Cover
Titel
Shadow Cold War. The Sino-Soviet Competition for the Third World


Autor(en)
Friedman, Jeremy
Reihe
New Cold War History
Erschienen
Anzahl Seiten
291 S.
Preis
€ 30,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Hilger, Deutsches Historisches Institut Moskau

Die multidimensionalen Verflechtungen zwischen der Geschichte des Kalten Kriegs und der Dekolonisierungsprozesse nach 1945 stellen seit geraumer Zeit eines der spannendsten Felder der New Cold War History dar.1 Diese Forschungen haben sich bislang vor allem auf die komplexen Beziehungen der beiden Supermächte mit Staaten der sogenannten Dritten Welt konzentriert. Sie konnten dabei die Bedeutung der vermeintlichen Peripherie für die internationale Geschichte des 20. Jahrhunderts ins rechte Licht rücken. Das Verhältnis der Führungsmächte von ‚West‘ und ‚Ost‘ zum globalen ‚Süden‘ war keineswegs einseitig von sowjetischen oder amerikanischen Aktivitäten geprägt, die zum Sieg im Kalten Krieg verhelfen sollten. Regionale Eigendynamiken, lokale Handlungslogiken sowie selbstbestimmte nationale Programmatiken in der Dritten Welt beeinflussten ebenso stark Schwerpunkte und Entwicklungen der globalen Verbindungen. In diesen Kontexten war zudem von Bedeutung, dass nicht nur die kapitalistische Welt nicht geschlossen agierte, sondern dass auch das sozialistische Lager von Rissen durchzogen war. Wohl war es das erklärte Ziel der Kommunistischen Parteien weltweit, für ihr angestrebtes Bündnis mit den anti-imperialistischen neuen Staaten und Gesellschaften eine gemeinsame Linie zu finden. Allerdings verfolgte etwa die jugoslawische Politik, noch bevor sie der Bannstrahl der Kominform traf, einen eigenen internationalen Kurs, der Genossen in der Dritten Welt zu radikaleren Maßnahmen verleitete. Langfristig gesehen war wichtiger, dass Belgrad in der ab den 1950er-Jahren aufkeimenden Blockfreien-Bewegung enge, dauerhafte Beziehungen zu staatlichen Repräsentanten der Dritten Welt aufbaute. Die Blockfreien wiederum stellten globale Strategien von USA und UdSSR vor zusätzliche, vielfach unerwartete Herausforderungen.2

Insbesondere die sowjetisch-chinesischen Gegensätze brachen die Kontakte des ‚Weltkommunismus‘ zur Dritten Welt weiter auf. Gemeinsame Deklarationen 1957 und 1960 konnten kaum darüber hinwegtäuschen, dass die sozialistischen Vormächte und ihre Vordenker in Asien, Afrika oder Lateinamerika widersprüchliche Agenden verfolgten.3 Für ihre Ziele konnten sie auf unterschiedliche Ansprechpartner vor Ort setzen. Daraus ergab sich auch hier eine komplexe Verflechtung von Konfliktsträngen des Kalten Kriegs, der politisch-ideologischen Gegensätze zwischen Peking und Moskau sowie der Dekolonisierungsprozesse und post-kolonialen Aufbauarbeiten in der Dritten Welt. Es ist das Verdienst der Studie von Jeremy Friedman, die sowjetisch-chinesische Auseinandersetzung in und um die Dritte Welt mit ihrem relevanten Gewicht für diese verwobenen Prozesse kompakt in den Blick zu rücken. Damit fächert er zugleich die Hintergründe und Abläufe der sowjetisch-chinesischen Auseinandersetzungen weiter auf. Dass Friedman der Frage nach den letzten Motiven dieser Spaltung nicht weiter nachgeht, ist angesichts seiner Fragestellungen nur konsequent.

Friedman hat für seine Arbeit in einer beeindruckenden Anzahl von Archiven von Chile bis Mozambik und von China bis Russland geforscht. Auf dieser Basis folgt er für seine Analyse zunächst einmal der gängigen Unterscheidung zwischen einer vorrangig antikapitalistischen Stoßrichtung revolutionärer und einem anti-imperialistischen Fokus nationaler bzw. nationalrevolutionärer Bewegungen. Aufgrund der verschiedenen historischen Erfahrungen und Ausgangspositionen von UdSSR und China, so die Ausgangsthese, setzten Moskau und Peking in ihrem Umgang mit den globalen dynamischen Veränderungsprozessen auf differierende Zugänge. Für die Sowjetunion ließ sich demnach der Anti-Imperialismus der Dritten Welt zu dem höheren Zweck nutzen, global eine sozialistische Ordnung zu installieren. China habe dagegen dem Anti-Imperialismus die höhere Priorität eingeräumt. Aus Pekings Perspektive ließ sich diese globale, anti-imperialistische Umwälzung unter anderem mit dem Werkzeug des Sozialismus durchsetzen. Da Bewegungen in der Dritten Welt ungeachtet selbständiger Orientierungen in den Augen sowohl sowjetischer als auch chinesischer Interpreten Anknüpfungspunkte und Widerstände boten, verband sich der Gegensatz der revolutionären Definitionen in Moskau und Peking unauflöslich mit den Entwicklungen des ‚Südens‘.

Im weiteren Verlauf des Buchs entfaltet Friedman seine Argumentation entlang einer Chronologie des chinesisch-sowjetischen Konflikts. Die Untersuchung setzt, etwas überraschend, 1956 ein. Damit begibt sich Friedman der Chance, die komplexen Grundpositionen der beiden Opponenten und der Dritten Welt ab 1945 und damit alle potentiellen Antriebskräfte der jeweiligen internationalen Positionierungen zu erfassen. Im Grunde stand China in den 1950er- und 1960er-Jahren selbst in einer Entwicklungskonkurrenz zu Staaten wie Indien und mochte durch das erhöhte sowjetische Engagement für nichtsozialistische Staaten in Asien um den eigenen Fortschritt bangen. Darüber hinaus musste sich Maos neuer Staat frühzeitig nicht nur im Kontext des Koreakriegs und der vietnamesisch-französischen Kämpfe mit sozialistischen und alternativen Entwürfen internationaler Beziehungen auseinandersetzen, sondern auch im Zusammenhang der Pekinger Ansprüche auf Taiwan und Tibet. Peking mochte seine Ambitionen als Bestandteil einer anti-imperialistischen Linie propagieren. Maos China stieß damit bei asiatischen Anrainern jedoch nicht unbedingt auf Verständnis. Insgesamt sah sich China im gesamten Untersuchungszeitraum immer wieder mit Vorwürfen aus Staaten der Dritten Welt konfrontiert, die das chinesische Agieren als Streben nach Hegemonie und als imperiale Expansionslust bewerteten.

In der weiteren Chronologie setzt Friedman dann konsequent seine Zäsuren im Umfeld der Moskauer Versammlung der Kommunistischen und Arbeiterparteien 1960/1961, nach der Kubakrise und dem chinesisch-indischen Grenzkrieg 1962/1963, zum Auftakt der Kulturrevolution ab 1966 sowie in Abhängigkeit von der Entspannungspolitik ab Ende der 1960er-Jahre. Damit trifft er die regionalen Änderungen im sozialistischen Engagement ebenso wie die unterschiedlichen Felder und Intensitäten der Auseinandersetzung. In Friedmans Darstellung beendet der Bürgerkrieg in Angola, im dem sich Peking auf der Seite unter anderem südafrikanischer Truppen und amerikanischer Politik gegen die MPLA und ihre Unterstützer aus Kuba und der UdSSR wandte, das sowjetisch-chinesische Ringen um die Dritte Welt, und zwar mit der Sowjetunion als Sieger. Der chinesische Einflussverlust rührte auch daher, dass sich die chinesische Politik nach den Wirren der Kulturrevolution (erneut) auf die innere Konsolidierung konzentrierte. Bereits im April 1975 kappte das Pekinger Zentralkomitee die Wirtschaftshilfe für die Dritte Welt (S. 210f.) Dennoch engagierte sich China nach dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan weiterhin in der globalen Peripherie, auch dieses Mal auf Seiten der Gegner der UdSSR. Auch in diesem Fall mag der klare Einschnitt, den Friedman setzt, einige Kontinuitäten eher verdecken und der Komplexität der Konstellationen im „anderen Kalten Krieg“4 nicht ganz gerecht werden.

Im Ganzen ist Friedman eine Studie gelungen, die unser Bild des Kalten Kriegs, der Dekolonisierung und ihren vielschichtigen Interdependenzen noch weiter ausdifferenziert – und die neue Fragen aufwirft. Zu diesen gehören sicherlich das Problem des Verhältnisses zwischen nationalen, internationalen und globalen Zäsuren nach 1945 oder der Schärfe gängiger Begrifflichkeiten. Die Dritte Welt war in den verwobenen Prozessen weder eindimensionaler Handlungsraum externer Kräfte noch einheitlicher Akteur. Diese Erkenntnis wird weitere Arbeiten über das Verhältnis zwischen Ersten, Zweiten und Dritten Welten mit anleiten müssen.

Anmerkungen:
1 Immer noch grundlegend Odd Arne Westad, The Global Cold War, New York 2007.
2 Vgl. zuletzt Jürgen Dinkel, Die Bewegung Bündnisfreier Staaten. Genese, Organisation und Politik (1927–1992), Berlin 2015.
3 Vgl. exemplarisch Amit Das Gupta / Lorenz Lüthi (Hrsg.), The Sino-Indian War of 1962. New Perspectives, London 2017.
4 Yafeng Xia, Introduction, in: H-Diplo Roundtable Review, Vol. XVIII (2016) 5, 10.10.2016, https://networks.h-net.org/system/files/contributed-files/roundtable-xviii-5.pdf (19.01.2017).