R. Hammerthaler: Michael Tschesno-Hell und seine DEFA-Filme

Cover
Titel
Der Bolschewist. Michael Tschesno-Hell und seine DEFA-Filme


Autor(en)
Hammerthaler, Ralph
Reihe
Schriftenreihe der DEFA-Stiftung
Erschienen
Anzahl Seiten
176 S., 32 Abb.
Preis
€ 12,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Günter Agde, Berlin

Der Autor der Monografie arbeitet als Dramaturg und Schriftsteller. Bisher ist er nicht als Filmhistoriker bekannt geworden. Umso bemerkenswerter scheint seine Annäherung an einen schillernd-interessanten, widerspruchsreichen, szenaristischen Protagonisten des DDR-Kinos. In der zeitgenössischen filmhistorischen Literatur gibt es viele Darstellungen von Regiepersönlichkeiten, jedoch keine, die explizit einem Verfasser von literarischen Vorlagen für Filme gewidmet ist. Schon dies allein ist ein Grund, Hammerthalers Arbeit zu würdigen. Und es ist zugleich ein Indiz für die Schieflage filmhistorischer Forschungen in Deutschland.

Hammerthaler zeichnet Leben und Werk von Michael Tschesno-Hell (geboren 1902 in Wilna, gestorben 1980 in Berlin) nach und nutzt dafür sorgfältig und seriös viele Quellen und Archive. In den 1920er-Jahren wuchs Tschesno-Hell durch mühselige Kleinarbeit an der Basis, – sprich den zahlreichen Zellen der KPD – zu einem streng gläubigen, radikalen KPD-Funktionär heran, gebildet, meinungsstark, wortgewandt. Er arbeitete als KPD-Propagandist und -Publizist. 1933 exilierte er, zunächst nach Frankreich und dann in die Schweiz, wo er mit Hans Mayer und Stephan Hermlin die Flüchtlingszeitschrift „Über die Grenzen“ herausgab. Nach 1945 kehrte er nach Ostberlin zurück und leistete kurzzeitig Verwaltungsarbeit als Umsiedlungs- (sprich: Flüchtlings) Organisator. Zudem gründete er den später sehr renommierten DDR-Verlag für ausländische Literatur „Volk und Welt“ und arbeitete schließlich ab 1950 als freischaffender Drehbuchautor bei der DDR-Monopolfilmfirma Deutsche Film AG (DEFA). Er wurde vor allem durch die Szenarien für zwei monumentale Film-Paare bekannt, die Ernst Thälmann (1954/55) und Karl Liebknecht (1955, 1972) gewidmet waren.

Er war knapp 50 Jahre alt als er für das ihm neue Medium Film zu schreiben begann. In zwanzig Jahren schrieb er die Szenarien für sieben Filme. Er verstand sich als Schriftsteller, der für den Film schrieb, und hegte keine Regie-Ambitionen. Tschesno-Hell kam ohne künstlerische Voraussetzungen zum Film. Die kleinteilige Parteipublizistik, die er bis dahin jahrelang betrieben hatte, reichte für die Kunstform Film nicht aus. Filmszenen zu schreiben und zu einer tragfähigen, zuschauerträchtigen Fabel mit Kinoformat zu gestalten, bleibt allemal anspruchsvoller als politische Publizistik mit klassenkämpferischen Intentionen. Salopp gesagt: Die politische Linientreue, die er strikt und unbeirrt vertrat, ist nur schwer in filmische Dialoge umzusetzen. Aber eben dies tat Tschesno-Hell in allen seinen Szenarien. Hammerthaler beschreibt genau und nachvollziehbar, aber auch mit Einfühlungsvermögen, wie Tschesno-Hell in seinen Szenarien die ideologisch-politischen Intentionen der SED-Parteiführung realisierte und in Szenen und Protagonisten der Filme umsetzte und dabei stur dem Harmonisierungsbedürfnis und der Heroisierungsstrategie der Partei folgte. Dafür hat er nahezu alle Widersprüchlichkeiten und individuell differenzierenden Färbungen aus seinen Filmprotagonisten eliminiert und sie mit Pathos aufgeladen. Er verwandelte „Individuen in bloße Sprachröhren des Zeitgeistes“, die Marx’sche Redewendung war seinerzeit in ästhetischen Debatten der DDR populär.1

Die beiden DEFA-Spielfilmregisseure Kurt Maetzig und Günter Reisch, die Tschesno-Hells Szenarien verfilmten, haben sich mit Widerstreben, aber im Ganzen prinzipiell diesem Stilwillen des Autors gebeugt, zumal sich Tschesno-Hell für seine Texte die Autorisierung durch die SED-Parteiführung einholte. Maetzig fand im hohen Alter die Filme „nicht mehr ansehbar“ und schämte sich für viele Einseitigkeiten, die freilich wesentlich auf Tschesno-Hells Texte zurückgingen.2 Reisch, der mit Tschesno-Hell am meisten und längsten zusammengearbeitet hat, erinnerte sich an viele Details der Arbeit, in denen erkennbar wird, wie sehr Tschesno-Hells rigoroser Byzantinismus das von Reisch angestrebte künstlerische Ergebnis eingeschränkt hat. Mit lakonischer Bitterkeit notiert Reisch: „Er brauchte mich nur als ergebenen Aufarbeiter seiner Gedanken.“3

Hammerthaler erfindet für diese Art Film ein neues Genre: „politische Romanze“ (S. 128). Sein Betreuer Rudi Schmidt, emeritierter Soziologie-Professor in Erlangen, prägt in seinem ausführlichen Nachwort die Vokabel „ikonographischer Politfilm“ (S. 161). Ich bevorzuge Hammerthalers Wendung, weil sie ohne pejorative, ohne abträgliche und ehrenrührige Färbung auskommt. Auch sonst meidet Hammerthaler alles Pejorative. Das kommt seinem Text zugute und steht im Gegensatz zu anderen filmhistorischen Texten zu DEFA-Filmen dieses Zuschnitts – wie etwa bei Klaus Finke in „Arbeit am Mythos“.4 Hammerthaler verschweigt an keiner Stelle seine Vorbehalte und Fragen und auch nicht sein Unverständnis gegenüber Tschesno-Hells Lebenshaltung und filmischem Credo. Aber er differenziert präzise, bleibt sachlich und will das fremdartige Leben und Werk verstehen. So analysiert er auch Tschesno-Hells einzige Filmkomödie „Der Hauptmann von Köln“ (1956) und die Requiem-nahen Fernsehfilme „Der Maler mit dem Stern“ (1969) und „Die Mutter und das Schweigen“ (1965).

Tschesno-Hell war auf seine Weise von enormer Konsequenz, die auch heftig ungerecht und unsachlich werden konnte, und damit nicht für jedermann akzeptabel. In der Branche war er dafür verschrien – und das mit Recht. Seine individuelle Tragik bestand darin, dass er seine politisch-ideologische Überzeugung über die Kunstleistung stellte, der Funktionär siegte über das Medium Film. In DDR-Intellektuellen-Kreisen ging schon zu Lebzeiten Tschesno-Hells das Gerücht um, er arbeite für den sowjetischen Geheimdienst. Hammerthaler nimmt das Geraune mit Zurückhaltung auf. Und er weiß, dass man erst nach Öffnung der Moskauer FSB-Archive wirkliche Aufklärung erhalten wird. Aber: die Klärung dieser Sache ist – genau besehen – uninteressant, denn die Beurteilung und Einordnung von Tschesno-Hells Werk in die DDR-Kinematografie wird davon nicht beeinflusst.

Auf eine Unschärfe in Hammerthalers Text muss ich hinweisen: Über den internationalen Schriftstellerkongress 1935 „Zur Verteidigung der Kultur“, der eine bedeutende europäische Demonstration antifaschistischer Intellektueller war, schreibt Hammerthaler: „Daran waren die kommunistisch gesinnten Autoren und vor allem Tschesno-Hell als ihr Parteisekretär maßgeblich beteiligt.“ (S. 43) Aus der damaligen Innensicht von KPD- Hierarchien wäre eine solche Tätigkeit die erste Parteibewährungsprobe von internationaler Dimension für einen Funktionär der mittleren Ebene gewesen, der Tschesno-Hell in dieser Zeit war. Der Veranstaltung maßen sowjetische und Exil-KPD-Kreise große Bedeutung zu, sie hatte auch weitreichende Folgen. Aber Tschesno-Hell wird dort nirgendwo erwähnt.5 Außerdem: was verbindet sich mit dem Terminus „Parteisekretär“ bei einer solchen außerdeutschen Exil-Veranstaltung, die im damaligen antifaschistischen Volksfrontverständnis auf breitest mögliche, überparteiliche Teilhabe ausgerichtet war? Wer hat Tschesno-Hell damit beauftragt und weshalb, mit welchem Ziel und mit welchen Auswirkungen? Darüber schweigt sich Hammerthaler aus. Weshalb? In Ermangelung von Quellenmaterial? Oder sitzt er einer Eigenlegende Tschesno-Hells auf? Die Moskauer Komintern-Archive und das Exil-KPD-Archiv, die dazu Auskunft geben oder eben auch eine „Fehlstelle“ benennen könnten, hat er nicht benutzt. An den inhaltlich wichtigen, international bedeutenden Exil-Debatten etwa in der Zeitschrift „Das Wort“ beteiligte sich Tschesno-Hell nicht: Seine praktische Teilhabe an Kunstfragen beginnt erst ab 1950.

Hammerthalers Arbeit bekräftigt eine bemerkenswerte Tendenz in der gegenwärtigen DEFA-Forschung: allgemeine, übergreifende Darstellungen der DDR-Kinematografie6 werden durch Personalbiografien gestützt und abgerundet und erhalten so ein individuelles Fundament. Damit werden Persönlichkeiten porträtiert, die den Monopolbetrieb DEFA auf eigene Weise geprägt haben.7 Hammerthalers Monografie setzt diese Reihe nun materialreich fort, und man kann hoffen, dass diese interessante Entwicklung auch in Zukunft anhält.

Anmerkungen:
1 Karl Marx an Ferdinand Lassalle, 19. April 1859, in: Karl Marx / Friedrich Engels, Über Kunst und Literatur, Berlin 1967, Bd. 1, S. 181.
2 Günter Gaus, Porträts 5. Günter Gaus im Gespräch mit Christa Wolf, Rolf Hochmuth, Kurt Maetzig, Wolfgang Mattheuer, Jens Reich, Berlin 1993; siehe auch: Gedächtnis der Nation 1950 bis 1959 / Kurt Maetzig: Propagandafilm über Ernst Thälmann (1) https://www.youtube.com/watch?v=rPsXvgr4rGo und (2) https://www.youtube.com/watch?v=MOCEZvA30HU (16.09.2016).
3 Günter Reisch, … will Regisseur werden. Eine DEFA-Filmkarriere, Berlin 2015, S. 104.
4 Klaus Finke, Politik und Film in der DDR. Zum heroischen Selbstbild des Kommunismus im DEFA-Film (Oldenburger Beiträge zur DDR- und DEFA-Forschung 8, 2), Oldenburg 2007, S. 636ff. Vgl. die Rezension von Kai Herklotz, in: H-Soz-u-Kult, 12.12.2008 http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-11411 (16.09.2016).
5 Siehe: Wolfgang Klein, Paris 1935. Erster Internationaler Schriftstellerkongreß zur Verteidigung der Kultur, Berlin 1982.
6 Z.B. von Thomas Heimann, DEFA, Künstler und SED-Kulturpolitik. Zum Verhältnis von Kulturpolitik und Filmproduktion in der SBZ/DDR 1945 bis 1959, Berlin 1994, oder von Dagmar Schittly, Zwischen Regie und Regime. Die Filmpolitik der SED im Spiegel der DEFA-Produktionen, Berlin 2002. Vgl. die Rezesion von Günter Agde, in: H-Soz-u-Kult, 17.05.2002 http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-1183 (16.09.2016), aber auch die bereits genannte von Klaus Finke. Der umfangreiche Sammelband von Christiane Mückenberger u.a. (Hrsg.), Das Prinzip Neugier. DEFA-Dokumentarfilmer erzählen, Berlin 2012 mit Selbstaussagen von 21 Dokumentarfilmregisseuren gehört ebenfalls dazu; vgl. die Rezension von Andreas Kötzing, in: H-Soz-u-Kult, 26.03.2013 http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-19649 (16.09.2016).
7 Vgl.: Karl Hans Bergmann, Der Schlaf vor dem Erwachen, Stationen der Jahre 1931–1949, hrsg. Berlin 2002; Frank Beyer, Wenn der Wind sich dreht, Meine Filme, mein Leben, München, 2001. Vgl. die Rezension von Beate Ihme-Tuchel, in: H-Soz-u-Kult, 21.12.2001 http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-836 (16.09.2016); Horst E. Brandt, Halbnah-nah-total, Erinnerungen, Berlin 2002; Michael Grisko (Hrsg.), Albert Wilkening: Der Gentleman der DEFA. Frankfurt am Main 2011; Ingrid Poss / Dorett Molitor (Hrsg.), Ich war immer ein Spieler. Egon Günther, Berlin, 2013; Wolfgang Jacobsen / Rolf Aurich, Der Sonnensucher. Konrad Wolf: Biographie, Berlin 2005.

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