R. Benefiel u.a. (Hrsg.): Inscriptions in the Private Sphere

Cover
Titel
Inscriptions in the Private Sphere in the Greco-Roman World.


Herausgeber
Benefiel, Rebecca; Keegan, Peter
Reihe
Brill Studies in Greek and Roman Epigraphy 7
Erschienen
Anzahl Seiten
XVIII, 286 S.
Preis
€ 104,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Polly Lohmann, Munich Graduate School for Ancient Studies Distant Worlds, Ludwig-Maximilians-Universität München

Mit „Inscriptions in the Private Sphere in the Greco-Roman World“ haben Rebecca Benefiel und Peter Keegan einerseits in modifizierter Form die Ergebnisse einer Sektion des XIV. Internationalen Kongresses für Griechische und Lateinische Epigraphik publiziert, der 2012 in Berlin stattfand. Andererseits leisten sie mit ihrem Band – in dem einige der ursprünglichen Kongressbeiträge nicht enthalten sind, dafür andere Beiträge mit aufgenommen wurden – eine neuartige Zusammenstellung von Inschriften in privaten Räumen.1

Hatten sich Mireille Corbier und Jean-Pierre Guilhembet 2012 das Geschriebene in römischen Wohnhäusern vorgenommen2, so ist der hier zu rezensierende Band (nicht nur chronologisch) weiter gefasst, indem er „private Sphäre“ und „Privatheit“ als flexible Konzepte begreift, die nicht auf spezifische architektonische Einheiten wie Wohnhäuser beschränkt sind. Stattdessen werden epigrafische Praktiken als Form der Nutzbarmachung von gebautem Raum für persönliche, und in diesem Sinne private, Zwecke dargestellt, so dass eine Art von Privatisierung auch öffentlicher Räume stattfinden konnte, wie zum Beispiel Peter Keegan für Graffiti aus der Basilika in Pompeji (S. 250) und Karen B. Stern für Amulette und defixiones in Synagogen (S. 239) argumentieren.

In den bereits 2014 von Werner Eck und Peter Funke herausgegebenen Kongressband des 14. Internationalen Epigrafik-Kongresses hatten aufgrund der Fülle an Vorträgen größtenteils nur sehr knappe Darstellungen einfließen können, die sich in der Sektion „Inschriften in privaten Räumen“ zumeist auf ein bis zwei Seiten beschränken.3 Insofern stellt Keegans und Benefiels Band als ausführliche publizierte Fassung der (meisten) Sektionsvorträge bereits einen willkommenen Beitrag dar. Vor allem aber zeichnet er sich durch einen an der Praktik bzw. am Akteur orientierten Verständnis des epigrafischen Materials aus (vergleiche zum Beispiel S. 33), das darin resultiert, dass die „private Sphäre“ im Titel zwar implizit der öffentlichen Sphäre gegenüber gestellt ist, gleichzeitig aber die Bindung beider Sphären an spezifische Orte in den Beiträgen relativiert wird.

Methodisch gründen die Beiträge auf einem an der Materialität der Inschriften, am Inschriftenträger und der physischen Umgebung interessierten Zugang, auch wenn dies – vielleicht weil es, auch aufgrund des Buchtitels, schon als selbstverständlich betrachtet wird? – in Vorwort und Einleitung nicht explizit thematisiert wird: Über die Untersuchung der Inschriften als Artefakte in ihrem räumlichen und kulturellen Kontext werden Fragen nach ihren Produzenten und Rezipienten, ihrer Wirkung und Funktion beantwortet. Diese Herangehensweise entspricht den erklärten Zielen des Berliner Epigrafik-Kongresses, dessen Organisatoren mit dem Titel „Öffentlichkeit – Monument – Text“ Akteure, Räume und Artefakte neben die Inhalte der Inschriften gestellt hatten. Diese Perspektive ist jedoch keinesfalls so selbstverständlich wie mancher Leser des vorliegenden Buches vielleicht vermuten mag. Nicht ohne Grund wird auf den Band „Ancient Graffiti in Context“, der erst 2011 innerhalb der Graffitiforschung diesen Perspektivenwechsel manifestierte, in etlichen Beiträgen verwiesen.4 Dessen Herausgeberinnen, Jennifer A. Baird und Claire Taylor, sind auch als Autorinnen vertreten.

Anstelle einer durchgehend chronologischen, geografischen oder gattungstechnischen Gliederung haben sich Benefiel und Keegan für eine dreigliedrige Struktur entschieden: Der erste Teil behandelt ausschließlich Graffiti und diese ausschließlich in Wohnkontexten. Der zweite Teil, „Discourses of Public and Private“, umfasst unterschiedliche Inschriftengattungen, deren Beispiele jedoch größtenteils ebenfalls aus Wohnhäusern stammen. In dem dritten Teil, „Space and Place“, sind verschiedene Inschriftenformen in unterschiedlichen räumlichen Zusammenhängen – in Gräbern, sakralen Räumen, im urbanen und Wohnraum – zusammengestellt. Die Beiträge selbst sind unterschiedlich – teils mit, teils ohne Zwischenüberschriften – aufgebaut und weisen einige formale Inkonsistenzen in den bibliografischen Angaben auf, was zum Beispiel die Abkürzung von Autorennamen oder das Format von Seitenzahlen angeht; ausgenommen davon ist nur der zweite Teil des Buchs (Kap. 6–8). In Kapitel 3 wurde neben der uneinheitlichen Bibliografie in der Kopfzeile wohl ein Wort vergessen („[Graffiti] in a House in Attica“).

Dass mehr als ein Drittel des Buches allein den Graffiti in Wohnräumen gewidmet ist, mag dem Forschungsschwerpunkt der beiden Herausgeber geschuldet sein, schafft aber ein Ungleichgewicht (vgl. Corbier S. 275). Durch die Art der Gliederung stehen die Beiträge von Rebecca Benefiel, Peter Keegan und Antonio Varone, obwohl sie alle aus der pompejanischen Graffitiforschung kommen, dennoch an unterschiedlichen Stellen bzw. sind sie auf alle drei Teile des Buchs verteilt. Da die übrigen Beiträge Inschriften aus jeweils unterschiedlichen geografischen Kontexten behandeln, ergibt sich dieses strukturelle Problem jedoch nur im Falle Pompejis.

Nach einem kurzen Vorwort, Abbildungs- und Abkürzungsverzeichnis sowie der Liste der Autorinnen und Autoren wird das Buch von Andrew Wallace-Hadrill (Kap. 1) eingeleitet, der unmittelbar die Problematik der Dichotomie öffentlich/privat anhand mehrerer Beispiele herausstellt. Die von ihm beispielhaft vorgeführten Überschneidungen der Kategorien werden in den übrigen Beiträgen des Bandes vertieft.

Jennifer A. Baird (Kap. 2), Claire Taylor (Kap. 3) und Rebecca Benefiel (Kap. 5) zeigen die Anbringung von Graffiti in zentralen Räumen von Wohnhäusern in Dura Europos, Thorikos (Attika) und Pompeji. Sie machen damit plausibel, dass Graffiti trotz ihrer persönlichen Inhalte häufig bewusst auf Sichtbarkeit und Leserschaft – das heißt Öffentlichkeit – angelegt waren und zumindest geduldet worden sein müssen.

Mit seinen neuen Lesungen von Graffiti über menschliche Defäkation wendet sich Antonio Varone (Kap. 6) den „iscrizioni ‚privatissime‘“ aus den Vesuvstädten zu, die einen aus moderner Perspektive verstörend offenen Umgang mit dem Thema verraten. Sie belegen einmal mehr die Ambiguität der Graffiti, die private – und in diesem Fall für unser Empfinden intimste – Angelegenheiten der Öffentlichkeit kommunizierten.

Zwei Kapitel, die jedoch in unterschiedliche Teile des Bandes eingeordnet sind, thematisieren Statuenmonumente im Wohnraum: Mantha Zarmakoupi (Kap. 4) untersucht Graffiti und Inschriften auf Statuenbasen aus delischen Wohnhäusern, wobei die Betrachtungen der beiden so unterschiedlichen Inschriftengattungen jeweils für sich stehen und zusammen lediglich das Nebeneinander privater Anliegen (Graffiti) und öffentlicher Repräsentationsformen (Weihinschriften) in den Häusern verdeutlichen. Dafür bieten sie fruchtbares Vergleichsmaterial für die in den anderen Beiträgen analysierten Graffiti einerseits und die von Elisabeth Rathmayr untersuchten Statuenbasen andererseits.

Letztgenannte möchte in ihrem Beitrag (Kap. 8) das Zusammenspiel von Text und Monument in Wohnhäusern unter anderem in Ephesos und Pergamon analysieren. Ihr Vorgehen, aus Inschriften die größtenteils nicht erhaltenen Statuen zu rekonstruieren, um diese dann wiederum mit dem Sinngehalt der Inschriften zu vergleichen, überzeugt methodisch wenig, wenngleich die übergreifenden Fragen nach den Repräsentationsformen im Haus und den Aufstellungskontexten der Statuen zweifelsohne höchst interessant sind. Rathmayr kommt zu dem wenig überraschenden Schluss, dass die Inschriftentexte andere Informationen zu vermitteln in der Lage sind als die zugehörigen Statuen.

Mit den bronzenen tabulae hospitales et patronatus, die ab der frühen Kaiserzeit in Rom zunahmen, beleuchtet Francisco Beltrán Lloris (Kap. 6) die mit dem Prinzipat eingeleitete Verlagerung der Ehrungen von Senatoren und Rittern aus dem öffentlichen in den Wohnraum bzw. vom Forum ins Atrium.

Seltene Beispiele erhaltener Farb- und Kohleinschriften stellt Angela Cinalli aus der Nekropole von Cyrene vor (Kap. 9). Beide Inschriftenformen konnten steinerne Grabinschriften ersetzen; Dipinti fungierten darüber hinaus auch als Beischriften in den Bildprogrammen der Gräber, während Kohleinschriften möglicherweise zum Teil auch Kauf- oder Pachtpreise für Grabplätze anzeigten.

Funde von defixiones und magischen Amuletten in Synagogen scheinen nach unserer Vorstellung die Sakralität dieser Räume zu verletzen. Dabei war es gerade die Nähe zu den angerufenen Mächten, die bei magischen Praktiken eine Rolle spielte. Die Platzierung magischer Textträger in oder bei Synagogen lässt sich zudem mit der Nähe auch zu den beschworenen Personen begründen, wie Karen B. Stern in ihrem Kapitel (10) für die Levante plausibel macht. Der Raum der Synagoge wurde – für persönliche Zwecke beansprucht – somit zum teilweise privaten Raum.

Anhand des Vergleichs von modernem Graffiti-Writing und Social Media arbeitet Peter Keegan (Kap. 11) Charakteristika antiker (pompejanischer) Graffiti heraus: Obwohl sie Gefühle und Gedanken an den Wänden öffentlich machten, markierten sie durch Diskurse innerhalb spezifischer Personenkreise private Sphären (territories) auch innerhalb öffentlicher Gebäude.

Im Epilog des Buches greift Mireille Corbier die in dem Band versammelte Vielzahl an Inschriften aus unterschiedlichsten räumlichen Kontexten noch einmal auf, die aus dem Verständnis von privater Sphäre als „private epigraphic space“ (S. 265) resultiere. Sie unterscheidet spontanes Schreiben von repräsentativen Inschriften/Monumenten als die zwei dominierenden Inschriftengruppen, die in der privaten Sphäre koexistierten.

Letztendlich stellt der Band einmal mehr die Kategorien öffentlich und privat in Frage. Die versammelten Artikel zeigen die Ambiguität dieser Konzepte unter drei Aspekten auf: (1) „Private“ (das heißt persönliche) Inhalte wurden „öffentlich“ ausgestellt, zum Beispiel Graffiti an Fassaden und in den zentralen Räumen von Wohnhäusern. (2) „Private“ Inhalte richteten sich innerhalb öffentlicher Räume an ein spezifisches, eingeschränktes Publikum, „privatisierten“ zum Beispiel Basiliken oder Synagogen. (3) Inschriftenformen des öffentlichen Raums wurden auch im „privaten“ Raum verwendet, zum Beispiel Ehreninschriften in Wohnhäusern. Schon allein dass die Rezension hier nicht ohne Anführungszeichen auskommt, zeigt die Überlappung der Kategorien öffentlich und privat.

In einigen der Abbildungen des Bandes sind aufgrund ihrer Größe die Legenden oder Beschriftungen (Abb. 8,1 auf S. 147, Abb. 8,2 auf S. 148) oder die Inschriften selbst durch ungünstigen Schattenwurf (Abb. 7,5 auf S. 140) oder in Schwarz-Weiß (Abb. 9,5 auf S. 192, Abb. 9,8 auf S. 202, Abb. 11,1 auf S. 250) kaum bis gar nicht lesbar. Ungeachtet mancherlei formaler Monita stellt der Band eine Bereicherung für die Wissenschaftsgemeinde dar, weil er in seiner Gesamtheit das Nebeneinander und die Reziprozität verschiedener Inschriftengattungen vor Augen führt und rare Beispiele ephemerer Inschriften in ihrem Kontext vorstellt.

Anmerkungen:
1 Nicht in dem Band enthalten sind die Kongressbeiträge von William C. West und Hans Taeuber, dazugekommen sind die Artikel von Claire Taylor, Mantha Zarmakoupi, Angela Cinalli, Karen B. Stern und Mireille Corbier.
2 Mireille Corbier / Jean-Pierre Guilhembet (Hrsg.), L'écriture dans la maison romaine, Paris 2012.
3 Werner Eck / Peter Funke (Hrsg.), Öffentlichkeit – Monument – Text. XIV Congressus Internationalis Epigraphiae Graecae et Latinae 27.–31. Augusti MMXII, Berlin 2014.
4 Jennifer A. Baird / Claire Taylor (Hrsg.), Ancient Graffiti in Context, Routledge Studies in Ancient History 2, London 2011.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension