B. Backes u.a. (Hrsg.): Liturgical Texts for Osiris and the Deceased

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Titel
Liturgical Texts for Osiris and the Deceased in Late Period and Greco-Roman Egypt. Liturgische Texte für Osiris und Verstorbene im spätzeitlichen Ägypten


Herausgeber
Backes, Burkhard; Dieleman, Jacco
Reihe
Studien zur spätägyptischen Religion 14
Erschienen
Wiesbaden 2015: Harrassowitz Verlag
Anzahl Seiten
VIII, 312 S.
Preis
€ 98,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Bojowald, Ägyptologisches Seminar, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Die vorliegende Publikation beinhaltet die Tagungsakten zu zwei Konferenzen über Ritualtexte für Osiris und Verstorbene im spätzeitlichen Ägypten, die in den Jahren 2011 und 2012 in New York bzw. Freudenstadt ausgerichtet wurden.

Nach einer Einleitung der Herausgeber zu „Current trends in the study of liturgical papyri“ führt Burkhard Backes im ersten Aufsatz in funeräre Ritualpapyri ein. Das Alter der Ritualbücher wird höher als das von individuellen Textzusammenstellungen geschätzt (S. 24). Die Eigentümer der Ritualpapyri wurden häufig als „it nṯr“, „Gottesvater“ tituliert (S. 24). Die ganze oder teilweise Beschriftung großer Funerärpapyri mit Osirisliturgien interpretiert Backes als Neuerung des 4. Jahrhunderts v.Chr. (S. 25). Die Ritualpapyri werden als Kompensation für den Wegfall großflächigerer Grabdekorationen verstanden (S. 29).1

Daniela Luft ergründet das Verhältnis zwischen „funerär“ und „liturgisch“ in der ägyptischen religiösen Literatur. Der äußerliche Eindruck der Totenbücher wird als deren Hauptidentifizierungsmerkmal bestimmt (S. 42), wodurch der wahre Sachverhalt versimplifiziert wird. Die Übergänge zwischen Totenbüchern, Mythologischen Papyri und Ritualpapyri werden als gleitend empfunden (S. 43). Den Begriff „funerär“ beschränkt Luft auf das Grabinterieur (S. 45), wodurch wichtige Aspekte wie etwa der Sargschlittenzug ausgeklammert werden.

Im Beitrag von Martin Stadler wird nach Einzelklassifikationen für funeräre Texte gesucht. Die Grenzen zwischen Liturgien/Ritualtexten aus Tempeln und Funerärliteratur werden als durchlässig betrachtet (S. 76). Die Unterscheidung in ein „Erstes Buch vom Atmen“ und ein „Zweites Buch vom Atmen“ wird trotz gewisser Probleme beibehalten (S. 78). Die ersten drei Sektionen des „Großen Dekretes, das für den Gau des stillen Landes ausgegeben wurde“ setzt Stadler mit dem königlichen Bestattungsritual, Memphis und dem Alten Reich in Bezug (S. 81–83), was noch längst nicht ausdiskutiert ist. Der Djoserbezirk/Saqqara wird reichlich hypothetisch als Kultbühne für das Ritual erwogen (S. 84). Die armanazeitliche Entstehung des späten „Buches vom Durchwandeln der Ewigkeit“ wird mangels Zwischengliedern eher skeptisch beurteilt (S. 88).

Victoria Altmann-Wendling thematisiert Abwehrrituale gegen Seth, wozu pBM 10252 vom Ende des 4. Jahrhunderts und pLouvre N 3129 Kol B-K aus dem 4. oder 3. Jahrhundert v.Chr. mit Abschriften von Ritualpapyri aus dem abydenischen Osiriskult als Ausgangspunkt fungieren. Das bisher nur funerär dokumentierte „Ritual zur Abwehr des Bösen“ ist auf phierTebtynis SCA 3460 erstmals im Tempelkontext attestiert (S. 97). Die Abwehrrituale gegen Seth auf Papyrus (pBM 10081; Papyrus des Iri-iri; pMMA 35.9.21; pBM 10188) und Tempelwänden (Monthtor von Karnak, Osiriskapellen in Dendera) werden angesprochen (S. 98–106). Den Sinn der schriftlichen Fixierung der Rituale als Grabbeigabe erklärt Altmann-Wendling durchaus einleuchtend mit deren magischer Perpetuierung (S. 107).2

Der Beitrag von Laurent Coulon präsentiert neuentdeckte Sandsteinblöcke mit Resten der „Liturgie des Dekadenfestes von Djeme“, die bisher nur aus pVienna KM AEOS 3865 aus dem 1./2. Jahrhundert n.Chr. bekannt war. Die Fragmente von Osiriskapellen aus Karnak sind wahrscheinlich in die Ptolemäerzeit zu datieren. Die Liturgie ist dort in einem Fall mit der Verklärung „ś3ḫ.w I“ vergesellschaftet (S. 111). Die Einbeziehung der Liturgie in die Feierlichkeiten zum Khoiakfest wird herausgestellt (S. 117). Die Liturgie kann sich auf Parallelen in Osirishymnen beispielsweise aus Philä stützen (S. 119).

Ann-Katrin Gill konzentriert sich auf die „Sprüche gegen Feinde“ im hieratischen P. BM EA 10252 aus dem 4. Jahrhundert v.Chr., der vermutlich thebanischer Herkunft ist. Der Text klärt unter anderem über Abwehrmaßnamen des Königs und Bestrafungsarten für Feinde auf (S. 136). Die Sprüche werden mit den Ächtungstexten verglichen, wobei der Schutz bestimmter Götter als zusätzliche Facette hinzukommt (S. 141f.).

Im Beitrag von Joachim Friedrich Quack wird der Charakter des Mundöffnungsrituals als Tempeltext und Funerärtext untersucht. Die Tempelhandschriften sind meist nicht dem Hauptgott, sondern Sokar-Osiris gewidmet (S. 147). Die funeräre Ersterwähnung des Begriffes „Mundöffnung“ taucht im Grab des Metjen vom Übergang der 3. zur 4. Dynastie auf (S. 149). Die frühesten Hinweise auf die Mundöffnung im Tempelkult kommen auf den Annalensteinen von Kairo/Palermo aus dem Alten Reich vor (S. 150). Die früheste funeräre Ritualfassung findet sich im Grab des Djehuti (TT 11) aus der Zeit der 18. Dynastie (S. 151). In der Römerzeit wurden Verstorbenen im memphitischen Raum besonders ausführliche Fassungen mitgegeben (S. 154). Den „Sitz im Leben“ bestimmt Quack im Kontext der königlichen Statuenweihe (S. 158).

Mark Smith geht anhand von P. BM EA 10209 der Adaption zwischen Osirisritualen im Tempel- und privaten Totenkult nach. Das Manuskript aus dem 4. Jahrhundert v.Chr. hält Smith trotz fehlender Angaben zur Provenienz für thebanisch (S. 162). Der Papyrus umfasst elf Kompositionen, die zur Gattung von Libationen und Opferformeln gehören (S. 163). Die Existenz von „Anomalien“ in den Osirisliturgien wird als Gradmesser für die Adaption aus dem privaten Totenkult gedeutet (S. 163–172). Die Ergebnisse werden durch Vergleiche mit ähnlichen Texten abgesichert.

Mareike Wagner setzt sich mit dem „Buch zur Verwandlung des Ach“ auseinander, das in drei Quellen (Sarg der Anchnesneferibre=BM EA 32 aus der 26. Dynastie; Grab des Petosiris aus dem 4. Jahrhundert v.Chr; pSekowski=pKrakau 03.03.1992 aus römischer Zeit) belegt ist. Die Gliederung des Textes erfolgt in drei Abschnitte, die aus Einleitung, Teil I mit der Anrufungen des Vaters um Schutz des Verstorbenen und Teil II mit den reziproken Handlungen von Vater und Sohn bestehen (S. 181). Die Kernmotive des Textes werden in Totenopfer, Feindabwehr und Erhebung erkannt (S. 182). Den Ursprung des Textes vermutet Wagner im Privatbereich mit dem Verstorbenen als Nutznießer (S. 188).

Im Beitrag von Yekaterian Barbash wird auf Wortspiele im pWalters Art Museum 551 Bezug genommen. Die Wortspiele werden in mehrere Unterarten klassifiziert, die unter anderem auf Paronomasie beruhen. Die Vorschläge rufen teilweise einen überzogenen Eindruck hervor, was beispielsweise für den Zusammenhang zwischen „mr“ „Liebe“ und „mr“ „binden“ (S. 208), „ḥ3“ „um, herum“ und „ḥ3“ „trauern“ (S. 208), „śb3“ „Tor“ und „śb3“ „Wissen“ (S. 209), „s3w“ „Mauer“ und „s3w“ „Schutz“ (S. 209) sowie „p3i“ „Possesivartikel“ und „p3w.ti“ „urzeitlich“ (S. 213) gilt.3

Jacco Dielemann diskutiert den „Artemis Liturgical Papyrus“ aus dem Zeitraum von der späten Ptolemäerzeit bis in die frühe Römerzeit, der offiziell als pLouvre N 3135 und pWien AEOS 3871 läuft. Das Ritual auf dem „Artemis Papypus“ wird als Adaption aus dem Osiriskult im Stile eines technischen Handbuches deklariert (S. 221f.). In Phraseologie und Grammatik treten Gemeinsamkeiten mit Anweisungen im Apis-Ritual und zum Choiakfest auf pLouvre N 3176 (S) auf (S. 222–224). Die 33 Anrufungen an Osiris bzw. die Verstorbene können auf Parallelen in Pyramidentexten, Opferritual oder Stundenwachen blicken (S. 225).

Andrea Kucharek behandelt Vignetten und Exzerpte bei Osirisliturgien auf Papyrus. Der Gebrauch von Vignetten ist nur bei pSalt 825 und pBerlin 3008 zu beobachten (S. 233). Die Illustration mit Vignetten fasst Kucharek als Indikator für Grabbeigaben auf (S. 237). Die Exzerpierung aus Ritualen wird bei Osirisliturgien als Grabbeigabe als eher selten eingestuft, wobei die Einleitung „ini r X“ als Navigationshilfe diente (S. 238).

Susanne Töpfer nimmt zum sogenannten „Balsamierungsritual“ Stellung. Der Inhalt wird in „Manual“ mit technischen Hinweisen zur Balsamierung und in „Rezital“ mit liturgischen Sprüchen zu Rechtfertigung des Verstorbenen, Sieg über Feinde, Wiedergeburt, Teilnahme am kosmischen Zyklus und Totenklage abgetrennt (S. 246). Die Kommentare im „Manual“ werden als sekundärer Zusatz mit Instruktionen für die Priesterschaft gedeutet (S. 253f.). Die Primärfunktion des Textes sieht Töpfer in dessen liturgischer Rezitation in der Nacht vor der Grablegung (S. 254). Die Gesamtkomposition wird als eine auf älteren Traditionen basierende Schöpfung des 1./2. Jahrhunderts n.Chr. interpretiert (S. 257), was angesichts des Überlieferungszufalls Spekulation bleibt.

Der letzte Beitrag von Sandrine Vuilleumier stellt Überlegungen zur ptolemäischen P. Princeton Pharaonic Roll 10 an. Die Formel „Reinigung der Opfergaben“ wird mit Parallelen im Opferritual des Neuen Reiches, im Mundöffnungsritual (Szene 67), in Edfu, Philä und auf napatanischen Königsstelen in Verbindung gebracht (S. 262). Die Formel für das „Opfer an Geb“ wird zu Parallelen im Opferritual des Neuen Reiches und Mundöffnungsritual (Szene 65C) in Bezug gesetzt (S. 264–266). Die Formel „Opfergaben auf den Altar zu heben“ zeichnet sich durch Parallelen im Opferritual des Neuen Reiches und Mundöffnungsritual (Szene 70 B) aus (S. 266). Den Band beschließen ein Literaturverzeichnis und detaillierte Indices.

Die Beiträge des Bandes weisen ein merkliches Gefälle auf. In einigen Aufsätzen wirken die Ausführungen recht sperrig und wenig lesefreundlich, teilweise lässt die Argumentation die nötige Präzision vermissen. In sachlicher Hinsicht sind bis auf die genannten Kritikpunkte keine wirklichen Mängel zu finden. Wer sich auf die – bei mehreren Autoren wohl nie ganz zu vermeidenden – Ambivalenzen einlässt, wird das Buch für sich nutzbar machen können.

Anmerkungen:
1 Zu den Partikeln „gr“/„3“ (S. 18) vgl. Susanne Töpfer, Fragmente des sogenannten „Sothisrituals“ von Oxyrhynchos aus Tebtunis (The Carlsberg Papyri 12), Kopenhagen 2015, S. 159
2 Zu „ḥm3“ (S. 95), „blattlose Tamariske“ vgl. Pierre P. Koemoth, Le buisson ḥm(m) et l’arbre ḥm(3): du mythe égyptien aux Materia medica, in: Die Welt des Orients 37 (2007), S. 56–68, hier S. 63–66.
3 Zur Schreibung „nwś“ für „niś“ „rufen“ (S. 206) vgl. Richard Jasnow / Karl-Theodor Zauzich, The Ancient Egyptian Book of Thot. A Demotic Discourse on Knowledge and Pendant to the Classical Hermetica, Bd. 1: Text, Wiesbaden 2005, S. 186.

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