Westeuropa zeitlich verzögerte Übernahme des Wappenwesens zurück. Doch seien die so genannten Garzûne, Kroijiaere bzw. die „Knappen von den Wappen“ im Reich nur anders bezeichnet worden, hätten aber dieselben Aufgaben wahrgenommen wie die bereits so genannten Herolde in Westeuropa: Ausrufen und Kommentierung der Turnierhandlungen sowie die Identifikation der Kämpfer in ihrer Rüstung anhand ihrer Wappenzeichen. Die Rolle der spätmittelalterlichen Herolde bei den Massenturnieren des Adels bestand – insbesondere der dichten Überlieferung der großen Reichsturniere von 1479–1487 zufolge – darin, wichtige Informationen bekannt zu machen, bei der Helmschau die Wappen der Teilnehmer zu identifizieren, deren Ausrüstung zu begutachten sowie schließlich auch am Turniergericht mitzuwirken, das über eine an den Normen des Adels gemessen ethisch einwandfreie Lebensführung der Teilnehmer befand. Anders als in Frankreich gehörte es jedoch nicht zu ihrer Aufgabe, über Erfolg oder Misserfolg der Kämpfer im Turnier zu richten.

Im Mittelteil des Buches fragt Nils Bock nach der Institutionalisierung des Heroldsamtes. Wie wurden aus herrenlosen Fahrenden und Spielleuten und oft anonym bleibenden Ausrufern identifizierbare Repräsentanten ihrer Herren und weithin bekannte Experten der adlig-höfischen Kultur? In ganz Europa beobachtet Bock das Aufkommen von formalen Heroldsernennungen, verbunden mit der Übergabe eines Wappenrocks als dem Zeichen einer festen Verbindung mit einem Herrn. In dieser Patronisierung erkennt Bock den wichtigsten Schritt in Richtung einer Institutionalisierung, während die Mitwirkung bei den Turnieren, Botendienste und eine allgemein hohe Mobilität der Herolde im Spektrum ihrer bisherigen Tätigkeit verblieben. Die akribische Auswertung von Rechnungsbüchern des hennegauisch-holländischen Raums, aus dem Deutschordensland sowie oberdeutscher Städte (Nürnberg, Augsburg, Regensburg) und von Städten am Niederrhein erlaubt es Bock, in Verbreitung und Mobilität, Namen und Patronisierung der Herolde einen „Verdichtungs- und Expansionsprozess“ (S. 159) des Heroldsamtes im spätmittelalterlichen Reich zu erkennen (siehe auch die Anhänge R 1–3). Den „Institutionalisierungsprozess“ des Heroldsamtes erkennt Bock in den Elementen Fachwissen, Ausbildung, Amtseid und Medialität (S. 161). Er entwickelte sich im Rahmen spezifischer hochmittelalterlicher Traditionen (Botenfunktion und Rolle der Herolde bei den Turnieren) sowie der höfischen Kultur der Freigebigkeit, der Stellvertretungsfunktion der Herolde für ihre Herren, aber auch der Mehrfachloyalität. Im Folgenden orientiert sich die Gliederung dieses Abschnitts aber nicht an diesen Stichworten, sondern an konkreten Phänomenen. So untersucht Bock der Reihe nach den „Schwur zu den Wappen“, Bestallungs-, Geleit- und Empfehlungsbriefe (bei der Liste der Bestallungsurkunden S. 185f. fehlen die Belege), den sozialen Status, Ausbildung und Hierarchie, Berufsethik, Immunität der Herolde, Wechsel zwischen verschiedenen Dienstherren sowie Einkommen und soziale Anerkennung.

Interessant ist die Beobachtung Bocks, dass normative Zeugnisse zur Ausbildung der Herolde und zur Hierarchie innerhalb derselben (Persevant, Herold, Wappenkönig) ausschließlich aus Westeuropa stammen, während es nur im Reich einen „Schwur zu den Wappen“ sowie Bestallungsurkunden der Herolde gegeben habe. Auch sei es eine Besonderheit im Reich, dass den Herolden die Aufgabe zugefallen sei, die Einhaltung ethischer Normen des Adels zu überwachen und durch Lob und Tadel zu kommentieren. Bock erwägt hierzu die These, dass die Herolde hier wegen der schwächeren Zentralgewalt Aufgaben übernommen hätten, die in Westeuropa dem Monarchen zugefallen seien. Im Reich hingegen sei aufgrund einer stärkeren genossenschaftlichen Ausrichtung das Urteil über einen adligen Standesgenossen vom Konsens der Mehrheit abhängig gewesen, bei dessen Herstellung die Figur des Herolds eine bedeutende Rolle gespielt hätte. Allerdings ist die Quellengrundlage hier mit zwei königlichen Bestallungsbriefen von 1520 und 1431 sowie der ‚Reformatio Sigismundi‘ und eines Traktats des Aeneas Piccolomini ziemlich schmal (S. 199–206). Zudem hat sich bei der Interpretation der Urkunde von 1431 ein Interpretationsfehler eingeschlichen, da an der von Bock herangezogenen Stelle nicht von der Förderung der Moral des Adels durch den Herold, sondern von der Förderung des Herolds Tilman von Selters durch den König die Rede ist (S. 202f. mit Anm. 628, S. 217 sowie Q 6, S. 411f.). Bocks These wird allerdings durch die wichtige Rolle der Herolde bei den spätmittelalterlichen Massen-Turnieren gestützt.

Der dritte Abschnitt des Buches steht unter dem Gesichtspunkt, die Herolde als Medium adliger Kommunikation zu verstehen. Bock beobachtet, wie die Herolde von Fahrenden und Ausrufern beim Turnier zu Boten und diplomatischen Gesandten ihrer Herren wurden – und wie sie vom Hofunterhalter zum festen Familiaren an Kaiser- und an Fürstenhöfen wurden, indem sie an Brauteinholungen, Einzügen, Belehnungen und Ritterpromotionen, Herrschertreffen und Krönungen sowie Herrscherbegängnissen mitwirkten. Ein letztes knappes, aber gut gelungenes Kapitel schließlich arbeitet die Position der Herolde zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit heraus. Mit ihren Ehrenreden, Turnier- und Wappenbüchern, Turnierreimen, Turnierchroniken, genealogischen Dossiers und Briefen, in denen sie ihr Wissen über die Adelswappen und die Ordnung des Reiches mitteilten, standen die Herolde „an der Schnittstelle von kommunikativem und kulturellem Gedächtnis“ (S. 320). Im Hinblick auf die offene Situation des Reiches zwischen fürstlichen Konzentrationsprozessen und den genossenschaftlichen Tendenzen im kleineren Adel waren die Schriften der Herolde im spätmittelalterlichen Reich, wie Bock prägnant zusammenfasst, je nach Kontextualisierung „Instrumente ritterschaftlicher Standespolitik, adliger Selbstvergewisserung, fürstlicher Diplomatie oder höfischer Repräsentation“ (S. 323). Die enge Verbindung mit den „Normen und Vorstellungen des Adels und mit den Strukturen der Kommunikation und Ehrzuteilung“ sei das Spezifikum des Heroldsamtes im mittelalterlichen Reich gewesen (S. 336).

Nils Bock hat eine große Zahl vielfältiger und oft entlegener Zeugnisse zum Heroldswesen zusammengetragen. Sehr aufschlussreich ist immer wieder der vergleichende Blick nach Westeuropa. So entsteht trotz der begrenzten Überlieferung eines Phänomens, das vorwiegend der oralen Kultur verhaftet war, eine im Kern überzeugende Analyse sozialer und kultureller Zusammenhänge. Allein die Prosopographie der Herolde bleibt unterbelichtet, was bei der Unterscheidung gleichnamiger Amtsträger und auch bei der Benutzung des Registers zum Problem wird.1 Beeinträchtigt wird die Lektüre des Buches leider, abgesehen von recht häufigen „einfachen“ Druckfehlern, durch die vielen Lese- und Übertragungsfehler bei den im Text zitierten Quellen. Zum Teil gehen diese auf das Kopieren von Quellentexten aus digitalen Vorlagen zurück (Verweisbuchstaben als Text: S. 200f.), an anderer Stelle hängen sie mit Automatismen der Textverarbeitungsprogramme zusammen (Großschreibungen nach Punkt: S. 248f. Anm. 747). Immer wieder finden sich bei Editionen oder originaler Überlieferung auch fehlerhafte Lesungen (u.a. Verwechslung von Schaft-s und f, z.B. S. 180, 182, 188, 230, 226 Anm. 681, 254 Anm. 765). Die Abstimmung zwischen einem Kurz-Zitat im Text, dem Lang-Zitat in der Anmerkung und der Interpretation der Quelle kann öfter nicht überzeugen (z.B. S. 202f. mit Anm. 628, S. 258 mit Anm. 778, S. 262 mit Anm. 786). So ist es einige Male auch zu fehlerhaften Interpretationen von Quellenzeugnissen gekommen (S. 203, 223, 254f., 300), mindestens einmal wird aus einer anderen Edition zitiert als angegeben (S. 227 Anm. 684). Nicht zuletzt beeinträchtigt an vielen Stellen eine oft schwerfällige, stark mit Nominalphrasen operierende Syntax die Überzeugungskraft der Argumentation. Das Buch hätte vor der Drucklegung eine gründlichere Überarbeitung verdient. Lässt man sich von diesen ärgerlichen handwerklichen Schwächen nicht verschrecken, wird man das prinzipiell gut durchdachte Buch von Nils Bock über ein bisher kaum belichtetes Thema mit Gewinn lesen.

Anmerkung:
1 Vgl. Klaus Graf, Bernhard Sittich, der Herold „Romreich“ (um 1500) und seine Amtsvorgänger (2016): http://archivalia.hypotheses.org/53568 (15.03.2017).