: Vermächtnispolitik. Jan Palach und Oskar Brüsewitz als politische Märtyrer. Göttingen 2016 : Wallstein Verlag, ISBN 978-3-8353-1815-1 511 S. € 42,00

: Der Fall Brüsewitz. Staat und Kirche in der DDR. Berlin 2016 : Verbrecher Verlag, ISBN 978-3-95732-145-9 679 S. € 29,00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Halbrock, Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen

Im August 1976 übergoss sich Pfarrer Oskar Brüsewitz im sächsisch-anhaltinischen Zeitz mit Benzin und steckte sich an. Mit seinem Flammentod protestierte er gegen die Diskriminierung von Christen im DDR-Bildungssystem. Er trug während der Aktion seinen Talar und hatte ein Transparent auf sein Auto gestellt: „Die Kirche in der D.D.R. klagt den Kommunismus an! Wegen Unterdrückung in Schulen an Kindern und Jugendlichen“. Die Einheitspartei SED und ihre Staatssicherheit reagierten mit emsiger Geschäftigkeit, vor allem um eine Solidarisierung zu verhindern. Die Kirchenvertreter verhielten sich sehr unterschiedlich. Ein Artikel im „Neuen Deutschland“, in dem die Kirche und Pfarrer Brüsewitz beschimpft wurden, gab dem Geschehen eine neue Dynamik. Es folgten abermals Proteste und Verhaftungen.

Nach dem Ende der DDR sind mehrere Arbeiten zum Freitod von Oskar Brüsewitz erschienen, sind Spekulationen und auch Anschuldigungen vorgetragen und es ist auf diese reagiert worden. Nun sind zwei neue Bücher erschienen. Das erste Buch, das von Sabine Stach, „Vermächtnispolitik“, ist weitaus mehr als nur eine Betrachtung zu Oskar Brüsewitz. Wie es der Untertitel ausweist, geht die Autorin transnational vergleichend ebenso auf die Selbstverbrennung des tschechischen Studenten Jan Palach 1969 in Prag ein. Das zweite Buch „Der Fall Brüsewitz. Staat und Kirche in der DDR“ stammt von Karsten Krampitz, der sich schon zuvor an anderer Stelle zur Selbstverbrennung von Oskar Brüsewitz geäußert hat.1 Beide Arbeiten sind zugleich Dissertationen.

Die Arbeit von Sabine Stach gliedert sich in vier Hauptteile. Ihren ersten Teil nennt die Autorin „Märtyrerdiskurse im Staats- und Postsozialismus“, in den sie ihr Interesse an einer vergleichenden Untersuchung entfaltet. Schließlich handelte es sich nicht um zwei singuläre und isolierte Ereignisse. In beiden Fällen gab es Vorgeschichten und Nachahmungstäter. Jan Palach hatte Nachahmungstaten, ohne zu wissen, ob es tatsächlich zu diesen kommen würde, explizit angekündigt. Zugleich hatte die Selbstverbrennung von Brüsewitz im Jahre 1976 verschiedene Vorgeschichten – eine davon war Palachs Suizid auf dem Prager Wenzelplatz 1969. So kann die eine Geschichte nicht erzählt werden, ohne die andere zu erwähnen. Sabine Stach geht auf die Denkfigur des politischen Märtyrers ein und lässt auch aktuelle Fälle nicht unerwähnt.

Im zweiten Teil ihres Buches befasst sich die Autorin mit der Selbstverbrennung Jan Palachs. Sie fragt, unter welchen Umständen und von wem er zum Nationalhelden und Märtyrer gemacht wurde. Sie erläutert, wie die Dissidenten mit der Erinnerung an Jan Palach umgingen, wie sich das Gedenken im Exil und in den westlichen Diskursforen entwickelte und welchen Verlauf die Palach-Aneignung nach 1990 nahm. Dieser Abschnitt ist äußerst lesenswert, da es der Autorin hier hervorragend geling, einen komplizierten Prozess in klaren Linien darzustellen. Ausgangspunkt ist ihr diskursanalytischer Ansatz, der beansprucht, „politik-, kultur-, sozial und religionswissenschaftliche Aspekte“ mit einzuschließen. Die Abhandlung wirkt trotz Analyse und Diskurs keineswegs überfrachtet; selbst wer nur am Geschehen und den Abläufen interessiert ist, wird hier besser informiert als in manch einer zuvor erschienen Ereignisdarstellung.

Ebenso angelegt ist der dritte Teil der Arbeit, in dem es um den „Mahntod“ von Oskar Brüsewitz in Zeitz geht. Auch hier analysiert die Autorin neben dem Geschehen die Reaktionen der verschiedenen Akteure auf staatlicher und kirchlicher Seite. Sie befasst sich mit der besonderen Gemengelage, die sich aus dem Versuch von Kirchenvertretern ergaben, beruhigend auf die Lage einzuwirken, und sie behandelt die von vielen als zu halbherzig empfundenen Verlautbarungen seiner Vorgesetzten. Erörtert werden im Folgenden die Rezeption im Westen und das Brüsewitz-Gedenken über das Jahr 1990 hinaus. Stach geht dabei auf die einzelnen Veröffentlichungen zu Brüsewitz ebenso wie auf Ausstellungen und Denkmalprojekte ein. Sie tut dies durchaus kritisch. Wenn sie beispielsweise die Veröffentlichungen aus der Phase der frühen Stasi-Aufarbeitung anführt und auf Defizite bei der Quellenauswertung verweist, bewahrt sie sich bei alledem eine als angenehm einzustufende Distanz.

Im vierten Teil steht der direkte Vergleich im Vordergrund. Es werden nicht nur die Erzählstränge der beiden vorangegangenen Hauptkapitel zusammengeführt. Wie bereits im ersten Teil geht es um die „Figur des politischen Märtyrers“, die „Funktionsfelder der Martyrisierung“, die transnationalen Verflechtungen im Diskurs und die „Grenzen der Vermächtnisvermittlung“. Von der Autorin aufgegriffen wird hier auch noch einmal die Selbstverbrennung von Ryszard Siwiec in Warschau 1968 – in der Gedenkkultur als „polnischer Palach“ bezeichnet (S. 430) – „als erste Selbstverbrennung in Osteuropa“. (Es müsste eigentlich im Ostblock oder östlichen bzw. Mitteleuropa heißen, da weder Warschau noch Prag geographisch zu Osteuropa zählen.) Doch wurde die Selbstverbrennung von Ryszard Siwiec im Warschauer Zentral-Stadion selbst von vielen Besuchern kaum wahrgenommen und ging im turbulenten Treiben unter. Sabine Stach führt aus, dass sich die Diskurse über das „Selbstopfer“ in den Fällen, in denen der Protest einem größerem Kreis bekannt wurde, stets zwischen dem Bild von der „heroischen“ und der Tat des „traumatisch“ gezeichneten Opfers bewegte. Die ideologische Auseinandersetzung zwischen Ost und West um das jeweils bessere System lieferte dabei den Rahmen, in dem sich die Verurteilung der Tat und die Verunglimpfung des Täters versus dessen Stilisierung zu einer politischen Märtyrerfigur „als ein reziproker Prozeß“ vollzogen. Mit der „Abwehr der Märtyrisierung“ durch die Partei und den Geheimdienst stiegen zugleich die Beachtung und das Ansehen, das den Märtyrern in den Kreisen politisch Andersdenkender und im Westen zuteil wurde.

Insgesamt hat die Autorin ein sehr aufschlussreiches Buch vorgelegt, dessen Stärke darin begründet liegt, dass sie ein vom transnationalen Diskurs nicht zu trennendes Geschehen in eine vergleichend-transnationale Analyse einbettet. Der auf die ostdeutsche Diktatur verengten Sicht, die viele Arbeiten durchzieht, stellt sie eine anspruchsvolle wie inhaltsreiche Darstellung entgegen.

Wer sich durch das Buch von Sabine Stach hindurchgearbeitet hat und viel über die Unzulänglichkeiten der Aufarbeitungsgeschichtsschreibung erfahren hat, freut sich am Ende auf das Buch von Karsten Krampitz „Der Fall Brüsewitz. Staat und Kirche in der DDR“. Dies, da der Autor für seine große Erzählkunst bekannt ist, eine Stärke die er auch diesmal unter Beweis stellt. Das Buch von Karsten Krampitz ist von beiden hier besprochenen das voluminösere Werk und man ist nach der Lektüre des Buches von Sabine Stach gespannt, was es darüber hinaus noch zu erfahren gibt.

Es gliedert sich in sechs Hauptteile. Nach einer ausführlichen Einleitung und Einführung in das Thema schildert der Autor die Situation der „Evangelischen Kirche in der DDR der 1970er-Jahre“; im daran anschließenden Teil geht er eher essayistisch und von Kirche und Brüsewitz losgelöst auf das Jahre 1976 ein. Im vierten Teil beschäftigt sich Krampitz mit „der Tat“, „dem Leben und Wirken von Oskar Brüsewitz“ sowie dem „Dorf, [der] Stasi und [dem] Superintendenten“. Bereits Letzteres deutet an, dass der Überlieferung der Staatssicherheit bei der Darstellung des Geschehens eine wichtige Rolle zukommt. Die Staatssicherheit ist in der Erzählung allgegenwärtig, auch dann, wenn dies nur beiläufig etwas zum Thema beiträgt. Das gilt für ein zehn Seiten beanspruchenden Gedächtnisprotokoll des Pfarrers Lothar Vosberg über den Besuch der Staatssicherheit in seinem Pfarrhaus (S. 208–216). Zwar verweist Krampitz darauf, dass Vosberg „ein wichtiger Zeitzeuge“ sei, habe er doch einmal mit Brüsewitz eine „Ordinantenrüste“ besucht. Doch Vosberg meinte hierzu lapidar: „Viel Erinnerung an ihn habe ich nicht.“ (S. 216)

Im fünften Teil geht es um die „Reaktionen der evangelischen Kirche“ und im darauf folgenden um „die Kirchenprovinz Sachsen und [den] SED-Staat im Herbst 1976“. Auch dieser Teil ist nur wenig analytisch. Und auch hier belässt es Autor nicht bei der großen Erzählung. Häufig ist der Erzählstrang unterbrochen, da anderes mit eingeflochten wird, polemische Nuancen sind allgegenwärtig (und Formulierungen wie „selbst ein Albrecht Schönherr musste zugeben“, S. 21), was auf Dauer ermüdet. Charakteristisch für die Kirchenprovinz Sachsen, also die Magdeburger Kirche, wäre, so die „Innensicht“ des Autors, das „erzkonservative Gesicht“, das „in der Literatur zur DDR-Kirche merkwürdigerweise nie erwähnt“ würde (S. 205). Wer verheimlicht da was vor wem und vor allem warum?, fühlt sich der Leser gedrängt zu fragen. Als Beweis wird für die „erzkonservative“ Haltung führt Krampitz ein Disziplinarverfahren an, „gegen einen [...] Pfarrer [...], der [...] ein Verhältnis mit einer Apothekerin hatte, die nicht Kirchenmitglied war, jedoch eine ‚ziemlich hohe Funktion in der FDJ‘ hatte“. Was von alledem war nun das Problem: der Ehe- oder Nicht-Ehestand des Pfarrers, die Nicht-Kirchenmitgliedschaft oder die FDJ-Funktion? Wie hier bleiben die Ausführungen oft in Anspielungen stecken oder sind wenig konkret.

Nicht selten arbeitet Krampitz mit Assoziationen. Mitunter bleiben selbst diese unverständlich. Der epd-Korrespondent Hans-Jürgen Röder wird kritisiert, weil er in einem Artikel die Staatssicherheit nicht erwähnte, und Karsten Krampitz resümiert, „dass es [...] im kirchlichen Raum sehr wohl [...] ein Unrechtsbewusstsein gegenüber der Staatssicherheit gegeben hat“ (S. 208). Muss man so etwas als Leser verstehen?

Die vorhandene Literatur bindet Karsten Krampitz nur sehr selektiv in seine Arbeit ein. Während Sabine Stach ihre Aussage zur Bedeutung der Selbstverbrennung von Jan Palach auf die Meinungsbildung unter ostdeutschen Oppositionellen über eine Fußnote wissenschaftlich absichert und auf die umfangreiche hierzu vorliegende Literatur verweist (S. 281 Fußnote 3), bezieht sich Karsten Krampitz lediglich auf einen Beitrag, der in einem seiner eigenen Bücher zuvor erschienen ist (S. 15). Jener stammt von einem in der vorliegenden Arbeit auffällig häufig bemühten Zeitzeugen, einem engen Bekannten Krampitz’, was dem Leser allerdings vorenthalten bleibt. In dem von Krampitz zu Brüsewitz im Jahr 2006 herausgegebenen Buch hatte eben jener Zeitzeuge berichtet, dass 1989 in Berlin in Oppositionskreisen beschlossen worden sei, dass sich ein Mitglied eines Kreises brennend vom Berliner Fernsehturm stürzen sollte.2 Dem wurde vehement widersprochen, schlicht und einfach, weil es nicht stimmte. In seinen Ausführungen über die Selbstverbrennungen, die vor Brüsewitz stattfanden, stützt sich Krampitz nun abermals nicht, wie es für eine Dissertation angemessen wäre, auf andere Arbeiten oder schriftliche Quellen, sondern vertraut hier erneut vollends auf seinen Stammzeitzeugen. So kommt er auf drei politisch-demonstrative Selbstverbrennungen im Ostblock (S. 14–16), Stach zählte hingegen 15 derartige Vorfälle (S. 38) (zusätzlich gab es mehrere Dutzend Selbstverbrennungen, deren Hintergründe jedoch unklar sind).

Immer wieder wird scheinbar irgendwie Verwobenes miteingebaut und wenig ausgewogen über Berufskollegen geurteilt. Freya Klier und anderen wirft er vor, bei Brüsewitz „die dunkle Seite seiner Verkündigung“ verschwiegen zu haben und führt einen IM-Bericht an, in dem Negatives berichtet wird (S. 278). Verwiesen wird auch auf den Brief eines Bürgermeisters an das MfS, dessen denunziatorischer Gehalt und die dahinter stehende Absicht aber nicht problematisiert werden. Wichtiger sind Krampitz die Auslassungen anderer Autoren. „Warum lesen wir von dieser Geschichte weder bei Stock, Klier, Wiesner noch bei Zech“3, empört er sich (S. 275). Ein stetes Ärgernis sind dem Autor die kirchlichen Finanzen, wobei sich der Bezug zu Brüsewitz dem Leser nicht erschließt. So berichtet er, dass nach 1990 in Ostdeutschland das „Finanzamt Fahndung aufnahm nach seit Jahrzehnten säumigen Kirchensteuerzahlern“ (S. 20). Kronzeuge der Aussage ist laut Fußnote der Präsident des Humanistischen Verbandes, ein aufgrund seiner antikirchlichen Attitüde sicherlich nicht neutraler Gewährsmann zur Absicherung einer Aussage in einer Dissertation. Das Thema zieht sich weiter durch die Arbeit: Auf Seite 129 „lässt sich die Kirche ihre Arbeit im Sozialbereich sehr gut durch den Staat entlohnen“ und wenig später hält niemand die Bischöfe „davon ab, [...] außerhalb ihrer Armenfürsorge Gelder vom Staat zu beanspruchen“.

Einen nicht unerheblichen Teil des Buches nimmt die Frage nach der Persönlichkeit von Pfarrer Oskar Brüsewitz ein. Schon vor Krampitz haben sich Autoren mit den Widersprüchen, die es in dessen Vita gibt, auseinandergesetzt. Karsten Krampitz tut dies ausführlich, geht auf den Gesundheitszustand, die berufliche Entwicklung und die Konflikte ein, die es um den Pfarrer gab bzw. die von ihm provoziert worden sind. Immer wieder werden die angesetzte Visitation der Gemeinde und die anstehende Versetzung auf eine andere Pfarrstelle als Grund für die desolate Gemütslage vorgebracht, in der sich Brüsewitz laut Krampitz angeblich befunden haben soll. Bei dieser Versetzung hätte es sich jedoch, was Krampitz unberücksichtigt lässt, um eine in den evangelischen Kirchen regulär vorgesehene Rotation gehandelt. Angesichts der Konflikte vor Ort wird ihnen vom Autor eine andere Bedeutung beigemessen. Ausführlich werden die Akten der Staatssicherheit zur Rekonstruktion des Geschehens bemüht und die persönlichen Schwächen des Pfarrers analysiert und zur Erklärung seines Handelns herangezogen, daneben werden Kirchenakten und Bestände des Bundesarchivs ausgewertet. Doch beantwortet diese nicht die Frage nach den Motiven und den Anlass für die Selbstverbrennung. Ob dies überhaupt erschöpfend beantwortet werden kann, bliebt vielleicht für immer fraglich.

Ernüchternd ist, dass auch in dieser Arbeit viel Nebensächliches breit und ausführlich erörtert wird, die Akten aber, die über die Konflikte vor Ort Auskunft geben könnten, nicht ausgewertet wurden. Brüsewitz bezog sich bei seinem Protest explizit auf die Diskriminierung von Christen im Schulsystem der DDR. Hatte es entsprechende Vorkommnisse in den Kreisen Zeitz und Hohenmölsen gegeben? Aufschluss darüber könnten gegebenenfalls die Akten des Rates des Kreises, des Bezirkes und der kommunalen Körperschaften geben. Diese berücksichtigt Krampitz jedoch nicht.

Merklich besser, auch weil sich der Autor hier nicht an anderen Autoren und kirchlichen Beteiligten des Geschehens abarbeitet, fällt der fünfte Teil des Buches aus, der die Reaktionen auf die Selbstverbrennung behandelt. Hier finden sich, wenn auch sehr spät, quellenkritische Überlegungen zu den zitierten MfS-Akten. Immer wieder fällt der Text aber auch hier zurück in den alten Duktus. Es wird eher emotionsbeladen erzählt als analysiert. Und immer wieder werden Dokumente präsentiert, denen bei anderen Autoren – so Krampitz – „bislang kaum Beachtung geschenkt“ worden ist (S. 385). So enthüllt das Buch immer wieder und enthält doch im Einzelnen, wie zum „Fall Latk“, einem ausgereisten Pfarrer, durchaus Interessantes und Lesenswertes. Und manchem was er schreibt, liegt eine tiefere Weisheit zugrunde, so wenn er denen, die sich zuvor über Brüsewitz geäußert haben, ins Stammbuch schreibt, dass „bestimmte Bücher und Zeitungsartikel [...] mehr über ihre Verfasser und die Zeit ihrer Publikation [erzählen] als über Brüsewitz, den sie vorgeblich zum Gegenstand haben“ (S. 317). Dies trifft auch auf die vorliegende Arbeit zu.

Anmerkungen:
1 Karsten Krampitz / Lothar Tautz / Dieter Ziebrath (Hrsg.), Ich werde dann gehen. Erinnerungen an Oskar Brüsewitz, Leipzig 2006; Karsten Krampitz, „Heimgehen“, München 1996; ders., „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden“ und „Republikflucht in den Tod“, Berliner Zeitung vom 19.8.2006 bzw. 18.8.2001; ders., Feuer und Flamme. Brennender Protest in der Breshnew-Ära, in: Prager Frühling 9 (2011), S. 54f.
2 Karsten Krampitz / Lothar Tautz / Dieter Ziebrath (Hrsg.), Ich werde dann gehen. Erinnerungen an Oskar Brüsewitz, Leipzig 2006.
3 Freya Klier, Oskar Brüsewitz. Leben und Tod eines mutigen DDR-Pfarrers, Berlin 2004; Marco Wiesner, Der Lebensweg. Vom Schuhmacher zum Pfarrer (1929–1969), in: Helmut Müller-Enbergs / Wolfgang Stock / Marco Wiesner, Das Fanal. Das Opfer des Pfarrers Brüsewitz aus Rippicha und die evangelische Kirche, Münster 1999, S. 36–71; Karl-Adolf Zech,. „Er traf den Nerv“, in: Karsten Krampitz / Lothar Tautz / Dieter Ziebarth (Hrsg.), „Ich werde dann gehen.“ Erinnerungen an Oskar Brüsewitz, Leipzig 2006, S. 51–61.

Kommentare

Replik von K. Krampitz auf die Rezension von Chr. Halbrock

Von Krampitz, Karsten09.05.2017

Gleichwohl Christian Halbrock als ausgewiesener Kenner der DDR-Kirche gilt, der seit vielen Jahren in der Stasi-Unterlagenbehörde arbeitet, geht er auf die Kernthese meiner Dissertation überhaupt nicht ein: Nicht der öffentliche Feuersuizid dieses Pfarrers war das Ereignis in der DDR-Geschichte, sondern die Reaktionen der Bevölkerung auf den Brüsewitz diffamierenden ND-Kommentar „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden“ vom 30. August 1976. Erst dieser Artikel im SED-Zentralorgan (flankiert von einem ähnlichen Kommentar im CDU-Blatt „Neue Zeit“) löste in der DDR-Gesellschaft eine Welle der Kritik und des Protests aus. Das Skandalmanagement der SED wurde zum eigentlichen Skandal. Rund hundert Protestbriefe habe ich dafür ausgewertet, die ich im Magdeburger Kirchenarchiv, im SAPMO-Archiv in Berlin-Lichterfelde wie auch in den MfS-Akten gefunden habe.

Darüber hinaus übe ich deutliche Kritik an der BStU-Behörde und der politischen Instrumentalisierung der MfS-Akten, wie es am Beispiel Brüsewitz im Rahmen der Stolpe-Debatte 1993 geschehen ist. Bezeichnenderweise ignoriert Christian Halbrock die Kritik an seinem Arbeitgeber völlig und beschäftigt sich mit Nebensächlichkeiten, etwa dem Gedächtnisprotokoll eines Pfarrers über einen Hausbesuch der Stasi im Jahr 1976 oder meine Aussagen über weitere Selbstverbrennungen im Ostblock. Zur Erinnerung: Mein Thema war das Verhältnis von Staat und Kirche in der DDR infolge der Selbstverbrennung des Pfarrers Oskar Brüsewitz. In Sachen Statistik habe ich es vorgezogen, auf Udo Grashoff Bezug zurückzugreifen (S. 16). Er spricht für die Jahre nach 1976 in der DDR von 60 versuchten Selbstverbrennungen, von denen mindestens 49 tödlich endeten, davon die wenigsten aber politisch motiviert waren. Auch war Pfarrer Brüsewitz bei weitem nicht der einzige Geistliche in der DDR, der sein Leben aus eigenem Entschluss beendete. Allein für den Zeitraum von 1976-1980 registrierte das MfS achtzehn Suizidversuche unter kirchlichen Mitarbeitern resp. deren Verwandten, von denen zwölf tödlich endeten. Doch keiner dieser Fälle, einschließlich der Selbstverbrennung des Pfarrers Rolf Günther am 17. September 1978 im vogtländischen Falkenstein, war erkennbar politisch motiviert.1

In diesem Kontext beziehe ich auch auf die Studie von Christian Braune (S. 75). Der Hamburger Psychotherapeut und Theologe spricht in seiner Untersuchung „Feuerzeichen. Warum Menschen sich anzünden“ davon, dass in der heutigen Bundesrepublik jährlich ca. hundert Menschen versuchen, sich mit Feuer das Leben zu nehmen. Etwa dreißig Prozent dieser Menschen sterben an ihren schweren Verletzungen. Ebenso wie Braune sehe ich im Fall des Oskar Brüsewitz nicht nur eine politische Demonstrativtat, sondern auch einen Suizid, dem keine (!) Zersetzungsmaßnahme durch das MfS vorangegangen ist, wie bislang angenommen wurde. Ich gehe sogar soweit zu vermuten, dass Oskar Brüsewitz mit einer dissozialen Persönlichkeitsstörung gelebt hat (S. 252).

Auf all das aber geht Halbrock nicht ein. Die Fernsehturm-Geschichte vom Herbst ’89 ist ihm wichtiger. Ob ein solches Aperçu in eine wissenschaftliche Arbeit gehört, darüber kann man geteilter Meinung sein. Die Episode wurde vor zehn Jahren von Carlo Jordan kolportiert, Historiker und Urgestein der DDR-Opposition. In meiner Eigenschaft als Herausgeber eines Brüsewitz-Erinnerungsbandes habe ich mir damals bei den Beteiligten den Wahrheitsgehalt bestätigen lassen. Dass dieselben Leute ihre Aussage später widerrufen haben, hätte in einer Fußnote Erwähnung finden müssen.

Anmerkung:
1 Udo Grashoff, "In einem Anfall von Depression." Selbsttötungen in der DDR, Berlin 2006, S. 340 f. sowie S. 346-347.