: Franz Pfeffer von Salomon. Hitlers vergessener Oberster SA-Führer. Göttingen 2016 : Wallstein Verlag, ISBN 978-3-8353-1909-7 556 S. € 39,90

: Ernst Röhm. Eine biografische Skizze. Berlin 2016 : Wissenschaftlicher Verlag Berlin WVB, ISBN 978-3-86573-912-4 132 S. € 19,80

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Yves Müller, Arbeitsbereich Deutsche Geschichte, Historisches Seminar, Universität Hamburg

Biografische Studien bilden seit jeher eine der zentralen Säulen in der NS-Forschung. Sie sollen helfen, nationalsozialistische Täter zu typologisieren und deren Motivation einordnen zu können. Sie zeigen in der Gesamtschau zudem die Breite der personellen Basis des Nationalsozialismus. Neben Biografien über die NS-Führungsriege – die Studien von Ian Kershaw, Peter Longerich oder Robert Gerwarth über Adolf Hitler, Heinrich Himmler, Joseph Goebbels und Reinhard Heydrich erreichen seit Jahren außergewöhnliche Auflagen – geben uns kollektivbiografische Arbeiten über Tätergruppen oder Fallstudien zu einzelnen Gewaltspezialisten einen Eindruck von der Vielfältigkeit der „Karrieren der Gewalt“ (Klaus-Michael Mallmann und Gerhard Paul).1 Hingegen stehen die „Wegbereiter des Nationalsozialismus“ (Daniel Schmidt und andere) allgemein weit weniger im Fokus des biografischen Interesses.2 Das mag mitunter daran liegen, dass nicht wenige dieser Wegbereiter und (in weit geringerem Umfang) Wegbereiterinnen in der Regimephase des Nationalsozialismus in den Hintergrund rückten, verwundert aber angesichts der Ubiquität dieser Personen, wenn es um Erklärungsansätze zum Aufstieg der NS-Bewegung geht.

Folgerichtig wird Franz Pfeffer von Salomon von Mark Alexander Fraschka in seiner jüngst vorgelegten Biografie als „Hitlers vergessener Oberster SA-Führer“ betitelt. In seiner 2014 an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg angenommenen Dissertationsschrift, die nun in gekürzter Form publiziert ist, versucht der Autor trotz prekärer Quellenlage, „ein möglichst komplettes Bild des Protagonisten zu erstellen und damit die historiographisch gesehen bislang ‚blasse’ Figur Pfeffer zu konturieren und sie greifbar zu machen“ (S. 33). Als die Wehrmacht in der Sowjetunion einfiel, saß Pfeffer gerade in Haft. Der schon lange ins Abseits Geratene war als Vertrauter des Stellvertreters des Führers, Rudolf Heß, nach dessen Schottlandflug im Mai 1941 für einige Monate festgesetzt, aus der NSDAP ausgeschlossen und in den Folgejahren zur Persona non grata erklärt worden. Nachdem Pfeffer im Zuge des gescheiterten Attentats vom 20. Juli 1944 erneut monatelang inhaftiert war, schien es ihm angebracht, die Reichshauptstadt gen Pommern zu verlassen. Damit war das anfänglich fast symbiotische Zusammenspiel zwischen Pfeffer und der NS-Bewegung endgültig gescheitert. Im April 1968 starb er in München. Eine geradezu beispielhafte nationalsozialistische Karriere fand ihr Ende.

Franz Pfeffer von Salomon wurde 1888 als Sohn eines preußischen Beamten geboren. Er verlebte eine „ausgesprochen glückliche Kindheit“ und wurde „nationalbewusst erzogen“ (S. 40). Ein Jurastudium führte ihn nach Heidelberg, Marburg und Münster, und einer „geregelte[n] Beamtenkarriere“ (S. 44) stand nichts im Wege. Trotzdem schlug Pfeffer statt der Beamtenlaufbahn den Weg eines militärischen Werdegangs ein, war doch „[d]er Heeresdienst […] eine standesgerechte Alternative zum biederen Beamtendasein“ (S. 46). Nach dem Weltkrieg avancierte Pfeffer zu einem der schillerndsten Persönlichkeiten des Freikorps-Milieus. Sein Freikorps Pfeffer genannter Verband wuchs schnell auf mehrere Tausend Mann an und war zunächst im Baltikum eingesetzt. Trotz offizieller Auflösung im November 1919 konnte die Einheit während des gescheiterten Kapp-Lüttwitz-Putsches problemlos re-mobilisiert werden. Das geschickte Changieren Pfeffers stellt Fraschka hier dezidiert heraus: Als sich dem rechten Putsch ein linker Aufstand im Ruhrgebiet anschloss, agierte das antidemokratische Freikorps plötzlich an der Seite jener Reichsregierung, gegen die man zuvor zu Felde gezogen war. Nach der Demobilisierung der paramilitärischen Verbände versuchte sich Pfeffer in der Sammlung von Gesinnungsgenossen im Frontbund und in der Arbeitsgemeinschaft P. Auch in Oberschlesien war er 1920/21 aktiv, wenngleich man auf seine Dienste beim Oberschlesischen Selbstschutz (SSOS) aufgrund seines Bekanntheitsgrades und seiner exponierten Stellung verzichtete. Trotz mäßigem Erfolg zeigte sich bereits Pfeffers Geschick „[b]ei dem Aufbau solch subversiver und pseudolegaler Organisationsstruktur“ (S. 180). Schließlich erwarb sich Pfeffer hier „einen Erfahrungsschatz, der ihn bald zu einem lohnenden Verbündeten – zunächst Ludendorffs, später Hitlers – machen sollte“ (ebd.).

Der Hitler-Ludendorff-Putsch traf Pfeffer ebenso plötzlich wie die norddeutsche völkische Bewegung überhaupt, doch gerade das „organisatorische Versagen“ der Putschisten trug „dazu bei […], dass das Organisationstalent Pfeffer in der Folge für mehr als ein Jahrzehnt fest an der Seite Hitlers stehen sollte“ (S. 234). Pfeffers Engagement beim Aufbau der NSDAP korrespondiert mit der ideologischen Festigung als nationalsozialistischem ‚Hardliner’. Prägte den Weltkriegsoffizier zunächst ein verbreiteter „antisozialistische[r] Reflex“ (S. 81), kann der Autor anhand diverser programmatischer Schriften das politische Denken Pfeffers herausarbeiten, das auf dem Prinzip der Ungleichwertigkeit, einem radikalen Antisemitismus und einer völkischen Sozialethik fußte. So zeigt sich hier zugleich eine Stärke und eine Schwäche des Buches, denn Fraschka selbst scheint nicht ganz sicher zu sein, wie er sein biografisches Subjekt nun charakterisieren soll: als „Sozialrevolutionär“, der er ganz gewiss nicht war, oder als elitären Rassisten und Antisemiten. Die antikapitalistische Rhetorik, die mit Pfeffer auch ein Teil der Nationalsozialisten in der ‚Kampfzeit’ an den Tag legte, sollte den Autor eigentlich nicht verwundern und stellt bei näherer Betrachtung in keiner Weise einen Widerspruch zum wirtschaftlichen Geschick Pfeffers bei der Versorgung seines Freikorps oder dem Aufbau der SA dar.

Im März 1925 wurde Pfeffer durch Adolf Hitler zum Gauführer Westfalens ernannt. In einem eigenen Kapitel durchleuchtet Fraschka, warum bei der Besetzung des Postens des Obersten SA-Führers (Osaf) die Wahl auf Pfeffer fiel. Beim Aufbau der SA ließ Hitler den Osaf weitgehend gewähren und so war die Parteiarmee bald straffer organisiert als die Partei selbst. Einiges sollte die „SA [zu] eine[m] Verbandstyp neuer Art“ (S. 346) machen: Militärisches Vokabular bei der Bezeichnung der Gliederungen wurde bewusst vermieden; reguläre Dienstränge sollte es in Pfeffers SA ebenso wenig geben, um die „revolutionäre Dynamik“ (S. 350) nicht zu stören. Auch reichte es, „einen ideologischen Grundkonsens der SA“ zu benennen, statt „politisches Detailwissen oder Kenntnisse um die Tagespolitik“ (S. 353) zu generieren. Gleichwohl stellt der Autor heraus, dass es gerade die Charakterschwäche Pfeffers war, die ihn immer wieder in Konflikt mit anderen Akteuren der NSDAP brachte. So legte sich der Osaf gleich mit mehreren Gauleitern an. Als die SA bei der Verteilung der künftigen Reichstagsmandate leer ausging, reichte Pfeffer im August 1930 seinen Rücktritt ein.

Nachfolger Franz Pfeffer von Salomons wurde Ernst Röhm. Beiden, Pfeffer und Röhm, war einiges gemein: Röhm war 1887 geboren und damit kaum älter als sein Vorgänger. Sie waren Militärs durch und durch und wurden im „Nachkriegs-Krieg“3 geprägt. Von Pfeffer übernahm Röhm eine straff organisierte SA und baute sie zu einem Millionenheer aus.

Mit seiner biografischen Skizze möchte Marcus Mühle nun eine „Übersicht der politischen Vorstellungen Röhms und seines Handelns […], vor allem in Hinblick auf die sogenannte ‚Zweite Revolution’, liefern“ (S. 13). Der Autor fragt nach Röhms Weltbild und seiner Rolle innerhalb der NS-Bewegung sowie in der Machtergreifungsphase 1933/34. Grundlage hierfür bieten Röhms programmatische Artikel im „SA-Mann“ und seine Rechtfertigungsschrift „Geschichte eines Hochverräters“.4 In der Zusammenschau mit Fraschkas Pfeffer-Biografie wird die Abhängigkeit der SA von ihren Führern deutlich. Röhm hatte die Sturmabteilung nach dem Münchener Putschversuch reorganisiert und das paramilitärische Potential im Frontbann zusammengehalten. Dann verschwand er von der Bildfläche, ging nach Südamerika und kehrte zurück, als, so Röhm selbst, „in Bolivien der Frieden wieder aus[brach]“ (S. 40). Anfang 1931 übernahm er eine ständig im Zwist mit der Politischen Organisation (PO) der Partei befindliche SA. Stärker jedoch als der im Grunde stets Hitler-treue Pfeffer suchte Röhm die Autonomie. Er baute ein eigenes konspiratives Netzwerk auf – zentraler Protagonist war zeitweilig der 1933 ermordete Georg Bell – und legte sich mit dem Reichsorganisationsleiter Gregor Strasser an. Röhms Pläne sahen den Aufbau einer ‚Volksmiliz’ statt eines Berufsheeres vor. Schließlich trieb die Forderung nach Fortführung der ‚Revolution’ die Spaltung innerhalb der nationalsozialistischen Führung voran. Das Folgende ist bekannt: Am 30. Juni 1934 wurden Röhm und hochrangige SA-Führer verhaftet, der Stabschef tags darauf erschossen.

Obgleich Mühles Fokus mitunter ein anderer ist, kann er kaum mehr bieten als Eleanor Hancock mit ihrer Röhm-Biografie.5 Das liegt nicht zuletzt daran, dass Mühle zwar durchaus den Forschungsstand referiert und seiner Fragestellung folgend neu zusammenführt, aber auf jedwedes Quellenstudium verzichtet. So fehlt eine tatsächlich umfassende Biographie Röhms bis heute.

Geradezu konträr muss das Fazit zu Fraschkas Pfeffer-Biografie ausfallen, stellt doch die „Perspektive Pfeffer“ (S. 518) neben dem primären Untersuchungsgegenstand zugleich eine Bereicherung für verschiedene Teilbereiche der NS-Forschung dar: Wer sich mit der Geschichte der Freikorps oder mit der Entwicklung der SA wie mit der ‚Kampfzeit’ im Allgemeinen befasst, wird von dem zu Papier gebrachten Quellenstudium des Autors profitieren. Kleinere Ungenauigkeiten – mal spricht Fraschka bei der Inhaftierung Pfeffers 1941 von „Gestapo-Haft“ (S. 232), andernorts von einem „SS-Gefängnis in [der] Prinz-Albrecht-Straße“ (S. 488) – und der Biografien zumeist eigene Hang, biografische Lücken durch Interpretationen auszubessern, sollen nicht unerwähnt bleiben, schmälern den positiven Gesamteindruck jedoch kaum.

Anmerkungen:
1 Robert Gerwarth, Reinhard Heydrich. Biographie, München 2011; Ulrich Herbert, Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft 1903–1989, Bonn 1996; Ian Kershaw, Hitler 1889–1936: Hubris, London 1998; ders., Hitler 1936–1945: Nemesis, London 2000; Peter Longerich, Heinrich Himmler. Eine Biographie, München 2008; ders., Goebbels. Biographie, München 2010; ders., Hitler. Biographie, München 2015; Klaus-Michael Mallmann / Gerhard Paul (Hrsg.), Karrieren der Gewalt. Nationalsozialistische Täterbiographien, Darmstadt 2004; Michael Wildt, Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes, Hamburg 2002.
2 Daniel Schmidt / Michael Sturm / Massmiliano Livi (Hrsg.), Wegbereiter des Nationalsozialismus. Personen, Organisationen und Netzwerke der extremen Rechten zwischen 1918 und 1933, Essen 2016.
3 Zit. bei Sven Reichardt, Die SA im „Nachkriegs-Krieg“, in: Gerd Krumeich (Hrsg.), Nationalsozialismus und Erster Weltkrieg, Essen 2010, S. 243–259, hier S. 251.
4 Ernst Röhm, Geschichte eines Hochverräters, München 1934.
5 Eleanor Hancock, Ernst Röhm. Hitler’s SA Chief of Staff, New York 2008.

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