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Titel
Der Gallische Krieg. Geschichte und Täuschung in Caesars Meisterwerk


Autor(en)
Schauer, Markus
Erschienen
München 2016: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
271 S.
Preis
€ 19,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jonas Scherr, Abteilung Alte Geschichte, Historisches Institut, Universität Stuttgart

Bei diesem Werk handelt es sich nicht im engeren Sinne um eine wissenschaftliche Untersuchung, sondern um eine eher essayistisch-populäre Einführung. Dies tut indes der Qualität des Inhalts keinen Abbruch. Markus Schauer erweist sich vielmehr immer wieder als höchst kundiger Philologe mit Blick für die historischen Zusammenhänge. Er will mit seinem Buch „Caesars Schrift über den Gallischen Krieg“ vorstellen und „in ihrer raffinierten Machart vor Augen“ führen (S. 9). Seinen Anspruch formuliert Schauer so: „Was man Caesar glauben darf und wo Zweifel angebracht sind, darauf versucht unser Buch eine Antwort zu geben.“ (S. 10) Auch wenn, wie Schauer richtig bekundet, die Forschungsbeiträge zum Thema bereits Legion sind, verspricht er doch, dabei „viele eigene Akzente und neue Deutungsansätze“ zu bieten (S. 11).

Im Vorwort (S. 9–11) stellt Schauer in Kürze Entstehung, Kontext, Thema, Fragestellung und Aufbau des Buches vor. Der sich anschließende Hauptteil ist zweigeteilt. Teil eins führt den Leser zunächst auf recht konservativ-konventionelle Weise in den historischen Kontext ein (S. 13–78). Nacheinander widmet sich Schauer dabei zunächst politisch-sozialen Strukturen der römischen Republik (S. 20–33), dann den Entwicklungen und Neuerungen der späten Republik von den Gracchen über Marius (S. 33–41) und Sulla bis Pompeius (S. 42–49). Damit ist Schauer in Caesars Zeit angekommen, dessen früher Biographie bis zum Konsulat er nun näher nachgeht (S. 50–67).

Hier betont er besonders den konventionellen, traditionellen Rollenvorstellungen römischer Aristokraten entsprechenden Charakter von dessen früher Laufbahn. Faktoren, die die dennoch einzigartige Karriere Caesars möglich gemacht hätten, seien aber dessen Selbstbewusstsein, Ehrgeiz, geschickte Selbstdarstellung und Überzeugungskraft sowie der schiere Erfolg gewesen. Als pragmatischer, risikobereiter und flexibler Redner, Politiker, Feldherr und Schriftsteller habe Caesar gewissermaßen die richtigen Eigenschaften zum rechten historischen Zeitpunkt besessen. Die Darstellung des revolutionär anmutenden ersten Konsulates bis zur Übernahme des Prokonsulates in Gallien bildet den Abschluss des ersten Teils (S. 67–78).

Der zweite, längere und inhaltlich erheblich stärkere Block des Hauptteils ist vollständig dem Werk Caesars über seine Kriege in Gallien gewidmet (S. 79–231). Zunächst geht Schauer dabei auf dessen Entstehungszusammenhang ein. Ein geradezu allgegenwärtiger Bezug auf zeitgenössische römische Politik sei zwar ein genereller Grundzug der römischen Literatur, und in diesem Sinne sei auch Caesars Darstellung fest in der Tradition literarischer Selbstinszenierung römischer Aristokraten verwurzelt (S. 86–91). Zugleich schaffe er jedoch eine neue, eigene Gattung, indem er die Form des zuvor eher nüchtern-berichtshaften, meist lediglich Material für spätere, ausgearbeitete Geschichtswerke gesammelt darbietenden commentarius ausbaue, ja geradezu nur noch eine „Gattungsfassade“ davon übriglasse (S. 95). So mische Caesar insbesondere Elemente der Historiographie mit hinein (etwa Exkurse, Reden und Exempla), und zwar von Buch zu Buch in wachsendem Ausmaß (so Schauer im folgenden Teilkapitel, S. 91–104). Auf diese Weise gelinge es ihm, den mit commentarii üblicherweise verbundenen Wahrheits- bzw. Objektivitätsanspruch mit den selbstdarstellerischen Möglichkeiten rhetorisierender Geschichtsschreibung zu verbinden.

Nun wendet sich Schauer den sprachlich-stilistischen Charakteristika des Werkes zu (S. 104–112). Die bekannte Nüchternheit und Schlichtheit sind für Schauer vor allem ein weiteres Mittel zur gezielt subtilen und gerade dadurch wirksamen Beeinflussung des Lesers. Eben dies konstatiert Schauer auch in seiner folgenden Analyse der narrativen Strategien Caesars, dem längsten Teilkapitel des Buches (S. 113–162). Hier geht Schauer neuerlich auf die ‚Er-Perspektive‘ des Werkes ein, die den Autor als ‚allwissenden Erzähler‘ vom Geschehen distanziere und den Anschein neutraler Objektivität stärke, zugleich jedoch mannigfaltige Manipulationsmöglichkeiten eröffne (S. 114–123). Auch der Aufbau des Werkes erfülle mit seinem scheinbar annalistischen Schema eine vergleichbare Funktion (S. 123–130).

Auch die Art und Weise, wie Caesar Informationen vermittelt, sowie seinen Umgang mit dem Erzähltempo ordnet Schauer als Mittel der gezielten Leserlenkung ein (S. 130–141). Indem der Diktator Ereignisse, Informationen und Informationsstände seiner selbst sowie anderer Protagonisten bewusst ganz spezifisch präsentiere und anordne, zugleich fallweise massiv das Erzähltempo variiere, gelinge es ihm, dem Leser bestimmte Interpretationen und Wertungen indirekt geradezu aufzudrängen.

Eine deutliche Anleihe aus dem Genre der Historiographie stellen in Caesars Schrift die direkten und indirekten Reden dar, die Schauer als nächstes thematisiert (S. 141–150). Indem Caesar die indirekte Rede stark bevorzuge, römischerseits meist nur Subalterne sprechen lasse, wörtliche Reden dagegen überwiegend prominenten Gegnern zuordne, schaffe er einen Eindruck überlegen-distanzierter Neutralität und vermeide einen Konflikt zwischen seinen parallelen Rollen als Erzähler und als Protagonist der Erzählung.

Den Exkursen im ‚Bellum Gallicum’ widmet Schauer relativ wenig Raum (S. 150–156). Im Wesentlichen befindet er sich im Einklang mit den gängigen Ansichten: Caesar nutze seine in die Handlung eingefügten Exkurse – überwiegend bloße Literaturprodukte, in die nur wenig Autopsie eingeflossen sei – um den Leser von bestimmten Dingen abzulenken.1

Ähnlich betrachtet Schauer die Einzelerzählungen, die ab Buch vier immer öfter in den großen Handlungsbogen des ‚Bellum Gallicum’ eingeflochten sind (S. 156–162). Auch hier konstatiert er insbesondere eine Funktion als Ablenkungsmittel, weist aber auch auf die Aspekte der Exemplifizierung, der Veranschaulichung und der moralisierenden Reflexion hin.

Nun wendet sich Schauer synthetisierend der Frage nach Geschichtsklitterung zu (S. 162–172). Zurecht hält er fest, dass Caesar zwar durchaus Tatsachen übergeht, tendenziös wertet und darstellt, dies jedoch im spätrepublikanischen Kontext vor allem als „gängige Praxis aristokratischer Selbstinszenierung“ zu verstehen sei (S. 172). Überdies seien nur wenige grobe Unwahrheiten zu identifizieren, wohl schon wegen der vielen Zeugen des Geschehens. Caesar lenke vielmehr mit seinen commentarii zwar aktiv, jedoch überwiegend sehr geschickt und subtil die Leserschaft, was eine sensible Analyse umso wichtiger mache.

Anschließend behandelt Schauer den geographischen Aspekt (S. 172–179), bezüglich dessen er konstatiert, dass Caesar das Gebiet seines Handelns geradezu neu erfinde und den geographischen Rahmen seiner Feldzüge ganz wesentlich von deren Ergebnissen her konstituiere.

Breiteren Raum räumt Schauer den Protagonisten der caesarischen commentarii ein (S. 179–209). Auf römischer Seite herrschen hier relativ negative Darstellungen etwa von mangelnder Sorgfalt, übereiltem Aktionismus oder Feigheit vor, womit es Caesar stets darum gehe, sich selbst als alles überblickender Organisator und Herr des Geschehens zu positionieren. Auch die Gegner werden nach Schauer regelmäßig instrumentalisiert und zu Faktoren in Caesars Erfolgsgeschichte degradiert. Ob es etwa die Gallier sind, die – den Germanen zivilisatorisch über-, militärisch jedoch unterlegen – der Römer als Schutz- und Ordnungsmacht bedürfen, oder der „fürchterliche Barbarenkönig“ Ariovist (S. 201): In Caesars Narrativ ist sein militärisch-politisches Handeln absolut ehrenwert, da dieses notgedrungen, zum Nutzen selbst der Mehrzahl der Gallier, jedenfalls des römischen Gemeinwesens, sowie gegen starke und daher ruhmvoll zu besiegende Feinde stattfindet.

Dann befasst sich Schauer mit der Schilderung der Handlungen selbst (S. 209–231). Hier stellt er fest, dass Caesar durch „geschickte Gestaltung, manchmal Erfindung des Handlungsverlaufs“ (S. 209) gleichermaßen indirektes Selbstlob wie prophylaktische Apologetik betreibe, sodass „sein Handeln jedem Leser als richtig oder notwendig erscheinen“ (S. 209) müsse. All dies verdeutlicht Schauer ausführlich am ‚Zug der Helvetier‘ und an der Belagerung von Alesia.

Das Schlusskapitel des Buches fasst dessen Ergebnisse zusammen und bietet eine Reflexion über Gesamtcharakter und Bedeutung des caesarischen ‚Bellum Gallicum’ (S. 233–242). Ganz richtig stellt Schauer fest, dass es – maßgeblich durch Situation, Handlung sowie innenpolitische Notwendigkeiten bestimmt – vornehmlich der sieghafte Feldherr Caesar ist, den der Schriftsteller Caesar herausstellen will, wohingegen die Rollen als fähiger Statthalter und Zivilverwalter in den Hintergrund treten. Sehr plausibel bringt Schauer dies mit „Caesars Vorbild, Partner und Gegenspieler“ Pompeius in Verbindung, der als Objekt impliziten Vergleiches im Hintergrund stehe (S. 238).

Abschließend fragt Schauer nach der Wirkung des ‚Bellum Gallicum’ auf sein Publikum (S. 235–242). Hier weist er insbesondere auf die Diskrepanz zwischen dem langfristig bekanntlich enormen, kurzfristig aber mangelhaften Erfolg hin: trotz aller nun nachzulesenden Leistungen wurde Caesar das dadurch erhoffte zweite Konsulat verwehrt. Damit ist Schauer gemeinsam mit seinem Protagonisten bei den Auslösern des Bürgerkrieges angekommen, der so am Ende beider Werke als Vorahnung im Raume steht.

Abgerundet wird Schauers Buch durch eine knappe, buchweise Zusammenfassung des ‚Bellum Gallicum’ (S. 243–245), einige Literaturhinweise und bibliographische Angaben (S. 246–261), ein knapp gehaltenes Register (S. 262–265), einen Stellenindex (S. 266–268), eine Zeittafel von 125 bis 44 v.Chr. (S. 269–271) sowie (im Vorsatz) eine Karte Galliens zur Zeit des Prokonsulates Caesars.

Zusammenfassend gesprochen ist Schauers Büchlein sehr anregend und gerade wegen des essayistischen, gefälligen Stils gut lesbar und lesenswert. Zwar bietet es nur teilweise Neues, doch gelingt es Schauer, zentrale Erkenntnisse moderner Caesarforschung auch für eine breite Leserschaft verständlich und interessant aufzubereiten und erfahrbar zu machen. Mit der sensiblen, tiefgehenden Werkanalyse und den individuellen Akzenten, die Schauer gesetzt hat, bietet das Werk aber auch einem Fachpublikum Inspirationen und Anlässe zum eigenen Weiterdenken. Wer auf solch angenehme und kompetente Weise in die Charakteristika, die Funktionsweise, die Zeit- und Entstehungsgeschichte und allgemein in die Welt der commentarii rerum gestarum belli Gallici Iulius Caesars eingeführt werden möchte, dem sei dieser Band ans Herz gelegt.

Anmerkung:
1 Vgl. u.a. schon Alfred Klotz, Caesar-Studien: nebst einer Analyse der Strabonischen Beschreibung von Gallien und Britannien, Leipzig 1910, S. 12f.; Eduard Norden, Die germanische Urgeschichte in Tacitus Germania, 4. Aufl., Darmstadt 1959 (1. Aufl. 1920), S. 84–104, spez. S. 92–95; eine ausführliche Forschungsübersicht bietet Bernhard Kremer, Das Bild der Kelten bis in augusteische Zeit – Studien zur Instrumentalisierung eines antiken Feindbildes bei griechischen und römischen Autoren, Stuttgart 1994, S. 202.

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