Cover
Titel
American Mobilities. Geographies of Class, Race, and Gender in US Culture


Autor(en)
Leyda, Julia
Reihe
American Culture Studies
Anzahl Seiten
216 S.
Preis
€ 39,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dirk Thomaschke, Institut für Geschichte, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg

Die Literatur- und Filmwissenschaftlerin Julia Leyda formuliert in „American Mobilities“ ein ebenso spannendes wie ausgreifendes Forschungsprogramm: die Verflechtung von Mobilität mit Klassen-, Gender- und Rassenfragen in der US-amerikanischen Kultur. Ebenfalls vielversprechend ist der bewusst weit gehaltene Begriff von Mobilität als geografisches und gesellschaftliches Phänomen. Das Buch bezieht sich dabei auf die 1930er- bis 1950er-Jahre; eine Zeit, die die Autorin als Umschlagsphase im Blick auf die gesellschaftliche Bewertung der Mobilität bezeichnet. Im Zuge der Weltwirtschaftskrise haben die positiven Aufstiegs- und Expansionsmythen der amerikanischen Kultur erstmals eine spürbare Kehrseite „negativer Mobilität“ offenbart. Die durch wirtschaftliche Not und sozialen Abstieg forcierte Mobilität, die Überfüllung der Städte und die kritische Wahrnehmung der Immigration, die in den Einwanderungsgesetzen der 1920er-Jahre jüngst ihren offiziellen Ausdruck gefunden hatte, bündelten sich ab den 1930er-Jahren in dem Ausmaß, dass Mobilität einen zusehends ambivalenten Charakter annahm. Leyda verfolgt diese Entwicklung über den Zweiten Weltkrieg hinaus in die Zeit des Kalten Krieges und die Anfänge des Civil Rights Movement, durch die die kulturelle Repräsentation von Mobilität jeweils einschneidende Transformationen erfuhr.

Das Buch ist durchgehend pointiert und anregend geschrieben, auch wartet es mit einer Fülle überzeugender Einzelbeobachtungen und erhellender Einsichten von größerer Reichweite auf. Wer allerdings einen durchgehenden, stringenten Argumentationsgang erwartet, insbesondere im Blick auf das Hauptthema der Mobilität, wird über weite Strecken enttäuscht. Es handelt sich vielmehr um nebeneinander stehende, thematisch verwandte Einzelstudien. Zum Teil dürfte dies dem Entstehungszusammenhang des Buches geschuldet sein, der auf die bereits Ende der 1990er-Jahre abgeschlossene Dissertation der Autorin an der University of Washington zurückgeht. Dabei hat die Autorin die Mehrzahl der ehemaligen Dissertationskapitel durch überarbeitete Versionen ersetzt, die seit den 2000er-Jahren als eigenständige Publikationen in Fachzeitschriften erschienen sind.

Die Buchkapitel bieten close readings einzelner Bücher und Filme – teils bekannt, teils wenig beachtet –, wobei die Autorin thematisch und zeitlich eklektisch vorgeht und dabei wechselnde Methoden austestet, zum Beispiel körper- und praxisanalytische oder kulturgeografische wie die Analyse von „imagined geographies“. Im ersten Kapitel stehen Meridel Le Sueurs „The Girl“ (1939) und William Faulkners „As I Lay Dying“ (1930) im Mittelpunkt; im zweiten Kapitel Chester Himes „If He Hollers Let Him“ (1945) und Fannie Hursts „Imitation of Life“ (1933); im dritten Kapitel das Genre der Los Angeles- bzw. Hollywood-Romane zwischen 1930 und 1945; im vierten Kapitel die sogenannten „Black-Audience Western“-Filme in den 1930er-Jahren; im fünften Kapitel der Roman „Maud Martha“ (1953) von Gwendolyn Brooks und im letzten Kapitel John Fords Western „The Searchers“ von 1956.

Ein übergreifendes Interesse an der variierenden räumlichen Organisation von Mobilität und der räumlichen Manifestation von sozialer Ungleichheit durchzieht alle Kapitel. Leyda greift in diesem Zusammenhang wiederholt die Feldtheorie gesellschaftlicher Differenzierung von Pierre Bourdieu auf, doch verzichten die einzelnen Beiträge im Ganzen gesehen auf eine einheitliche methodische Linie. Dies trifft auch auf die wechselnde Schwerpunktsetzung im Blick auf die drei Untersuchungsachsen Klasse, Rasse und Gender zu (eine weitere zentrale Rolle spielt darüber hinaus auch die nationale Identität). Die Kapitel heben meist einen oder zwei dieser Aspekte hervor und untersuchen ihre zahlreichen Überschneidungen untereinander sowie mit Konzepten von Mobilität. Die Analysen bewegen sich durchgehend auf einem hohen Niveau, doch bleibt gerade der titelgebende Aspekt der Mobilität bisweilen wenig sichtbar. In manchen Beiträgen sind die ausdrücklichen Bezugnahmen auf das Thema rar und machen eher den Anschein von Zusätzen als von integralen Bausteinen zu einem fortlaufenden, die Kapitel umfassenden Argumentationsgang.

Davon abgesehen, arbeitet das Buch viele tiefgehende Einsichten heraus, die generelle Mechanismen der US-amerikanischen Gesellschaft beleuchten und das Verständnis der Geschichte der 1930er- bis 1950er-Jahre im Allgemeinen bereichern. Herausgehoben seien hier nur zwei Aspekte: zum Ersten die Verbindung gesellschaftlicher Fortschritts- und Modernisierungsvorstellungen mit einem Spannungsfeld von Beweglichkeit und Unbeweglichkeit. Ausgehend von der Konstruktion einer bürgerlichen „Normalität“, die eng mit der Befähigung zu geografischer, sozialer und ökonomischer Mobilität verwoben ist, entstand eine Klasse der „Abgehängten“ in mehrfacher Hinsicht. Die Unfähigkeit zur „normalen“ Mobilität ist gleichbedeutend mit dem Zurückbleiben auf der Achse des gesellschaftlichen, technischen Fortschritts – konzipiert als sich stets vorwärts bewegende Linie. Leyda zeigt in mehreren Mikrostudien, wie sich diese Muster in der Differenzierung von individuellen Bedürfnissen und Vorlieben (im Kontext der im Entstehen begriffenen Konsumgesellschaft) niederschlugen und wie sie sich in die Körper und in den materiellen Alltag der Menschen einschrieben. Auch zeigt Leyda, wie das Automobil in diesem Zusammenhang zu einem, wenn nicht dem kulturellen Leitmotiv der Zeit aufstieg. Zum Zweiten macht Leyda deutlich, dass die gesellschaftliche Verhandlung von Mobilität untrennbar mit den eugenischen, rassistischen und sexistischen Diskursen der Zeit verflochten war. Die Differenz mobil/immobil erfuhr dadurch in den 1930er-Jahren eine Biologisierung, die ihre strukturellen Zusammenhänge mit der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Organisation ausblendete bzw. naturalisierte.

Das Buch unterstreicht die Wichtigkeit, die Geschichte der Mobilität im 20. Jahrhundert zu schreiben und diese Geschichte in die bestimmenden sozialstrukturellen Entwicklungen der Moderne einzuordnen. Dazu bietet die Studie ein breites Panorama wertvoller Anknüpfungspunkte, nicht zuletzt durch die ihre raumanalytischen Perspektiven. Leyda stellt ihre Untersuchungen hierbei in eine ganze Reihe von Kontexten – wie die Wirtschaftskrise, die Weltkriegswirtschaft und den Kalten Krieg oder auch die Konsumgesellschaft und den Aufstieg des Automobils sowie die Stadtplanung (am Beispiel von Los Angeles) und die Urbanisierung. Sie setzt damit wichtige Marksteine in einem ebenso weiten wie vielversprechenden Forschungsfeld, die zu weiteren, auch international vergleichenden Arbeiten anregen.