G. L. Irby: A Companion to Science, Technology, and Medicine

Cover
Titel
A Companion to Science, Technology, and Medicine in Ancient Greece and Rome.


Herausgeber
Irby, Georgia L.
Reihe
Blackwell Companions to the Ancient World
Erschienen
Chichester 2016: Wiley-Blackwell
Anzahl Seiten
XXIX, 1067 S. in 2 Bänden
Preis
€ 304,77
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan Timmer, Institut für Geschichtswissenschaft, Universität Bonn

Lehrveranstaltungen zur Geschichte der antiken Naturwissenschaft, Technik oder Medizin sind bei Studenten beliebt. Sich damit zu beschäftigen, was Menschen über ihre natürliche Umwelt gedacht und wie sie auf sie eingewirkt, wie sie Phänomene rational erklärt, Ergebnisse systematisiert, untereinander kommuniziert und schließlich dargestellt haben, bietet eine willkommene Abwechslung zu dem, was in Seminaren der Alten Geschichte in der Regel thematisiert wird. Zudem ist der Gegenstand in besonderer Weise geeignet, Studenten die Antike als „das nächste Fremde“ (Christian Meier) vor Augen zu führen und die Gleichzeitigkeit einer teilweise frappanten Ähnlichkeit antiker und moderner Verhältnisse, man denke beispielhaft an die Produktion und Kommunikation zweckfreien mathematischen Wissens im 3. vorchristlichen Jahrhundert, und tiefgreifenden Unterschieden, etwa in Hinblick auf technische und ökonomische Adaption naturwissenschaftlicher Erkenntnisse oder die Involution der Naturwissenschaften in der römischen Kaiserzeit, zu thematisieren.
Allerdings wird die Behandlung des Themas im akademischen Unterricht durch Quellenlage und verfügbare Sekundärliteratur erschwert. Übersetzungen antiker Fachtexte sind häufig bereits älteren Datums und zudem aufgrund ihres Charakters, dem Fehlen narrativer Elemente und ihrem Gegenstand, der zusätzliches Fachwissen nötig macht, für Studenten schwer zu lesen. Auch die Sekundärliteratur ist häufig unzugänglich: Das gilt sowohl mit Blick auf ihre Verfügbarkeit, weil der Bereich für altertumswissenschaftliche wie naturwissenschaftliche Bibliotheken randständig ist, aber auch hier, weil die Texte nicht selten althistorische wie naturwissenschaftliche Vorkenntnisse voraussetzen.

Zwar liegen mit den Darstellungen von Ivan D. Rozanskij oder Alfred Stückelberger zwei immer noch hervorragende Einführungen zum Thema vor,1 aber zum einen sind beide bereits älteren Datums, zum anderen auch recht kurz gehalten. So ist es zu begrüßen, dass Georgia L. Irby, nachdem sie bereits 2002 zusammen mit Paul T. Keyser ein Sourcebook zur Naturwissenschaft im Hellenismus herausgegeben hat, nun auch ein entsprechendes Companion vorlegt.2 In 60 Einzelbeiträgen und auf insgesamt über 1000 Seiten wird hier der aktuelle Stand der Forschung präsentiert.

Bereits der Umfang macht eine Besprechung der Einzelbeiträge unmöglich. Stattdessen ist auf die Konzeption der beiden Bände einzugehen. Organisiert wird das Material nach Gegenstandsbereichen, auf die sich das Interesse antiker Akteure richtete: „Physics and Cosmogony” (S. 11–75), „The Mathematical Sciences“ (S. 77–178), „Earth Sciences“ (S. 179–262), „Healing and the Human Body“ (S. 343–515), „Food Sciences“ (S. 517–632), „Technology of Human Life“ (S. 633–816), „Travel“ (S. 817–888), „Telling Time“ (S. 889–940) und schließlich „Synthesis and Response“ (S. 941–1022) sind als Überschriften gewählt, wobei die einzelnen Rubriken dann auch noch weit gefasst werden. Lücken sind bezüglich der behandelten Gegenstände naturwissenschaftlichen und technischen Wissens in der Antike in dem Sammelband nicht festzustellen. Dies gilt auch für den von den Beiträgen abgedeckten Zeitraum, der von circa 600 v.Chr. bis 600 n.Chr. reicht. Hinzu tritt als Anhang ein Überblick über antike Denker mit Herkunft, Lebenszeit und Forschungsfeld sowie ein umfangreiches Register.

Allerdings bestehen Naturwissenschaft, Medizin und Technik nicht allein aus Phänomenen, die Akteure versuchen zu erklären, und Formen, in denen sie sich ihrer Umwelt bemächtigen, sondern auch aus Wahrnehmungs- und Deutungsmustern, mit denen sie sich ihrer Lebenswelt nähern, aus Kommunikation innerhalb einer in unterschiedlichem Umfang ausdifferenzierten „scientific community“, aus der Darstellung von Wissen und schließlich aus strukturellen Rahmenbedingungen für Forschung und Anwendung, also der Einbettung von Wissenschaft, Medizin und Technik in die sie umgebene Gesellschaft. Die Annäherung an das Oberthema über Gegenstandsbereiche lässt diese Probleme nun in den Hintergrund treten. Zwar gibt es Beiträge etwa von Devin Henry über „The Failure of Evolutionary Thinking in Antiquity“ (S. 313–328) oder von Thorsten Fögen zu „Roman Responses to Greek Science and Scholarship as a Cultural and Political Phanomenon“ (S. 958–972) – und auch in einigen anderen Beiträgen werden entsprechende Probleme diskutiert –, aber eine systematische Behandlung solcher Fragestellungen fehlt. Das ist aber wohl das einzige Manko eines willkommenen Sammelbandes, der sowohl eine gelungenen Einführung für Studenten als auch ein nützliches Hilfsmittel zum Nachschlagen darstellt.

Anmerkungen:
1 Ivan D. Rozanskij, Geschichte der antiken Wissenschaft, München 1984; Alfred Stückelberger, Einführung in die antiken Naturwissenschaften, Darmstadt 1988.
2 Georgia L. Irby-Massie / Paul T. Keyser (Hrsg.), Greek Science of the Hellenistic Era: A Sourcebook, London 2002.

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