R. Fritz u.a. (Hrsg.): Alma mater antisemitica

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Titel
Alma mater antisemitica. Akademisches Milieu, Juden und Antisemitismus an den Universitäten Europas zwischen 1918 und 1939


Herausgeber
Fritz, Regina; Rossoliński-Liebe, Grzegorz; Starek, Jana
Reihe
Beiträge zur Holocaustforschung des Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien / VWI 3
Erschienen
Anzahl Seiten
328 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Aleksandra Pawliczek, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Akademischer Antisemitismus der Zwischenkriegszeit ist kein neues Forschungsfeld. Ein Forschungskonsens über die Existenz eines solchen ist bereits seit langem vorhanden und wird durch neue Studien mit Inhalten und Details gefüllt und erweitert. In diese Bereicherung durch genauere Betrachtung reiht sich auch der vorliegende Sammelband, das Ergebnis eines 2012 am Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien abgehaltenen Workshops, der 15 Beiträge in deutscher und englischer Sprache versammelt. Der Titel ist indes irreführend. Die hier untersuchten universitären Kulturen umfassen Mittelost- bzw. Mitteleuropa ohne Deutschland. Untersuchungen zu westeuropäischen Entwicklungen wurden nicht integriert, was dem Fokus des Workshops, nicht aber dem Untertitel des Bandes entspricht.

Es geht um eine „transnationale, europäische Kontextualisierung“ (S. 12) der studentischen Judenfeindschaft, die in Gewaltexzessen und gewaltsam ausgetragenen Exklusionsdiskursen ihren Ausdruck fand. Durch Schweigen der großen Mehrheit begünstigt, durch Ghettobänke manifestiert, durch Rufe nach einem Numerus clausus, ja Numerus nullus, flankiert, bestenfalls in der Debatte zur „Überrepräsentierung“ der Juden an Hochschulen kanalisiert, bildete der Antisemitismus als allzeit präsentes Phänomen den Hintergrund, vor dem gesellschaftliche und politische Eliten der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg sozialisiert wurden. Vor diesem Hintergrund spielte es eine nachgeordnete Rolle, dass es eine besonders laute und besonders aggressive Studentenminderheit war, die die antisemitischen Ideen aus der Gesellschaft in die Universität und aus der Universität zurück in die Gesellschaft trug.

Keiner der Beiträge schließt eine transnationale Perspektive ein, obwohl es an Verweisen auf andere mittel(ost)europäische Staaten nicht mangelt. Die Transnationalität des Gesamtbandes wird dennoch erreicht, durch die offensichtlichen Parallelen, die im Vergleich der einzelnen Artikel aufscheinen. Die Schlüsse und Synthesen sind dem Leser überlassen, ein abrundender Beitrag, der die einzelnen Ergebnisse in einen Kontext stellen würde, fehlt. Das ist zwar schade, schmälert aber nicht die Aussagekraft der einzelnen Artikel und ihr Gesamtergebnis. Vor allem die Gleichzeitigkeiten und Gemeinsamkeiten des antisemitischen Habitus sind zuweilen frappierend. Man erkennt den Antisemitismus als ein lange zurückgreifendes Erscheinungsbild einer pauperisierten, krisenbehafteten, verunsicherten Gesellschaft, in der Bildung keine Garantie für Wohlstand mehr ist und in der, und das ist wohl für Mittelosteuropa besonders gravierend, ein nationalistisches Denken als Grundlage der staatlichen Existenz gerade neu entstandener bzw. konsolidierter Staaten zu einer zentralen Achse der Selbstwahrnehmung der intellektuellen Eliten avanciert. In diesem Selbstbild wird der Fremde, und allen voran „der Jude“, nicht nur als Bedrohung konkreter Karrierechancen, sondern als Ausdruck einer unerwünschten Inhomogenität wahrgenommen. Und auf diesen Universalgegner und Sündenbock werden alle sozio-politischen Missstände projiziert, sei es kapitalistischer, internationaler, nichtchristlicher oder bolschewistischer Art.

Aber nicht nur diese „klassische“ Antisemitismusforschung erfährt in dem Band Bestätigung. Es lassen sich zahlreiche Interdependenzen zwischen den einzelnen hier untersuchten Ländern ausmachen. So dominiert die Numerus clausus-Debatte alle universitären Milieus, unter Verweis auf die starke Urbanisierung und damit auch Akademisierung der Juden. Zunächst als eine Forderung nach Proporz, entwickelte sich die Debatte besonders in den 1930er-Jahren zu einer Ausschlussgesetzgebung, nicht selten durch Ereignisse in Deutschland und Österreich beflügelt. Die ethnische Zusammensetzung der mitteleuropäischen Staaten wirkt dabei stets verschärfend: in der Frage der Minderheiten, die durch die Versailler Verträge besonders geschützt werden sollten, werden Religion, Ethnie und Nationalität vermengt, was zu einer gefährlichen Argumentation innerhalb und außerhalb der Universität führt.

Denn die Universitäten sind ein Teil der Gesamtgesellschaft. Aus der antisemitischen Studentenschaft rekrutiert sich die faschistische Eiserne Garde, die die späte Emanzipation der Juden in Rumänien rückgängig machen will (Raul Cârstocea). Die Studenten der ersten Zeit im unabhängigen Polen tragen ihren Judenhass in die Politik, die in der erzkatholischen „Nationaldemokratie“ mündet und nach 1935 an die Macht kommt. Die im polnisch-sowjetischen Krieg gewonnene „Erkenntnis“ über den zu bekämpfenden Judeo-Bolschewismus wird dabei ideologisch mit nationalistischen und klerikalen Elementen vermischt und universalisiert (Robert Krzywiec). Eine offizielle Exklusionspolitik wird zwar nicht umgesetzt, doch werden gleichzeitig auf polnischen Universitäten „Ghettobänke“ eingerichtet, wird der Versuch unternommen, einen Numerus nullus mit Gewalt und ohne politische Legitimation durchzusetzen (Zofia Trębacz). Dies erfährt eine Vertiefung in der Debatte um anatomisches Lehrmaterial, im Streit um „christliche und jüdische Leichen“, denn besonders die Medizinischen Fakultäten sind überfüllt, hier ist die Konkurrenz am größten. Einen Ausschluss von Juden glaubt man hier mit christlich-religiös verbrämten Argumenten zu erreichen (Natalia Aleksiun). Die politische Legitimation ist in Ungarn dagegen gegeben. Bereits seit 1920 ist hier der Numerus clausus in Kraft, mit der Folge, dass einige Universitäten aus Mangel an Studenten diesen unterlaufen müssen. Das Gesetz wird später zurückgenommen, die Politik jedoch beibehalten. Beides bildet die Grundlage für die spätere Diskriminierung, die im „Zweiten Judengesetz“ 1939 kulminiert (Mária Kovács).

Die Forderung nach dem Ausschluss umfasst aber mehr als nur den akademischen Unterricht. Die Partizipation am studentischen Leben wird jüdischen Studenten auch im Bereich der Korporationen und Organisationen in allen betrachteten Ländern verwehrt. Die Deutsche Studentenschaft und der Arierparagraph setzen Maßstäbe, die alle anderen Studentenschaften sofort imitieren. Die hier geführten Debatten verlassen die traditionellen Argumentationslinien um Staatsbürgerschaft und Staatspartizipation und fokussieren zunehmend auf Fragen der „Abstammung“, also der nationalen bzw. Rassenzugehörigkeit, die nirgendwo so nachhaltig gleichgesetzt wird wie in Österreich, unterstützt und zumindest nicht behindert durch akademische Lehrer, wie die Rektoren der Wiener Universität (Ralf Bauer, Klaus Taschwer). Ähnlich ändert sich der Impetus der Argumente gegen das Frauenstudium: war zu Beginn unter den Studentinnen eine bedeutende Zahl von Jüdinnen zu finden, wurden sie in erster Linie als Frauen abgelehnt. Nach dem Ersten Weltkrieg lösen antisemitische die misogynen Angriffe ab (Michaela Raggam-Blesch).

Die Argumente gleichen sich über die Grenzen hinweg an, erfahren lediglich unterschiedliche Akzentuierung. Sie führen zu großen Wanderungswellen der jüdischen Studenten, die wiederum als Gefahr an den Einwanderungsuniversitäten empfunden werden. Das ist nicht nur im Königreich Jugoslawien zu beobachten, wo Juden aus Ungarn und Österreich ankommen; hier lässt es einen Antisemitismus erkennen, der in der Historiografie, bis auf wenige Ausnahmen, noch nicht erforscht ist (Marija Vulesica).

Sind die Ergebnisse der einzelnen Artikel auch nicht sehr überraschend, so verdeutlicht ihre Zusammenstellung durchaus Muster, die gerade auch durch die Wiederholung in unterschiedlichen staatlichen Kontexten nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Die Häufung der Parallelen lässt den Wunsch, die betrachtete Region auch mit anderen, von antisemitischen und faschistoiden Tendenzen keineswegs verschont gebliebenen europäischen Gegenden zu vergleichen, aufkommen. Denn das Thema des akademischen Antisemitismus mag keine großen Überraschungen mehr bergen, ausgeschöpft ist es noch lange nicht. Der faschistische, nationalsozialistische, antisemitische Diskurs der Eliten der Zwischenkriegszeit könnte gewinnbringend in einen gesamteuropäischen Kontext gesetzt werden, um die Interdependenzen sowie die internationale Dimension dieser Ideologien in ihren Facetten zu vertiefen.

Einen Vorgeschmack bietet Stephen Norwood in seinem Blick auf die amerikanischen Universitäten und ihr Verhältnis zu Nazi-Deutschland. Der Versuch, US-Universitäten als Meinungsbilder der amerikanischen Gesellschaft für die Nazi-Ideologie zu gewinnen, war letztlich nicht erfolgreich, denn die USA traten in den Krieg auf Seiten der Gegner ein. Erstaunlich bleibt jedoch das Ausmaß der Unterstützung der US-amerikanischen Universitäten für die antisemitische Propaganda des „Dritten Reiches“.

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