S. Maddox: Saving Stalin's Imperial City

Titel
Saving Stalin's Imperial City. Historic Preservation in Leningrad, 1930–1950


Autor(en)
Maddox, Steven
Erschienen
Anzahl Seiten
Preis
$ 50.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Katharina Schwinde, Stiftung Ettersberg Weimar; Doktorandenschule des Imre Kertész Kolleg, Universität Jena

Immer mehr Historiker haben sich in den vergangenen Jahren dem Denkmalschutz und der Denkmalpflege zugewandt und damit das Themenfeld, das lange ausschließlich von Kunsthistorikern und Denkmalpflegern bearbeitet wurde, in einem historischen Diskurs verankert. Im Spannungsfeld zwischen der wissenschaftlichen Denkmalpflege, der Kunstgeschichte und den relativ neuen heritage studies werden nun zunehmend kultur- und sozialhistorische Fragestellungen an den Untersuchungsgegenstand gestellt. Genau in dieser Neubewertung liegen die Stärken und das Potenzial des Buches von Steven Maddox zur Denkmalpflege und zum Denkmalschutz in Leningrad zwischen 1930 und 1950. Sein Untersuchungszeitraum berührt die Geschichte einer Stadt, deren Kriegserfahrung zu den wohl tragischsten und traumatischsten des 20. Jahrhunderts gehört. Die Belagerung Leningrads durch die deutsche Wehrmacht dauerte fast 900 Tage. Zwischen Herbst 1941 und Januar 1944 fielen der nationalsozialistischen Politik etwa eine Million Menschen zum Opfer.1

Steven Maddox Buch, das laut eigenen Angaben als eine Studie über „preservation, restoration and commemoration“ in Leningrad während und nach dem Zweiten Weltkrieg zu verstehen ist (S. 2), ist ebenso eine Geschichte des Stalinismus. Denn der Leser lernt aus der Lektüre, wie ambivalent und wenig eindeutig der Umgang des stalinistischen Regimes mit den baulichen Überresten der imperialen Vergangenheit in Leningrad war. Galt die Sprengung der Christi-Erlöser-Kathedrale in Moskau 1931 in der Forschung lange Zeit als Marker für die denkmalfeindliche und zerstörerische Politik des stalinistischen Regimes, konnte spätestens die Studie von David Brandenberger zum sowjetischen Patriotismus der zweiten Hälfte der 1930er- und der 1940er-Jahre dazu beitragen, dass dieses Bild aufgebrochen wurde.2 Maddox, dessen Arbeit von den Forschungen Brandenbergers profitiert und der seine Studie im Kontext des „National Bolshevism“ verortet, kann anschaulich zeigen, wie der sowjetische Patriotismus der 1940er-Jahre dazu führte, dass die imperialen Baudenkmäler Leningrads von belasteten Relikten russischer Geschichte zu sowjetischen Kriegsdenkmälern, und damit zu Orten staatlicher Legitimation avancierten (S. 12/143).

Die Protagonisten des Buches sind die Denkmalpfleger Leningrads. Bereits im ersten Kapitel, das sich der Denkmalpflege und dem Denkmalschutz in St. Petersburg, beziehungsweise Petrograd vor und nach der Oktoberrevolution widmet, kann Maddox überraschend konstatieren, dass die denkmalpflegerischen Akteure nach der Oktoberrevolution einen weitaus größeren Einfluss auf den Schutz des kulturellen Erbes ausüben konnten als noch im späten Zarenreich. So gelang es den Denkmalpflegern und Spezialisten von Beginn an erfolgreiche Arbeitsbeziehungen mit den neuen sowjetischen Machthabern zu etablieren (S. 31). Obgleich dieser Trend in den 1930er-Jahren zunächst rückläufig war und Denkmalschützer als „bourgeoise Spezialisten“ gebrandmarkt und verfolgt wurden, knüpfte man in den 1940er-Jahren erneut an diese erfolgreiche Zusammenarbeit an. Laut Maddox gehorchte die stalinistische Denkmalschutzpolitik in Leningrad während und auch unmittelbar nach dem Krieg keineswegs dem Diktat aus Moskau, sondern war vielmehr ein Produkt von Aushandlungsprozessen zwischen der Leningrader Stadtregierung und Spezialisten (S. 7f.). Erstaunlich mutet an, dass der Leningrader Stadtsowjet dem Schutz und dem Erhalt des imperialen Erbes der Stadt während der verheerenden Belagerung und im Zuge der Bombardierung der Stadt durch die deutsche Luftwaffe eine hohe Priorität zuschrieb (Kapitel 2). Neben der Vorzugsbehandlung der Denkmalschützer, die vom Kriegsdienst freigestellt wurden und Lebensmittelkarten der ersten Kategorie erhielten (S. 54, 58), investierte der Stadtsowjet alleine im Jahr 1942 mehr als eine Million Rubel für denkmalpflegerische Arbeiten am Winterpalast oder etwa der Kunstkammer (S. 63). Auch in der Nachkriegszeit verlor die Denkmalpflege keineswegs an Bedeutung. Im Gegenteil: nun wurden die Wiederaufbau- und Restaurierungsmaßnahmen propagandistisch genutzt, um baulich und damit visuell den Sieg gegen das faschistische Deutschland zu inszenieren (Kapitel 3). In diesem ideologischen Fahrwasser gelang es den Leningrader Denkmalschützern beispielsweise die ungeliebten imperialen Paläste und Parkanlagen der Außenbezirke der Stadt vor dem Abriss zu retten, wie Maddox in seinem vierten Kapitel zeigen kann. Die bereits zu Kriegszeiten einsetzende Geschichtspolitik des Leningrader Parteisowjets machte die Denkmalpfleger zu bedeutenden Akteuren auf dem städtischen Parkett, deren Aufgabe darin bestand, durch den Wiederaufbau die Geschichte der Blockade und des ruhmreichen Sieges gegen Nazideutschland „in das Stadtgefüge einzuschreiben“ (S. 96). Dabei wurden sie in ihrer Arbeit an den Maßgaben stalinistischer Planerfüllung gemessen und in stalinistischer Manier bei Nichterfüllung ihrer Aufgaben in der Presse verleumdet.

Im fünften Kapitel thematisiert Maddox die staatliche Geschichtspolitik zur Erinnerung an die Blockade. Hierbei spielen sowohl die Feierlichkeiten zum Jahrestag der Aufhebung der Belagerung am 27. Januar 1944 als auch das Blockademuseum, eine spezifische Leningrader Erscheinung der direkten Nachkriegszeit, eine Rolle. Wie notwendig diese Erinnerungsorte und deren Mobilisierungspotenzial geworden waren, kann Maddox mit Verweis auf die Stadtgesellschaft der direkten Nachkriegszeit zeigen. In Leningrad ist bis auf den heutigen Tag wie an kaum einem anderen Ort die Geschichte mit der lokalen Identität seiner Bewohner verwoben.3 Hier herrschte ein konfliktgeladenes Ungleichgewicht zwischen Leningradern und Migranten, also zwischen denjenigen, die die Blockade durchlitten hatten und jenen, die erst nach Kriegsende in die Stadt gezogen waren. Die staatliche Geschichtspolitik sollte vor allem die ‚neuen’ Leningrader mit der Geschichte der Stadt vertraut machen, um sie für ein Leben in der Stadt vorzubereiten (S. 147).

In seinem letzten Kapitel weitet Maddox den Blick bis zum Jahr 1950 aus und beschreibt den Wandel in der Erinnerung an die Blockade. Dieser stand im direkten Zusammenhang mit der sogenannten Leningrader Affäre von 1949, bei der die führenden Figuren der Leningrader Parteielite hingerichtet und mehr als 2.000 leitende Funktionäre ihren Posten verloren. In der Folge verschwand das lokale Narrativ der Leningrader Kriegserfahrung für etliche Jahre zugunsten einer integrativen Heldenerzählung, die den Kampf des gesamten sowjetischen Volkes in den Vordergrund rückte und als Kriegsmythos abseits von sozialer-, ethnischer oder lokaler Zugehörigkeit funktionierte (S. 175). Folgerichtig argumentiert Maddox, dass neben anderen Faktoren der „partikularistische Mythos“ der Leningrader Kriegserfahrung und die daraus resultierende lokale Identität der Einwohner Leningrads als bedeutende Faktoren der spätstalinistischen Terrorkampagne gegen die Leningrader Parteispitze hinzuzuzählen sind (S. 187).

Hinsichtlich der „Sonderstellung“ Leningrads, die sich wie ein roter Faden durch die Studie von Maddox zieht, wäre eine breitere Einbindung der Denkmalschutzpolitik der Stadt in die Entwicklungen auf Republikebene wünschenswert gewesen. Obgleich Maddox an einigen Stellen, wie beispielsweise in Bezug auf das Denkmalschutzgesetz von 1948, den Blick aus der Stadt heraus wagt, fehlt der Vergleich mit ähnlich zerstörten Städten mit imperialer, beziehungsweise altrussischer Denkmalstruktur völlig. So wurde in Nowgorod nach mehrjähriger nationalsozialistischer Besatzung der Stadt ebenfalls bereits zu Kriegszeiten mit dem Wiederaufbau begonnen. Darüber hinaus nahm dort auf Beschluss des Ministerrates im Mai 1945 die erste wissenschaftliche Restaurierungswerkstatt ihre Arbeit auf.4 In diesen Kontext hätten beispielsweise die finanziellen Aufwendungen und die ‚Sondermaßnahmen’ des Leningrader Stadtsowjets während des Krieges und in der unmittelbaren Nachkriegszeit eingeordnet werden müssen, um das Argument des Leningrader Exzeptionalismus stützen zu können. Möglicherweise würde sich die „Sonderstellung“ Leningrads durch eine vergleichende Kontextualisierung auch relativieren, denn Maddox‘ Deutung spiegelt zu einem guten Teil genau jenes lokale Narrativ wider, in das sich die Denkmalschützer einschrieben.

Insgesamt leistet Steven Maddox Studie jedoch einen wichtigen ergänzenden Beitrag zur Geschichte des Stalinismus. Gleichzeitig ist die Bedeutung seines Buches für die Historiographie zur stalinistischen Denkmalschutzpolitik nicht hoch genug einzuschätzen. Einem eklatanten Forschungsdesiderat setzt Steven Maddox eine gut leserliche und fundierte Geschichte Leningrads gegenüber, die deutlich macht, wie fruchtbar die geschichtswissenschaftliche Forschung zum Denkmalschutz, zur Denkmalpflege und zu ihren Akteuren in einer Diktatur sein kann.

Anmerkungen:
1 Jörg Ganzenmüller, Das belagerte Leningrad 1941–1944. Die Stadt in den Strategien von Angreifern und Verteidigern, Paderborn 2005.
2 David Brandenberger, National Bolshevism. Stalinist Mass Culture and the Formation of Modern Russian National Identity, 1931–1956, Cambridge 2002.
3 Catriona Kelly, St. Petersburg. Shadows of the past, New Haven, CT 2014, S. 15f.
4 S.N. Davydov, Vosstanovlenie architekturnych pamjatnikov Novgoroda v 1945–1949 godach, in: Praktika restavracionnych rabot 1 (1950), S. 47–83; Firsova, O.L., Šestopalova, L.V., Gosudarstvennaja sistema restavracii i ochrany pamjatnikov 1918– 1991, in: Restavracija pamjatnikov istorii i iskusstva v Rossii v XIX–XX vekach, istorija, problemy, Moskva 2008, S. 156f.

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