D. Motadel (Hrsg.): Islam and the European Empires

Cover
Titel
Islam and the European Empires.


Herausgeber
Motadel, David
Reihe
The Past & Present Book Series
Erschienen
Anzahl Seiten
VIII, 336 S.
Preis
$ 35.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Joseph Ben Prestel, Freie Universität Berlin

Religion ist kein neues Thema in der Forschung zu europäischen Imperien. Historiker haben beispielsweise die zum Teil spannungsreichen Beziehungen zwischen christlichen Missionaren und Kolonialverwaltungen in ganz unterschiedlichen Kontexten herausgearbeitet.1 Allerdings konzentrierten sich ältere Arbeiten vor allem auf die Rolle des Christentums. Die jüngere Forschung geht hier neue Wege, indem sie die Bedeutung anderer Religionen in imperialen Kontexten analysiert. Der vorliegende, von David Motadel herausgegebene Sammelband zeigt in diesem Zusammenhang, wie häufig die Geschichte europäischer Kolonialreiche besonders an eine Auseinandersetzung mit dem Islam geknüpft war.

Der Sammelband vereinigt einige der führenden Historikerinnen und Historiker, die zur Geschichte europäischer Imperien arbeiten. Die einzelnen Beiträge umfassen eine beeindruckende geografische Spannbreite. Der Band wartet mit Kapiteln zum britischen, französischen, deutschen, niederländischen und russischen Reich auf. Alle Beiträge teilen den Fokus auf die Auseinandersetzung dieser Imperien mit dem Islam.

In seiner Einleitung betont Motadel, dass sich Historiker bislang vor allem mit der Rolle des Christentums in europäischen Imperien auseinandergesetzt hätten. Der Islam habe hingegen eher wenig Aufmerksamkeit erhalten. Ebenso streicht er die Bedeutung einer vergleichenden Perspektive auf das Thema heraus. Motadel argumentiert überzeugend, dass die Auseinandersetzung mit dem Islam über einzelne imperiale Kontexte hinaus die globalen Dimensionen dieses Phänomens zu Tage fördert. Die drei Teile des Sammelbands mit insgesamt 14 Kapiteln untermauern dieses Argument anschaulich, indem sie verdeutlichen, wie ähnliche Themen in ganz unterschiedlichen imperialen Kontexten eine Rolle spielten.

Im ersten Teil zu „Islam and Imperial Rule“ zeigen unter anderem die Beiträge von Eric Tagliacozzo zur Regulierung des Haddsch im niederländischen Kolonialreich und von Julia Clancy-Smith zum Islam im französischen Kolonialreich in Nordafrika die Ambivalenz und den historischen Wandel des Umgangs europäischer Imperien mit dem Islam. Tagliacozzo analysiert die Versuche der niederländischen Kolonialverwaltung, Reisen muslimischer Pilger aus Südostasien nach Mekka und Medina zu reglementieren. Dabei zeigt er auf, dass nach dem Übergang der Herrschaft von der Niederländischen Ostindien-Kompanie zum niederländischen Staat 1799 die Reglementierung des Haddsch deutlich zunahm. Die Aufmerksamkeit der niederländischen Kolonialverwaltung galt dabei insbesondere der Verbreitung von Epidemien sowie des Transfers „radikaler Ideen“ aus Städten im Nahen Osten nach Südostasien. Tagliacozzo weist darauf hin, wie ambivalent der Umgang mit der Pilgerfahrt war. Zum einen ermöglichte die Kolonialverwaltung einer großen Anzahl von Muslimen die Reise nach Mekka und Medina. Zum anderen tat sie dies nur mit Widerwillen und unter der ständigen Sorge vor Gefahren für den Kolonialstaat, die sich aus der Mobilität der Pilger ergeben konnten.

Julia Clancy-Smith setzt sich in ihrem Kapitel mit Fragen des Islam im kolonialen französischen Nordafrika auseinander. Sie betont, dass eine vergleichende Perspektive zum Teil große Unterschiede zwischen Algerien, Marokko und Tunesien deutlich macht. Am Fall von Tunesien illustriert Clancy-Smith, dass zum Zeitpunkt der französischen Kolonialherrschaft 1881 bereits Praktiken im Umgang mit religiöser Vielfalt etabliert waren, welche die Franzosen von der Husainidischen Dynastie übernahmen. In dieser frühen Phase der Kolonialherrschaft entwickelte sich eine Politik des Entgegenkommens gegenüber dem Islam. Clancy-Smith argumentiert, dass sich diese Politik nach dem Ersten Weltkrieg änderte. Die französische Kolonialverwaltung setzte fortan auf eine stärkere Konfrontation. Die Organisation des Eucharistischen Kongress 1930 in Karthago, so Clancy-Smith, sei letztlich als Ausdruck dieser neuen Politik zu verstehen, die unter anderem zu einer stärkeren Hinwendung der ‚Ulama‘ zur anti-kolonialen Bewegung führte. Demgegenüber hebt Clancy Smith hervor, dass der koloniale Staat in Algerien schon früher auf interventionistische Maßnahmen gegenüber Muslimen setzte. Marokko wiederum unterschied sich deutlich durch eine andere vorkoloniale Verwaltung und Bevölkerungsstruktur.

Der zweite Teil des Buches mit dem Titel „Islam and Anti-Colonial Resistance“ beschäftigt sich mit Fällen, in welchen der Islam eine Ressource für den Widerstand gegen Kolonialherrschaft bot. Michael A. Reynolds Kapitel zu Widerstandsbewegungen gegen das russische Reich illustriert beispielsweise die Rolle von Religion bei Konflikten im Nordkaukasus. Reynolds analysiert hier die Geschichte des Imamat, welches seit den 1820er-Jahren zu einem wichtigen Gegner des russischen Reiches aufstieg. Er stellt dabei fest, dass die Vertreter des Imamats eine für die Region neue Interpretation des Islam vertraten. So lehnten sie etwa Alkoholkonsum und das lokale „Adat“ Gewohnheitsrecht ab. Reynolds stellt vor diesem Hintergrund die Frage, wie es zum Bruch mit einem älteren Verständnis des Islam im Kaukasus kam. In seiner Analyse führt er die Neuerungen auf eine Mischung aus lokalen Diskursen, der Rolle des Naqschbandiya Sufi-Ordens und dem Einfluss einer Gruppe muslimischer Gelehrter aus dem Jemen zurück. Auch in den weiteren Beiträgen des zweiten Buchteils, etwa den Kapiteln von Umar Ryad zu panislamischen Autoren und Benjamin D. Hopkins zu antikolonialem Widerstand im britischen Empire, werden globale Bezüge deutlich. Hopkins veranschaulicht, wie sich im 19. Jahrhundert ganz unterschiedliche Widerstandsbewegung gegen britische Herrschaft in den Grenzregionen Nordindiens, des Sudans und Britisch-Somalilands auf strukturell sehr ähnliche Formen eines „millenaristischen“ Islam bezogen.

Im dritten Teil des Sammelbandes steht das Thema „Islam and Colonial Knowledge“ im Vordergrund. Hier setzt sich etwa ein Beitrag von Rebekka Habermas mit Debatten über den Islam im Deutschen Kaiserreich auseinander. Habermas zeigt, dass bestimmte Prozesse im deutschen Kolonialreich, insbesondere Aufstände, die mit dem Islam in Verbindung gebracht wurden, ganz entscheidend für das Entstehen von Debatten über den Islam in Deutschland waren. Diese Debatten, so Habermas, waren Teil einer Veränderung des Orientalismus im Kaiserreich, weg von einer Repräsentation des „Harems“ oder „Beduinen“ hin zu einem stärkeren Fokus auf Religion. Das neue Interesse führte schließlich um 1900 auch zu einer Reihe von empirischen Studien über den Islam in den deutschen Kolonialgebieten in Ostafrika. Die Beschreibung des Islam änderte sich wiederum mit dem Ersten Weltkrieg. Im Rahmen des Versuchs, eine Allianz mit pan-islamischen Kräften zu schmieden, wurde der Islam im Deutschen Kaiserreich nun vor allem positiv dargestellt.

Zusammengenommen gelingt es den 14 Kapiteln eindrucksvoll, ein dynamisches Forschungsfeld zu skizzieren, das gerade in seiner Dimension des Vergleichs zwischen verschiedenen Imperien ein innovatives Potenzial bietet. Gleichzeitig bringt der Zuschnitt des Sammelbandes auch Probleme mit sich. Der Fokus auf „den Islam“ in „europäischen Imperien“ führt dazu, dass diese Kategorien streckenweise etwas statisch erscheinen. In einigen Kapiteln, wie etwa demjenigen von Felicitas Becker zu Ostafrika, wird deutlich wie dynamisch und heterogen die Kategorie „Islam“ an unterschiedlichen Orten zu unterschiedlichen Zeitpunkten sein konnte. Auch in der Einleitung weist David Motadel auf Christopher Baylys Beobachtungen zur Veränderung von Religionen im 19. Jahrhundert hin.2 Daran anschließend könnte man etwa fragen, ob nicht etwa der Wandel des Konzeptes der „islamischen Welt“ in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Implikationen für die Analysekategorie „Islam“ hat.3 Ebenso fällt auf, dass der Sammelband keine explizite zeitliche Eingrenzung vornimmt. Die Beiträge bewegen sich zumeist zwischen dem 18. und 20. Jahrhundert, wobei ein Schwerpunkt auf dem 19. Jahrhundert liegt. Als eine Folge des Fehlens einer übergeordneten Periodisierung, trifft der Sammelband kaum Aussagen zu historischem Wandel, die über einzelne Kapitel hinausgehen.

Der Sammelband eignet sich somit vor allem als eine Art Überblicksdarstellung, die zur Formulierung übergreifender Themen und Fragestellungen anregt. Der reiche Fundus an Beobachtungen aus den Einzelbeiträgen lässt neue Schneisen für zukünftige Studien erkennen. Mehrere Kapitel zeigen beispielweise, wie lohnenswert eine vergleichende Geschichte des Haddsch in verschiedenen Imperien ist. Auch die Hinweise auf die religiösen Bezüge antikolonialer Bewegungen im britischen, russischen, niederländischen und französischen Kolonialreich veranschaulichen das Potenzial einer daran anschließenden, übergreifenden Untersuchung. Gerade eine offene Perspektive auf den Islam und dessen Bedeutung in verschiedenen Kontexten, von seiner Rolle im anti-kolonialen Widerstand bis hin zur aktiven Förderung religiöser Praktiken durch den kolonialen Staat, verspricht neue Einblicke in das Verhältnis von Religion und Imperien. Nicht zuletzt wäre hier wiederum eine vergleichende Perspektive auf mehrere Religionen lohnend. Der Sammelband unterstreicht damit, wie gewinnbringend der Blick über die Rolle des Christentums hinaus ist. Er verdeutlicht anschaulich, dass Auseinandersetzungen mit dem Islam die Geschichte europäischer Imperien entscheidend prägten.

Anmerkungen:
1 Vgl. Andrew Porter, Religion versus Empire? British Protestant Missionaries and Overseas Expansion, 1700–1914, Manchester 2004; Owen White / J. P. Daughton, In God’s Empire: French Missionaries and the Modern World, Oxford 2012.
2 Vgl. Christopher Bayly, The Birth of the Modern World: Global Comparisons and Connections, 1780–1914, Oxford 2004, S. 325–365.
3 Nile Green, Spacetime and the Muslim Journey West: Industrial Communications in the Making of the Muslim World, in: American Historical Review 118 (2013), S. 401–429.