E. Kistler u.a. (Hrsg.): Sanctuaries and the Power of Consumption

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Titel
Sanctuaries and the Power of Consumption. Networking and the Formation of Elites in the Archaic Western Mediterranean World. Proceedings of the International Conference in Innsbruck, 20th-23rd March 2012


Herausgeber
Kistler, Erich; Öhlinger, Birgit; Mohr; Martin; Hoernes, Matthias
Reihe
Philippika 92
Erschienen
Wiesbaden 2015: Harrassowitz Verlag
Anzahl Seiten
XXIX, 554 S.
Preis
€ 120,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Robinson Peter Krämer, Graduiertenkolleg "Archäologie vormoderner Wirtschaftsräume", Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Die Analyse des Konsums, das heißt Praktiken der Benutzung und des Verbrauchs von bzw. des Umgangs mit Objekten, ‚Dingen‘ und Gütern, rückte insbesondere seit den 1980er-Jahren in den Fokus der Kulturanthropologie, Anthropologie und ‚Material Culture Studies‘.1 Dabei wird Konsum bzw. Konsumption längst nicht mehr nur als ein wirtschaftlicher Prozess (im Sinne der Kette „Produktion – Distribution – Konsum“) verstanden, sondern verstärkt auch als ein soziales und kulturelles Phänomen.

Auch in den Klassischen Altertumswissenschaften wird Konsumverhalten in jüngster Zeit verstärkt untersucht.2 Der vorliegende Kongressband greift mit der Konsumption in sakralen Institutionen ein aktuelles und originelles Thema auf, welches zwangsläufig auch Schlaglichter auf Fragestellungen zu Kulturkontakten und zur Sakralökonomie (auch als ‚Tempelwirtschaft‘ bekannt) wirft. Den chronologischen und geographischen Rahmen bildet das westliche Mittelmeergebiet der archaischen Zeit.

Der Band beginnt mit einer Einleitung (S. IX–XXIX), welche aus einem kurzen Vorwort, dem ‚Call for Papers‘, den ‚Abstracts‘ der Beiträge sowie aus einer Liste der Herausgeber und Autoren besteht. Die 26 Kongressbeiträge sind in drei thematische Abschnitte gegliedert: „Things in Motion and Western Mediterraneanization“ (S. 1–184), „Coastal and Inland Sanctuaries as Centers of a Western Mediterranean Elite Network“ (S. 185–348) und „Sanctuaries and the Formation of Elites: Power of Consumption – Consumption of Power“ (S. 349–486). Von den 26 Beiträgen sind 15 auf Englisch, fünf auf Deutsch und sechs auf Englisch verfasst. Abgerundet wird das Buch durch einen äußerst umfangreichen Schlussteil (S. 487–540).

Der Fokus des ersten Abschnitts „Things in Motion and Western Mediterraneanization“ (S. 1–184) liegt auf dem interkulturellen Austausch und der Zirkulation von ‚Dingen‘ über sakrale Institutionen. Zu diesen ‚Dingen‘ gehören natürlich primär verschiedene Objektgruppen, die in den Aufsätzen von Eleftheria Pappa (S. 43–62), Holger Baitinger (S. 137–151) und Stefano Vassallo (S. 153–167) behandelt werden. Darüber hinaus werden aber auch die Pflanze Silphion im Beitrag von Yvonne Gönster (S. 169–184) oder phönizische Rituale und Praktiken im Artikel von Veronika Sossau (S. 21–41) zu „things in motion“. Christian Russenberger (S. 99–135) untersucht das komplexe Zusammenspiel indigener und griechischer Bilderwelten auf Sizilien, Inschriften spielen in zwei weiteren Beiträgen eine zentrale Rolle. Marion Steger (S. 83–97) beleuchtet die Rolle von ‚sprechenden Inschriften‘ (mit den Formeln emi/eimi und ara kakami) für Sizilien, während Petra Amann (S. 63–81) auf die Funktion der etruskischen ‚mulu/muluvanice-Inschriften‘ eingeht, welche Geschenke, Gaben und Weihungen kennzeichneten. Amann gibt damit eine willkommene aktualisierte Perspektive auf ein zentrales Phänomen des archaischen Etrurien. Der Beitrag von Martin Mauersberg (S. 3–19) beleuchtet, wie und in welchem Kontext interkulturelle Austauschbeziehungen in antiken griechischen Textquellen beschrieben werden. Dabei untersucht und vergleicht er vor allem die Gastfreundschaft (xenia) und den Handel (prexis).

Im zweiten Teil „Coastal and Inland Sanctuaries as Centers of a Western Mediterranean Elite Network“ (S. 185–348) geht es um die Heiligtümer in ihrer Rolle als Zentren von Elite-Netzwerken. Sämtliche zehn Beiträge in diesem Abschnitt behandeln dabei italische Kontexte. Für Etrurien und Latium vetus dürfen natürlich die beiden emporia Gravisca (Lucio Fiorini; S. 205–219) und Pyrgi (Maria Paola Baglione und Barbara Belelli Marchesini; S. 221–237) nicht fehlen. Alessandro Corretti, Franco Cambi und Laura Pagliantini (S. 263–274) tragen in ihrem Beitrag die geringen archäologischen und literarischen Hinweise zusammen, welche in Hinblick auf ein mögliches Heiligtum in der Portoferraio-Bucht auf der Insel Elba gedeutet werden. Dieses Heiligtum stände (sofern es existierte) im Zusammenhang mit Metallurgie und dem mediterranen Fernhandel. Marco Fabbri präsentiert in seinem Beitrag einen ersten Bericht zur regia von Gabii.3 Bei diesem Gebäude handelt es sich eigentlich nicht um ein Heiligtum, sondern um einen Herrschersitz oder um eine Residenz (griech. anaktoron, lat. regia). Der Befund weist durch seinen Nutzungszeitraum, den Grundriss und der Bautechnik deutliche Parallelen mit der regia auf dem Forum in Rom auf und wird von Marco Fabbri deshalb mittlerweile mit der Römischen Dynastie der Tarquinii verbunden.

Süditalien wird durch die zwei Votivdepots von Garaguso in der Basilicata (Silvia Martina Bertesago und Valentina Garaffa; S. 239–261) und durch das Heiligtum von Punta Stilo in Kaulonia (Maria Cecilia Parra; S. 275–286) repräsentiert. Beide Sakralkontexte belegen dabei mit ihren Funden ein komplexes Spannungsfeld zwischen indigenen Bevölkerungen und Griechen. Die letzten vier Aufsätze dieses Abschnitts beschäftigen sich mit Kultplätzen auf Sizilien. Francesca Spatafora (S. 287–301) untersucht in ihrem Beitrag die Kultplätze im Belice-Tal im westlichen Sizilien – ein Grenzgebiet und eine Kontaktzone zwischen Elymern, Sikanern, Puniern und Griechen. Zwei urbane Kultphänomene auf Sizilien werden mit Segesta von Monica de Cesare (S. 303–324) und mit Selinunt von Celemente Marconi, Valeria Tardo und Caterina Trombi (S. 325–338) behandelt. Johannes Bergemann analysiert schließlich ländliche Kultplätze in den chorai von Gela und Agrigent (S. 339–348). Dabei kommt er zu dem Schluss, dass diese landschaftlich und verkehrstechnisch herausragende Positionen aufwiesen und „eine kommunikative Funktion zwischen Siedlern und Einheimischen“ (S. 344) besaßen.

Der letzte Abschnitt mit Beiträgen heißt „Sanctuaries and the Formation of Elites: Power of Consumption – Consumption of Power“ (S. 349–486) und besteht aus sieben Aufsätzen. Zwei Autoren nähern sich dem Konsum in Sakralkontexten über Objektgattungen. Jan Paul Crielaard untersucht mit einem objektbiographischen Ansatz die Präsenz von vorderasiatischen Prestigegüter in griechischen Heiligtümern (S. 351–372). Margarita Gleba schreibt zur Produktion und zum Konsum von Textilien in Heiligtümern (S. 373–383).

Die restlichen Beiträge setzen sich mit der Funktion verschiedener Kontexte als Konsumptionsorte auseinander. Erich Kistler und Martin Mohr stellen verschiedene Nutzungskontexte auf dem Monte Iato vor (S. 385–415) und untersuchen diese methodisch überzeugend anhand von quantitativen Funktionsanalysen der Gefäßgattungen und -formen („Ceramic fingerprints“). Bei den weiteren vorgelegten Orten des Konsums handelt es sich um Kulturlandschaften, die in einer Makro-Perspektive oder anhand ausgewählter Beispiele analysiert werden. Birgit Öhlinger stellt indigene Kultplätze auf Sizilien vor (S. 417–434), Gabriel Zuchtriegel untersucht Heiligtümer in Latium vetus am Fallbeispiel von Gabii und Raimon Graells i Fabregat das Bankett im Katalonien des 6. Jahrhunderts v.Chr. (S. 474–486). Massimo Osanna behandelt schließlich das Konsumverhalten in der Basilikata anhand von Torre di Satriano (S. 435–457).

Den Abschluss des Bandes (S. 487–554) bilden zwei Beiträge von Hans Peter Isler und den Herausgebern des Kongressbandes. Islers Kommentar ist betont skeptisch und richtet sich gegen die übermäßige und unscharfe Verwendung von ‚Eliten‘ und gegen die Rekonstruktion von Netzwerken auf der Basis von Konsumgütern, da die archäologischen Funde dazu nicht ausreichen würden und Netzwerke immer ein ‚top-bottom‘-Konzept wären, während das archäologische Material dagegen nur ‚bottom-up‘-Konzepte zuließen. Die reichen Schlussfolgerungen der Herausgeber lesen sich natürlich deutlich optimistischer. Hier wird die Tagung in den Kontext der aktuellen Forschung gestellt, auf Islers Kritikpunkte eingegangen sowie auf der Grundlage der Tagungsbeiträge und von verschiedenen Kriterien der Entwurf einer ‚Proto-Globalisierung‘ gewagt.

Bei diesem reichen Kongressband kann hier leider kaum auf einzelne Beiträge eingegangen werden. Deshalb beschränken sich meine Beobachtungen auf den Gesamteindruck in Hinblick auf die Fragestellungen, die Vorgehensweise und das Ergebnis in den Schlussfolgerungen. Einige kritische Bemerkungen zu diesem Band wurden bereits in zwei Rezensionen genannt.4 Diese beinhalten hauptsächlich drei Kritikpunkte: das Fehlen von Netzwerk-Konzepten und Netzwerkanalysen, äußerst heterogene Kontexte und Definitionen in den einzelnen Beiträgen, und eine fehlende Tiefe bei der Definition der ‚Proto-Globalisierung‘ in den Schlussfolgerungen.

Wie ist nun der Band in Hinblick auf diese Kritikpunkte einzuschätzen? Tatsächlich tauchen Netzwerke – obwohl im Titel und in den Schlussfolgerungen des Bandes betont präsent – als Konzept und als Analysewerkzeug (etwa durch die Soziale Netzwerkanalyse oder die Akteur-Netzwerk-Theorie) so gut wie gar nicht auf. Lediglich die Beiträge zu den Inschriften (Beiträge Amann und Steger) und mit objektbiographischen Ansätzen (Crielaard) gehen in die Richtung einer Netzwerk-Analyse. Die Kontexte, Themen und Konzepte der einzelnen Beiträge sind zwar äußerst heterogen, aber gleichzeitig auch von einer gewaltigen Bandbreite, Reichhaltigkeit und Aktualität geprägt. Insofern ist die geographische, chronologische und inhaltliche Varianz meines Erachtens als sehr positiv und gewinnbringend zu betrachten. Der umfangreiche Kongressband regt hoffentlich mit der unkonventionellen (und erfolgreichen) Vorgehensweise und der äußerst umfassenden Abschlussdiskussion zahlreiche Nachahmer an. Er stößt sicherlich neue Diskussionen und Arbeiten zu den noch längst nicht erschöpfend behandelten Themenkomplexen zu Konsumpraktiken, Kulturkontakten und Sakralökonomien im antiken Mittelmeergebiet an.

Anmerkungen:
1 Zum Forschungsstand und zu Perspektiven der Konsumforschung siehe Michael Dietler, Consumption, in: Dan Hicks / Mary C. Beadry (Hrsg.), The Oxford Handbook of Material Culture Studies, Oxford 2010, S. 209–228; Hans Peter Hahn, Konsum, in: Stefanie Samida / Manfred K. H. Eggert / Hans Peter Hahn (Hrsg.), Handbuch Materielle Kultur. Bedeutungen, Konzepte, Disziplinen, Stuttgart 2014, S. 97–104.
2 Für die Alte Geschichte siehe Christoph Ulf, Formen von Konsumption, Lebensstilen und Öffentlichkeiten von Homer bis Theognis, in: Klio 96, 2014, S. 416–436. Für die Klassische Archäologie siehe etwa Justin S. P. Walsh, Consumerism in the Ancient World. Imports and Identity Construction, New York 2014.
3 Zur regia und seiner dortigen Befestigung siehe jetzt auch: Marco Fabbri / Stefano Musco, Nuove ricerche sulle fortificazioni di Gabii. I tratti nord-orientale e settentrionale, in: Paul Fontane / Sophie Helas (Hrsg.), Fortificazioni arcaiche del Latium vetus e dell’Etruria meridionale (IX–VI sec. a.C.). Stratigrafia, cronologia e urbanizzazione. Atti delle Giornate di Studio Roma, Academia Belgica 19–20 settembre 2013, Brüssel 2016, S. 71–90.
4 Lieve Donnellan, Connected Seas: Mediterranean Networks and Black Sea Regionality, in: Journal of Greek Archaeology 1/2016, S. 440–446; Charlotte R. Potts, in: Bryn Mawr Classical Review 2016.08.34, http://bmcr.brynmawr.edu/2016/2016-08-34.html (15.02.2017).

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